R 0019/12 (Verletzung des rechtlichen Gehörs/IXETIC) 12-04-2016
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Überprüfungsantrag nur gegen einen selbständigen Teil der angegriffenen Entscheidung (ja)
Verletzung des rechtlichen Gehörs (nein)
Würdigung der Argumente der Partei in der schriftlichen Entscheidung (ausreichend)
I. Der Überprüfungsantrag betrifft die im Einspruchsbeschwerdeverfahren T 2097/10 ergangene Entscheidung der Beschwerdekammer 3.2.04, die am 12. Juli 2012 mündlich verkündet und am 4. Oktober 2012 schriftlich zur Post gegeben wurde. Die Antragstellerin hatte als Inhaberin des europäischen Patents 1 117 933 die Widerrufsentscheidung der Einspruchsabteilung mit einer Beschwerde angegriffen und unter Hinweis auf erstinstanzliche Verfahrensmängel die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt. Die Einsprechende und Beschwerdegegnerin (im Folgenden als "frühere Einsprechende" bezeichnet) nahm ihren Einspruch im Beschwerdeverfahren zurück und war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr am Verfahren beteiligt. Mit der genannten Entscheidung hielt die Beschwerdekammer das Patent in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vor ihr eingereichten Hilfsantrags 3 in geändertem Umfang aufrecht, gab aber, wie aus den Gründen ersichtlich ist, dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht statt.
II. Der Überprüfungsantrag wurde am 14. Dezember 2012 unter Entrichtung der Überprüfungsgebühr eingereicht und begründet. Er ist auf die schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützt (Artikel 112a (2) c) i.V. mit Artikel 113 (1) EPÜ). Die Antragstellerin macht geltend, dass wesentliche Elemente ihres schriftlichen und mündlichen Vortrags zum Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr und zu den Verfahrensmängeln der ersten Instanz von der Beschwerdekammer nicht zur Kenntnis genommen und nicht berücksichtigt worden sind.
III. In ihrer Zwischenentscheidung vom 25. April 2014 gab die Große Beschwerdekammer einem Befangenheitsantrag gegen ihren früheren Vorsitzenden statt. Eine weitere Änderung der Besetzung der Kammer erfolgte am 2. Juni 2014 aufgrund der Pensionierung zweier früherer Mitglieder.
IV. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der die Antragstellerin gehört wurde, entschied die Große Beschwerdekammer in der Besetzung nach Regel 109 (2) a) EPÜ am 9. September 2014, den Überprüfungsantrag der Großen Beschwerdekammer in der Besetzung gemäß Regel 109 (2) b) EPÜ zur Entscheidung vorzulegen.
V. Am 2. Oktober 2015 fand eine weitere mündliche Verhandlung vor der Großen Beschwerdekammer in der Besetzung nach Regel 109 (2) b) EPÜ statt. In dieser Verhandlung bestätigte die Antragstellerin ihre bereits in der ersten Verhandlung gestellten Anträge. Am Ende der mündlichen Verhandlung erklärte der Vorsitzende die sachliche Debatte für beendet und kündigte an, dass die Entscheidung schriftlich ergehen werde.
VI. Die Antragstellerin beantragte,
- die Entscheidung T 2097/10 der Technischen Beschwerdekammer 3.2.04 vom 12. Juli 2012 insoweit aufzuheben, als damit die Rückzahlung der Beschwerdegebühr verweigert wird, und die Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Beschwerdekammer zur erneuten Entscheidung über die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen;
- den Fall einer anderen Beschwerdekammer als derjenigen, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, zuzuweisen.
VII. Zum besseren Verständnis des Überprüfungsantrags werden nachfolgend der Ablauf des Einspruchsverfahrens und die von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Verfahrensmängel zusammenfassend wiedergegeben.
Zum Einspruchsverfahren
VIII. Das Patent war mit einem am 7. Januar 2005 eingelegten Einspruch angegriffen worden. In der Einspruchsschrift beantragte die frühere Einsprechende, das Patent im Rahmen der Ansprüche 1-16, 18 und 19 sowie 22 bis 33 zu widerrufen. Acht Entgegenhaltungen (D1 bis D8) wurden eingereicht, um den allein geltend gemachten Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu begründen. Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin nahm zum Einspruch Stellung und beantragte die Zurückweisung des Einspruchs. In einem Bescheid, der der Ladung zu einer mündlichen Verhandlung am 22. Juni 2010 beigefügt war, äußerte die Einspruchsabteilung die vorläufige Meinung, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Patents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
IX. Mit einem Schreiben vom 21. Mai 2010 reichte die frühere Einsprechende zahlreiche weitere Entgegenhaltungen und Dokumente (D9-D31) ein und machte zusätzliche Einspruchsgründe, nämlich unzulässige Erweiterung nach Artikel 100 c) EPÜ und mangelnde Neuheit nach Artikel 100 a) i.V. mit Artikel 54 EPÜ, geltend.
Hierauf reagierte die Antragstellerin mit einem Schreiben vom 18. Juni 2010, in dem sie die Nichtzulassung der neu eingereichten Dokumente beantragte. Eine solche Vielzahl von Entgegenhaltungen so spät vorzulegen, sei ein Verfahrensmissbrauch, mit dem die Einspruchsabteilung offenbar zu einer Vernichtung des Patents "aus Notwehr" veranlasst werden sollte. Für den Fall, dass die Einspruchsabteilung diesem Antrag nicht entsprechen sollte, wurde eine Vertagung der mündlichen Verhandlung beantragt. Die Antragstellerin widersprach ferner der Einbeziehung des neuen Einspruchsgrunds der mangelnden Neuheit in das Verfahren.
In einem Faxschreiben vom 21. Juni 2010 teilte ein Formalsachbearbeiter für die Einspruchsabteilung mit, dass der festgesetzte Termin zur mündlichen Verhandlung bestehen bleibe.
X. In der am nächsten Tag stattgefundenen Verhandlung widerrief die Einspruchsabteilung das Patent. Sie ließ die neuen Einspruchsgründe im Verfahren zu und gelangte zu der Auffassung, dass der unabhängige Anspruch 2 des erteilten Patents gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstieße. Der von der Antragstellerin während der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag wurde für nicht gewährbar erachtet, da der Gegenstand des Anspruchs 1 zwar neu, aber ausgehend von der Druckschrift D7 nicht erfinderisch sei.
XI. Die Einspruchsabteilung sah keinen Verfahrensmissbrauch infolge der großen Zahl spät eingereichter Druckschriften. Die Dokumente seien nicht sehr umfangreich und der Antragstellerin ohnehin aus früheren parallelen Verfahren bekannt. Aufgrund einer Relevanzprüfung wurden von diesen Druckschriften aber nur die Dokumente D18 und D19 in das Verfahren zugelassen.
Im Beschwerdeverfahren gerügte Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens
XII. Im Beschwerdeverfahren rügte die Antragstellerin u.a. mehrere Verfahrensmängel durch die erste Instanz und begehrte die Rückzahlung der Beschwerdegebühr. Diese Rügen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Aufgrund der Vielzahl sehr spät eingereichter neuer Druckschriften seien die Verteidigung des Patents und die Vorbereitung der Verhandlung unverhältnismäßig erschwert worden. Dies stellte einen Verfahrensmissbrauch dar, mit dem offenbar beabsichtigt wurde, die Einspruchsabteilung zu einem Widerruf des Patents aus "Notwehr" zu drängen. Es sei ohne Vertagung der Verhandlung unzumutbar gewesen, dass sich die Antragstellerin vorsorglich mit all diesen Dokumenten habe befassen müssen. Die Einspruchsabteilung habe zudem ihr Ermessen falsch ausgeübt, als sie bestimmte dieser Dokumente in das Verfahren aufgenommen hat.
b) Die neuen Einspruchsgründe, die erst kurz vor der mündlichen Verhandlung ohne jegliche Begründung für die Verspätung geltend gemacht worden seien, hätten von der Einspruchsabteilung nicht in dem Verfahren zugelassen werden dürfen. Diese Gründe seien nicht prima facie relevant gewesen, was sich schon daraus ergebe, dass die frühere Einsprechende für jeden der Gründe eine umfangreiche, sich über mehrere Seiten erstreckende Begründung gegeben habe. Die Antragstellerin habe entgegen der insoweit unrichtigen Darstellung des Sachverhalts in der Niederschrift und in den Entscheidungsgründen - der Zulassung ausdrücklich widersprochen.
c) Die (frühere) Einsprechende habe ursprünglich das Patent ausdrücklich nur im Umfang bestimmter Ansprüche angegriffen. Erst 5 Jahre nach Ablauf der Einspruchsfrist habe sie den Einspruch auf die übrigen Ansprüche zu erweitern gesucht. Der Umfang der Prüfung des Einspruchs sei daher beschränkt gewesen und hätte nur mit dem Einverständnis der Antragstellerin ausgeweitet werden können. Gleichwohl habe die Einspruchsabteilung ohne einen Beschluss "über die Berücksichtigung der Antragsänderung" zu fassen - das Patent insgesamt widerrufen.
d) Die Verhandlungsführung sei ersichtlich vom Bemühen geprägt worden, die Verhandlung offenbar aus privaten Gründen möglichst rasch zu Ende zu bringen. Der Vorsitzende der Einspruchsabteilung habe deutlich gemacht, dass nur ein einziger Hilfsantrag zugelassen werden könnte. Der in der Verhandlung eingereichte erste Hilfsantrag, der im Wesentlichen nur aus der Einschränkung des unabhängigen Anspruchs 2 bestand, sei erforderlich gewesen, um den neu eingeführten Einspruchsgrund der unzulässigen Erweiterung auszuräumen. Nach der Beratung über diesen Antrag schloss der Vorsitzende abrupt die Verhandlung und weigerte sich, Anträge der Patentinhaberin auf eine Einschränkung des Patents im Rahmen der Unteransprüche zuzulassen. Ausführungen des Vertreters seien unterbrochen worden. Dies stellte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, insbesondere weil die Antragstellerin während der Verhandlung deutlich vorgetragen habe, dass sie sich gegebenenfalls auf eine Kombination der erteilten Ansprüche zurückziehen würde.
Es sei in einem zweiseitigen Verfahren unangemessen, der einen Seite zu gestatten, nach Fristablauf Anträge zu erweitern und Beweismittel nachzuschieben, der anderen Seite aber nicht einmal Anträge auf Kombinationen erteilter Ansprüche, die eine übliche Verteidigung im Einspruchsverfahren seien, zuzugestehen. Die Einspruchsabteilung sei außerdem am Ende der mündlichen Verhandlung von dem Dokument D7 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen, einem Dokument, das in diesem Zusammenhang im Verfahren bis dahin überhaupt nicht angesprochen worden war.
XIII. In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer wurden - nach dem Vortrag der Antragstellerin die erhobenen Verfahrensrügen ausführlich erörtert. Die Beschwerdekammer gelangte jedoch zu der Auffassung, dass kein wesentlicher Verfahrensfehler vorläge, der die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigte. In den schriftlichen Entscheidungsgründen (s. Punkte 2 bis 2.5) setzte sich die Beschwerdekammer mit dieser Frage unter der Überschrift "Formale Einwände Rückzahlung der Beschwerdegebühr" auf knapp vier Seiten auseinander und legte dar, warum die Rügen für nicht durchgreifend angesehen wurden. Diese Ausführungen werden nachfolgend in den Gründen für die vorliegende Entscheidung im Einzelnen wiedergegeben.
XIV. Die Antragstellerin ist der Auffassung, es ergebe sich aus den schriftlichen Entscheidungsgründen, dass die Beschwerdekammer tragende Argumente der Antragstellerin ignoriert und dadurch das rechtliche Gehör verletzt habe. Das diesbezügliche detaillierte Vorbringen der Antragstellerin wird nachfolgend ebenfalls in den Gründen dieser Entscheidung wiedergegeben. Die Antragstellerin hat darüber hinaus umfangreiche rechtliche Ausführungen gemacht, einschließlich einer Analyse der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer und nationaler Gerichte zur Frage des rechtlichen Gehörs.
Zulässigkeit des Überprüfungsantrags
1. Antragsfrist: Die schriftliche Entscheidung der Beschwerdekammer wurde dem Vertreter der Antragstellerin mittels eingeschriebenen Briefs vom 4. Oktober 2012 zugestellt und ging ihm am 5. Oktober 2012 zu. Somit lief die Zweimonatsfrist zur Einreichung eines Überprüfungsantrags gemäß Artikel 112a (4) Satz 2 i.V. mit Regeln 126 (2) und 131 (4) EPÜ am 14. Dezember 2012 ab. An diesem Tag reichte die Antragstellerin den Überprüfungsantrag ein und entrichtete die Überprüfungsgebühr. Der Antrag war mit einer Begründung versehen, die den Anforderungen der Regel 107 (2) EPÜ genügt. Der Überprüfungsantrag ist somit rechtzeitig gestellt worden.
2. Rügepflicht gemäß Regel 106 EPÜ: Ein besonderes Zulässigkeitserfordernis enthält Regel 106 EPÜ. Die Vorschrift bestimmt, dass der Antrag auf Überprüfung nur dann zulässig ist, wenn der behauptete Verfahrensmangel während des Beschwerdeverfahrens beanstandet worden ist und die Beschwerdekammer den Einwand zurückgewiesen hat, es sei denn, der Einwand konnte im Beschwerdeverfahren nicht erhoben werden.
2.1 Weder der Niederschrift über die mündliche Verhandlung noch der schriftlichen Entscheidung der Beschwerdekammer ist zu entnehmen, dass die Antragstellerin Einwände gemäß Regel 106 EPÜ gegen behauptete Verfahrensfehler erhoben hat. Allerdings ist der Überprüfungsantrag auf die fehlende Bereitschaft der Beschwerdekammer zur Kenntnisnahme und zur Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin gestützt, die sich aus der mangelhaften Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen in den schriftlichen Gründen der Entscheidung ergeben soll. Die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs konnte daher erst mit der Zustellung der schriftlichen Entscheidung festgestellt werden. Infolgedessen ist die Antragstellerin nicht in der Lage gewesen, den Einwand schon im Beschwerdeverfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, gemäß Regel 106 EPÜ zu erheben.
3. Der Antrag ist daher zulässig.
Umfang des Überprüfungsverfahrens
4. Die Antragstellerin hat ihren ursprünglichen Antrag, in dem sie ohne jegliche Einschränkung die Aufhebung der Entscheidung und die Wiederaufnahme des Verfahrens in der Beschwerdeinstanz begehrte, in den mündlichen Verhandlungen vor der Großen Beschwerdekammer dahingehend modifiziert, dass eine Aufhebung der Entscheidung nur insoweit erfolgen solle, als die Rückzahlung der Beschwerdegebühr verweigert wurde, und dass die Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Beschwerdekammer zur erneuten Entscheidung über die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet werden solle.
4.1 Die Beschränkung des Überprüfungsantrags auf den Teil der Entscheidung, der von der behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs berührt wird, ist zulässig. Zwar hat der Gesetzgeber die Möglichkeit einer nur teilweisen Aufhebung einer zu überprüfenden Entscheidung in Artikel 112a (5) und Regel 108 (3) EPÜ nicht explizit vorgesehen. Sie folgt jedoch aus allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen.
4.2 Richtet sich ein Überprüfungsantrag nur gegen einen selbständigen Teil der angegriffenen Entscheidung, wäre es unangemessen, im Erfolgsfalle die Entscheidung insgesamt aufzuheben. Dies zeigt sich sehr deutlich in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Beschwerdekammer einerseits eine Sachentscheidung hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Patents getroffen hat, andererseits dem Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr nicht stattgegeben hat (der Umstand, dass letzteres nicht in der Entscheidungsformel selbst ausgesprochen wurde, sondern sich nur aus den Entscheidungsgründen ergibt, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich).
4.3 Der Umfang des Überprüfungsverfahrens ist somit auf den Teil der Beschwerdeentscheidung beschränkt, der die Nichterstattung der Beschwerdegebühr betrifft und den allein die Antragstellerin mit ihren Gehörsrügen angreift.
Begründetheit des Überprüfungsantrags
Reichweite der Überprüfung
5. Der Überprüfungsantrag ist gemäß Artikel 112a (2) c) EPÜ auf einen schwerwiegenden Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ gestützt, weil schriftlich und mündlich von der Antragstellerin vorgetragene Argumente zu Verfahrensfehlern der Einspruchsabteilung in den Gründen der schriftlichen Entscheidung der Beschwerdekammer unzureichend berücksichtigt worden seien. Die Antragstellerin macht nicht geltend, dass sie keine ausreichende Gelegenheit zum Vortrag ihrer Sache gehabt habe, sondern rügt allein, dass ihre Hauptargumente in der schriftlichen Entscheidung der Beschwerdekammer nicht zu Tage treten und daher offensichtlich nicht berücksichtigt und erwogen worden seien.
5.1 Wie aus der ständigen Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer zu Artikel 112a EPÜ hervorgeht, besteht das ausschließliche Ziel von Überprüfungsverfahren darin, nicht hinnehmbare Verfahrensfehler in hiervon betroffenen Beschwerdeverfahren zu beseitigen (siehe bereits R 1/08 vom 15. Juli 2008, Entscheidungsgrund Nr. 2.1). Dieses Verfahren ermöglicht also keine Überprüfung der sachlichen Richtigkeit der angefochtenen Beschwerdeentscheidung, also der korrekten Anwendung des materiellen Rechts oder der im EPÜ festgelegten Verfahrensvorschriften, sofern es sich nicht um schwerwiegende Verfahrensmängel handelt. Dies bedeutet für das vorliegende Verfahren, dass die Große Beschwerdekammer sich nur mit der Frage zu befassen hat, ob die Beschwerdekammer in schwerwiegender Weise gegen Artikel 113 (1) EPÜ verstoßen hat, indem sie die von der Antragstellerin gerügten erstinstanzlichen Verfahrensmängel zu Unrecht als nicht vorliegend oder als nicht wesentlich gemäß Regel 103 (1) a) EPÜ eingestuft hat, weil sie den diesbezüglichen schriftlichen und mündlichen Vortrag der Antragstellerin unzureichend berücksichtigt hat. Es obliegt also nicht der Großen Beschwerdekammer zu entscheiden, ob im erstinstanzlichen Verfahren wesentliche Verfahrensfehler erfolgt sind, d.h. ob die Beschwerdeentscheidung sachlich richtig und rechtlich zutreffend ist. Es kommt allein darauf an, ob der diesbezügliche Vortrag der Antragstellerin von der Beschwerdekammer zur Kenntnis genommen und erwogen worden ist.
Das rechtliche Gehör gemäß Artikel 113 (1) EPÜ - Kenntnisnahme und Berücksichtigung des Vorbringens
6. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ erfordert es, dass das entscheidende Organ die Äußerungen der Parteien zur Kenntnis nimmt und sie bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht, sofern nicht das Vorbringen aus formellen Gründen ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben kann. Dies setzt voraus, dass sich das entscheidende Organ in den Entscheidungsgründen mit dem Vorbringen befassen und der Vortrag der Parteien in der schriftlichen Entscheidung ihren Niederschlag finden muss.
6.1 Wie aus der gefestigten Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer hervorgeht, garantiert Artikel 113 (1) EPÜ grundsätzlich das Recht eines Beteiligten darauf, dass die einschlägigen Gründe und Argumente in der schriftlichen Entscheidung vollständig berücksichtigt werden (siehe R 19/10 vom 16. März 2011, Nr. 6.2 der Gründe; R 23/10 vom 15. Juli 2011, Nr. 2). Dieser Grundsatz gilt aber nicht unbegrenzt. Das entscheidende Organ ist nicht verpflichtet, jedes einzelne Argument eines Beteiligten aufzugreifen (siehe z.B. R 19/10, Nr. 6.2, unter Hinweis auf T 1557/07 vom 9. Juli 2008; R 17/11 vom 19. März 2012, Nr. 4; R 15/12 vom 11. März 2013, Nr. 5 b)). Der Umfang der Verpflichtung richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Falls.
6.2 Dies bedeutet, dass die Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung Tatsachen und Argumente insoweit zu erörtern hat, als diese entscheidungserheblich sind, wohingegen irrelevante Argumente außer Acht gelassen werden können (siehe R 13/12 vom 14. November 2012, Nr. 2.2 der Gründe). Die Kammer muss keine spezifischen Begriffe und auch nicht denselben Wortlaut wie die Beteiligten benutzen; aus der Argumentation in der schriftlichen Begründung der Entscheidung kann implizit eine Widerlegung bestimmter Argumente abgeleitet werden (siehe R 21/10 vom 16. März 2011, Nr. 2.4 der Gründe; R 13/12, supra, Nr. 2.2 der Gründe). Mit anderen Worten: Artikel 113 (1) EPÜ gewährt einen Anspruch darauf, dass das entscheidende Organ den Parteien gestattet, ausreichend Argumente zu allen wesentlichen Aspekten des Falles vorzubringen, dass es ferner dieses Vorbringen zur Kenntnis nimmt und dass es das Vorbringen in seiner Entscheidung würdigt (siehe R 8/11 vom 29. November 2011, Nr. 1.2.9 der Gründe).
6.3 Die genannten Grundsätze spiegeln sich auch wider in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern im Anschluss an die schon zitierte Entscheidung T 1557/07 vom 9. Juli 2008. Danach umfasst das rechtliche Gehör gemäß Artikel 113 (1) EPÜ das Recht einer Partei, dass ihr Vortrag in der schriftlichen Entscheidung berücksichtigt wird. Obwohl eine Entscheidung nicht jedes einzelne Argument einer Partei abhandeln muss, ist in der Entscheidung auf die entscheidenden Streitpunkte einzugehen, um der unterlegenen Partei eine klare Vorstellung zu geben, warum ihre Argumente nicht überzeugend waren (siehe Entscheidungen T 1969/07 vom 2. Oktober 2012, T 1961/13 vom 16. September 2014, T 1199/10 vom 23. Oktober 2014 und T 698/10 vom 27. April 2015).
Zu den einzelnen geltend gemachten Verstößen gegen Artikel 113 (1) EPÜ
A. Unzureichende Berücksichtigung des Vorbringens eines erstinstanzlichen Verfahrensmangels im Zusammenhang mit spät eingereichten Entgegenhaltungen und dem Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung
7. Die Antragstellerin hatte im Beschwerdeverfahren vorgetragen, aufgrund der Vielzahl sehr spät eingereichter neuer Druckschriften sei es ohne Vertagung der Verhandlung für sie unzumutbar gewesen, sich vorsorglich mit all diesen Dokumenten befassen zu müssen. Die Einspruchsabteilung habe zudem ihr Ermessen falsch ausgeübt, als sie bestimmte dieser Dokumente in das Verfahren aufgenommen hat (s. oben, Abschnitt XII a).
7.1 In den Gründen der Beschwerdeentscheidung (unter Nr. 2.1) finden sich hierzu folgende Passagen.
"Die Zulassung von verspätet eingereichten Dokumenten unterliegt dem Ermessen der Einspruchsabteilung. Dazu muss sie nach ständiger Rechtsprechung die Relevanz prüfen, siehe z.B. T 1002/92 (ABl. 1995, 605). In ihrer Entscheidung, siehe Entscheidungsgründe, Abschnitt 2, hat sie angegeben, dass die Druckschriften D18 und D19 für relevant erachtet würden und nicht sehr umfangreich seien. Dies stellt eine knappe, aber nach Ansicht der Kammer genügende Begründung dar.
Dem Protokoll, vgl. Punkte 3 bis 5, ist auch nicht zu entnehmen, dass dem Vertreter der Patentinhaberin keine Gelegenheit gegeben wurde, zu diesen Druckschriften Stellung zu nehmen und auch nicht, dass er dazu mehr Zeit verlangt hätte, oder, dass ihm ein solcher Antrag verwehrt worden sei."
7.2 Die Antragstellerin macht insbesondere geltend, dass die Beschwerdekammer nicht auf ihr Vorbringen eingegangen sei, dass die Einsprechende kurz vor der mündlichen Verhandlung nicht nur die Druckschriften D18 und D19, sondern eine große Vielzahl neuer Dokumente vorgelegt habe und es bis zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung für die Antragstellerin nicht deutlich war, welche Dokumente ins Verfahren eingeführt werden. Ferner habe sich die Beschwerdekammer nicht mit dem Argument der Antragstellerin auseinandergesetzt, dass die Ablehnung ihres Antrags auf Verlegung der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ihre Rechte nach Artikel 113 EPÜ verletzte.
7.3 Die Große Beschwerdekammer erkennt an, dass sich die Beschwerdekammer mit der Problematik der neu eingereichten Dokumente nur im Zusammenhang mit der Frage befasst hat, ob die Einspruchsabteilung ihr Ermessen bei der Zulassung der Druckschriften D18 und D19 richtig ausgeübt hat (auch wenn den ersten beiden Sätzen der oben wiedergegebenen Passage aus den Entscheidungsgründen wohl eine über diese Druckschriften hinausreichende allgemeine Bedeutung zukommen dürfte). Es trifft zu, dass sich die Beschwerdekammer nicht explizit zu der Vielzahl spät eingereichter Druckschriften und zu dem damit verbundenen Argument, die Einspruchsabteilung habe deshalb das Patent gleichsam "aus Notwehr" widerrufen, geäußert hat. Hierin kann jedoch nur dann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen, wenn dieser Punkt - insbesondere wegen seiner Kausalität für das Ergebnis der Entscheidung - so relevant war, dass die Beschwerdekammer auf ihn hätte eingehen müssen. Da die frühere Einsprechende und nicht die Einspruchsabteilung für die verspätete Einreichung der Dokumente verantwortlich war und die Einspruchsabteilung nur die Dokumente D18 und D19 im Verfahren zugelassen hatte, ist es nachvollziehbar, dass die Beschwerdekammer keinen Anlass sah, die verspätete Einreichung der übrigen Dokumente näher zu behandeln, jedenfalls nicht im Zusammenhang mit der Frage, ob die Einspruchsabteilung durch die Zulassung von Dokumenten einen Verfahrensfehler begangen hatte.
7.4 Die Beschwerdekammer hat sich in den Entscheidungsgründen auch nicht explizit zu der Frage geäußert, ob die Einspruchsabteilung angesichts der Vielzahl spät eingereichter Dokumente die Verhandlung hätte vertagen müssen. Bei der Prüfung, ob diese Frage von offenkundiger Relevanz für den behaupteten Verfahrensmangel war, ist zu berücksichtigen, dass der Vertagungsantrag bereits vor der Verhandlung gestellt worden war, und zwar nur für den Fall, dass die Einspruchsabteilung dem Antrag auf Nichtzulassung aller neu eingereichten Dokumente nicht entsprechen sollte. Da die Zulassung von Dokumenten eine Frage war, die von der Einspruchsabteilung nicht vorab entschieden werden durfte, sondern zu der beide Parteien, also auch die frühere Einsprechende, gehört werden mussten, ist die Relevanz des Arguments, dass die Einspruchsabteilung allein durch das Festhalten an der Verhandlung einen Verfahrensfehler begangen haben sollte, nicht ohne weiteres zu erkennen.
7.5 Selbst wenn die Antragstellerin vor der Beschwerdekammer das weitere Argument vorgebracht haben sollte, dass die Einspruchsabteilung, nachdem sie die Dokumente D18 oder D19 zugelassen hatte, sich noch einmal mit dem Vertagungsantrag hätte befassen und ihm stattgeben müssen, kann auch insoweit kein schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ festgestellt werden. Die Beschwerdekammer führte jedenfalls aus, dass dem Protokoll (der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung) nicht zu entnehmen war, dass die Antragstellerin mehr Zeit für eine Stellungnahme zu den zugelassenen Dokumenten verlangt hätte oder dass ihr ein solcher Antrag verwehrt worden wäre.
7.6 In Anbetracht der obigen Erwägungen und des weiteren Umstands, dass die zugelassenen Dokumente D18 und D19 im Ergebnis keine Relevanz für den Widerruf des Patents durch die erste Instanz besaßen, ist es aus Sicht der Großen Beschwerdekammer nachvollziehbar, dass die Beschwerdekammer dem Vorbringen der notwendigen Vertagung keine besondere Relevanz für den behaupteten Verfahrensmangel beigemessen hat und hierauf in den Entscheidungsgründen nicht näher eingegangen ist.
B. Unzureichende Berücksichtigung des Vorbringens eines erstinstanzlichen Verfahrensmangels im Zusammenhang mit der Zulassung von neuen Einspruchsgründen
8. Die Antragstellerin hatte im Beschwerdeverfahren vorgetragen, dass die Einspruchsabteilung die neuen Einspruchsgründe fehlender Neuheit und unzulässiger Erweiterung, die erst kurz vor der mündlichen Verhandlung ohne jegliche Begründung für die Verspätung geltend gemacht worden seien, nicht in dem Verfahren hätte zulassen dürfen. Diese Gründe hätten, wie die diesbezüglichen umfangreichen Ausführungen der früheren Einsprechenden offenbarten, erheblichen Diskussionsbedarf erzeugt und seien daher nicht prima facie relevant gewesen. Die Antragstellerin habe der Zulassung entgegen der insoweit unrichtigen Darstellung des Sachverhalts in der Niederschrift und in den Entscheidungsgründen - widersprochen (s. oben, Abschnitt XII b).
8.1 In den Gründen der Beschwerdeentscheidung (unter Nr. 2.2) finden sich hierzu folgende Passagen:
"Die Zulassung von neuen Einspruchsgründen wird in der Entscheidung G 0010/91 (EPA, ABl. 1993, 420) geregelt. Darin wird angegeben: 'Grundsätzlich prüft die Einspruchsabteilung nur diejenigen Einspruchsgründe, die gemäß Artikel 99 (1) in Verbindung mit Regel 55 c) EPÜ ordnungsgemäß vorgebracht und begründet worden sind. Ausnahmsweise kann die Einspruchsabteilung in Anwendung des Artikels 114 (1) EPÜ auch andere Einspruchsgründe prüfen, die prima facie der Aufrechterhaltung des europäischen Patents ganz oder teilweise entgegenzustehen scheinen.'
Dies war hier eindeutig der Fall, da der Hauptantrag aufgrund des neu eingeführten Einspruchsgrund [sic] nach 100(c) [sic] EPÜ zurückgewiesen wurde."
8.2 Die Antragstellerin macht geltend, dass der bloße Hinweis auf die Entscheidung G 10/91 und die pauschale Feststellung einer prima-facie-Relevanz keine wirkliche Auseinandersetzung mit ihren oben zusammengefassten detaillierten Argumenten zeigen. Die Beschwerdekammer habe auch übergangen, dass ausweislich der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung überhaupt keine Diskussion zur Zulassung der neuen Einspruchsgründe stattgefunden habe.
8.3 Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer ist die Begründung der Beschwerdekammer in diesem Punkt in der Tat sehr knapp und geht auf einige der Argumente der Antragstellerin nicht ein. Es ist daher zu prüfen, ob die Beschwerdekammer - von ihrem Rechtsstandpunkt aus - diese Argumente für nicht relevant erachten durfte.
8.3.1 Aus den oben wiedergegebenen Entscheidungsgründen ergibt sich implizit, dass die Beschwerdekammer davon ausging, dass die prima-facie-Relevanz eines neuen Einspruchsgrundes bereits dann gegeben ist, wenn er im Ergebnis für durchgreifend erachtet wird, und dass die prima-facie-Relevanz in einem solchen Fall auch nicht einer separaten Erörterung mit den Parteien und einer besonderen Begründung bedarf. Ob diese Rechtsauffassung der Beschwerdekammer zutreffend ist, ist im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht zu überprüfen. Ausgehend von ihrem Rechtsstandpunkt ist es nachvollziehbar, dass die Beschwerdekammer den Argumenten der Antragstellerin, die auf die sehr späte Einführung des Einspruchsgrundes, den Umfang der diesbezüglichen Begründung durch die frühere Einsprechende und das Fehlen einer separaten Erörterung und Entscheidung über die prima-facie-Relevanz hinwiesen, keine weitere Bedeutung zumaß.
8.3.2 Die Beschwerdekammer hat ihre Begründung auf die Zulassung des neuen Einspruchsgrunds der unzulässigen Erweiterung fokussiert und nicht erwähnt, dass der Vortrag der Antragstellerin auch den neuen Einspruchsgrund mangelnder Neuheit umfasste. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu berücksichtigen, dass dieser Einspruchsgrund zwar von der Einspruchsabteilung im Verfahren zugelassen wurde, aber im Ergebnis für nicht durchgreifend erachtet wurde, so dass ein möglicher Verfahrensverstoß nicht ursächlich für den Widerruf des Patents sein konnte. Da sich die Beschwerdekammer mit den behaupteten Verfahrensmängeln im Rahmen des Antrags auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (1) a) EPÜ zu befassen hatte, stellt es keine schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, dass sie einen möglichen Verfahrensfehler, der für das Ergebnis des Einspruchsverfahrens nicht kausal sein konnte, nicht weiter in den Entscheidungsgründen behandelte.
C. Unzureichende Berücksichtigung des Vorbringens eines erstinstanzlichen Verfahrensmangels im Zusammenhang mit der Ausweitung des Einspruchsumfangs
9. Die Antragstellerin hatte im Beschwerdeverfahren des Weiteren vorgetragen, dass die frühere Einsprechende ursprünglich das Patent ausdrücklich nur im Umfang bestimmter Ansprüche angegriffen habe. Erst 5 Jahre nach Ablauf der Einspruchsfrist habe sie den Einspruch auf die übrigen Ansprüche zu erweitern versucht. Der Umfang der Prüfung des Einspruchs sei daher beschränkt gewesen und hätte nur mit dem Einverständnis der Antragstellerin ausgeweitet werden können. Gleichwohl habe die Einspruchsabteilung ohne einen Beschluss "über die Berücksichtigung der Antragsänderung" zu fassen - das Patent insgesamt widerrufen (s. oben, Abschnitt XII c).
9.1 In den Gründen der Beschwerdeentscheidung (unter Nr. 2.3) finden sich hierzu folgende Ausführungen.
"Die Beschwerdeführerin hat gerügt, dass die Einspruchsabteilung eine Ausweitung des Einspruchsumfangs auf die ursprünglich nicht angegriffenen abhängigen Ansprüche 17, 20 und 21 ohne ihre Zustimmung und ohne Begründung zugelassen hätte.
Dass der Einspruchsumfang ausgeweitet wurde, ist aber für die angefochtene Entscheidung unerheblich. Diese beruht nur auf der Feststellung, dass die vorliegenden Anträge unabhängige Ansprüche umschließen, die keinen Bestand haben. Zu den ursprünglichen Ansprüchen 17, 20 und 21 und deren Sachverhalt hat die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung nicht Stellung genommen. Es obliegt der Einspruchsabteilung auch nicht gemäß dem EPÜ im Einspruchsverfahren alle Ansprüche zu prüfen. Vielmehr hat sie die Aufgabe festzustellen, ob je nach Antragslage, einer der gestellten Anträge gewährbar ist. Dies war hier nicht der Fall. Die Einspruchsabteilung konnte somit keinen der vorliegenden Anträge gewähren und hat daher das Patent widerrufen müssen."
9.2 Die Antragstellerin macht im Wesentlichen geltend, die Beschwerdekammer habe ihren Vortrag nicht berücksichtigt, dass die Einspruchsabteilung keine Zwischenentscheidung über den neuen erweiterten Einspruchsumfang getroffen hatte und auch keinen Hinweis darauf gegeben hatte, dass auch die abhängigen Ansprüche 17, 20 und 21 in die Prüfung des Einspruchs einbezogen wurden.
9.3 Die Beschwerdekammer ist nicht näher darauf eingegangen Es ist für die Große Beschwerdekammer ersichtlich, dass die Antragstellerin offenkundig von der Rechtsauffassung ausgeht, im Falle eines umfangsmäßig beschränkten Einspruchs dürfe die Einspruchsabteilung, sofern sie nicht die Erweiterung des Umfangs zulässt, keine Widerrufsentscheidung treffen, sondern müsse das Patent zumindest im Umfang der nicht angegriffenen Ansprüche aufrechterhalten. Die Beschwerdekammer hat in den oben wiedergegebenen Entscheidungspassagen deutlich gemacht, dass sie diese Rechtsauffassung nicht teilt. Die Einspruchsabteilung habe nur die Gewährbarkeit eines gestellten Antrags zu beurteilen. Enthalte er einen nicht gewährbaren Anspruch, müsse der Antrag zurückgewiesen werden. Mit der Frage des beschränkten Einspruchsumfangs und dessen möglicher Erweiterung habe sich die Einspruchsabteilung im vorliegenden Fall gar nicht befassen müssen. Diese Entscheidungsgründe der Beschwerdekammer lassen klar erkennen, weshalb sie das in diesem Zusammenhang vorgebrachte Hauptargument der Antragstellerin für nicht durchgreifend erachtete.
9.4 Die Beschwerdekammer ist nicht näher darauf eingegangen, ob die Einspruchsabteilung der Antragstellerin, nachdem sich diese eindeutig gegen die Erweiterung des Einspruchs gewandt hatte, die Gelegenheit hätte geben müssen, einen Antrag zu stellen, der nur die ursprünglich nicht angegriffenen Ansprüche enthielt (zum Einreichen weiterer Hilfsanträge im Allgemeinen s. allerdings nachfolgend unter D), oder ob die Einspruchsabteilung zumindest darauf hätte hinweisen müssen, dass sich angesichts der Antragslage die Frage der Umfangserweiterung des Einspruchs nicht stellt. Auf diese Problematik war das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin allerdings auch nicht gerichtet. Vielmehr lag ihm die oben dargestellte Rechtsauffassung zugrunde, mit der sich die Beschwerdekammer in Hinblick auf das rechtliche Gehör in ausreichender Weise auseinandergesetzt hat.
D. Unzureichende Berücksichtigung des Vorbringens eines erstinstanzlichen Verfahrensfehlers im Zusammenhang mit der Verhinderung der Stellung von Hilfsanträgen
10. Die Antragstellerin hat im Beschwerdeverfahren vorgetragen, die Verhandlungsführung in der ersten Instanz sei übermäßig auf Eile ausgerichtet und ihr gegenüber äußerst unfair gewesen. Ihr sei nur die Einreichung eines einzigen Hilfsantrags zugestanden worden. Nach der Beratung über den Hilfsantrag, der zur Ausräumung des Einwands unzulässiger Erweiterung notwendig war, habe der Vorsitzende abrupt die Verhandlung geschlossen und sich geweigert, Anträge der Patentinhaberin auf eine Einschränkung des Patents im Rahmen der Unteransprüche zuzulassen. Ausführungen des Vertreters seien unterbrochen worden. Dies stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, insbesondere weil die Antragstellerin während der Verhandlung deutlich vorgetragen habe, dass sie sich gegebenenfalls auf eine Kombination der erteilten Ansprüche zurückziehen würde. Es sei in einem zweiseitigen Verfahren unangemessen, der einen Seite zu gestatten, nach Fristablauf Anträge zu erweitern und Beweismittel nachzuschieben, der anderen Seite aber nicht einmal Anträge auf Kombinationen erteilter Ansprüche, die eine übliche Verteidigung im Einspruchsverfahren seien, zuzugestehen. Die Einspruchsabteilung sei außerdem - ohne vorherigen rechtlichen Hinweis - von dem Dokument D7 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen, obwohl sie damit von ihrer schriftlich dargelegten vorläufigen Auffassung in einem entscheidenden Punkt abwich (s. oben, Abschnitt XII d).
10.1 In den Gründen der Beschwerdeentscheidung finden sich (unter Nr. 2.4 und 2.5) hierzu folgende Ausführungen:
"Die Beschwerdeführerin hat ferner bemängelt, dass die Verhandlung vor der Einspruchsabteilung geschlossen wurde, obwohl sie angekündigt habe, abgeänderte Patentansprüche vorlegen zu wollen.
Es kann jedoch in einer Verhandlung nur über die Zulässigkeit von Anträgen entschieden werden, die tatsächlich vorgelegt worden sind, nicht aber über Änderungen von Patentansprüchen, die lediglich angekündigt wurden.
Die Beschwerdeführerin hat eingeräumt, dass sie zwar angekündigt habe, weitere Hilfsanträge einreichen zu wollen, solche Anträge aber nicht eingereicht hat.
Wenn die Einspruchsabteilung die Verhandlung unterbricht, um zu prüfen, ob sie zu einer Entscheidung gelangen kann, müssen die Parteien damit rechnen, dass tatsächlich eine Entscheidung über die vorliegenden Anträge getroffen wird und dass diese Entscheidung, je nach Antragslage endgültig sein kann und die Verhandlung daher nicht weiter fortgesetzt wird.
Es entspräche auch nicht dem Grundsatz der Unparteilichkeit, dem das Einspruchsverfahren als streitige [sic] Verfahren zwischen Parteien unterliegt, dass die Einspruchsabteilung nach Abhandlung aller Anträge einer Partei, dieser eine weitere Gelegenheit bietet, nochmals weitere Anträge zu stellen.
Hätte die Einspruchsabteilung nach Beratung und Feststellung der fehlenden erfinderischen Tätigkeit die Patentinhaberin aufgefordert, geänderte Anträge zu stellen, wäre dies einer Bevorzugung einer der Parteien gleichgekommen und ein klarer Verfahrensfehler gewesen.
Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, dass die Einspruchsabteilung im Voraus angekündigt hatte, dass sie nur einen einzigen Hilfsantrag zulassen würde. Dies konnte die Beschwerdeführerin jedoch nicht daran hindern einen weiteren Hilfsantrag zu stellen und somit eine beschwerdefähige Entscheidung über die Zulässigkeit dieses weiteren Antrages zu erhalten.
Die Kammer erkennt an, dass der Ablauf der mündlichen Verhandlung nicht als uneingeschränkt glücklich bezeichnet werden kann, jedoch nicht so, dass die Einspruchsabteilung einen wesentlichen Verfahrensfehler im Sinne der Regel 103 (1) a) EPÜ begangen hätte.
...
Des weiteren, da die erfinderische Tätigkeit auch anhand einer neuen Angriffslinie (ausgehend von D7) in Frage gestellt wurde, wäre es für die Einspruchsabteilung zumutbar gewesen, die Patentinhaberin zu fragen, ob sie bei dieser neuen Sachlage die bereits angekündigten Antragsänderungen vor der Beratung über die erfinderische Tätigkeit, vorlegen wolle. Dass dies nicht geschehen ist, ist bedauerlich, aber nicht grundsätzlich fehlerhaft.
Letztendlich tragen die Parteien die Verantwortung, durch rechtzeitige und geeignete Antragsstellung auf eine geänderte Sachlage zu reagieren. Diese Verantwortung können sie durch eine abwartende Haltung nicht auf die Einspruchsabteilung übertragen."
10.2 Die Antragstellerin macht geltend, dass diese Ausführungen zeigen, dass der Kern ihres Vorbringens von der Beschwerdekammer außer Acht gelassen wurde. Nicht angemessen berücksichtigt worden seien insbesondere die Gesamtumstände, in die sich die Antragstellerin angesichts der sehr späten substantiellen Änderung des Vorbringens der früheren Einsprechenden (Vielzahl neuer Dokumente, Geltendmachung neuer Einspruchsgründe, Erweiterung des Einspruchsumfangs) befunden habe. Ebenfalls übergangen worden sei, dass die Einspruchsabteilung keinen rechtlichen Hinweis auf ihre geänderte Einschätzung der Bedeutung des Dokuments D7 gegeben und die Stellung weiterer Hilfsanträge durch ihre Verhandlungsführung verhindert habe.
10.3 Wie die oben wiedergegebenen Entscheidungsgründe deutlich machen, hat die Beschwerdekammer einen erstinstanzlichen Verfahrensfehler im Hinblick auf die Stellung von Hilfsanträgen vor allem deshalb abgelehnt, weil sie der Rechtsauffassung war, dass die Antragstellerin bereits vor dem Zeitpunkt, an dem die Einspruchsabteilung die Verhandlung zur Beratung über den ersten Hilfsantrag unterbrach, einen weiteren Hilfsantrag hätte einreichen sollen. Die bloße Ankündigung weiterer Hilfsanträge ersetze nicht ihre tatsächliche Einreichung. Letzteres hätte erfolgen sollen, ungeachtet des Umstands, dass der Vorsitzende bereits erklärt hatte, nur einen einzigen Hilfsantrag zulassen zu wollen. Zwar wäre es für die Einspruchsabteilung vor der Beratung über den ersten Hilfsantrag "zumutbar" gewesen, angesichts der neuen auf Dokument D7 beruhenden Angriffslinie zu klären, ob die Antragstellerin ihre angekündigten Hilfsanträge einreichen wolle. Dies nicht zu tun, sei nach Ansicht der Beschwerdekammer bedauerlich, aber kein Verfahrensfehler.
10.4 Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer sind die wiedergegebenen Entscheidungsgründe zwar von Zurückhaltung bei der Bejahung eines Verfahrensverstoßes im Sinne von Regel 103 (1) a) EPÜ geprägt und überspannen - ungeachtet der erforderlichen aktiven Rolle der Parteien und des Grundsatzes der Unparteilichkeit, dem das Einspruchsverfahren unterliegt - möglicherweise die Anforderungen, die eine Partei erfüllen muss, um ihr Recht auf einen fairen Ablauf eines zweiseitigen Verfahrens durchsetzen zu können. Aufgabe des Überprüfungsverfahrens ist es jedoch nicht, die Rechtsauffassung der Beschwerdekammer in der Sache zu beurteilen (s. bereits oben Punkt 5.1).
10.5 Es kommt vielmehr nur darauf an, ob es hinreichende Anzeichen dafür gibt, dass die Beschwerdekammer bei ihrer rechtlichen Würdigung relevante Argumente der Antragstellerin missachtet hat. Dies vermag die Große Beschwerdekammer nicht festzustellen.
10.5.1 Zwar wird in den Entscheidungsgründen das Vorbringen der Antragstellerin nicht explizit erwähnt, sie habe vor Beendigung der Verhandlung noch versucht, Hilfsanträge zu stellen, sei aber vom Vorsitzenden der Einspruchsabteilung unterbrochen worden. Es ist jedoch erkennbar, dass nach Auffassung der Beschwerdekammer weitere Anträge spätestens vor der Beratung über den ersten Hilfsantrag hätten eingereicht werden sollen, da danach die Parteien mit einer abschließenden Entscheidung hätten rechnen müssen. Es ist nachvollziehbar, dass es aus dieser Sichtweise auf Ereignisse, die den späteren Versuch einer Antragstellung betreffen, nicht entscheidend ankommt.
10.5.2 Auch der Umstand, dass die Beschwerdekammer nicht näher auf die Gesamtsituation eingegangen ist, in der sich die Antragstellerin aufgrund der sehr späten substantiellen Änderung des Vorbringens der früheren Einsprechenden befunden hat, lässt keinen Rückschluss auf ein Ignorieren des diesbezüglichen Vortrags der Antragstellerin zu. Es ist vielmehr ersichtlich, dass aus der Perspektive der Beschwerdekammer in jedem Fall, also unabhängig von der Gesamtsituation ein weiterer Hilfsantrag nicht nur angekündigt, sondern faktisch gestellt hätte werden müssen, um im Falle von dessen Nichtzulassung erfolgreich einen Verfahrensmangel geltend machen zu können.
10.5.3 Der Vortrag der Antragstellerin, dass angesichts der veränderten Bedeutung des Dokuments D7 und einer neuen auf ihm basierenden Argumentation ihr die Gelegenheit zur Stellung eines weiteren Hilfsantrags hätte gegeben werden müssen, ist in der Entscheidung, wie der 3. Absatz unter Nr. 2.5 zeigt, nicht unberücksichtigt geblieben. Die Beschwerdekammer hat diesem Vortrag nur nicht das Gewicht beigemessen, der ihm nach Auffassung der Antragstellerin zukommt.
Rügen allgemeiner Natur
11. Die Antragstellerin hat ferner gerügt, dass die von ihr gerügten erstinstanzlichen Verfahrensmängel in den Entscheidungsgründen allesamt unter der Überschrift "Formale Einwände - Rückzahlung der Beschwerdegebühr" abgehandelt worden seien. Die Qualifizierung von Rügen schwerwiegender Verfahrensverstöße als "formale" Einwände offenbare, dass die Beschwerdekammer den Kern des Vorbringens der Antragstellerin missachtet habe. Dies werde auch dadurch deutlich, dass weder die Vorschrift des Artikel 113 (1) EPÜ noch der Begriff des rechtlichen Gehörs in den Entscheidungsgründen überhaupt Erwähnung finde.
11.1 Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer kann davon ausgegangen werden, dass die Mitglieder einer Beschwerdekammer des EPA, die sich mit der Rückerstattung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (1) a) EPÜ befassen, wissen, dass das Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels Tatbestandsvoraussetzung ist. Die oben wiedergegebenen Entscheidungsgründe machen zudem deutlich, dass die Beschwerdekammer sich ihrer Aufgabe bewusst war, die Verfahrensrügen der Antragstellerin auf ihre Berechtigung zu überprüfen. Dies wird durch die - möglicherweise unglückliche - Verwendung des Begriffs "formale Einwände" in der Entscheidung nicht entkräftet.
Schlussfolgerung
12. Aufgrund der obigen Erwägungen kommt die Große Beschwerdekammer zu dem Schluss, dass hinsichtlich der von der Antragstellerin erhobenen Rügen kein schwerwiegender Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs durch die Beschwerdekammer festgestellt werden kann. Der auf Artikel 112a (2) c) i.V. mit Artikel 113 (1) EPÜ gestützte Überprüfungsantrag ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Überprüfungsantrag wird als unbegründet zurückgewiesen.