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T 0098/09 (Insektizid + Fungizid/BAYER) 27-10-2011
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Insektizid und Fungizid enthaltende Mittel zur Bekämpfung von Pflanzenschädlingen
I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 95 926 913.5 (internationale Veröffentlichungsnummer WO 96/03045) wurde das europäische Patent Nr. 0 772 397 mit fünf Ansprüchen erteilt.
Anspruch 1 des erteilten Patents hatte folgenden Wortlaut (die vollständige Definition der Reste R, A und Z wurde zwecks Übersichtlichkeit von der Kammer weggelassen):
"1. Mittel gegen Pflanzenschädlinge, die Verbindungen der allgemeinen Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
in welcher
X für =CH- oder =N- steht,
E für NO2 oder CN steht,
R für Heteroarylmethyl steht mit ...,
A für Wasserstoff oder C1-4-Alkyl steht,
Z für C1-4-Alkyl oder -NH(C1-4-Alkyl) steht oder
A und Z gemeinsam mit den Atomen, an welche sie
gebunden sind, einen gesättigten oder
ungesättigten, 5- bis 7-gliedrigen
heterocyclischen Ring bilden, der ...,
in Mischung mit dem Azol-Derivat der Formel
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
in einem synergistisch wirksamen Mengenverhältnis
enthalten."
II. Der Einspruch stützte sich auf die Gründe der Artikel 100(c), 100(b) und 100(a) EPÜ (Neuheit und erfinderische Tätigkeit).
III. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent zu widerrufen.
Der Entscheidung lagen ein Hauptantrag (Ansprüche wie erteilt) und vier Hilfsanträge zu Grunde. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht neu sei. Der Hilfsantrag 1 entspreche nicht den Anforderungen der Regel 80 EPÜ, der Hilfsantrag 1a nicht den Anforderungen des Artikels 54 EPÜ, und die Hilfsanträge 1b und 2 nicht den Anforderungen des Artikels 123(2) EPÜ.
IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und reichte mit der Beschwerdebegründung einen neuen Hauptantrag und vier Hilfsanträge ein.
V. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) reichte keine Erwiderung auf die Beschwerdebegründung ein.
VI. In dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid hat die Kammer unter anderem auf mögliche Mängel hinsichtlich des Artikels 123(2) EPÜ hingewiesen.
VII. Mit Schreiben vom 27. September 2011 reichte die Beschwerdeführerin einen geänderten Hauptantrag und geänderte Hilfsanträge 1 bis 3 ein, die die vorhergehenden Anträge ersetzen sollten. Diese Anträge beinhalten nur noch Verwendungsansprüche.
Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"1. Verwendung von Mitteln, die eine Verbindung ausgewählt aus der Gruppe I
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
in Mischung mit einem
Azol-Derivat der Formel
| (II-4), |
| | |
| | |
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
enthalten, zur Bekämpfung von Pflanzenschädlingen, wobei die Wirkstoffe in der Mischung in Gewichtsverhältnissen vorhanden sind, in denen ein Synergismus gegenüber den Pflanzenschädlingen vorhanden ist."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags im wesentlichen dadurch, dass die Verwendung auf die "Bekämpfung von Getreidekrankheiten und Pilzbefall an Gemüse, Wein und Obst" eingeschränkt wurde.
Die Ansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 2 und 3 unterscheiden sich von den Ansprüchen 1 gemäß Hauptantrag beziehungsweise Hilfsantrag 1 in der Einschränkung der Liste der Verbindungen der Gruppe I auf die Verbindung mit der folgenden Formel (Imidacloprid):
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
VIII. Am 27. Oktober 2011 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, an der die Beschwerdegegnerin, wie schriftlich angekündigt, nicht teilnahm.
Zu Beginn der mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin einen korrigierten Hilfsantrag 3 ein (abhängiger Anspruch 2 gestrichen, darauf folgende Ansprüche umnummeriert). Der Anspruch 1 blieb unverändert (vgl. obigen Punkt VII).
IX. Die Argumente der Beschwerdeführerin, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Beschwerdeführerin führte aus, dass die Ansprüche gemäß dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 3 durch die ursprünglich eingereichte Anmeldung gestützt seien. Darin seien Mittel, die Insektizide der allgemeinen Formel (I) in Mischung mit fungiziden Wirkstoffen enthalten, offenbart. Die sechs in den Ansprüchen 1 des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1 gelisteten Insektizide seien als insbesondere hervor gehobene Verbindungen auf Seite 5 genannt. Damit gehe aus der ursprünglichen Offenbarung der Anmeldung unmittelbar und eindeutig hervor, dass diese sechs Insektizide in Kombination mit den gelisteten Fungiziden der Formeln (1) bis (47) offenbart seien. Die Einschränkung der Fungizidkomponente auf die Verbindung Cyproconazole (II-4) in den Ansprüchen 1 des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1 stelle daher eine Auswahl aus einer Liste dar und führe nicht zu neuen Kombinationen.
In den Ansprüchen 1 der Hilfsanträge 2 und 3 wurde das Insektizid auf die Verbindung Imidacloprid weiter eingeschränkt. Diese Verbindung werde in der Anmeldung als einzige ganz besonders hervorgehoben, da sie in sämtlichen Beispielen als die Insektizidkomponente eingesetzt wurde. Für den Fachmann sei es daher offensichtlich, dass diese Verbindung in Kombination mit allen in der Anmeldung spezifisch gelisteten Fungiziden, darunter Cyproconazole, offenbart sei. Demnach ergebe sich die Kombination von Imidacloprid mit Cyproconazole aus einer Auswahl aus nur einer Liste. Zur Stützung ihrer Argumente verwies die Beschwerdeführerin auf die Entscheidungen T 1253/07 und T 783/09.
X. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 und 2, jeweils eingereicht mit Schreiben vom 27. September 2011, oder auf der Grundlage des Hilfsantrags 3, eingereicht während der mündlichen Verhandlung.
Die Beschwerdegegnerin stellte keinen Antrag.
XI. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Artikel 123(2) EPÜ
2.1 Hauptantrag
Der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 betrifft Mittel, die Verbindungen der allgemeinen Formel (I) in Mischung mit fungiziden Wirkstoffen enthalten. Im Anspruch 1 des Hauptantrags ist die Komponente der Formel (I) dahingehend eingeschränkt worden, dass sie aus einer Liste von sechs spezifischen Verbindungen auszuwählen ist. Die zweite Komponente ist auf eine einzelne Verbindung, Cyproconazole (II-4), festgelegt worden (vgl. obigen Punkt VII).
In den ursprünglich eingereichten Ansprüchen fehlt jegliche Bezugnahme auf konkrete Verbindungen. Es muss daher geprüft werden, ob die Kombination von Komponenten gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags unmittelbar und eindeutig aus der ursprünglich eingereichten Beschreibung ableitbar ist.
Nach dem ersten Absatz der Beschreibung betrifft die Erfindung Schädlingsbekämpfungsmittel, die eine Wirkstoffkombination bestimmter Agonisten oder Antagonisten der nicotinergen Acetylchinolinrezeptoren von Insekten mit Fungiziden enthalten, und ihre Verwendung zur Bekämpfung von Pflanzenschädlingen.
Auf der Seite 2, Zeile 16 bis Seite 5, Zeile 3 wird der insektizide Wirkstoff durch allgemeine Formeln (I), (Ia) und (Ib) definiert. Darauf folgt eine Liste von einzelnen Verbindungen (Seite 5, Zeilen 5 bis 10), nämlich, die sechs Insektizide die nun in Anspruch 1 eingeführt worden sind (vgl. obigen Punkt VII).
Die als Fungizide einzusetzenden Mittel sind in einer Liste von 47 individuelle Verbindungen oder Verbindungsgruppen genannt (Seite 6 bis 23). Darunter erscheint auch Cyproconazole auf der Seite 6, Zeile 12. Dies ist die einzige Stelle in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen, an der Cyproconazole erwähnt wird.
Um zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen, sind daher im vorliegenden Fall in der Liste der möglichen Fungiziden alle Alternativen bis auf eine gestrichen worden. So ist Cyproconazole aus einer umfangreichen Liste von Alternativen herausgegriffen worden, ohne dass diese Verbindung aus der ursprünglichen Anmeldung als auf irgendeine Weise bevorzugt zu entnehmen ist. Gleichzeitig sind die Verbindungen der Gruppe (I) auf eine Liste von sechs spezifischen Insektiziden eingeschränkt worden. Dadurch, dass die Definition der Fungizidkomponente keine Liste mehr darstellt, ergibt sich eine Festlegung auf sechs einzelne Wirkstoff kombinationen (d.h. Cyproconazole in Mischung mit den jeweiligen gelisteten Insektiziden), die nicht in dieser individualisierten Form ursprünglich offenbart waren.
Folglich kann die ursprünglich eingereichte Beschreibung auch keine Stütze für Anspruch 1 des Hauptantrags bieten.
Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin kann auch eine Streichung aus einer Liste eine unzulässige Erweiterung darstellen, wenn das Herausgreifen eines einzelnen Wirkstoffs zu einer Auswahl von Kombinationen führt, die zwar von der ursprünglichen Anmeldung denkgesetzlich umfasst, aber nicht spezifisch offenbart sind. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist eine solche Auswahl als unzulässige Erweiterung und damit als Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ zu beurteilen (vgl. beispielsweise T 727/00, Punkt 1.1.4; T 686/99, Punkt 4.3).
2.2 Hilfsantrag 1
Die Begründung unter Punkt 2.1 gilt gleichermaßen für den Anspruch 1 des Hilfsantrags 1, da dieser alle die für die vorgebrachte Argumentation relevanten Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag enthält (vgl. obigen Punkt VII).
2.3 Hilfsantrag 2
2.3.1 Im Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 wurde das Insektizid auf die Verbindung Imidacloprid weiter eingeschränkt (vgl. obigen Punkt VII). Es wird damit festgelegt, dass das zu verwendende Mittel eine Mischung aus Imidacloprid und Cyproconazole enthält.
Zusätzlich zu den bereits diskutierten Stellen der ursprünglich eingereichten Beschreibung (vgl. obigen Punkt 2.1) hat die Beschwerdeführerin als Stütze für diese Wirkstoff kombination auf die Beispiele verwiesen.
Auf Seite 30, Zeilen 20 bis 22, der Beschreibung wird folgendes ausgeführt:
"In den folgenden Beispielen wird als Wirkstoff der Formel (I) Imidacloprid eingesetzt. Die ebenfalls eingesetzten fungiziden Wirkstoffe werden in den Beispielen angegeben."
In den darauffolgenden Beispielen A bis F werden Mischungen von Imidacloprid mit verschiedenen fungiziden Wirkstoffen eingesetzt. Allerdings enthält keine dieser Mischungen Cyproconazole. Daher ist die spezielle Kombination aus Imidacloprid und Cyproconazole nicht unmittelbar und eindeutig aus den Beispielen zu entnehmen.
Der Beschwerdeführerin ist zuzustimmen, dass in den Ausführungsbeispielen Imidacloprid als einziger insektizider Wirkstoff eingesetzt wird. Allerdings wurde diese Verbindung nur im Zusammenhang mit bestimmten fungiziden Wirkstoffen offenbart. Unmittelbar und eindeutig aus den Beispielen sind daher nur die explizit genannten Kombinationen zu entnehmen. Es gibt keinen Hinweis in der ursprünglich eingereichten Anmeldung darauf, dass die Komponente Imidacloprid aus dem spezifischen Kontext der Beispiele herauszugreifen ist und in einem allgemeineren Kontext als bevorzugt anzusehen ist. Daher kann der Argumentation der Beschwerdeführerin, wonach die Kombination von Imidacloprid mit allen in der Anmeldung genannten Fungiziden ursprünglich offenbart sei, nicht gefolgt werden.
Wie bereits unter Punkt 2.1 ausgeführt wurde, ist im allgemeinen Teil der ursprünglichen Beschreibung Imidacloprid in einer Liste von sechs gleichwertigen Mitgliedern, und Cyproconazole in einer recht umfangreichen Liste offenbart. Im vorliegenden Fall sind daher in zwei Listen Streichungen jeweils aller bis auf eine einzige übrig bleibende Komponente vorgenommen worden. Dies führt zu einer Auswahl einer konkreten Kombination aus Imidacloprid und Cyproconazole, die in dieser individualisierten Form ursprünglich nicht offenbart war.
2.3.2 Zu den von der Beschwerdeführerin aufgeführten Entscheidungen ist folgendes zu bemerken:
In der Entscheidung T 1253/07 wurde die im Anspruch 1 des Hauptantrags vorgenommene Einschränkungen als zulässig angesehen, da der Fachmann in Anbetracht der Beispiele dem Herbizid 3-2 unmittelbar und eindeutig die Untergruppe von Safenern der Formel (II) zugeordnet hätte (vgl. Punkt 2.3 der Entscheidungsgründe). Im Gegensatz dazu findet sich in den vorliegenden Beispielen keine Stütze für die Kombination aus Imidacloprid und Cyproconazole, wie bereits unter obigem Punkt 2.3.1 ausgeführt wurde.
In dem der Entscheidung T 783/09 zugrundeliegenden Fall waren in einem Absatz der ursprünglich eingereichten Beschreibung zwei DPP-IV-Inhibitoren "LAF237" und "DPP728" als ganz bevorzugt in Kombination mit 22 antidiabetischen Verbindung offenbart. Unter den spezifischen Gegebenheiten dieses Falles kam die zuständige Kammer zu dem Schluss, dass sich daraus für den Fachmann eine individualisierte Offenbarung jeder Kombination von "LAF237" beziehungsweise "DPP728" mit jeder einzelnen der dort genannten antidiabetischen Verbindungen in unmittelbarer und eindeutiger Weise ergebe (vgl. Punkt 5 der Entscheidungsgründe). Dieser Sachverhalt ist mit der vorliegenden Situation schon aus dem Grund nicht vergleichbar, weil Imidacloprid im einschlägigen Absatz auf Seite 5 der vorliegenden ursprünglichen Offenbarung in einer Liste von sechs gleichwertigen Mitgliedern offenbart ist.
Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die von der Beschwerdeführerin zitierte Rechtsprechung für den vorliegenden Fall nicht einschlägig ist.
2.4 Hilfsantrag 3
Da das Mittel gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 auch eine Mischung aus Imidacloprid und Cyproconazole beinhaltet, gelten die Ausführungen zum Hilfsantrag 2 unter Punkt 2.3 mutatis mutandis auch für den Hilfsantrag 3.
2.5 Zusammenfassend wird daher festgestellt, dass die Gegenstände der jeweiligen Ansprüche 1 gemäß dem Hauptantrag und den Hilfsanträge nicht unmittelbar und eindeutig aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen hervorgeht.
Folglich sind Haupt- und Hilfsanträge wegen Verstoßes gegen Artikel 123(2) EPÜ nicht gewährbar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.