T 1610/15 09-10-2020
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Zulässigkeit der Beschwerde (ja)
Rechtliches Gehör - Verletzung (nein)
Änderungen - Erweiterung des Patentanspruchs (nein)
Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die am 15. Juni 2015 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 1 861 262 zu widerrufen.
II. Zwei Einsprüche sind gegen das Streitpatent in vollem Umfang eingelegt und mit den Einspruchsgründen nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ und 56 EPÜ (fehlende Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 c) EPÜ begründet worden.
III. Die Einspruchsabteilung kam zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand der erteilten Ansprüche 1 und 18 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe und dass somit der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ einer Aufrechterhaltung des erteilten Patents entgegenstehe. Des Weiteren vertrat sie die Auffassung, dass die Hilfsanträge 1 bis 3 aus folgenden Gründen nicht gewährbar seien:
a) Die Änderung in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 verstoße gegen Regel 80 EPÜ und die Änderung in Anspruch 18 gegen Artikel 123 (2) EPÜ.
b) Die Änderung in den Ansprüchen 1 und 18 des Hilfsantrags 2 verstoße gegen Artikel 123 (2) EPÜ und die Ansprüche 1 und 18 seien nicht klar i.S.v. Artikel 84 EPÜ.
c) Die Änderung in den Ansprüchen 1 und 18 des Hilfsantrags 3 verstoße gegen Artikel 123 (2) EPÜ.
Der in der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag 4 wurde gemäß Artikel 114 (2) EPÜ nicht in das Verfahren zugelassen, da die Einwände wegen unzulässiger Erweiterung im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ prima facie nicht behoben seien.
IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte Beschwerde ein. Mit ihrer Beschwerdebegründung reichte sie Ansprüche gemäß einem neuen Hauptantrag und gemäß neuen Hilfsanträgen 1 bis 9 ein. Sie beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache mit den Ansprüchen gemäß Hauptantrag zur Prüfung der Patentfähigkeit und hilfsweise mit den Ansprüchen gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 9. Weiter hilfsweise beantragte sie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
V. In ihrer Beschwerdeerwiderung vom 7. Oktober 2015 nahm die Beschwerdegegnerin I (Einsprechende 1) zu den Anträgen der Beschwerdeführerin inhaltlich Stellung und beantragte die Zurückweisung der Beschwerde. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung wurde nicht gestellt.
VI. In ihrer Beschwerdeerwiderung vom 8. Februar 2016 nahm die Beschwerdegegnerin II (Einsprechende 2) zu den Anträgen der Beschwerdeführerin inhaltlich Stellung und beantragte die Verwerfung der Beschwerde als unzulässig und hilfsweise die Zurückweisung der Beschwerde. Weiter hilfsweise beantragte sie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
VII. Mit Schreiben vom 14. März 2016 reichte die Beschwerdeführerin Ansprüche gemäß einem neuen Hauptantrag und gemäß neuen Hilfsanträgen 1 bis 4 sowie neue Beschreibungsseiten und Zeichnungen ein. Sie erklärte, dass sie nunmehr ihr Patent im beschränkten Umfang im Rahmen der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 5 bis 9 verteidige und der nunmehrige Hauptantrag daher dem mit ihrer Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag 5 entspreche und die nunmehrigen Hilfsanträge 1 bis 4 den mit ihrer Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträgen 6 bis 9.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache mit den mit Schreiben vom 14. März 2016 als Hauptantrag eingereichten Unterlagen zur Prüfung der Patentfähigkeit und hilfsweise mit den Ansprüchen gemäß einem der mit Schreiben vom 14. März 2016 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4. Weiter hilfsweise beantragte sie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
VIII. Mit Schreiben vom 26. August 2016 erwiderte die Beschwerdegegnerin II, dass, wie bereits in ihrer Beschwerdeerwiderung dargelegt, ein neuer Fall geschaffen werde und ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ vorliege.
IX. Mit einer Mitteilung vom 26. Juli 2019 wurden die Beteiligten zu der für den 19. Mai 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung geladen.
X. In einer auf den 20. April 2020 datierten Mitteilung nach Artikel 15 (1) der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020, ABl. EPA 2019, A63) hat die Kammer ihre vorläufige Beurteilung der Beschwerdesache dahingehend dargelegt, dass die Beschwerde zulässig sei, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, und dass unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falls besondere Gründe vorzuliegen schienen, die im Sinne von Artikel 11 VOBK 2020 für eine Zurückverweisung nach Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ sprechen würden.
XI. Mit Schriftsatz vom 20. April 2020 beantragte die Beschwerdegegnerin II, die für den 19. Mai 2020 anberaumte mündliche Verhandlung aufgrund der im Hinblick auf die Covid-19 Pandemie erschwerten Reisebedingungen zu verlegen.
XII. Mit einer weiteren auf den 29. April 2020 datierten Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Beteiligten mit, dass der anberaumte Verhandlungstermin aufgehoben worden sei. Aufgrund der damit einhergehenden mehrmonatigen Verfahrensverzögerung für die Anberaumung eines neuen Termins wurde es den Beteiligten anheimgestellt, ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zu überdenken, so sie einen gestellt hätten.
XIII. Mit Schreiben vom 28. April 2020, eingegangen am 29. April 2020, nahm die Beschwerdeführerin und mit Schreiben vom 30. April 2020, eingegangen am selben Tag, bzw. vom 24. Juni 2020, eingegangen am 25. Juni 2020, nahmen die Beschwerdegegnerinnen I und II den Antrag auf mündliche Verhandlung zurück, unter der Voraussetzung, dass die Angelegenheit, wie von der Kammer in Aussicht gestellt, zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen werde. Keine der Beteiligten hat inhaltlich zu der auf den 20. April 2020 datierten Mitteilung der Kammer Stellung genommen.
XIV. Der unabhängige Anspruch 1 nach dem Hauptantrag ist identisch mit dem erteilten Anspruch 1 und lautet folgendermaßen:
"Datenseite zur beweglichen Befestigung an einem Träger, insbesondere zur Einbindung in ein Paßbuch, bestehend aus wenigstens zwei dauerhaft verbundenen Schichten aus Kunststoff, wobei die Datenseite zur Befestigung an dem Träger eine zu diesem Zweck besonders ausgebildete Befestigungszone (36) aufweist, wobei zwischen die Schichten (40, 42, 44) ein offenporiges Gewebegitter (50) mit einer im Vergleich zur übrigen Datenseite erhöhten Flexibilität eingearbeitet ist, das über den Rand (26) zumindest einer der Schichten (40, 42, 44) hervorsteht und Teil der Befestigungszone (36) ist,
dadurch gekennzeichnet, daß neben dem Gewebegitter (50) wenigstens eine weitere der Schichten (40, 42) ebenfalls über den Rand (26) zumindest einer der Schichten (40, 42, 44) hervorsteht und Teil der Befestigungszone (36) ist."
XV. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Zulässigkeit der Beschwerde
Es werde bestritten, dass die geänderten unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge 1 bis 4 einen neuen Fall schafften. Vielmehr handle es sich bei den vorgenommenen Änderungen lediglich um Einschränkungen der erteilten Ansprüche. Insofern seien die nun vom Schutzbereich umfassten Gegenstände schon von den erteilten Ansprüchen mitumfasst gewesen.
Hauptantrag, Änderungen
Hinsichtlich der dem Anspruch 1 hinzugefügten Merkmale werde auf die ursprünglich eingereichte Anmeldung, Seite 3, dritter Absatz, verwiesen, wo der Aufbau der Befestigungszone beschrieben werde. Es liege somit kein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ vor.
Behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs
Es sei fraglich, inwieweit sich die Patentinhaberin und nunmehrige Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zu allen Gründen, aus denen der Hauptantrag und die Hilfsanträge zurückgewiesen worden seien, überhaupt habe äußern können. Insbesondere werde darauf hingewiesen, dass sich die konkreten, auf Artikel 84 EPÜ und Artikel 123 (2) EPÜ gestützten Zurückweisungsgründe in der angefochtenen Entscheidung weder den Schriftsätzen der beiden Einsprechenden noch der Mitteilung der Einspruchsabteilung oder dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung entnehmen ließen.
Antrag auf Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
Da sich die angefochtene Entscheidung mit der materiellen Patentfähigkeit der anhängigen Ansprüche noch nicht befasst habe, sei die Sache zur Prüfung an die erste Instanz zurückzuverweisen, damit die geltend gemachten Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ gegebenenfalls durch zwei Instanzen geprüft werden könnten.
XVI. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin I in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 7. Oktober 2015 zu den damaligen Anträgen kann wie folgt zusammengefasst werden:
Änderungen
Das Merkmal "Inlett (32)" im erteilten Anspruch 18 stelle eine unzulässige Erweiterung und damit einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ dar.
Dasselbe Problem bestehe bei den Hilfsanträgen 1 bis 4, da dort das beanstandete Merkmal "Inlett" im jeweiligen nebengeordneten Verfahrens(haupt)anspruch vorkomme. Zu diesen Hilfsanträgen sei festzustellen, dass in den jeweiligen Haupt- und Nebenansprüchen das Merkmal "Inlett (32)" eingefügt sei, das im ursprünglichen und im erteilten Anspruch 1, auf denen die genannten Ansprüche basierten, nicht enthalten sei. Zudem komme eine Schicht mit dem Bezugszeichen "32" im erteilten Anspruch 1 nicht vor, so dass auch hier wegen Verstoßes gegen Artikel 123 (3) EPÜ von einem unzulässigen Aliud auszugehen sei.
In den Hilfsanträgen 5 bis 9 seien lediglich sämtliche Verfahrensansprüche gestrichen. Sie entsprächen inhaltlich den Sachansprüchen gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4. Die erwähnte unzulässige Änderung liege auch bei ihnen vor.
XVII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin II in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 7. Oktober 2015 zu den damaligen Anträgen kann wie folgt zusammengefasst werden:
Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerde sei im Wesentlichen deshalb unzulässig, da die Gegenstände der Verfahrensansprüche des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 9, die mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden seien, in einer Weise geändert worden seien, dass ein neuer Fall geschaffen worden sei, der nicht Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens gewesen sei. Dies verstoße jedoch gegen die Prinzipien der Rechtsprechung der Beschwerdekammern, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung G 1/99, wonach das Beschwerdeverfahren ein Überprüfungsverfahren sei und nicht den Zweck habe, einen vollständig neuen Fall zu beurteilen. Außerdem sei die Beschwerde auch nicht ausreichend begründet, da die Beschwerdeführerin sich nicht mit der Begründung in der angefochtenen Entscheidung bezüglich des Artikels 123 (2) EPÜ im Hinblick auf das Merkmal "Inlett" auseinandergesetzt habe.
Auslegung des erteilten Anspruchs 1
Der Wortlaut "eine weitere der Schichten" sei nicht notwendigerweise auf eine der wenigstens zwei Schichten aus dem Oberbegriff beschränkt, sondern könne auch auf eine zusätzliche Schicht abstellen.
Änderungen im erteilten Anspruch 1
Unter den erteilten Anspruch 1 fielen auch Ausführungsformen, die nicht ursprünglich offenbart gewesen seien. Dies betreffe eine mögliche Ausgestaltung der Datenseite mit genau einer Datenschicht und einer zweiten Schicht, wobei die Datenschicht über den Rand der zweiten Schicht hinausrage. Außerdem sei der Wortlaut "eine weitere der Schichten" nicht notwendigerweise auf eine der wenigstens zwei Schichten aus dem Oberbegriff bezogen, sondern könne auch auf eine zusätzliche Schicht abstellen, was ursprünglich ebenfalls nicht offenbart gewesen sei.
Darüber hinaus offenbare die von der Beschwerdeführerin als Grundlage für die Merkmale des kennzeichnenden Teils angegebene Passage auf Seite 3, Zeilen 17 ff. der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht, dass die weitere der Schichten Teil der Befestigungszone sei.
Folglich stellten die Änderungen des erteilten Anspruchs 1 einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ dar.
1. Anzuwendendes Recht
Die dem Streitpatent zugrundeliegende Anmeldung wurde am 14. März 2006 eingereicht. Deshalb sind im vorliegenden Fall in Anwendung von Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 1, S. 196) und des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 1, S. 197) die Artikel 54 (1) und (2), 56, 100, 111 und 113 EPÜ 1973 weiterhin anzuwenden.
Für die Beurteilung der Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde gelten die Rechtsvorschriften des EPÜ, denn die Zulässigkeit einer Verfahrenshandlung ist auf der Grundlage des zum Zeitpunkt dieser Handlung herrschenden Rechts zu beurteilen (vgl. J 10/07, T 1366/04, T 1279/05).
2. Zulässigkeit der Beschwerde
2.1 Die Bestimmungen der Regel 101 (1) EPÜ legen fest, dass eine Beschwerde dann als unzulässig zu verwerfen ist, wenn sie nicht den Artikeln 106 bis 108 EPÜ, Regel 97 EPÜ, Regel 99 (1) b) oder c) EPÜ oder Regel 99 (2) EPÜ entspricht, es sei denn, dass ein Mangel vor Ablauf der maßgeblichen Frist nach Artikel 108 EPÜ behoben worden ist.
2.2 Die Beschwerdegegnerin II nennt für ihren Einwand der Unzulässigkeit der Beschwerde keine Rechtsgrundlage, jedoch scheint sie sich auf die Vorschriften des Artikels 108 Satz 3 EPÜ und der Regel 99 (2) EPÜ zu beziehen. Letztere sieht vor, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung darzulegen hat, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufzuheben oder in welchem Umfang sie abzuändern ist und auf welche Tatsachen und Beweismittel er seine Beschwerde stützt. Nach der gefestigten Rechtsprechung (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, V.A.2.6.5 c)) kann eine Beschwerdebegründung auch dann als ausreichend angesehen werden, wenn ein neuer Tatbestand vorgebracht wird, der der Entscheidung die rechtliche Grundlage entzieht, insbesondere durch die Einreichung neuer Anspruchssätze. Dem Patentinhaber stehen als Beschwerdeführer in der Regel zwei Möglichkeiten für eine Beschwerdebegründung offen: Entweder greift er die Entscheidung der Einspruchsabteilung so als fehlerhaft an, dass die Beschwerdekammer, folgte sie dem Sachvortrag des Beschwerdeführers, die Entscheidung in allen Punkten aufheben könnte und müsste. Dies setzt seitens des Beschwerdeführers einen schlüssigen Sachvortrag im Hinblick auf alle die Entscheidung tragenden Gründe voraus. Oder aber der Beschwerdeführer legt geänderte Anspruchssätze vor, die den von der Einspruchsabteilung in der Entscheidung gerügten Mängeln aus seiner Sicht Abhilfe zu schaffen geeignet sind. In diesem Fall sind in der Beschwerdebegründung ausreichende Gründe anzugeben, warum die Änderungen geeignet sind, die von der Einspruchsabteilung gerügten Mängel auszuräumen. Dabei kommt es für die Zulässigkeit der Beschwerde nicht darauf an, ob der Vortrag des Beschwerdeführers letztlich überzeugend ist oder ob die geänderten Ansprüche in weiterer Folge von der Kammer ins Verfahren zugelassen werden.
Nach der Rechtsprechung (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, V.A.2) kann die Zulässigkeit einer Beschwerde zudem nur in ihrer Gesamtheit beurteilt werden. Das EPÜ bietet keinerlei Grundlage für die "teilweise Zulässigkeit" einer Beschwerde.
2.3 In Anwendung dieser Rechtsprechung sind die Vorschriften des Artikels 108 Satz 3 EPÜ und der Regel 99 (2) EPÜ in der vorliegenden Beschwerdesache erfüllt. In der Beschwerdebegründung legt die Beschwerdeführerin dar, warum die zugleich vorgelegten geänderten Anspruchssätze geeignet seien, die von der Einspruchsabteilung gerügten Mängel auszuräumen. Dies trifft insbesondere auch auf den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag 5 zu, der dem nunmehrigen Hauptantrag entspricht. Diesbezüglich führt die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung (vgl. Seiten 4 und 8 (unten)) aus, warum ihrer Auffassung nach die Feststellung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung (vgl. Punkt 3.2.2) unrichtig sei.
Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass der vorliegende Hauptantrag nur auf die erteilten Vorrichtungsansprüche 1 bis 17 gerichtet ist. Folglich bleibt das Vorbringen der Beschwerdeführerin diesbezüglich in dem im Einspruchsverfahren abgesteckten faktischen und rechtlichen Rahmen.
2.4 Die Beschwerde erfüllt auch die übrigen Voraussetzungen der Artikel 106 bis 108 und Regel 97 und 99 EPÜ und ist daher zulässig.
3. Hauptantrag, Auslegung
3.1 Die Einspruchsabteilung war der Auffassung (vgl. Punkt 3.1 der angefochtenen Entscheidung), dass das Merkmal "eine weitere der Schichten" im kennzeichnenden Teil vom erteilten Anspruch 1 als eine der mindestens zwei Schichten, die im Oberbegriff des Anspruchs eingeführt werden, zu verstehen sei und nicht als eine zusätzliche Schicht. Das Gewebegitter sah die Einspruchsabteilung als zusätzliches Element der Schichtstruktur der Datenseite an, das nicht zu den "Schichten" gehöre, die im Anspruch 1 genannt werden.
3.2 Die Kammer ist der Auffassung, dass dieses Anspruchsmerkmal schon aufgrund der Formulierung "eine weitere der Schichten" (im Unterschied zu "eine weitere Schicht") Bezug nimmt auf die mindestens zwei Schichten, die im Oberbegriff von Anspruch 1 des Hauptantrags eingeführt werden, zumal der Oberbegriff nicht nur auf die "wenigstens zwei [...] Schichten" abstellt sondern auch auf "den Rand einer der Schichten". In diesem Kontext würde der Fachmann die Formulierung "eine weitere der Schichten" im ersten Merkmal des kennzeichnenden Teils so verstehen, dass dieses die "wenigstens zwei [...] Schichten" aus dem Obergriff betrifft. Dieses Verständnis steht zudem nicht in Widerspruch zu der Beschreibung des Streitpatents.
Damit behält die Kammer die von der Einspruchsabteilung vorgenommene Auslegung von Anspruch 1 bei.
4. Hauptantrag, Änderungen
4.1 Wie oben dargelegt, entspricht der vorliegende Hauptantrag dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag 5 und enthält nur die erteilten Vorrichtungsansprüche 1 bis 17. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe (vgl. Punkt 3.2.2 der angefochtenen Entscheidung).
4.2 Die Kammer entnimmt dem Vorbringen der Beschwerdegegnerin I, dass diese offensichtlich irrtümlicherweise davon ausgegangen ist, dass in den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträgen 5 bis 9 lediglich sämtliche Verfahrensansprüche gestrichen worden sind und dass die Vorrichtungsansprüche dieser Anträge den Vorrichtungsansprüchen der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4 entsprechen, gegen die sie wegen des Merkmals "Inlett (32)" einen Einwand sowohl nach Artikel 123 (2) EPÜ als auch nach Artikel 123 (3) EPÜ erhoben hatte.
Die Kammer stellt dazu fest, dass den Vorrichtungsansprüchen der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4 nur die Vorrichtungsansprüche der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 6 bis 9 entsprechen und dass das Merkmal "Inlett (32)" nur in diesen Vorrichtungsansprüchen vorkommt. "Inlett (32)" ist jedoch kein Merkmal des unabhängigen Anspruchs 1 oder der unabhängigen Ansprüche 2 bis 17 des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags 5, dem der nunmehr vorliegende und mit Schreiben vom 14. März 2016 eingereichte Hauptantrag entspricht. Schon aus diesem Grund kann der auf das Merkmal "Inlett (32)" gestützte Einwand nach Artikel 123 (2) bzw. (3) EPÜ nicht greifen.
Darüber hinaus wird angemerkt, dass die Prüfung der Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ im Hinblick auf die Offenbarung in der gesamten ursprünglichen Anmeldung und nicht nur in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen vorzunehmen ist. Auch führt die Aufnahme eines zusätzlichen strukturellen Merkmals in einen unabhängigen Anspruch in der Regel zu einer Einschränkung des Schutzbereichs und somit nicht zu einem Verstoß gegen die Bestimmungen von Artikel 123 (3) EPÜ.
4.3 Hinsichtlich der Argumente der Beschwerdegegnerin II gegen den erteilten Anspruch 1 ist nach Ansicht der Kammer die Frage, ob unter einen geänderten Anspruch denkbare, aber nicht ursprünglich offenbarte Ausführungsformen fallen, in der Regel kein geeigneter Maßstab für die Prüfung von Änderungen hinsichtlich der Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ bzw. hinsichtlich des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 c) EPÜ 1973 ist. So scheint das vorliegend genannte fiktive Beispiel mit genau einer Datenschicht und einer zweiten Schicht auch unter den ursprünglich eingereichten Anspruch 1 zu fallen. Jedoch stellt der Wortlaut des Artikels 100 c) EPÜ 1973 bzw. des Artikels 123 (2) EPÜ nicht auf den Schutzbereich des Anspruchs ab, sondern darauf, ob der Gegenstand der Ansprüche des Patents wie erteilt bzw. des Patents in geänderter Fassung über den Inhalt der (gesamten) Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
4.4 Im vorliegenden Fall sieht die Beschwerdeführerin den Gegenstand von Anspruch 1 nach dem Hauptantrag als eine Kombination des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 mit dem dritten Absatz auf Seite 3 der ursprünglich eingereichten Beschreibung an. Letzterer offenbart, dass
"zur Erhöhung der Festigkeit der Befestigungszone zusammen mit dem Gewebegitter wenigstens eine Schicht der Schichtstruktur über den Rand der Datenseite herausgeführt [wird]. In einer besonders vorteilhaften Weiterbildung der Erfindung ist vorgesehen, die als Befestigungszone herausgeführten Schichten einem Preßvorgang zu unterziehen, um die Stärke der Befestigungszone zu verringern."
Diese Offenbarungsquelle zeigt, dass neben dem Gewebegitter (50) wenigstens eine weitere der Schichten (40, 42) ebenfalls über den Rand (26) zumindest einer der Schichten (40, 42, 44) hervorsteht und Teil der Befestigungszone (36) ist.
4.5 Hinsichtlich der von der Beschwerdegegnerin II vorgenommenen Auslegung des Wortlauts "eine weitere der Schichten" im Anspruch 1 wird auf Punkt 3.2 oben verwiesen.
4.6 Aus den oben genannten Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ sind mithin erfüllt.
Da der Anspruch 1 nach dem vorliegenden Hauptantrag dem Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung entspricht, liegt keine Erweiterung des Schutzbereichs des erteilten Patents und damit auch kein Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ vor.
5. Behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs
5.1 Die Beschwerdeführerin sieht es als fraglich an, ob sie sich in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zu allen Gründen, aus denen der damalige Hauptantrag und die damaligen Hilfsanträge zurückgewiesen worden seien, überhaupt habe äußern können.
5.2 Die Kammer stellt hierzu fest, dass die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung (vgl. Punkte 3.2.1, 3.2.2, 3.3, 3.4.1 und 3.5) darlegt, warum sie den damaligen Hauptantrag und die damaligen Hilfsanträge 1 bis 3 im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ als nicht gewährbar angesehen hat und warum sie den diesbezüglichen Argumenten der Beschwerdeführerin nicht gefolgt ist. Auch hinsichtlich ihrer Entscheidung, den damaligen Hilfsantrag 4 nicht zuzulassen, setzt sie sich mit dem diesbezüglichen Vortrag der Beschwerdeführerin auseinander (vgl. Punkt 3.6). Dies belegt, dass die Beschwerdeführerin die Gelegenheit hatte, sich im Einspruchsverfahren zu diesen Punkten zu äußern und dass sie dies offenbar auch getan hat.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinne von Artikel 113 (1) EPÜ 1973 liegt somit nicht vor.
6. Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
In der angefochtenen Entscheidung hat sich die Einspruchsabteilung nicht mit den von den Einsprechenden geltend gemachten Einspruchsgründen nach Artikel 100 a) i.V.m Artikel 54 bzw. 56 EPÜ auseinander gesetzt, weshalb die Beschwerdeführerin die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Vorinstanz zur Prüfung der Patentfähigkeit beantragt. Vor diesem Hintergrund haben sich auch die Beschwerdegegnerinnen in ihren jeweiligen Beschwerdeerwiderungen nicht bzw. nicht umfassend zu den Fragen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit geäußert.
Unter diesen Umständen liegen besondere Gründe vor, die im Sinne von Artikel 11 VOBK 2020, der gemäß Artikel 25 (1) VOBK 2020 vorliegend anzuwenden ist (die Ausnahmebestimmungen gemäß Artikel 25 (2) und (3) VOBK 2020 greifen nicht), für eine Zurückverweisung nach Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ 1973 sprechen.
Daher erachtet es die Kammer als angemessen, die Angelegenheit nach Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ 1973 zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
7. Teilweise Rückzahlung der Beschwerdegebühr
7.1 Am 1. April 2020 ist die neu gefasste Regel 103 EPÜ in Kraft getreten (siehe Artikel 1 und Artikel 2 (1) des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 12. Dezember 2019 zur Änderung der Regel 103 der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen (CA/D 14/19, ABl. EPA 2020, A5). Nach Artikel 2 (2) dieses Beschlusses gilt die neu gefasste Regel 103 EPÜ für bei ihrem Inkrafttreten anhängige Beschwerden und daher auch für die vorliegende Beschwerde.
Regel 103 (4) c) EPÜ sieht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr in Höhe von 25 % vor, wenn ein etwaiger Antrag auf mündliche Verhandlung innerhalb eines Monats ab Zustellung einer von der Beschwerdekammer zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erlassenen Mitteilung zurückgenommen wird und keine mündliche Verhandlung stattfindet. Ein Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist gemäß Regel 103 EPÜ nicht erforderlich.
7.2 Im vorliegenden Fall nahm die Beschwerdeführerin am 29. April 2020 und damit innerhalb eines Monats nach Zustellung der auf den 20. April 2020 datierten ersten Mitteilung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 ihren Antrag auf mündliche Verhandlung schriftlich zurück. Auch die am 30. April 2020 eingegangene schriftliche Erklärung der Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung seitens der Beschwerdegegnerin I erfolgte innerhalb dieser Frist.
Die Beschwerdegegnerin II hingegen nahm erst am 25. Juni 2020 ihren Antrag auf mündliche Verhandlung schriftlich zurück. Damit erfolgte diese Rücknahme nach Ablauf der einmonatigen Frist nach Regel 103 (4) c) EPÜ, deren Lauf gemäß Artikel 120 b) i.V.m. Regel 131 (2) EPÜ mit der Zustellung der ersten Mitteilung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 ausgelöst wurde. Selbst wenn der Lauf der einmonatigen Frist nach Regel 103 (4) c) EPÜ durch die Zustellung der auf den 29. April 2020 datierten zweiten Mitteilung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 erneut ausgelöst wurde, wäre auch dann die Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung am 25. Juni 2020 seitens der Beschwerdegegnerin II erst nach Ablauf dieser (zweiten) einmonatigen Frist erfolgt. Daher kann vorliegend die Frage, ob die Frist nach Regel 103 (4) c) EPÜ durch jede vorbereitende Mitteilung der Kammer erneut ausgelöst wird, dahingestellt bleiben.
Nach Ansicht der Kammer wirkt sich die verspätete Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung der Beschwerdegegnerin II nicht nachteilig für die Beschwerdeführerin aus. Nach dem Wortlaut von Regel 103 (4) c) EPÜ ist es nicht Voraussetzung, dass alle vorliegenden Anträge auf mündliche Verhandlung innerhalb eines Monats ab Zustellung einer von der Beschwerdekammer zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erlassenen Mitteilung zurückgenommen werden. Es reicht vielmehr aus, dass ein Antrag auf mündliche Verhandlung fristgerecht zurückgenommen wird, damit die erste Voraussetzung für eine anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 103 (4) c) EPÜ erfüllt ist. Dies ist hier der Fall.
7.3 Die zweite Voraussetzung der Regel 103 (4) c) EPÜ ist, dass keine mündliche Verhandlung stattfindet.
Die von allen Beteiligten erklärten Rücknahmen des Antrags auf mündliche Verhandlung erfolgten unter der Voraussetzung, dass die Angelegenheit, wie von der Kammer in Aussicht gestellt, zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen werde. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt (siehe Punkt 6 oben). Da somit kein Antrag auf mündliche Verhandlung mehr vorliegt, kann nach Artikel 12 (8) VOBK 2020, der gemäß Artikel 25 (1) VOBK 2020 vorliegend anzuwenden ist, die vorliegende Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung auf der Grundlage des schriftlichen Vorbringens der Beteiligten ergehen. Daher ist auch die zweite Voraussetzung der Regel 103 (4) c) EPÜ vorliegend erfüllt.
7.4 Da sämtliche Voraussetzungen der Regel 103 (4) c) EPÜ vorliegend erfüllt sind, ist der Beschwerdeführerin die Beschwerdegebühr in Höhe von 25% zurückzuerstatten.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
3. Der Beschwerdeführerin ist die Beschwerdegebühr in Höhe von 25% zurückzuerstatten.