T 1568/12 30-04-2015
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SICHERHEITSGLASAUFBAU FÜR SICHERHEITSKRAFTFAHRZEUGE
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 26. April 2012, mit der der Einspruch gegen das Patent Nr. EP-B- 1 051 592 zurückgewiesen wurde.
II. In ihrer Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zum Ergebnis, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ nicht ausreichend begründet sei, und dass der Sicherheitsglasaufbau gemäß dem erteilten Anspruch 1 gegenüber D1 neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Diesbezüglich ist die Zulässigkeit der nach der Einspruchsfrist vorgebrachten Beweismitteln in der angefochtenen Entscheidung folgend behandelt:
- die Schrift D6 ist für das Kriterium der erfinderischen Tätigkeit von besonderer Relevanz und somit nach Artikel 114 (1) EPÜ in das Verfahren eingeführt,
- dagegen sind D7 bis D9 nach Artikel 114 (2) EPÜ nicht berücksichtigen.
Bezüglich weiterer, spät vorgebrachter Dokumente (D10 bis D12) hat die Einspruchsabteilung keine Entscheidung getroffen.
III. Die Beschwerde wurde von der Einsprechenden (im Folgenden: Beschwerdeführerin) am 3. Juli 2012 eingelegt. Am selben Tag wurde die Beschwerdegebühr entrichtet.
Die Beschwerdebegründung ist am 6. September 2012 eingegangen.
IV. Von der Beschwerdeführerin inter alia zitierte Beweismittel:
D1 EP-A- 0 658 738
D4 DE-A- 44 15 879
D5 US-A- 4 277 294
D6 GB-A- 2 289 649
D7 FR-A- 2 612 174
D8 "ROMET PROJECT" (geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung)
D9 US-A- 5 270 518
D10 WO-A- 98/057805
D11 Richtlinie zur Prüfung und Zertifizierung "Durchschusshemmende Fahrzeuge" für PKW und sonstige KFZ (15.07.1999)
D12 Datum (9.9.1986) der Blaupause D8
D13 DE-A- 43 35 336
V. Anträge
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 051 592.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis des mit Schriftsatz vom 26. März 2015 eingereichten Hilfsantrags.
VI. Der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist wie folgt:
"Sicherheitsglasaufbau für Sicherheitskraftfahrzeuge, mit einer gepanzerten Scheibe, bei welcher mindestens eine aus Sicherheitsglas bestehende Scheibe (3.1) oder ein Scheibenpaket aus mindestens zwei aus
Sicherheitsglas bestehenden Verbundscheiben (3.1, 3.2) mit einer Außenscheibe (2) verbunden ist, einem Element aus beschusssicheren Material, das an der gepanzerten
Scheibe angeordnet ist, und beschusssicheren Matten oder beschusssicherem Material, mit dem die Karosserieteile in Richtung zum Fahrgastraum ausgekleidet sind, dadurch gekennzeichnet, dass das Element als Streifen (1) ausgebildet ist, der zwischen der Außenscheibe (2) und der Scheibe aus Panzerglas bzw. dem Scheibenpaket (3) und/oder zwischen mindestens zwei Scheiben (3.1, 3.2) des Scheibenpakets (3) angeordnet ist und über das Scheibenpaket oder die Außenscheibe derart hinausragt, dass er den Bereich zwischen der gepanzerten Scheibe und den beschusssicheren Matten oder beschusssicherem Material überlappt."
VII. Am 30. April 2015 fand eine mündlichen Verhandlung statt, am Ende welcher die Beschwerdekammer ihre Entscheidung verkündete.
Der erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachte, auf D6 beruhende Einwand mangelnder Neuheit, sowie die schriftlich vorgetragenen, auf eine der Entgegenhaltungen D2, D4 und D5 als Ausgangspunkt beruhenden Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit wurden von der Beschwerdeführerin in der Verhandlung nicht weiter verfolgt.
VIII. Die Beschwerdeführerin hat die Gründe in der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen mit folgenden, den Hauptantrag betreffenden Argumenten bestritten.
- Artikel 100 c) EPÜ
Der gegenüber dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 geänderte erteilte Anspruch 1 finde keine Stütze in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen und gehe über eine pure Klarstellung hinaus.
Die unzulässige Erweiterung bestünde darin, dass die Matten oder das beschusssichere Material, im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 als Bestandteil der Karosserie definiert, nun Bestandteil des beanspruchten Sicherheitsglasaufbaus seien, so dass der erteilte Gegenstand sich nicht länger auf den Scheibenaufbau selbst beziehe, sondern auch Teile der Karosserie umfasse.
- Vorgebrachte Beweismittel
Die bereits im Einspruchsverfahren vorgebrachten D7 bis D12 seien hinsichtlich der Patentierbarkeit des beanspruchten Gegenstands von Relevanz und damit zu berücksichtigen. Zum Nachweis der offenkundigen Vorbenutzung D8 werde Beweis durch Vernehmung des als Zeugen benannten Herrn C.B. Pickering beantragt.
Aufgrund der vorläufigen Meinung der Kammer sei eine von der Beschwerdeführerin durchgeführte Zusatzrecherche erforderlich gewesen, im Ergebnis welcher ein weiteres Dokument D13 mit Schriftsatz vom 6. März 2015 vorgebracht wurde. Der in D13 offenbarte Stand der Technik weise einen Panzerscheibenglasaufbau mit den wesentlichen Merkmalen des erteilten Anspruchs 1 auf und betreffe eine mit der Aufgabe im Streitpatent ähnliche Problematik (Zugangshöhe größer gestalten).
- Neuheit
Der beanspruchte Gegenstand sei aus D1 bekannt. Der in Figur 2 von D1 dargestellte Aufbau offenbare insbesondere eine als einstückiges Profil geformte Befestigungsklammer 132, 164, welche aus Metall herzustellen und somit durchschusshemmend sei. Die winkelförmige Befestigungsklammer entspreche daher dem im Anspruch 1 definierten Streifen, welcher nach der Darstellung in Figuren 3a und 3b des Streitpatents im Übrigen auch winkelförmig auszubilden sei.
Wie schriftlich vorgetragen seien auch D6 und D10 neuheitsschädlich.
- Erfinderische Tätigkeit
Ausgehend vom gattungsbildende Stand der Technik D4 sei der Fachmann durch Heranziehen von D5 oder D6 in naheliegender Weise zu einem Glasaufbau gelangt, der sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 umfasse.
Das karosserieseitige Panzerstahlelement 8 und das streifenförmige, mehrere Glasscheiben abdeckende Panzerelement 7 seien gemäß D4 derart gestaltet, dass sie sich überlappen (Figur; Spalte 2, Zeile 56 bis 66).
Die im Streitpatent definierte Aufgabe sei damit bereits durch D4 gelöst.
Die objektive Aufgabe betreffe nunmehr eine Vereinfachung der in D4 offenbarte Anordnung der Elemente.
Der Fachmann erhalte in D5 oder D6 die Anregung einen Streifen zwischen durchschusshemmenden Glasscheiben einzusetzen (in D5: Verstärkungsstreifen 21 aus Metall, Spalte 5, Zeile 45 und Spalte 6, Zeile 47 bis Spalte 7, Zeile 14; in D6: Metallband 5 in Figur 2). Die Glasscheibenstruktur gemäß D5 und D6, auch wenn im Flugzeugbau eingesetzt, entspreche aus technischer Sicht, insbesondere aufgrund ihrer Gesamtdicke, einem gepanzerten, durchschusshemmenden Glasscheibenaufbau, so dass D5 und D6 vom Fachmann ohne Einschränkung zu berücksichtigen seien.
IX. Die Beschwerdegegnerin stützt sich im Wesentlichen auf folgende Argumente bezüglich des Hauptantrags:
Die klarstellende Wortlautsänderung des erteilten Anspruchs 1 gegenüber dem ursprünglich eingereichten unabhängigen Anspruch stelle keine unzulässige Erweiterung dar.
Sowohl die von der Einspruchsabteilung nicht eingeführten D7 bis D12 als auch die nachträglich der Beschwerdebegründung genannte D13 seien außer Betracht zu lassen, da nicht relevant und ohne Begründung verspätet vorgebracht.
Die in D1 nicht explizit als schusshemmend definierte Befestigungsklammer diene zur Befestigung/Aufhängung einer beschusssicheren Matte und stelle keinen zwischen zwei Scheiben angeordneten, einen Bereich zwischen einer gepanzerten Scheibe und beschusssicheren Matten überlappenden Streifen dar.
Der Glasscheibenaufbau gemäß D4 offenbare keine die Karosserie auskleidenden beschusssicheren Matten. Ferner sei das Panzerstahlelement 8 nicht an der Karosserie, sondern am Türrahmen befestigt. Zudem fehle in D4 das wesentliche Erfindungsmerkmal eines zwischen den Glasscheiben angeordneten beschusssicheren Streifens; in D4 liege das Panzerelement 7 lediglich auf bzw. an Glasscheiben. Demnach schlage D4 keine Lösung der im Streitpatent definierten Aufgabe vor.
D5 und D6, welche jeweils eine fest einzubauende Glasscheibenstruktur für den Flugzeugbau betreffen, können zur Problematik der Beeinträchtigung beim Einstieg/Ausstieg bei einem gepanzerten Fahrzeug keine Lösung anbieten. Die Metalleinsätze in D5 und D6 haben auch eine andere Funktion, nämlich in D5 die Glasscheiben am Aufnahmering zu befestigen oder als Abstandshalter, um den Rand einer zwischengelagerten Schicht von Verformung zu schützen.
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Artikel 100 c) EPÜ
Der von der Einsprechenden während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung erhobene Einwand nach Artikel 100c) EPÜ wurde in der angefochtenen Entscheidung abgehandelt. Dieser Einspruchsgrund liegt somit im Umfang der Beschwerde.
Ein Verstoß gegen Artikel 100 c) EPÜ liegt nur vor, wenn der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 über den Gesamtinhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgeht. Allein auf einen Vergleich mit dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 kann ein Einwand einer unzulässigen Änderung/Erweiterung nicht gestützt werden.
Im vorliegenden Fall geht aus dem Gesamtinhalt der Anmeldung unmissverständlich hervor, dass die erfindungsgemäße Lösung, wie im erteilten Anspruch 1 definiert, darin besteht, an der gepanzerten Scheibe einen beschusssicheren Streifen derart anzuordnen, dass dieser den Bereich zwischen der gepanzerten Scheibe und an der Karosserie angebrachten beschusssicheren Matten überlappt. Dadurch können die Matten entsprechend gekürzt werden, um den Ein- bzw. Ausstiegsbereich freier zu gestalten. Demnach steht außer Zweifel, dass der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 der Definition der ursprünglich offenbarten Erfindung entspricht, zumal es für den fachkundigen Leser klar ist, dass die beschusssicheren Matten bzw. das beschusssichere Auskleidungsmaterial grundsätzlich an der Karosserie zu befestigen bzw. befestigt sind.
Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) ist demnach nicht ausreichend begründet.
2. Stand der Technik
2.1 Die Einspruchsabteilung hat hinsichtlich der von der Einsprechenden nach der Einspruchsfrist vorgelegten Beweismitteln wie folgt entschieden:
- D6 ist aufgrund einer möglichen Relevanz bezüglich des Kriteriums der erfinderischen Tätigkeit in das Verfahren gemäß Artikel 114(1) EPÜ aufgenommen;
- D7 bis D9 sind nach Artikel 114(2) EPÜ in das Verfahren nicht aufgenommen, weil sie nicht prima facie relevanter als die bereits im Verfahren genannten Dokumente sind.
Nach ständiger Rechtsprechung, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 7. Auflage 2013, Abschn. IV.C.1.3.3, ab Seite 925, hat die Einspruchsabteilung beim Ausüben des durch Artikel 114(2) EPÜ eingeräumten Ermessens einen gewissen Freiraum. Die Kammer hat die Sachlage des Falls nicht nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte. Aufgabe der Kammer ist lediglich zu prüfen, ob die Einspruchsabteilung bei ihrer Ermessensausübung die richtigen Kriterien beachtet und angewandt hat.
Der Begründung in Punkt 4 der angefochtenen Entscheidung kann entnommen werden, weshalb die verspätet vorgebrachten Entgegenhaltungen D7 bis D9 (inkl. eine geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung D8) prima facie keinen relevanten Stand der Technik darstellen.
Es sei an dieser Stelle zu vermerken, dass die im Einspruchsverfahren spät, zur geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung vorgelegten Unterlagen D8 nicht in eindeutiger und nachvollziehbarer Weise einen am Panzerglas angeordneten beschusssicheren Streifen offenbaren, der sich bis zur Überlappung mit an der Karosserie angebrachten beschusssicheren Matten erstrecken würde.
Zur geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung D8 wurde kein weiterer und prima facie einschlägiger Nachweis im Beschwerdeverfahren nachgereicht.
Hinsichtlich des von der Beschwerdeführerin hilfsweise gestellten Antrags auf Zeugeneinvernahme von Herrn Pickering fehlt eine entsprechende begründete Angabe, welcher Sachverhalt durch den angebotenen Zeugen überhaupt nachzuweisen wäre.
Nach ständiger Rechtssprechung dienen Zeugen nicht dazu, Lücken in den von der Einsprechenden/Beschwerdeführerin geltend gemachten Tatsachen zu füllen (siehe Rechtsprechung, supra, Abschn. III.G.2.2, erster Absatz).
Die Beschwerdeführerin hat die korrekte Ermessensausübung der Einspruchsabteilung auch nicht in Frage gestellt.
Die Kammer selbst hat diesbezüglich keine Bedenken gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung nach Artikel 114(2) EPÜ, die spät vorgebrachten Unterlagen D7 bis D9 in das Verfahren nicht aufzunehmen, weshalb sie gemäß Artikel 12 (4) VOBK ins Beschwerdeverfahren nicht zugelassen werden und unberücksichtigt bleiben.
2.2 Die Dokumente D10 bis D12 wurden von der Einsprechenden nur im Hinblick auf etwaige Änderungen des Wortlauts des Anspruchs 1 eingereicht, die die Einsprechende/Beschwerdeführerin im Schriftsatz der Patentinhaberin/Beschwerdegegnerin vom 6./7. Juli 2010 erkannt zu haben glaubte (siehe Schriftsatz der Einsprechenden/Beschwerdegegnerin vom 16. Dezember 2011).
Da der Hauptantrag der Patentinhaberin/Beschwerdegegnerin indes tatsächlich auf dem unveränderten Anspruch 1 in erteilter Fassung beruht, sind D10 bis D12 deshalb prima facie ohne Belang. Aus dem aktenkundigen Verlauf des Einspruchsverfahrens entnimmt die Kammer, dass die im Einspruchsverfahren verspätet vorgebrachten Dokumente D10 bis D12 bei der dortigen Diskussion auch nicht herangezogen wurden die Einspruchsabteilung über ihre Aufnahme nicht entschieden hat.
Folglich sind die bereits im Einspruchsverfahren spät vorgebrachten und auf den dortigen Hilfsantrag der Patentinhaberin/Beschwerdegegnerin beschränkten Beweismittel D7 bis D12, die die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nunmehr auch als Einwand gegen den Anspruch 1 in erteilter (mithin unveränderter) Fassung heranzieht, nicht zu berücksichtigen, da dieser Einwand ohne weiteres bereits im Einspruchsverfahren hätte vorgebracht und zur Entscheidung durch die Einspruchsabteilung gestellt werden können (Artikel 12(4) VOBK).
2.3 Erstmals mit Schriftsatz vom 6. März 2015 auf die Mitteilung der vorläufigen Meinung der Kammer hat die Beschwerdeführerin ein Dokument D13 mit dem eigenen Kommentar vorgebracht, dass dieses Dokument "ähnlich relevant wie Dokument D4" sei (Seite 4, zweiter Absatz). Auch wenn D13, wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht, eine ähnliche Aufgabe betrifft, nämlich die Einstiegshöhe im Bereich einer Dachpanzerung eines Fahrzeugs weniger reduzieren zu müssen, so liegt die Lösung gemäß D13 jedoch nicht, wie beansprucht, in einem in die Verbundscheibe eingesetzten Streifen, sondern in einem die Oberkante einer Verbundscheibe übergreifenden U-Profil (6) aus Panzerstahl (vgl. Figur).
Außerdem berücksichtigt die Kammer die Tatsache, dass der Gegenstand nach dem Hauptantrag unverändert in der erteilten Fassung des Anspruchs 1 definiert ist, so dass eine Zusatzrecherche in einem äußerst späten Stadium des Verfahrens (nach der Beschwerdebegründung) nicht begründet ist.
Folglich wird D13 nach Artikel 114 (2) EPÜ und Artikel 13 (1) und (3) VOBK in das Verfahren nicht zugelassen.
2.4 Zu berücksichtigender Stand der Technik
Der zu berücksichtigende Stand der Technik umfasst somit lediglich die von der Beschwerdeführerin herangezogenen und in das Verfahren zugelassenen Entgegenhaltungen D1, D4, D5 und D6.
Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die Druckschrift D6 bereits im Einspruchsverfahren zugelassen und in der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich der Frage der erfinderischen Tätigkeit auch behandelt wurde (vgl. Absätze 5.7 und 5.8). Folglich ist D6 auch im Beschwerdeverfahren zugelassen (siehe T1652/08 bzw. ersten Absatz der Seite 927 der Rechtsprechung, supra).
3. Neuheit
3.1 Der Fachmann entnimmt der Gesamtoffenbarung von D1 nicht ohne Weiteres, dass die Befestigungsklammer 160 inklusiv ihres vertikalen Flansches 164 aus beschusssicherem Material hergestellt ist und den Bereich zwischen der gepanzerten Scheibe und den beschusssicheren Matten unbedingt überlappen soll.
Eine derartige Funktion der Befestigungsklammer ist in D1 nirgends definiert.
Wie in Spalte 7, Zeilen 2 bis 10 und 56 bis 58, beschrieben, dient die Befestigungsklammer 160 ausschließlich als Aufhängevorrichtung für einen flexiblen "Vorhang" (curtain) 180, welcher aus beschusssicherem Material besteht. Dem in Figur 2 ersichtlichen Überlappen des Profils 160 mit dem flexiblen "Vorhang" 180 wird in D1 keine Bedeutung zugemessen.
Auch wenn man der Beschwerdeführerin dahingehend folgen wollte, dass die Befestigungsklammer 160 aus Sicht eines Fachmannes implizit aus Metall gefertigt wird, fehlt noch der zusätzliche gedankliche Schritt, die metallische Klammer derart auszubilden, dass sie auch die an sich nicht implizit herleitbaren aber weiter beschränkenden Eigenschaften eines beschusssicheren Materials erfüllt. Zudem ist kein Teil der Befestigungsklammer in Form eines Streifens zwischen Glasscheiben angeordnet. Schließlich offenbart D1 keine beschusssichere, an der Karosserie befestigten Einrichtung.
3.2 Der schriftlich vorgetragene, auf D6 beruhende Einwand mangelnder Neuheit ist erstmals mit der Beschwerdebegründung erhoben worden, allerdings ohne Begründung der Beschwerdeführerin, weshalb sie
diesen Neuheitsangriff nicht bereits im Einspruchsverfahren vorgetragen hat.
Zudem wurde mit der Beschwerdebegründung ein weiterer, auf die im Verfahren nicht berücksichtigte Druckschrift D10 beruhender Einwand mangelnder Neuheit vorgetragen.
Die Kammer gelangt zur Entscheidung, die auf D6 und D10 beruhende Einwände mangelnder Neuheit nach Artikel 12(4) VOBK nicht zuzulassen, zumal D10 nicht zum Verfahren gehört und D6 von der Einspruchsabteilung, jedoch ausschließlich wegen der möglichen Relevanz zur Frage der erfinderischen Tätigkeit, berücksichtigt wurde. In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer hat sich die Beschwerdeführerin ohnehin auf den auf D1 gestützten Neuheitseinwand beschränkt.
3.3 Der Aufbau gemäß Anspruch 1 ist daher neu und erfüllt die Erfordernisse der Artikel 100(a) und 54(1) EPÜ.
4. Erdinderische Tätigkeit
Von den mit der Beschwerdebegründung erhobenen Einwänden mangelnder erfinderischer Tätigkeit hat die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die vorläufige Meinung der Kammer ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung auf den auf der Kombination von D4 mit D5 oder D6 beruhenden Einwand beschränkt.
4.1 Der in D4 offenbarte Sicherheitsglasaufbau für Sicherheitskraftfahrzeuge mit einer gepanzerten Scheibe umfasst eine aus Sicherheitsglas bestehende Scheibe (2) oder ein Scheibenpaket (2) aus mindestens zwei aus
Sicherheitsglas bestehenden Verbundscheiben, welche mit einer Außenscheibe (Außenseite 5 in der Figur) verbunden ist. Zudem ist ein L-förmig gestaltetes Panzerelement (7) aus beschusssicheren Material auf einer Randstufe (2'') von Verbundscheiben bzw. an der Randfläche einer weiter nach außen angeordneten Scheibe verklebt (Spalte 2, Zeilen 45 bis 55).
Ferner ist auf den innenliegenden Schenkel (1'') des Türfensterrahmens (1) ein beschusssicheres Stahlelement (8) aufgeschweißt, das in Schließlage der Fahrzeugtür bis nahe zu einem Winkelabschnitt (7'') des Panzerelements (7) erstreckt, so dass das Eindringen von Geschossen in den Fahrzeuginnenraum auch dann vermieden werden, wenn diese schräg auf den Randbereich der Fensterscheibe (2) auftreffen (Figur; Spalte 2, Zeile 56 bis Spalte 3, Zeile 13).
Explizit offenbart D4 aber keine beschusssichere Auskleidung der Karosserie, es ist lediglich das Panzerstahlelement 8 am Türrahmen vorgesehen.
In D4 fehle weiter das wesentliche Erfindungsmerkmal eines zwischen den Glasscheiben angeordneten beschusssicheren Streifens, denn in D4 liegt das Panzerelement (7) lediglich teilweise auf Ränder von Scheiben bzw. gegen den Endbereich einer seitliche Glasscheibenfläche an.
Die Anordnung gemäß D4 befasst sich also mit der Absicherung des Fahrzeugtürbereichs bei geschlossener Tür; der Problematik der Zugänglichkeit im Einstiegsbereich messt D4 keine Bedeutung zu.
4.2 Der beanspruchte Aufbau unterscheidet sich von D4 durch folgende Merkmale:
- die Karosserieteile sind in Richtung zum Fahrgastraum mit beschusssicheren Matten bzw. beschusssicherem Material ausgekleidet,
- das Panzerelement ist in Form eines Streifens ausgebildet und zwischen der Außenscheibe und der Scheibe aus Panzerglas bzw. dem Scheibenpaket und/oder zwischen mindestens zwei Scheiben des Scheibenpakets angeordnet und ragt über das Scheibenpaket oder die Außenscheibe derart hinaus, dass der Streifen den Bereich zwischen der gepanzerten Scheibe und den beschusssicheren Matten oder beschusssicherem Material überlappt.
4.3 Die daraus herleitbare objektive Aufgabe entspricht derjenige, die im Streitpatent, Absatz [0007], zugrunde gelegt wurde, nämlich die durch eine beschusssichere Auskleidung der Fahrzeugkarosserie üblicherweise verursachte Verengung des Einstiegsbereichs zu reduzieren, ohne jedoch die allgemeine Beschusssicherheit zu gefährden.
4.4 Wie bereits dargelegt, enthält D4 keinen Lösungsansatz zum Lösen der gestellten Aufgabe.
4.5 Sowohl D5 als auch D6 betreffen jeweils eine fest einzubauende Glasscheibenstruktur für den Flugzeugbau. Auch wenn der Glasscheibenaufbau von D5 und D6 in gewisser Massen ähnliche Eigenschaften wie beschusssichere Glasscheiben aufweisen vermag, so ist jedoch von ausschlaggebender Bedeutung, dass der in D5 und D6 beschriebene Glasscheibenaufbau bei Flugzeugen in Form von ortsfest eingebauten Fenster eingesetzt wird, und nicht im Einstiegsbereich einer Türöffnung eines gepanzerten Fahrzeugs (D5: Spalte 1, Zeilen 3 bis 16; D6: Seite 1, zweiter Absatz).
Allein schon aufgrund des unterschiedlichen Einsatzes der in D5 und D6 offenbarten Glasscheibenstrukturen hat der Fachmann keinen objektiv nachvollziehbaren Anlass, D5 oder D6 zur Problematik der Beeinträchtigung beim Einstieg/Ausstieg des Türbereichs von einem gepanzerten Fahrzeug überhaupt heranzuziehen.
Zudem weisen die von der Beschwerdeführerin als Nachweis eines beschusssicheren Streifens im Sinne des Streitpatents zitierten Metalleinsätze (21) in D5 und (5) in D6 eine ganz andere Funktion auf.
Der metallische, ringförmige und am Rahmen (23) befestigte Verstärkungseinsatz (21) bei D5 dient als Befestigung- bzw. Aufnahmering für einen Glasscheibenaufbau, vgl. z.B. Anspruch 1 von D5.
Bei D6 wird das Metallband (5) am radial äußeren Umfang der in einer mehrlagigen Scheibenstruktur zwischengelagerten Kunststoffschicht (4) angeordnet, um letztere von Verformungen zu schützen (s. Anspruch 1; Seite 4, Absatz 4).
4.6 Die Kammer ist daher zur Überzeugung gelangt, dass, ohne Vorkenntnis der Erfindung bzw. ohne ex post facto-Betrachtung, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus D4, D5 und D6 herzuleiten ist.
Der beanspruchte Glasscheibenaufbau gemäß dem Hauptantrag beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
5. Da das Patent in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, erübrigt sich eine Entscheidung bezüglich des Hilfsantrags der Beschwerdegegnerin.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.