R 0023/10 (Offensichtlich unbegründeter Überprüfungsantrag/LUK) 15-07-2011
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Torsionsschwingungsdämpfer
I. Der von der Antragstellerin (als Rechtsnachfolgerin der Einsprechenden und Beschwerdeführerin) am 23. Dezember 2010 eingereichte Antrag gemäß Art. 112a EPÜ richtet sich gegen die in der mündlichen Verhandlung am 5. August 2010 verkündete Entscheidung der Beschwerdekammer 3.2.08 im Verfahren T 1440/08, mit welcher die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Angelegenheit an die Erste Instanz mit dem Auftrag, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, zurückverwiesen wurde.
II. Die schriftliche Entscheidung mit den Entscheidungsgründen wurde am 13. Oktober 2010 abgesendet. Ein von der Antragstellerin ebenfalls am 23. Dezember 2010 eingereichter Antrag auf Berichtigung dieser Entscheidung gemäß Regel 89 EPÜ (1973) wurde mit Entscheidung der Beschwerdekammer 3.2.08 vom 31. Mai 2011 zurückgewiesen.
III. Der Antrag stützte sich auf Artikel 112a (2) c), da ein schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ vorgelegen habe. Die Beschwerdekammer habe den Sachvortrag der Antragstellerin in einem für die Entscheidung erheblichen Punkt vollständig missverstanden. Entgegen den Ausführungen der Entscheidungsbegründung zur erfinderischen Tätigkeit des Hilfsantrages 2 (Seite 18, letzter Absatz, bis Seite 19 unten) habe die Antragstellerin sich immer darauf berufen, dass D 21 eine konische Rücknahme der Anpressplatte lehre. Die Beschwerdekammer sei jedoch in fehlerhafter Weise davon ausgegangen, der Vortrag der Antragstellerin bezöge sich darauf, dass in Dokument D21 die Kupplungsscheibe angestellt sei. Dieses Missverständnis habe die Entscheidung für die erfinderische Tätigkeit des Hilfsantrags 2 getragen. Dies stelle eine Verletzung des Gebots des rechtlichen Gehörs dar, welches - wie u.a. das deutsche Bundesverfassungsgericht, dessen Überlegungen ohne weiteres auf die Auslegung des Artikels 113 (1) EPÜ zu übertragen seien, festgestellt habe - auch dann vorliege, wenn der Sachvortrag einer Partei in der Entscheidung nicht berücksichtigt wurde. Das sei auch und in besonderem Masse gegeben, wenn, wie im vorliegenden Fall, entscheidungserheblicher Sachvortrag von der Beschwerdekammer missverstanden und deshalb in der Entscheidung nicht berücksichtigt wurde.
IV. Am 3. Mai 2011 reichte die Antragstellerin den damals gerade in GRUR Int. 2011, S. 302 erschienenen Aufsatz von Rüdiger Zuck ein. Dieser vertrete darin, wie auch die Antragstellerin im Antrag auf Überprüfung, die Auffassung, dass das EPÜ keine Veranlassung gibt, die Regeln für die Anwendung eines außerordentlichen Rechtsbehelfs [um welchen es sich bei der Überprüfungsmöglichkeit nach Artikel 112a EPÜ handle] "streng und eng" auszulegen.
V. Mit Entscheidung der ebenfalls zu T 1440/08 vom 31. Mai 2011 lehnte die Beschwerdekammer den Antrag der Beschwerdeführerin I (nunmehr Antragstellerin) ab, die Entscheidung vom 5. August 2010 gemäß Regel 89 EPÜ (1973) zu berichtigen. Der Antrag war der u.a. darauf gestützt, dass die Ausführungen auf Seite 18, letzter Absatz der Entscheidungsgründe zeigten, dass die Kammer den Begriff des Anstellens missverstanden habe; sie seien auch hinsichtlich der Übertragung der Lehre von D21 auf D2 falsch. Die beantragte "Berichtigung", so die Beschwerdekammer, würde jedoch eine Revision des Inhalts der Entscheidung bewirken, wie sie nach dem Wortlaut der Berichtigungsvorschrift ausgeschlossen ist.
VI. In Vorbereitung der beantragten mündlichen Verhandlung erging am 16. Juni 2011 eine Mitteilung gemäß Artikel 13, 14 (2) der Verfahrensordnung der Grossen Beschwerdekammer. Daraufhin reichte der Vertreter der Antragstellerin am 7. Juli 2011 eine Stellungnahme ein, in der er sich ausführlich mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern und der Grossen Beschwerdekammer zu Inhalt und Bedeutung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auseinandersetzte, insbesondere ob dieses neben dem Äußerungsrecht der Verfahrensbeteiligten auch deren Recht auf (angemessene) Berücksichtigung ihres Vorbringens umfasst. Letzteres scheine, im Gegensatz etwa zu den Prüfungsrichtlinien, der Rechtssprechung der Beschwerdekammern und des deutschen Bundesverfassungsgerichtes, auf welche sich auch die Große Beschwerdekammer mehrfach bezogen habe, für Letztere kein unentbehrlicher Teil des rechtlichen Gehörs zu sein. Der vorliegende Fall biete in besonders guter Weise die Möglichkeit für die Große Beschwerdekammer, ihre bisherige Rechtssprechung zum rechtlichen Gehör zu überdenken. Es könne nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, dass der tatsächliche Vortrag der Antragstellerin und der Vortrag, den die Beschwerdekammer der Antragstellerin in der zu überprüfenden Entscheidung unterstellt, erheblich voneinander abweichen. Damit gehe es nicht um Wertungen, sondern um Fakten.
VII. In der mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2011 brachte der Vertreter der Antragstellerin u. a. vor, die Beschwerdekammer habe zwar erkannt, dass D21 relevant sei und dieses Dokument dann zum Verfahren zugelassen; sie habe sich aber nicht mit dem entscheidenden Argument der Antragstellerin auseinandergesetzt, "der konkave Verlauf der Anpressplatte gemäß D 21 sei ohne weiteres auf das Schwungmasseelement zu übertragen". Zwar sei der maßgebliche Vortrag der Antragstellerin auf Seite 7 [unter Punkt VI, d] der Entscheidung richtig wiedergegeben. Das sei jedoch nur ein Indiz dafür, dass sich die Beschwerdekammer damit auch auseinandergesetzt habe. Tatsächlich habe sie das relevante Vorbringen der Antragstellerin bloß zur Kenntnis genommen, nicht aber auch gewürdigt.
Die Verhandlung endete mit der Verkündung der aus dem Tenor ersichtlichen Entscheidung der Grossen Beschwerdekammer.
Zulässigkeit des Antrags
1. Der Überprüfungsantrag entspricht den in Regel 108 genannten Bestimmungen des EPÜ. Was das Erfordernis der Regel 106 EPÜ anbelangt, stützt er sich auf eine behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs (Artikel 112a (2) c), 113 (1) EPÜ, indem "[d]ie Nichtberücksichtigung des tatsächlichen Sachvortrags und Berücksichtigung des nur vermeintlich von der Antragstellerin vorgetragenen Sachvortrags [ ] der Antragstellerin die Möglichkeit genommen [hat], auf den Ausgang des Verfahrens in der nach Artikel 113 EPÜ gebotenen Weise Einfluss zu nehmen" (Antragsbegründung VI.2). Man kann der Antragstellerin ohne weiteres zugestehen, dass ihr dies zutreffendenfalls erst aus den schriftlichen Gründen für die zu überprüfende Entscheidung der Beschwerdekammer, jedenfalls nicht vor Schluss der Debatte, erkennbar gewesen wäre. Eine offensichtliche Unzulässigkeit des Antrags ist somit nicht gegeben.
Begründetheit des Antrags
2. Die Große Beschwerdekammer sieht es - ohne dass sie davon von ihrer bisherigen Rechtsprechung abweichen müsste und im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern und nationaler Gerichte (an welche sie allerdings nicht gebunden ist) - durchaus als Voraussetzung der Gewährung des rechtlichen Gehörs i.S. von Art. 113 (1) EPÜ an, dass den Beteiligten nicht nur die Gelegenheit gegeben wird, sich (zu den für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen und Überlegungen) zu äußern, sondern dass diese Äußerungen auch berücksichtigt, d.h. im Hinblick auf ihre Relevanz für die Entscheidung in der Sache überprüft werden (in diesem Sinne Entscheidung R 19/10, Pkt. 6.2, von der Antragstellerin zustimmend zitiert).
3. Diese Rechtsauffassung steht nicht in Widerspruch zu Entscheidungen der Grossen Beschwerdekammer, wonach es für die Zwecke des Art. 113 (1) EPÜ ausreichend sei, wenn der betreffende Beteiligte von den von der Gegenseite vorgebrachten Argumenten Kenntnis und die Gelegenheit, darauf zu erwidern, hatte und nicht die Behauptung aufstellt, die Beschwerdekammer hätte sich geweigert, sie zu hören (insbesondere R 18/09, dort Punkt 12 der Entscheidungsgründe): Diese Aussage bezieht sich auf Fälle, in denen zu prüfen war, ob sich eine Partei (zu für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen und Überlegungen) deshalb nicht geäußert hatte, weil sie daran durch objektive Umstände (wie sie in R 07/09 festgestellt wurden) oder durch die Verfahrensführung der Beschwerdekammer gehindert wurde.
4. Im Gegensatz dazu steht im vorliegenden Fall außer Frage, dass sich die Antragstellerin äußern konnte und dies auch getan hat. Was sie geltend macht ist vielmehr, dass ihre Äußerungen zu einer für die Sachentscheidung wesentlichen Frage (Lehre von D21 - Punkt III, oben) von der Beschwerdekammer missverstanden und deshalb bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt wurden.
5. Man kann der Antragstellerin darin folgen, dass die von ihr zugestandene korrekte Darstellung ihres einschlägigen Sachvortrags (unter Punkt VI, d) der Entscheidung - siehe Punkt VI, oben; der diesbezügliche Vorbehalt auf Seite 24 der Antragsbegründung bezieht sich weder auf die Anpressplatte, noch die Kupplungsscheibe) letztlich "nur" ein Indiz für die nach Art. 113 (1) EPÜ gebotene Berücksichtigung ihres Sachvortrags darstellt. Für ernsthafte Zweifel daran oder gar die Feststellung des Gegenteils - hier: die Beschwerdekammer habe das maßgeblichen Vorbringen der Antragstellerin dennoch missverstanden und es deshalb nicht angemessen berücksichtigt - müssen aber konkrete und eindeutige Anhaltspunkte in der betroffenen Entscheidung gegeben sein. Eine solche Überprüfung, auch wenn sie sich auf "Fakten" in einem sehr allgemeinen Sinn bezieht, stellt - und auch insoweit kann der Antragstellerin gefolgt werden - noch keine Überprüfung ("Wertung") der sachlichen Richtigkeit der Entscheidung dar.
6. Das ursächliche Missverständnis soll nun laut Antragstellerin darin liegen, dass sie sich entgegen den Ausführungen unter Punkt 5, letzter Absatz auf Seite 18 und Seite 19 der Entscheidungsgründe nie darauf berufen habe, D21 lehre es, die Kupplungsscheibe anzustellen.
7. Zur Offenbarung von D21 ist a.a.O. zu lesen:
"D21 offenbart eine Kupplung, bei der die Anpressplatte leicht angestellt ist, .... Bei Übertragung dieser Lehre auf den Torsionsschwingungsdämpfer gemäß D2 würde der Fachmann ebenfalls die Kupplungsscheibe so anstellen, dass ....
Aus dem Stand der Technik geht nicht hervor, dass die Gestaltung der Kupplungsscheibe ein Problem mit sich bringt, sodass D21 den Fachmann nicht dazu anregen kann, die Anstellung der Kupplungsscheibe auf das Schwungmassenelement zu übertragen. Da die genannten Entgegenhaltungen - wenn überhaupt - eine Anstellung einer ebenen Kupplungsscheibe offenbaren, können sie noch weniger dazu anregen einen konkaven Verlauf bzw. eine Rücknahme in das Schwungmassenelement einzuarbeiten ...".
8. Abgesehen davon, dass diese Ausführungen keineswegs nur so verstanden werden können, dass D21 allein die Anstellung einer Kupplungsscheibe (was immer darunter technisch zu verstehen ist) lehre, kommt die Antragstellerin dort nirgends vor. Was diesen Ausführungen entnommen werden kann, ist somit höchstens, dass sich die Beschwerdekammer in dieser Frage dem Standpunkt der Antragstellerin nicht angeschlossen hat, oder schlicht, dass sie nach Würdigung des gesamten relevanten Standes der Technik (einschließlich D2) eine erfinderische Tätigkeit des Hilfsantrags 2 als gegeben erachtet und folglich gegen die Antragstellerin entschieden hat. Damit besteht weder ein sachlicher noch ein textlicher Anhaltspunkt dafür, dass diesen Feststellungen und Schlussfolgerungen ein anderes Verständnis des einschlägigen Vorbringens der nunmehrigen Antragstellerin zugrunde gelegen hätte, als das in Punkt VI, d) der Entscheidung (zutreffend) dargestellte. Die Behauptung der Antragstellerin, im vorliegenden Fall habe die Beschwerdekammer entscheidungserhebliches Vorbringen der Antragstellerin verkannt und deshalb (oder aus welchem Grund auch immer) nicht so berücksichtigt, wie es für die Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 113 (1) EPÜ) erforderlich war, findet nirgends eine Stütze.
9. Der Frage, ob ein Missverständnis der von der Antragstellerin behaupteten Art, wenn es denn festgestellt würde, überhaupt als eine Verletzung des rechtlichen Gehörs i. S. von Artikel 112a (2) c) anzusehen wäre oder nicht vielmehr einen - in einem Verfahren nach Artikel 112a EPÜ grundsätzlich nicht überprüfbaren - Irrtum in der Sache darstellt, braucht damit für die Entscheidung über den vorliegenden Antrag nicht weiter nachgegangen werden. Ebensowenig besteht dann noch Anlass für die von der Antragstellerin geforderte Überprüfung der ihrer Meinung nach zu "strengen" Auslegung oder Anwendung der von Art. 112a geschaffenen Aufhebungsgründe (Punkt IV, oben). Zwar ist
es zutreffend und legitim, dass normalerweise ein Antrag nach 112a EPÜ mit dem Ziel gestellt wird, zugunsten des Antragstellers eine inhaltliche Abänderung der von der Beschwerdekammer getroffenen Entscheidung zu erwirken. Artikel 112a EPÜ hat jedoch nichts daran geändert, dass letzte Sachinstanz in Verfahren nach dem EPÜ ausschließlich die Beschwerdekammern sind. Die Große Beschwerdekammer kann davon auch im Wege der Auslegung nicht abgehen, vielmehr hat sie sich strikt - und insofern "streng" - auf die im EPÜ erschöpfend vorgegebenen Aufhebungsgründe zu beschränken. Die sachliche Richtigkeit der die zu überprüfende Entscheidung tragenden Feststellungen und Schlussfolgerungen (siehe Punkt 7., oben) kann - auch nicht indirekt - Gegenstand einer Überprüfung nach Artikel 112a EPÜ sein. Diese ist, ggf. nach Aufhebung der Entscheidung und Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß Artikel 112a (5) EPÜ, allein den Beschwerdekammern vorbehalten, die Große Beschwerdekammer hat dafür grundsätzlich keine Zuständigkeit.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird einstimmig entschieden:
Der Antrag auf Überprüfung wird als offensichtlich unbegründet verworfen.