T 0193/87 (Verspätet eingereichte Übersetzung) 13-06-1991
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Übersetzung der Einspruchsschrift nicht rechtzeitig eingereicht
Einspruch nicht existent - keine Prüfung auf Zulässigkeit
Einspruchsgebühr zurückgezahlt
I. Der Hinweis auf die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 039 319 auf die am 9. April 1981 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 81 850 063.9 wurde am 4. September 1985 bekanntgemacht. Die Einspruchsfrist lief demnach am 4. Juni 1986 ab.
II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende II) reichte am 29. Mai 1986 eine Einspruchsschrift in niederländischer Sprache ein und entrichtete gleichzeitig die entsprechende Gebühr.
III. Da die in Artikel 14 (4) und Regel 1 (1) EPÜ vorgeschriebene Übersetzung der Einspruchsschrift nicht vor Ablauf der Einspruchsfrist und nicht innerhalb eines Monats nach Einreichung der Einspruchsschrift (Regel 6 (2) EPÜ) eingereicht wurde, teilte der Formalsachbearbeiter der Einspruchsabteilung der Beschwerdeführerin am 5. August 1986 gemäß Regel 56 (1) EPÜ (mit Formblatt 2305.2) mit, daß der Einspruch aufgrund dieses Mangels voraussichtlich als unzulässig verworfen werde.
IV. Am 26. September 1986 reichte die Beschwerdeführerin eine Übersetzung der Einspruchsschrift in englischer Sprache ein und legte gleichzeitig eine Stellungnahme zur Mitteilung des Formalsachbearbeiters vom 5. August 1986 vor, die wie folgt zusammengefaßt werden kann:
- Die Einreichung der Übersetzung in einer Amtssprache des EPA sei in Regel 1 (1) Satz 2 EPÜ vorgeschrieben; insoweit finde Regel 56 (1) EPÜ Anwendung.
- Die Frist für die Einreichung dieser Übersetzung sei in Regel 6 (2) EPÜ festgelegt; bei Versäumung dieser Frist komme Regel 56 (2) EPÜ zur Anwendung.
- Die in der Mitteilung angekündigte Rechtsfolge könne nicht eintreten, weil der Formalsachbearbeiter der Einspruchsabteilung der Einsprechenden statt der Mitteilung nach Regel 56 (1) EPÜ eine Mitteilung nach Regel 56 (2) EPÜ mit der Aufforderung hätte zusenden müssen, den Mangel innerhalb einer bestimmten Frist zu beseitigen.
- Hilfsweise beantragte die Beschwerdeführerin die Anwendung der Regel 88 EPÜ.
V. Mit Entscheidung vom 11. März 1987 verwarf die Formalprüfungsstelle im Namen der Einspruchsabteilung den Einspruch gemäß Regel 56 (1) EPÜ als unzulässig.
Diese Entscheidung wurde im wesentlichen wie folgt begründet:
1. Die Übersetzung der Einspruchsschrift in englischer Sprache sei nicht innerhalb der in Regel 6 (2) Satz 2 EPÜ vorgeschriebenen Frist eingereicht worden; deshalb gelte die Einspruchsschrift als nicht eingegangen (Art. 14 (5) EPÜ).
2. Somit sei Artikel 99 (1) EPÜ nicht erfüllt, weshalb die in Regel 56 (1) EPÜ vorgeschriebene Rechtsfolge eintrete, nämlich die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig.
3. Regel 88 EPÜ sei nicht anwendbar, weil die Aufnahme von Zitaten aus der in der Verfahrenssprache abgefaßten Patentschrift in die in niederländischer Sprache gehaltene Einspruchsschrift nicht bedeute, daß das Schriftstück in den englischen oder enthalte.
VI. Am 8. Mai 1987 legte die Beschwerdeführerin unter Entrichtung der Beschwerdegebühr gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.
Am 9. Juli 1987 reichte sie eine Beschwerdebegründung ein, in der sie folgendes vorbrachte:
a) Da die in Regel 56 (1) EPÜ genannten Bedingungen erfüllt seien, gebe es für eine Verwerfung des am 29. Mai 1986 eingereichten Einspruchs keine echte Grundlage.
b) Die Einspruchsabteilung hätte entscheiden sollen, daß die Versäumung der Frist für die Einreichung der Übersetzung der Einspruchsschrift einen Mangel nach Regel 56 (2) EPÜ darstelle, der der Beschwerdeführerin mit der Aufforderung hätte mitgeteilt werden müssen, ihn innerhalb einer bestimmten Frist zu beseitigen.
VII. Die Kammer erklärte in ihrem Bescheid vom 11. September 1990, daß nach ihrer vorläufigen Auffassung die Nichteinreichung der vorgeschriebenen Übersetzung der Einspruchsschrift innerhalb der in Regel 6 (2) EPÜ festgelegten Frist nicht als Mangel angesehen werden könne, der gemäß Regel 56 (2) EPÜ beseitigt werden könne. Außerdem wurde darauf hingewiesen, daß im vorliegenden Fall Artikel 14 (5) EPÜ zur Anwendung komme und somit die Einspruchsschrift als nicht eingegangen gelte.
VIII. In ihrer Erwiderung vom 12. November 1990 auf diese Mitteilung und in der mündlichen Verhandlung am 13. Juni 1991 focht die Beschwerdeführerin diese Auffassung an. Insbesondere brachte sie vor, daß mit dem in Artikel 14 (2) und (4) EPÜ festgeschriebenen Recht auf Einreichung von Schriftstücken in einer anderen Sprache als der Verfahrenssprache ein Ausgleich für diejenigen geschaffen werden sollte, die sich im Verfahren einer Fremdsprache bedienen müßten und dadurch denjenigen gegenüber benachteiligt seien, deren Muttersprache eine der Amtssprachen, also Deutsch, Englisch oder Französisch, sei. Dieser Nachteil werde aber nicht voll ausgeglichen, weil die in Artikel 14 (2) EPÜ genannten Personen tatsächlich zwei Fristen einhalten müßten, nämlich die Frist für die Einreichung des Schriftstücks und diejenige für die Einreichung der Übersetzung, wobei die Gefahr bestehe, daß die zweite Frist - wie im vorliegenden Fall geschehen - unbemerkt verstreiche. In diesem Zusammenhang brachte die Beschwerdeführerin vor, daß die Notwendigkeit einer Beseitigung der beispielsweise die niederländische Sprache betreffenden Diskriminierung ein Grund dafür sein sollte, die Frist für die Einreichung der Übersetzung der Einspruchsschrift zu verlängern.
Mit Hinweis auf die Regel 6 (2) EPÜ bestritt die Beschwerdeführerin, daß diese Bestimmung implizit in Regel 56 (1) EPÜ enthalten sei. Es gebe einen engen logischen und rechtlichen Zusammenhang zwischen Regel 6 (2) und Artikel 14 (4) EPÜ einerseits sowie Regel 1 (1) und Artikel 14 (4) EPÜ andererseits, zwischen Regel 6 (2) und Regel 1 (1) EPÜ bestehe jedoch keine enge logische und rechtliche "Querverbindung". Daher könne die Bezugnahme auf die Regel 1 (1) in Regel 56 (1) EPÜ keinen impliziten Hinweis auf die Regel 6 (2) EPÜ enthalten.
Daß in Regel 56 (1) EPÜ auf Regel 1 (1) und nicht auf Artikel 14 (5) verwiesen werde, sei ein klarer Beweis dafür, daß die Verfasser die Rechtsfolgen des Artikels 14 (5) nicht im Auge gehabt hätten. Die unterschiedliche Formulierung lege jedenfalls nahe, daß das in Artikel 14 (5) EPÜ verwendete "in due time" (rechtzeitig) nicht mit dem in Absatz 4 desselben Artikels gebrauchten "within the time limit" (innerhalb einer ... Frist) gleichgesetzt werden dürfe. Der englische Begriff "in due time" (rechtzeitig) entspreche eher dem Begriff "good time" (rechtzeitig) in Regel 56 (2) EPÜ.
IX. In der mündlichen Verhandlung wurden folgende Anträge gestellt:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende II) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ihren Einspruch für zulässig zu erachten.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und die Kosten für die mündliche Verhandlung der Beschwerdeführerin aufzuerlegen.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. In der Beschwerde geht es um die Frage, ob die Beschwerdeführerin als Person im Sinne des Artikels 14 (2) EPÜ, die einen Einspruch in der Amtssprache eines Vertragsstaats eingereicht hat, die nicht Deutsch, Englisch oder Französisch ist, vom Formalsachbearbeiter der Einspruchsabteilung, als dieser festgestellt hatte, daß die Übersetzung der Einspruchsschrift in einer der Amtssprachen des EPA nicht rechtzeitig eingereicht worden war, auch nach Ablauf der in Regel 6 (2) EPÜ vorgesehenen Frist gemäß Regel 56 (2) EPÜ hiervon hätte unterrichtet und aufgefordert werden müssen, den Mangel innerhalb einer bestimmten Frist zu beseitigen.
3. Zur Beantwortung dieser Frage sind einige allgemeine Bemerkungen zu der im EPÜ festgelegten Sprachenregelung erforderlich.
3.1 Die geltenden Bestimmungen beruhen - wie bei vielen anderen internationalen Verträgen auch - auf einem Kompromiß, der den Interessen der Anmelder, der Wettbewerber und der Vertragsstaaten Rechnung trägt, ohne den reibungslosen Ablauf der Verfahren vor dem EPA zu beeinträchtigen.
Die allgemeinen Grundsätze dieses Kompromisses lauten wie folgt:
a) Die Amtssprachen des EPA werden auf drei Sprachen beschränkt, nämlich Deutsch, Englisch und Französisch: Damit können Anmelder für die Einreichung und Bearbeitung ihrer europäischen Patentanmeldungen eine dieser drei Sprachen wählen.
b) Die Bearbeitung und Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldungen und die Erteilung europäischer Patente erfolgen in einer einzigen Sprache, nämlich in derjenigen der drei Amtssprachen des EPA, für die sich der Anmelder entscheidet und die im EPÜ als die Verfahrenssprache bezeichnet wird.
Alle Schriftstücke zu europäischen Patentanmeldungen, die beim EPA eingehen oder von ihm versandt werden, müssen in der Verfahrenssprache abgefaßt sein.
3.2 Die Benachteiligung der Anmelder, deren Muttersprache nicht Deutsch, Englisch oder Französisch ist, wurde durch besondere Bestimmungen im EPÜ zum Teil wieder beseitigt:
a) Personen mit Wohnsitz oder Sitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats, in dem eine andere Sprache als Deutsch, Englisch oder Französisch Amtssprache ist, und die Angehörigen dieses Staats mit Wohnsitz im Ausland können europäische Patentanmeldungen und fristgebundene Schriftstücke in einer Amtssprache dieses Staats einreichen (Art. 14, Absätze 2 und 4 EPÜ);
b) Macht ein Anmelder von den durch Artikel 14 (2) und (4) EPÜ eröffneten Möglichkeiten Gebrauch, so werden dementsprechend die Anmeldegebühr, die Prüfungsgebühr, die Einspruchsgebühr und die Beschwerdegebühr ermäßigt (Regel 6 (3) EPÜ).
c) Die in Artikel 14 (2) EPÜ genannten Personen erhalten die Möglichkeit, auf die ursprünglich eingereichte Fassung zurückzugreifen, wenn die Übersetzung enger ist als diese.
4. Wie bereits erwähnt, ermöglicht es Artikel 14 (4) EPÜ den in Artikel 14 (2) EPÜ genannten Personen, fristgebundene Schriftstücke in einer Amtssprache ihres Staats einzureichen, sofern sie innerhalb der in der Ausführungsordnung vorgeschriebenen Frist eine Übersetzung in der Verfahrenssprache nachreichen. Außerdem gilt nach Regel 1 (1) EPÜ (in der bis 31. Mai 1991 geltenden Fassung) für Einsprechende und einem Einspruchsverfahren beitretende Dritte eine ziemlich liberale Sprachenregelung: Da der Einsprechende nicht nur im eigenen, sondern auch im öffentlichen Interesse handelt, ist er nicht auf die Verfahrenssprache beschränkt, sondern kann Schriftstücke oder die erforderliche Übersetzung in jeder Amtssprache des EPA einreichen. Die Frist für die Einreichung der in Artikel 14 (4) EPÜ genannten Übersetzung beträgt einen Monat nach Einreichung des Schriftstücks in der Fremdsprache und verlängert sich gegebenenfalls bis zum Ablauf der Einspruchs- oder Beschwerdefrist, wenn das Schriftstück ein Einspruch oder eine Beschwerde ist (Regel 6 (2) EPÜ).
Welche Folgen die verspätete Vorlage einer Übersetzung eines nicht zu den Unterlagen der europäischen Patentanmeldung gehörenden Schriftstücks, beispielsweise eines Einspruchs, hat, ist in Artikel 14 (5) EPÜ eindeutig festgelegt: "Wird ein Schriftstück, das nicht zu den Unterlagen der europäischen Patentanmeldung gehört, nicht in der in diesem Übereinkommen vorgeschriebenen Sprache eingereicht oder wird eine Übersetzung, die in diesem Übereinkommen vorgeschrieben ist, nicht rechtzeitig eingereicht, so gilt das Schriftstück als nicht eingegangen."
Somit kann die oben genannte liberale Regelung in bezug auf die Sprache, in der Schriftstücke eingereicht werden dürfen, nicht dazu führen, daß - beispielsweise durch die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Anwendung des Verfahrens nach Regel 56 (2) EPÜ - die Frist nach Regel 6 (2) EPÜ überschritten wird, innerhalb welcher die Übersetzung eines Schriftstücks einzureichen ist.
Im vorliegenden Fall wurde der in niederländischer Sprache abgefaßte Einspruch gegen das erteilte europäische Patent am 29. Mai 1986 und die englische Übersetzung am 26. September 1986, also nach Ablauf der in Regel 6 (2) EPÜ festgelegten Frist von einem Monat und auch nach Ablauf der in Artikel 99 (1) EPÜ festgelegten Frist von neun Monaten, eingereicht mit der gemäß Artikel 14 (5) EPÜ vorgesehenen Rechtsfolge, daß der Einspruch als nicht eingegangen gilt (siehe in diesem Zusammenhang die Entscheidung T 323/87, ABl. EPA 1989, 343 in einem ähnlichen Fall).
5. Im Gegensatz zu der in der angefochtenen Entscheidung geäußerten Meinung, daß der Einspruch unzulässig sei, und auch entgegen den Weisungen in den Prüfungsrichtlinien D-IV, 1.2.2.1 b), wonach ein Fall wie der vorliegende nach Regel 56 (1) EPÜ als unzulässig zu verwerfen ist, vertritt die Kammer die Auffassung, daß diese Regel nicht angewandt werden kann, wenn der Einspruch - wie im vorliegenden Fall - als nicht eingegangen gilt und somit kein Einspruch vorliegt, dessen Zulässigkeit nach Regel 56 EPÜ geprüft werden könnte.
6. Da, wie aus den vorstehenden Überlegungen hervorgeht, im vorliegenden Fall weder Regel 56 (1) noch Regel 56 (2) EPÜ angewandt werden könnte, sind die diesbezüglichen Argumente der Beschwerdeführerin (siehe Nrn. IV, VI und VIII dieser Entscheidung) hinfällig und brauchen somit nicht im einzelnen geprüft zu werden.
7. Da der Einspruch als nicht eingegangen gilt und damit kein Einspruch eingelegt worden ist, ist folglich die Einspruchsgebühr grundlos entrichtet worden und daher zurückzuzahlen.
8. Schließlich wird der Antrag der Beschwerdegegnerin abgelehnt, der Beschwerdeführerin die Kosten für die mündliche Verhandlung aufzuerlegen.
Was Artikel 104 (1) EPÜ anbelangt, so vermag die Kammer im vorliegenden Fall keine Billigkeitsgründe zu erkennen, die eine solche Kostenverteilung rechtfertigen würden; auch hat die Beschwerdegegnerin keine Belege hierfür beigebracht. Es ist kein Mißbrauch des Rechts auf mündliche Verhandlung ersichtlich, das nach Artikel 116 (1) EPÜ allen Beteiligten zusteht.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der Einspruch der Beschwerdeführerin gilt als nicht eingelegt.
3. Die von der Beschwerdeführerin entrichtete Einspruchsgebühr ist zurückzuzahlen.
4. Der Kostenantrag wird zurückgewiesen.
5. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.