T 0150/89 29-04-1991
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Vorrichtung zum Überbrücken der Fuge zwischen zwei Teilen eines Bauwerks
Inventive step (yes)
Correction of errors aud omissions in the
specification of the patent
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Berichtigung von Druckfehlern und Auslassungen in
Patentschriften
I. Auf den Gegenstand der am 30. Oktober 1981 angemeldeten europäischen Patentanmeldung Nr. 81 109 441.6 ist am 15. Januar 1986 das vier Patentansprüche umfassende europäische Patent Nr. 0 056 105 erteilt worden.
Der erteilte Anspruch 1 lautet:
"Vorrichtung zum Überbrücken der Fuge zwischen zwei Teilen eines Bauwerks, insbesondere einer Dacheindeckung oder einer Dachrandeinfassung, mit einem aus gummieelastischem Material (Kunstgummi) hergestellten Mittelstreifen (1) und zwei Blechrandstreifen (3), die mit den beidseitig der Fuge liegenden Teilen des Bauwerks zu verbinden sind, sowie mit einer über dem Mittelstreifen (1) vorgesehenen Blechabdeckung (9), die längs der Oberseite und des Mittelbereichs des Kunstgummimittelstreifens (1) auf diesen aufvulkanisiert ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Blechabdeckung (9) durchgehend über die ganze Länge der Vorrichtung mit einer Breite (5), die wesentlich schmaler als der Bereich zwischen den Innenkanten (3b) der Blechrandstreifen (3) ist, aufvulkanisiert ist."
II. Gegen das erteilte Patent hat die jetzige Beschwerdeführerin (vormals Einsprechende) Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents u. a. wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf das bereits im Prüfungsverfahren betrachtete Dokument
(1) DE-A-2 531 695 (CH-A-596 407) beantragt.
Durch Entscheidung vom 5. Dezember 1988 hat die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 25. Januar 1989, unter gleichzeitiger Entrichtung der Gebühr, Beschwerde eingelegt und diese mit Schreiben vom 1. April 1989 begründet.
In der Beschwerdebegründung und in einer weiteren, am 28. November 1989 eingegangenen Mitteilung brachte sie im wesentlichen folgendes vor:
(i) Eine von dem bekannten Stand der Technik (1) ausgehende Aufgabe sei aus dem Streitpatent nicht ersichtlich. Sie solle zunächst einmal klar definiert werden.
(ii) Die Einspruchsabteilung habe sich bei ihrer Würdigung des Inhalts des Dokuments (1) zu eng an den Wortlaut des Texts angelehnt. Es sei für den Fachmann eine glatt selbstverständliche Handlung, in Dokument (1) die Zahl der Haftpunkte, deren Durchmesser schmaler ist als der Abstand zwischen den Rändern der Blechstreifen, in Längsrichtung so zu erhöhen, daß die Lehre von Figur 2 beim Nacharbeiten den Fachmann zwangsläufig zur erfindungsgemäßen Lösung führe.
IV. Mit Schriftsatz vom 11. September 1989 widersprach die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) den Vorträgen der Beschwerdeführerin bezüglich des Dokuments (1) und vertrat u. a. die Auffassung, daß eine durchgehende Haftung über die ganze Länge der Vorrichtung der ausdrücklichen Lehre von Dokument (1) widerspreche, wonach eben gerade nur eine stellenweise Haftung vorgesehen sein dürfe, um die freie Beweglichkeit in Längsrichtung zu ermöglichen.
V. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Berichtigung Hierzu ist festzuhalten, daß die druckfehlerbedingt berichtigte Fassung der Patentschrift (vgl. Europäisches Patentblatt 1986/42, S. 323) von der Fassung gemäß Erteilungsbeschluß vom 21. November 1985 und von der ersten Fassung der Patentschrift (Veröffentlichungsnummer 0 056 105, Europäisches Patentblatt 1986/3, S. 240) abweicht. Es fehlt in der berichtigten Patentschrift der letzte Absatz der Beschreibung (Spalte 6, Absatz 4 der ersten Patentschrift), welcher der Seite 9 der Fassung gemäß Erteilungsbeschluß entspricht. Da der Berichtigungsentscheidung vom 7. April 1986 keinerlei Anhaltspunkt für eine gewollte Entfernung dieses Absatzes zu entnehmen ist und eine solche auch sachlich nicht begründet wäre, muß es sich um einen bei der Berichtigung entstandenen Druckfehler handeln. Im folgenden wird daher, von der vollständigen Fassung, wie erteilt, d. h. einschließlich des genannten Passus, ausgegangen.
Daß die Parteien die Nichtübereinstimmung der beiden Fassungen der Patentschriften nicht bemerkten, ist nicht erstaunlich, weil sich die lückenhaft neugedruckte Patentschrift im Deckblatt in keiner Weise von der ursprünglichen Patentschrift unterscheidet. Es ist jedoch irreführend, wenn nicht identische Patentschriften mit identischen Deckblättern versehen werden. Wie bei zum Beweis rechtserheblicher Tatsachen geeigneten Dokumenten zwecks Bestimmung der gültigen Fassung geboten und gemeinhin üblich, lassen sich solche Identifikationsprobleme mit einem datierten Berichtigungsvermerk in bzw. direkt auf dem veränderten Exemplar vermeiden.
Derartige beim Druck entstandene Textauslassungen werden in der Regel administrativ erledigt (vgl. als Beispiel T 309/85 vom 8. Dezember 1987; Singer R., Europ. Patentübereinkommen, Köln 1989, N5 zu Art. 98 EPÜ). Der Erteilungsbeschluß legt Bestand und Inhalt des Patents rechtsverbindlich fest (Art. 97 EPÜ). Die Patentschrift ist eine Wiedergabe desselben (Art. 98 EPÜ). Als ein behördlich ausgestelltes, für die Öffentlichkeit bestimmtes Dokument ist die Patentschrift beweistauglich. Es können dafür somit keine anderen Berichtigungskriterien gelten als sie auf den Erteilungsbeschluß selbst gemäß Regel 89 EPÜ Anwendung finden. Regel 89 betrifft nicht sachliche bzw. materielle Erwägungen und Korrekturen (vgl. Singer, ebenda). Lediglich offenbare Unrichtigkeiten sind der Berichtigung nach Regel 89 zugänglich. Um eine solche handelt es sich auch hier. Berichtigungen nach Regel 89 sind auf Antrag oder von Amts wegen vorzunehmen. Die Patentschrift ist daher mit dem Inhalt des Erteilungsbeschlusses vom 21. November 1985 in Übereinstimmung zu bringen, und es ist sowohl im Falle des Neudrucks als auch in jenem der Berichtigung mittels Korrigendum, worüber die erste Instanz, gegebenenfalls deren zuständiger Formalprüfer, zu entscheiden hat, in bzw. direkt auf der Patentschrift deutlich auf die vorgenommene Berichtigung hinzuweisen.
3. Nächstkommender Stand der Technik Nächstkommender Stand der Technik ist unbestritten das in der Beschreibungseinleitung des Patents (Spalten 1, 3 bzw. 4) gewürdigte Dokument (1), da aus diesem Dokument (insb. Fig. 2) eine Vorrichtung zum Überbrücken der Fuge zwischen zwei Teilen eines Bauwerks, insbesondere einer Dacheindeckung oder einer Dachrandeinfassung, mit einem aus gummielastischem Material hergestellten Mittelstreifen 3' und zwei Blechrandstreifen 1', die mit den beidseitig der Fuge liegenden Teilen des Bauwerks zu verhindern sind, sowie mit einer über dem Mittelstreifen vorgesehenen Blechabdeckung 2', die längs der Oberseite und des Mittel- bereichs des Kunstgummimittelstreifens 3' auf diesem aufvulkanisiert ist, d. h. mit sämtlichen Mermalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1 bekannt ist.
4. Aufgabe und Lösung Nachteilig an der bekannten Vorrichtung ist es hauptsächlich, daß nach dem Abnehmen der Dachabdeckung keine Möglichkeit einer Kontrolle der Gummi-Metall- Verbindung besteht. Infolge der Papierzwischenlage, die sich seitlich unter die Blechrandstreifen erstreckt, befinden sich dort nicht haftende Taschen (Breitenbereich B). Der außerhalb dieser Taschen liegende Vulkanisierungsbereich zwischen Gummi und Metall ist also selbst nach dem Abnehmen der Blechabdeckung nicht für eine Kontrolle zugänglich (vgl. Spalte 3, Zeilen 45-58 des Patents).
Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß Sand, Schmutz und andere Fremdkörper in diese Taschen eindringen und sich durch die ständigen Dehnungsbewegungen in den Vulkanisierungsbereich zwischen Gummi und Metall einarbeiten, wodurch die Verbindung beschädigt werden kann (vgl. von Spalte 3, Zeile 59 bis Spalte 4, Zeile 3).
Daher liegt der Erfindung die technische Aufgabe zugrunde, die Vulkanisationsverbindung zwischen den Blechrandstreifen und dem Kunstgummimittelstreifen von Zeit zu Zeit auf Dichtheit überprüfen zu können (vgl. Spalte 1, Zeilen 25 bis 29).
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin (III (i)) ist somit die Kammer der Meinung, daß im Hinblick auf das Dokument (1) die der Erfindung zugrunde liegende objektive Aufgabe in dem Streitpatent klar formuliert ist.
Die Lösung dieser Aufgabe besteht nach den Angaben im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 darin, daß a) die Blechabdeckung 9 durchgehend über die ganze Länge der Vorrichtung aufvulkanisiert ist, b) wobei die Vulkanisierbreite 5 wesentlich schmaler als der Bereich zwischen den Innenkanten 3b der Blechrandstreifen 3 ist.
Damit wird die Möglichkeit erreicht, nach dem Vorlegen der Vorrichtung die Blechabdeckung zu Kontrollzwecken jederzeit leicht abnehmen und wieder anbringen zu können.
5. Neuheit Gegenüber der Ausführung gemäß Figur 2 von Dokument (1), wonach die Blechabdeckung nur stellenweise (d. h. mit Unterbrechungen, durch Befestigungspunkte 5') auf den Gummimittelstreifen aufvulkanisiert ist (vgl. Seite 6, zweiter Absatz), ist die Lösung nach Merkmalen a) und b) des Anspruchs 1 des Patents unbestritten neu.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1. Wie im obigen Punkt 4 ausgeführt, ist bei der bekannten Ausführung angesichts der Papierzwischenlage eine Kontrolle der Dichtheit der Verhinderung nicht möglich, wie im einzelnen in Spalte 3 der Patentschrift beschrieben ist.
Aus diesem Grund ist das Dokument (1) als nur soweit relevant anzusehen, als es derartige Nachteile erkennen läßt, die eine Verbesserung bzw. Änderung der Funktion verlangen. Die dort beschriebene Vorrichtung selbst kann zur Lösung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe nur durch die Bereitstellung einiger Bestandteile beitragen.
Im Gegenteil dazu ist nach der ganzen Vorrichtung gemäß dem Patent eine Überprüfung der darunter befindlichen Verbindung (Vulkanisation) zwischen dem Kunstgummimittelstreifen 1 und dem Blechrandstreifen 3, insbesondere auch an die seitlichen Innenkanten 3b der Blechrandstreifen, nach Abnehmen der Blechabdeckung unmittelbar zugänglich (vgl. Seite 9 der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung).
6.2. Die Kammer kann dem oben in Ziff. III (ii) genannten Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht zustimmen, da, um zu dieser Auffassung zu gelangen, der Fachmann zuerst die Papierzwischenlage des Dokuments (1) außer Betracht lassen müßte. Im Rahmen dieses Dokuments ist jedoch keine andere Ausführung als die in den Fig. 1 bzw. 2 dargestellte, d. h. eine mit Papierzwischenlage, denkbar. Der Fachmann konnte somit aus dem Dokument (1) keine Anregung gewinnen, die Papierschicht zu entfernen. Dazu hatte er keinen Grund, zumal die dort angesprochene Aufgabe lediglich darin besteht, ein Dilatationselement zu schaffen, dessen gummielastischer Dehnungsstreifen gegen die Witterungseinflüsse geschützt ist (vgl. Seite 3, zweiter Absatz), nicht aber die Blechabdeckung zu Kontrollzwecken als Ganzes abnehmen und wieder anbringen zu können.
Was die Auslegung des Dokuments (1) anbetrifft, ist die Kammer der Auffassung, daß die technische Lehre eines zum Stand der Technik gehörenden Dokuments als Ganzes mit den Augen des Fachmanns betrachtet werden muß. Es wird hierzu auf die Entscheidung T 56/87, ABl. EPA 1990, 188, Leitsatz und Seite 193 verwiesen. Daraus ergibt sich, daß das Dokument (1) nur so interpretiert werden kann, als daß seine Lehre auf einen Papierstreifen Bezug nimmt. Obwohl die Entfernung solcher Papierstreifen nicht im Anspruch zum Ausdruck kommt, handelt es sich dabei um eine weitere Änderung, d. h. um einen weiteren Unterschied im Vergleich zum Stand der Technik.
Außerdem sind beim Vergleich der Aufgabenstellung in der Entgegenhaltung mit jener im Streitpatent zu weitgehende Abstraktionen, die vom konkreten Denken des Fachmanns wegführen, zu vermeiden (T 5/81, ABl. 7/87, 249, Leitsatz (dritter Absatz) und Seite 255). Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist nur die für den Fachmann gegebene engere, unmittelbare Lehre in Betracht zu ziehen. Schon von daher bestand für den Fachmann somit keine Veranlassung, vom Kern der Lehre des Dokuments (1) funktionsfremd abzuweichen, da der Vorschlag der Beschwerdeführerin, die Zahl der Haftpunkte in Längsrichtung zwecks einer durchgehende Vulkanisierung zu erhöhen eine unzulässige Verallgemeinerung darstellt.
Schließlich ist die Kammer davon überzeugt, daß die in Dokument (1) beschriebene Vorrichtung sich daher gattungsmäßig von der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 unterscheidet und ihr deshalb eine andere Problematik zugrunde liegt, so daß der Fachmann bereits deshalb durch dieses Dokument im vorliegenden Fall keinen Anreiz erhält, mit eigenen Mitteln die Kontrolle der Verbindung zu ermöglichen.
6.3. Darüber hinaus ist die Kammer der Auffassung, daß die erfinderische Tätigkeit des Patentanspruchs 1 insbesondere in der Kombination seiner Merkmale zu sehen ist, d. h. im strukturellen Aufbau der Vorrichtung. Diese Struktur unterscheidet sich gegenüber jener in Dokument (1) in zweifacher Hinsicht: Zum einen enthält sie mehr als jene, denn in Dokument (1) ist weder das Merkmal (a) noch das Merkmal (b) offenbart, zum anderen enthält sie weniger und ist daher einfacher als jene, da die erfindungsgemäße Vorrichtung keine Papierzwischenlage umfaßt. Das letztere muß als ein weiteres Anzeichen der erfinderischen Tätigkeit gewertet werden, zumal diese Vereinfachung in Verbindung mit einer Leistungsverbesserung erfolgt, indem die Vorrichtung des Patents gegenüber derjenigen des Dokuments (1) ein besseres Ausdehnungsverhalten aufgrund der durchgehenden Adhäsion der Blechabdeckung über die ganze Länge der Vorrichtung besitzt, und zwar mit der Möglichkeit der jederzeitigen Überprüfung der Verbindung (vgl. T. 106/84, ABl. EPA 1985, 139, Punkt 8.7).
6.4. Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin (Punkt IV) darin überein, daß auch im Falle der Fig. 2 des Dokument (1) durch die nur stellenweise Haftungspunkte eine gewisse Beweglichkeit des Abdeckstreifens in Längsrichtung beabsichtigt und auch erhalten wird (vgl. in (1) von Seite 5, letzter Absatz bis Seite 6, zweiter Absatz). Eine durchgehende Haftung über die ganze Länge der Vorrichtung würde die freie Beweglichkeit in Längsrichtung vollkommen ausschalten, was vom Autor der Entgegenhaltung sicher nicht gewünscht und auch nicht in Betracht gezogen wurde.
Deswegen konnte der Fachmann nicht daran denken, die Zahl der Haftpunkte entsprechend zu erhöhen, und so zu dem Merkmal (a) gemäß dem Anspruch 1 zu gelangen. Ein solches Vorgehen hätte der ausdrücklichen Lehre des Dokuments (1) völlig widersprochen. Somit ist die Kammer der Meinung, daß die Lehre vom Dokument (1) geradezu von der Vorrichtung gemäß Anspruch 1 des Streitpatents wegführt.
6.5. Aus den vorstehenden Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 4, die auf einen gewährbaren Anspruch 1 zurückbezogen sind, haben daher gleichfalls Bestand.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen, das europäische Patent in der gemäß Punkt 2 der Entscheidungsgründe berichtigten Fassung aufrechtzuerhalten.