T 1122/09 30-03-2011
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Schutzvorrichtung für eine Injektionsnadel
01) Terumo Europe NV/Terumo Deutschland GmbH/Delta Med s.r.l.
02) Smiths Medical ASD, Inc.
I. Mit der am 6. Mai 2009 zur Post gegebenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung das europäische Patent EP-B9-1 383 690 wegen unzulässiger Erweiterung des Gegenstands von Anspruch 1 gemäss Hauptantrag sowie der Hilfsanträge 1 bis 11 widerrufen und den verspätet eingereichten Hilfsantrag 12 nicht zugelassen.
II. Die Beschwerdeführerin (Pateninhaberin) legte hiergegen am 20. Mai 2009 Beschwerde ein und entrichtete am selben Tag die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung wurde am 7. September 2009 eingereicht.
III. Mit Bescheid vom 17. Januar 2011 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung mit.
IV. Am 30. März 2011 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Parteien die folgenden abschliessenden Anträge stellten:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und als Hauptantrag, das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten, oder hilfsweise das Patent gemäss einem der Hilfsanträge 1 bis 11, A, oder 1' bis 11', alle eingereicht mit Schreiben vom 28. Februar 2011, aufrechtzuerhalten.
Alle Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende O1 und O2) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.
V. Der unabhängige Anspruch 1 in der erteilten Fassung (Hauptantrag) lautet wie folgt:
"Schutzvorrichtung für eine Injektions- bzw. Infusionsnadel, umfassend
- einen Nadelhalter (1) am proximalen Ende der Nadel,
- eine vorspringende Eingriffseinrichtung (18) am Nadelumfang nahe der Nadelspitze,
- ein Schutzelement (3) für die Nadelspitze, das auf dem Schaft der Nadel verschiebbar ist und federnde Arme aufweist,
- wobei das Schutzelement durch die vorspringende Eingriffseinrichtung (18) der Nadel daran gehindert ist, über die Nadelspitze hinaus verschoben zu werden, und
- wobei ein Griffteil (6) zum Verschieben bzw Halten des Schutzelementes (3) vorgesehen ist, in dessen Hohlraum das Schutzelement (3) aufgenommen ist,
dadurch gekennzeichnet,
dass das Griffteil (6) das Schutzelement am proximalen Ende derart übergreift, dass es daran gehindert ist, über das Schutzelement (3) und über die Nadelspitze hinaus verschoben zu werden,
wobei eine auf dem Nadelschaft verschiebbare Hülse (4) vorgesehen ist, die eine Verschiebung des Schutzelementes (3) über die Nadelspitze hinaus verhindert."
Der Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 11 (die den im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsanträgen 1 bis 11 entsprechen) enthält zusätzlich zu den Merkmalen von Anspruch 1 gemäss Hauptantrag eines oder mehrere der folgenden zusätzlichen Merkmale in unterschiedlichen Kombinationen:
- die distalen Endabschnitte der federnden Arme übergreifen die Nadelspitze in einer Schutzstellung (Hilfsanträge 1, 2, 4, 5, 7, 8, 10 und 11)
- die Hülse ist vom Schutzelement verschiebbar
(Hilfsanträge 2, 5, 8 und 11)
- das Griffteil ist mit einem Teil zwischen Schutzelement und Nadelhalter vorgesehen
(Hilfsanträge 3 bis 5)
- das Griffteil ist zwischen Schutzelement und Nadelhalter vorgesehen
(Hilfsanträge 6 bis 11).
Anspruch 1 gemäss Hilfsantrag A unterscheidet sich vom Hauptantrag dadurch, das die vorspringende Eingriffseinrichtung die Form eines Wulstes oder einer Nadelquetschung hat.
Anspruch 1 gemäss der Hilfsanträge 1' bis 11' entspricht jeweils dem Anspruch 1 gemäss der Hilfsanträge 1 bis 11 mit der zusätzlichen Einschränkung gemäss Hilfsantrag A.
VI. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Durch den im ursprünglichen Anspruch 1 enthaltenen Begriff "Eingriffseinrichtung (4, 18)" werde der Fachmann unmittelbar und eindeutig auf eine Eingriffseinrichtung in Form einer Hülse 4 in Kombination mit dem radialen Vorsprung 18 an der Nadel hingewiesen, wobei er beim Lesen dieses Begriffes sich die Zeichnungen ansehe und in den Figuren 1 und 4 die Hülse 4 und in Figur 5 den radialen Vorsprung 18 erkenne. Im ursprünglichen Anspruch 1 seien die beiden Bezugszeichen 4 und 18 in der Klammer durch ein Komma getrennt - (4, 18) - und somit in Kombination offenbart. Im Gegensatz hierzu seien in den abhängigen Ansprüchen 12 und 13 die Bezugszeichen für das Auflageteil
- (25; 30) - bzw. den verformbaren Abschnitt
- (40; 45) - nicht durch Kommata, sondern durch Semikola getrennt aufgeführt.
Weiterhin gehe die Offenbarung der Kombination beider Merkmale aus dem letzten Absatz von Seite 2 der Beschreibung hervor, wo erwähnt sei, dass eine Hülse in Verbindung mit einer Huber-Nadel mit Vorsprung 18 zu verwenden sei. Eine solche Huber-Nadel sei in den Figuren 15 und 16 wiedergegeben, wodurch der Fachmann unmittelbar und eindeutig darauf hingewiesen werde, die Hülse sowohl bei der Nadel gemäss Figur 1 als auch bei der anderen Nadel gemäss Figur 15 zu verwenden.
Überdies sehe der Fachmann gemäss T 56/87 gewöhnlich alle Einzelinformationen eines Dokuments in ihrem technischen Zusammenhang und betrachte die beschriebenen Einzelkomponenten nicht isoliert. Er achte vielmehr auf ihr technisches Zusammenwirken, um die Funktionsweise des offenbarten Geräts oder Verfahrens zu verstehen.
Ob beim Vorhandensein eines Wulsts mit zusätzlicher Hülse die Schutzfunktion des Schutzelements noch erfüllt sei oder nicht hänge allein von der Länge der Hülse und des Schutzelements ab.
Die Kombination von Hülse und vorspringender Eingriffseinrichtung in Form einer Nadelquetschung sei zumindest als logische Ergänzung entsprechend T 1107/06 implizit offenbart.
Die ursprüngliche Offenbarung einer Kombination von Hülse 4 und Vorsprung 18 erfülle auch den in T 201/83 geforderten Neuheitstest. Danach würde einem späteren Anmelder, der eine Hülse 4 in Verbindung mit einem radialen Vorsprung 18 beanspruche, die Neuheit gegenüber der ursprünglichen Offenbarung nicht mehr zugestanden werden können. Somit erfülle der erteilte Anspruch 1 die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ klar und deutlich.
Die Hilfsanträge 1 bis 11 enthielten alle die Formulierung "vorspringende Eingriffseinrichtung (18) am Nadelumfang nahe der Nadelspitze" und wären dann zu diskutieren, wenn diese Formulierung im Hauptantrag als Artikel 123(2) EPÜ entsprechend anerkannt werde. Der Hilfsantrag A, in dem die vorspringende Eingriffseinrichtung am Nadelumfang nahe der Nadelspitze auf die "Form eines Wulstes oder einer Nadelquetschung" eingeschränkt sei, sei dann zu diskutieren, wenn der Hauptantrag nicht anerkannt werde. Hieran schlössen sich die Hilfsanträge 1' bis 11' an.
VII. Die von den Beschwerdegegnerinnen vorgebrachten entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Nennung der Bezugszeichen 4 und 18 im Zusammenhang mit der Eingriffseinrichtung im ursprünglichen Anspruch 1 lasse völlig offen, wie sich die Hülse 4 aus der Figur 1 zu dem Vorsprung 18 aus der Figur 15 verhalten solle, und könne daher nicht als Basis für die Offenbarung der Kombination beider Merkmale angesehen werden. Hülse und Vorsprung seien vielmehr als alternative Eingriffseinrichtungen zu interpretieren. Eine Kombination der beiden Merkmale sei überdies technisch nicht sinnvoll, weil ein zusätzliches Hindernis für das Schutzelement in Form einer Hülse bei einer Nadel mit einem Wulst unnötig sei, da der Wulst selbst das Schutzelement bereits zuverlässig blockiere. Überdies würde beim Vorhandensein eines Wulsts mit zusätzlicher Hülse das Schutzelement bereits weiter proximal blockiert, so dass die Spitze der Nadel nicht mehr umschlossen würde und die Schutzfunktion nicht mehr gegeben wäre.
Auch der letzte Absatz auf Seite 2 der Beschreibung enthielte keine Offenbarung der Kombination der beiden genannten Merkmale, da er sich ausschliesslich auf das Ausführungsbeispiel nach Figur 1 mit einer Hülse und gekrümmter Nadelspitze beziehe und in dieser Textpassage lediglich auf eine Huber-Nadel allgemein, nicht aber auf die speziell Ausgestaltung einer solchen mit Wulst 18 gemäss Figur 15 Bezug genommen werde. Andererseits wiesen die einen Wulst 18 enthaltenden Ausführungsbeispiele keine Hülse auf. Ein beide Merkmale aufweisendes Ausführungsbeispiel sei ursprünglich nicht offenbart.
Die von der Beschwerdeführerin zitierte Entscheidung T 1107/06 böte keine Basis für die implizite Offenbarung einer logischen Ergänzung.
Der Neuheitstest gemäss T 201/83 sei von der Beschwerdeführerin nicht korrekt angewendet worden. Vielmehr sei die beanspruchte Merkmalskombination neu gegenüber der ursprünglichen Offenbarung und stelle daher eine unzulässig Erweiterung dar.
Die Einreichung von 23 Hilfsanträgen erst vier Wochen vor der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren stehe in deutlichem Widerspruch zu den Grundprinzipien der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (insbesondere Artikel 12(2) VOBK) und der hierzu ergangenen ständigen Rechtsprechung. Die Beschwerdeführerin habe nicht erklärt, warum diese Anträge erst so spät eingereicht wurden, und keinerlei Erläuterung der dort eingefügten Änderungen gegeben. Überdies werde durch keinen der 23 Hilfsanträge der gegen den Hauptantrag erhobene Einwand unzulässiger Erweiterung ausgeräumt. Diese Hilfsanträge seien daher nicht zuzulassen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen (Hauptantrag)
Anspruch 1 in der erteilten Fassung enthält im Oberbegriff das Merkmal "vorspringende Eingriffseinrichtung (18) am Nadelumfang nahe der Nadelspitze", im folgenden mit "vorspringende Eingriffseinrichtung" bezeichnet, sowie im kennzeichnenden Teil das Merkmal "auf dem Nadelschaft verschiebbare Hülse (4), die eine Verschiebung des Schutzelementes (3) über die Nadelspitze hinaus verhindert", im folgenden mit "Hülse" bezeichnet.
Die Kombination dieser beiden Merkmale, "vorspringende Eingriffseinrichtung" und "Hülse", ist der ursprünglichen Offenbarung (im folgenden wird diesbezüglich auf die als WO-A1-02/068022 veröffentlichte Fassung Bezug genommen) nicht eindeutig und zweifelsfrei zu entnehmen.
Keines der beschriebenen Ausführungsbeispiele weist beide Merkmale in Kombination auf. Die mit dem Bezugszeichen 4 bezeichnete Hülse ist lediglich in den in den ursprünglich eingereichten Figuren 1 und 4 dargestellten Ausführungsbeispielen gezeigt, jedoch ausschliesslich zusammen mit einer gekrümmten Nadelspitze 5. Ein vergrösserter Durchmesser der Nadel im Bereich der Spitze ist weder in den Zeichnungen zu erkennen noch in der zugehörigen Beschreibung erwähnt. Eine "vorspringende Eingriffseinrichtung" ist somit in diesen Ausführungsbeispielen nicht enthalten. Eine solche ist - in Form eines Wulstes oder von Vorsprüngen bzw. einer durch Quetschung ausgebildeten Querschnittsvergrösserung oder einer Nadelkröpfung - lediglich in den Figuren 5, 6, 8, 14, 15 bis 17 und 20 mit dem Bezugszeichen 18 gezeigt. Diese Ausführungsbeispiele weisen aber keine Hülse auf. Auch im allgemeinen Teil der Beschreibung auf Seite 1 befindet sich keinerlei Hinweis auf eine Kombination der beiden Merkmale. Es handelt sich vielmehr um alternative Massnahmen, die ein Verschieben des Schutzelements 3 über die Nadelspitze hinaus verhindern sollen: bei der Hülse 4 geschieht dies in Wechselwirkung mit einer gekrümmten Nadelspitze (s. die drei letzten Zeilen auf Seite 2), während der Wulst 18 oder desgleichen bewirkt, dass dort die Rückwand des Schutzelements in Schutzstellung zum Anliegen kommt (s. den die Seiten 4 und 5 überbrückenden Absatz, den letzten Absatz auf Seite 8 und den die Seiten 10 und 11 überbrückenden Absatz).
Im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 ist eine "Eingriffseinrichtung (4, 18)" definiert, bei der sowohl das die Hülse betreffende Bezugszeichen 4 als auch das die vorspringende Eingriffseinrichtung betreffende Bezugszeichen 18 genannt sind. In der in Klammern gesetzten Nennung beider Bezugszeichen kann jedoch keine Grundlage für eine Offenbarung der beanspruchten Merkmalskombination gesehen werden. In Übereinstimmung mit dem oben Gesagten deutet die Nennung der beiden Bezugszeichen vielmehr darauf hin, dass die Eingriffseinrichtung entweder durch die Hülse 4 oder den Wulst 18 gebildet werden kann. In den abhängigen ursprünglichen Ansprüchen wird die "Eingriffseinrichtung (4, 18)" nicht näher definiert, weder in Form einer Hülse noch eines Wulstes oder desgleichen. Aus der Tatsache, dass in den abhängigen Ansprüchen 12 und 13 die Bezugszeichen für das Auflageteil bzw. den verformbaren Abschnitt nicht durch Kommata, sondern durch Semikola getrennt aufgeführt sind, kann in keiner Weise hergeleitet werden, dass die durch ein Komma getrennte Nennung der Bezugszeichen 4 und 18 im ursprünglichen Anspruch 1 auf eine Kombination der beiden Merkmale "vorspringende Eingriffseinrichtung" und "Hülse" hindeutet.
Der letzte Absatz auf Seite 2 der Beschreibung bezieht sich ausschliesslich auf das in Figur 1 gezeigte Ausführungsbeispiel mit einer Hülse 4, die - ausschliesslich - in Wechselwirkung mit einer Krümmung an der Nadelspitze eine Verschiebung des Schutzelements über die Nadelspitze hinaus verhindert. Eine vorspringende Eingriffseinrichtung ist dort nirgendwo erwähnt. Auch ein Bezug zu anderen Ausführungsformen ist in dieser Passage nicht vorhanden, insbesondere nicht zu dem in Figur 15 gezeigten Ausführungsbeispiel. Die Erwähnung einer "Huber-Nadel" auf Seite 2, die - wie allgemein bekannt - gebogen ist, in Verbindung mit der Tatsache, dass in Figur 15 eine - spezielle - Huber-Nadel gezeigt ist (s. vorletzter Absatz auf Seite 8), die zusätzlich einen Wulst 18 aufweist, kann in keiner Weise als unmittelbare und eindeutige Offenbarung einer Kombination der Merkmale "vorspringende Eingriffseinrichtung" und "Hülse" angesehen werden.
Auch der Hinweis der Beschwerdeführerin auf T 56/87 (siehe Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe), wonach der Fachmann gewöhnlich alle Einzelinformationen eines Dokuments in ihrem technischen Zusammenhang sehe und die beschriebenen Einzelkomponenten nicht isoliert betrachte, sondern auf ihr technisches Zusammenwirken achte, um die Funktionsweise des offenbarten Geräts oder Verfahrens zu verstehen, kann nicht als Begründung für eine Offenbarung der beanspruchten Merkmalskombination herangezogen werden. Ein technisches Zusammenwirken von "vorspringender Eingriffseinrichtung" einerseits und "Hülse" andererseits erscheint nämlich wenig sinnvoll und daher für den Fachmann schwer vorstellbar: bei einer Nadel mit Wulst nahe der Nadelspitze ist ein zusätzliches Hindernis in Form einer Hülse zum Vermeiden einer Bewegung des Schutzelements über die Nadelspitze hinaus unnötig und somit sinnlos, da der Wulst selbst bereits das Schutzelement zuverlässig blockiert. Überdies würde beim Vorhandensein eines Wulsts mit zusätzlicher Hülse das Schutzelement bereits weiter proximal blockiert, so dass die Spitze der Nadel eventuell nicht mehr umschlossen würde und die Schutzfunktion nicht mehr gegeben wäre.
Eine Kombination von "vorspringender Eingriffseinrichtung" und "Hülse" kann auch nicht als implizit in Form einer "logischen Ergänzung" offenbart angesehen werden, wie dies die Beschwerdeführerin mit Hinweis auf T 1107/06 vorgetragen hat. Der in der zitierten Entscheidung (s. Punkt 46 bis 49 der Entscheidungsgründe) behandelte Sachverhalt betrifft die Auswahl von Parameter-Teilbereichen und lässt sich nicht auf den hier vorliegenden Fall übertragen.
Folglich ist die beanspruchte Kombination von "vorspringender Eingriffseinrichtung" und "Hülse" gemäss dem erteilten Anspruch 1 neu gegenüber der ursprünglichen Offenbarung (entsprechend dem von der Beschwerdeführerin mit Hinweis auf T 201/83 angeführten "Neuheitstest").
Der Gegenstand dieses Anspruchs beinhaltet schon allein aus diesem Grund eine unzulässige Erweiterung unter Verletzung der Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ.
3. Zulässigkeit (Hilfsanträge)
In ihrer Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin lediglich beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, und ausschliesslich erläutert, weshalb der erteilte Anspruch 1 nach ihrer Meinung die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ erfüllt. Erst mit ihrem Schriftsatz vom 28. Februar 2011, also nach dem am 17. Januar 2011 ergangenen Ladungsbescheid und etwa einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, hat die Beschwerdeführerin insgesamt 23 Hilfsanträge eingereicht. Sie hat in ihrem Schreiben weder dargelegt, warum diese Hilfsanträge erst zu diesem späten Zeitpunkt eingereicht wurden, noch erläutert, in welcher Weise die Änderungen die erhobenen Einwände ausräumen sollen.
Dieses Verhalten der Beschwerdeführerin steht in mehrerlei Weise nicht im Einklang mit der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern des EPA (VOBK; s. auch "Hinweise für die Parteien und ihre Vertreter im Beschwerdeverfahren", Amtblatt 10/2003, Seite 419ff) sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung (s. "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 6. Auflage (2010), VII.E.16).
Gemäss Artikel 12(2) VOBK muss die Beschwerdebegründung den vollständigen Sachvortrag der Beschwerdeführerin enthalten. Hierzu zählen nach ständiger Rechtsprechung neben allen Argumenten, Tatsachen und Beweismitteln insbesondere auch alle Anträge (s. z.B. T 764/03, Punkt 6.7 der Entscheidungsgründe). Ausser dem allgemein gehaltenen Antrag, die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben, mit Schreiben vom 28. Februar 2011 präzisiert als Hauptantrag auf Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung, hat die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung jedoch keinerlei explizite Anträge gestellt.
Gemäss Artikel 13(1) VOBK steht es weiterhin im Ermessen der Kammer, Änderungen der Vorbringens nach Einreichung der Beschwerdebegründung zuzulassen, wobei die Komplexität des Vorbringens, der Verfahrensstand und die Verfahrensökonomie zu berücksichtigen sind. Nach Artikel 13(3) VOBK sind Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zuzulassen, wenn sie Fragen aufwerfen, die eine Verlegung der mündlichen Verhandlung erforderlich machen.
Wenn die Patentinhaberin im Beschwerdeverfahren beabsichtigt, geänderte Ansprüche einzureichen, sollte dies allgemein zum frühestmöglichen Zeitpunkt geschehen. Ein nicht rechtzeitig eingereichter Antrag auf Änderungen ist von der Kammer nur ausnahmsweise und nur dann zu berücksichtigen, wenn sowohl das späte Einreichen gerechtfertigt ist und auch der Grund der Änderungen dargelegt wird (s. z.B. T 95/83, Punkt 8 der Entscheidungsgründe). Beide Kriterien sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Beschwerdeführerin hat weder dargelegt, warum die Hilfsanträge erst derartig spät eingereicht wurden, noch erläutert, in welcher Weise durch die vorgenommenen Änderungen die erhobenen Einwände ausgeräumt werden sollen. Für die Kammer sind auch keine entsprechenden Gründe ersichtlich. Da der im Ladungsbescheid angesprochene Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ bereits in der angefochtenen Entscheidung enthalten ist, hätten Anträge zur Überwindung dieses Einwands bereits mit der Beschwerdebegründung eingereicht werden können und sollen.
Weiterhin ist der Kammer nicht klar ersichtlich, in welcher Reihenfolge die Hilfsanträge 1 bis 11, A und 1' bis 11' abgehandelt werden sollen. In ihrem Schreiben vom 28. Februar 2011 verknüpft die Beschwerdeführerin diese Anträge zudem in unzulässiger Weise mit bestimmten Bedingungen, die ihrerseits überdies nicht klar sind.
Schliesslich sind insbesondere erst kurz vor der mündlichen Verhandlung eingereichte Anträge wie die vorliegenden regelmässig dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie nicht eindeutig gewährbar sind (s. z.B. T 95/83). Genau dies ist im vorliegenden Fall ein entscheidendes Problem, da alle 23 Hilfsanträge ebenfalls wie der Hauptantrag die Kombination der Merkmale "vorspringender Eingriffseinrichtung" und "Hülse" enthalten, was, wie oben unter Punkt 2 dargelegt, gegen die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ verstösst. Die Tatsache, dass gemäss Hilfsantrag A (und Hilfsantrag 1' bis 11') die "vorspringende Eingriffseinrichtung" die Form eines Wulstes oder einer Nadelquetschung hat, vermag an diesem Umstand nichts zu ändern. Alle 23 Hilfsanträge sind daher schon aus diesem Grund nicht eindeutig gewährbar.
Aus den oben genannten Gründen lässt die Kammer die 23 verspätet eingereichten Hilfsanträge nicht zu.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.