T 0727/00 (Wasserfreie Waschmittel/COGNIS) 22-06-2001
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Feste, wasserfreie Waschmittel
Hauptantrag - Kombination zweier Elemente aus zwei Gruppen (ursprünglich nicht offenbart)
Hilfsantrag - Stütze in der ursprünglichen Fassung (ja) - Zurückverweisung an Einspruchsabteilung
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 0 682 691 widerrufen worden war, da es nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ genüge.
Anspruch 1 des Streitpatents lautete wie folgt (nach Korrektur eines offensichtlichen Schreibfehlers):
"1. Feste, wasserfreie Waschmittel, enthaltend Mischungen von
a) Fettalkoholsulfaten und nichtionischen Tensiden im Gewichtsverhältnis 9:1 bis 1:9 sowie
b) 1 bis 50 Gew.% - bezogen auf die nichtionischen Tenside - polymere Verfestigungsmittel ausgewählt aus der Gruppe, die gebildet wird von
b1) Polyethylenglycolethern mit einem durchschnittlichen Molekulargewicht von 35.000. bis 500.000,
b2) Ester von Dicarbonsäuren mit einem durchschnittlichen Molekulargewicht von 400 bis 20.000,
b3) Umesterungsprodukten von Dialkylcarbonat mit Polyethylenglycolethern mit einem durchschnittlichen Molekulargewicht von 400 bis 20.000 und
b4) Oligo- bzw. Polysacchariden mit einem Kondensationsgrad von 5 bis 1000."
Der unabhängige Anspruch 2 war auf ein Verfahren zur Herstellung der festen, wasserfreien Waschmittel des Anspruches 1 gerichtet und die abhängigen Ansprüche 3 bis 10 auf besondere Ausformungen dieses Verfahrens. Der unabhängige Anspruch 11 betraf die Verwendung der nach den Ansprüchen 2 bis 10 erhältlichen Gemische zur Herstellung von festen, wasserfreien Waschmitteln.
II. Die Einspruchsabteilung war der Meinung, daß es für das im Erteilungsverfahren in den Anspruch 1 aufgenommene Merkmal "wasserfrei" in der ursprünglichen Anmeldung keine Stütze gebe und der Ausdruck "wasserfrei" nicht als Disclaimer gegenüber dem Dokument
(2) GB-A-1 402 403
in Betracht gezogen werden könne. Somit verstoße das Streitpatent gegen die Vorschriften des Artikels 123 (2) EPÜ.
Ferner bewirke die Streichung des Merkmals "wasserfrei", daß die beanspruchten Waschmittel dann beliebige Mengen Wasser enthalten könnten, auch wenn sie weiterhin in fester Form vorlägen; diese Streichung würde daher eine unzulässige Erweiterung des Schutzumfanges bedeuten und somit gegen Artikel 123 (3) EPÜ verstoßen.
III. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte Beschwerde ein und reichte mit der Beschwerdebegründung einen Satz von 9 Ansprüchen ein, die sich alle auf ein Verfahren zur Herstellung von festen Wasch-, Spül- und Reinigungsmitteln bezogen und das Merkmal "wasserfrei" nicht mehr enthielten.
IV. Mit Schreiben vom 16. Mai 2001 vertrat die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) unter anderem die Auffassung, daß einerseits die Streichung des Merkmals "wasserfrei" gegen Artikel 123 (3) EPÜ verstoße, und daß andererseits die Wiederaufnahme dieses Merkmals gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoße. Ferner teilte sie mit, daß sie nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen werde.
V. Am 22. Juni 2001 fand in Abwesenheit der Beschwerdegegnerin eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, während der die Beschwerdeführerin einen Hauptantrag und einen Hilfsantrag vorlegte.
Der Hauptantrag umfaßt elf Ansprüche, die sich von den erteilten Ansprüchen dadurch unterscheiden, daß das Merkmal "wasserfrei" in den Ansprüchen 1 und 2 durch "getrocknete" ersetzt wurde.
Der Hilfsantrag enthält neun Ansprüche.
Anspruch 1 unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 2 durch Einfügung von "durch SKET-Granulierung" nach "wasserfreien Waschmitteln" und von
"der Formel (I)
R1OSO3X (I),
in der R1 für einen linearen oder verzweigten Alkyl und/oder Alkenylrest mit 12 - 22 Kohlenstoffatomen und X für ein Alkali- und/oder Erdalkalimetall, Ammonium, Alkylammonium, Alkanolammonium oder Glucammonium steht,"
zwischen den Wörtern "Fettalkoholsulfaten" und "und nichtionischen Tensiden".
Die Ansprüche 2 bis 9 entsprechen, abgesehen von der erforderlichen Umnumerierung, den erteilten Ansprüchen 4 bis 11.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patentes auf Grundlage des Hauptantrags oder des Hilfsantrags.
Die Beschwerdegegnerin hatte schriftlich die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.
VII. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.
1. Hauptantrag
1.1. Artikel 123 (2) EPÜ
1.1.1. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag bezieht sich auf feste getrocknete Waschmittel, die, unter anderem, Mischungen von
a) Fettalkoholsulfaten und nichtionischen Tensiden im Gewichtsverhältnis 9:1 bis 1:9 sowie
b) 1 bis 50 Gew.% - bezogen auf die nichtionischen Tenside - polymere Verfestigungsmittel ausgewählt aus der Gruppe, die gebildet wird von
b1) Polyethylenglycolethern mit einem durchschnittlichen Molekulargewicht von 35.000 bis 500.000,
enthalten.
1.1.2. In der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung waren jedoch feste Wasch-, Spül- und Reinigungsmittel enthaltende Mischungen von
a) anionischen und nichtionischen Tensiden im Gewichtsverhältnis 9:1 bis 1:9 sowie
b) 1 bis 50 Gew.% - bezogen auf die nichtionischen Tenside - polymere Verfestigungsmittel ausgewählt aus der Gruppe, die gebildet wird von, unter anderem,
b1) Polyethylenglycolethern mit einem durchschnittlichen Molekulargewicht von 12.000 bis 500.000,
und deren Herstellung beansprucht worden (siehe Ansprüche 1 und 2, gestützt durch die Passagen auf Seite 4, Zeilen 11 bis 20 und Seite 5, Zeile 20 bis Seite 6, Zeile 2); auf die Verwendung von Verfahrensprodukten nach dem ursprünglichen Anspruch 11 kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
1.1.3. Zur Erläuterung des Merkmals "anionisches Tensid" werden auf Seite 6 der ursprünglich eingereichten Anmeldung, im mittleren Absatz, dreiundzwanzig Verbindungsklassen aufgelistet, wobei auch die Gruppe der Fettalkoholsulfate explizit genannt wird. Auf Seite 7 der ursprünglichen Anmeldung findet sich des weiteren die Information, daß der Einsatz von Fettalkoholsulfaten der Formel R1OSO3X (I) bevorzugt ist, wobei R1 und X die dort angegebene Bedeutung haben (Zeilen 3 bis 14; vergleiche auch Punkt V).
Die Verfestigungsmittel der Gruppen b1) werden über ihre durchschnittlichen Molekulargewichte auf Seite 10, Zeilen 7 bis 14 näher spezifiziert:
"Als polymere Verfestigungsmittel kommen beispielsweise Polyethylenglycolether (PEG) mit einem durchschnittlichen Molekulargewicht von 12.000 bis 500.000 in Betracht. Typische Beispiele sind Polyethylenglycole mit einem durchschnittlichen Molgewicht von 12.000 bis 100.000. Als besonders vorteilhaft hat sich in diesem Zusammenhang der Einsatz von PEG 12.000 bis PEG 35.000 erwiesen."
Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, daß dadurch auch der Molekulargewichtsbereich von 35.000 bis 500.000 als ursprünglich offenbart angesehen werden muß, der sich aus der Kombination der Obergrenze des Gesamtbereichs mit der Obergrenze eines bevorzugten Bereichs von Molekulargewichten ergibt. Folgt man dem, so ist festzustellen, daß der oben zitierte Absatz neben den drei explizit genannten Molekulargewichtsbereichen und dem von der Beschwerdeführerin genannten Bereich auch noch die Molekulargewichtsbereiche 100.000 bis 500.000 und 55.000 bis 500.000 implizit offenbart, daß er also eine Auflistung von sechs Molekulargewichtsbereichen enthält.
1.1.4. Die im jetzigen Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen betreffen zwei Gruppen von Merkmalen, nämlich die Gruppe der anionischen Tenside und die Gruppe b1) der PEG mit unterschiedlichem durchschnittlichem Molekulargewichtsbereich.
Die Beschwerdeführerin hat aus der Gruppe der dreiundzwanzig genannten anionischen Tenside die Fettalkoholsulfate und aus der Gruppe der PEG diejenigen mit einem durchschnittlichem Molekulargewicht von 35.000 bis 500.000 willkürlich herausgegriffen und zur Definition des Anspruchgegenstandes herangezogen. Aus dieser Kombination jeweils eines Mitglieds aus zwei Listen von Merkmalen, welche durch keinen Hinweis in der ursprünglich eingereichten Anmeldung gestützt ist, resultiert ein Anspruchsgegenstand, der zwar denkgesetzlich von der ursprünglichen Anmeldung umfaßt, aber in dieser individualisierten Form dort nicht offenbart war. Anspruch 1 des Hauptantrages hat daher allein aus diesem Grunde keine Stütze in der Beschreibung.
Somit erübrigt sich eine Diskussion, ob der Ersatz des Merkmals "wasserfrei" in der erteilten Fassung durch das Merkmal "getrocknet" zulässig gewesen wäre.
Anspruch 1 verstößt dementsprechend gegen Artikel 123 (2) EPÜ; der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.
2. Hilfsantrag
2.1. Artikel 123 (2) EPÜ
2.1.1. Im Anspruch 1 des Hilfsantrags wurden die Worte "von festen Wasch-, Spül- und Reinigungsmitteln bei dem" des Anspruchs 2 der ursprünglichen Anmeldung ersetzt durch "von festen, wasserfreien Waschmitteln nach der SKET-Granulierung, bei dem", und "Mischungen von anionischen und nichtionischen Tensiden" wurde ersetzt durch
"Mischungen von Fettalkoholsulfaten der Formel (I)
R1OSO3X (I),
in der R1 für einen linearen oder verzweigten Alkyl und/oder Alkenylrest mit 12 - 22 Kohlenstoffatomen und X für ein Alkali- und/oder Erdalkalimetall, Ammonium, Alklyammonium, Alkanolammonium oder Glucammonium steht, und nichtionischen Tensiden".
Schließlich wurde noch der durchschnittliche Molekulargewichtsbereich bei den Verfestigungsmitteln b1) von urpsrünglich "12.000 bis 500.000" abgeändert in "35.000 bis 500.000".
2.1.2. Das Merkmal "wasserfrei" wird durch die vorgenommene Änderung über die sogenannte "SKET-Granulierung" definiert; unter "SKET-Granulierung" ist eine Granulierung der anionischen Tenside, hier der Fettalkoholsulfaten, unter gleichzeitiger Trocknung zu verstehen, die in der Wirbelschicht erfolgt: "In der Wirbelschicht verdampft das Wasser aus der Aniontensid-Paste, wobei angetrocknete bis getrocknete Keime entstehen, die mit weiteren Mengen Aniontensid und verfestigtem nichtionischem Tensid umhüllt, granuliert und wiederum gleichzeitig getrocknet werden (ursprüngliche Anmeldung, Seite 14, Zeilen 4 bis 8 und Seite 14, Zeile 28 bis Seite 15, Zeile 2)."
Auch wenn das Merkmal "wasserfrei" nicht explizit in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung erscheint, so ist dem Fachmann dennoch klar, daß dieser Begriff lediglich den Zustand des Materials beschreibt, wie er sich bei der SKET-Granulierung zwangsläufig ergibt.
Die Definition der Fettalkoholsulfate der Formel I findet ihre Stütze im ursprünglichen abhängigen Anspruch 4, der in einer besonderen Ausgestaltung des ursprünglichen Anspruchs 2 ein Verfahren zur Herstellung der anmeldungsgemäßen Wasch-, Spül- und Reinigungsmittel unter Verwendung dieser Fettalkoholsulfate als anionische Tenside darstellt. Da die SKET-Granulierung, wie bereits erläutert, als Verfahrensvariante differenziert beschrieben wurde, hätte der Fachmann der ursprünglichen Unterlage entnommen, daß diese Verfahrensvariante insbesondere auch auf das besondere im ursprünglichen Anspruch 4 beschriebene Verfahren anwendbar ist. Die Kammer schließt daraus, daß diese Aspekte des Verfahrens nach Anspruch 1 des Hilfsantrages durch die Kombination des Anspruchs 4 mit Seite 14, Zeilen 4 bis 8 der ursprünglichen Ameldung beschrieben war.
Es bleibt zu entscheiden, ob dies auch für die Kombination mit dem mittleren Molekulargewichtsbereich von 35.000 bis 500.000 der Komponente b1) anerkannt werden kann. Wie bereits ausgeführt, kann dieser Bereich im Rahmen einer Gruppe von Bereichen als zwar nicht bevorzugt, aber dennoch ursprünglich differenziert offenbart angesehen werden (vgl. Punkt 1.1.3 und 1.1.4) und zwar auch als geeignet, um mit dem Verfahren des ursprünglichen Anspruchs 4 kombiniert zu werden, wenn dieses als SKET-Granulierung ausgeführt wird. Mit andern Worten: es handelt sich um die Kombination einer ursprünglich offenbarten Verfahrensvariante mit einer bestimmten, ursprünglich ebenfalls offenbarten Komponente b1), die aus einer Liste (Seite 10, Zeilen 7 bis 14) ausgewählt wurde. Die Kammer kommt zu dem Ergebnis, daß diese Information dem Fachmann in der ursprünglich eingereichen Anmeldung bereits zugänglich gemacht worden war.
Die Kombination Fettalkoholsulfate mit
b2) Ester von Dicarbonsäuren mit einem durchschnittlichen Molekulargewicht von 400 bis 20.000, oder mit
b3) Umesterungsprodukten von Dialkylcarbonat mit Polyethylenglycolethern mit einem durchschnittlichen Molekulargewicht von 400 bis 20.000. oder mit
b4) Oligo- bzw. Polysacchariden mit einem Kondensationsgrad von 5 bis 1000
gilt ebenfalls als ursprünglich offenbart. Die Begründung, die für die PEG gegeben wurde, trifft mutatis mutandis auf die andern Vertreter der Gruppe bestehend aus b2), b3), oder b4) zu.
Anspruch 1 erfüllt dementsprechend die Bedingungen des Artikels 123 (2) EPÜ und, da alle Änderungen eine Beschränkung des erteilten Anspruchs 1 bedeuten, auch die des Artikels 123 (3) EPÜ.
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 9 erfüllen ebenfalls die Bedingungen des Artikels 123 (2), (3) EPÜ.
Da übrige Patentierungsvoraussetzungen von der ersten Instanz nicht geprüft worden sind, wird die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an diese Instanz zurückverwiesen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Verfahren auf Grundlage der Ansprüche 1 bis 9 des Hilfsantrages fortzusetzen.