T 0372/94 (Fluorbenzaldehyde/HOECHST) 14-08-1996
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Verfahren zur Herstellung von Fluorbenzaldehyden
Zulässigkeit der Beschwerde - Ja
Erfinderische Tätigkeit - Ja - Naheliegender Versuch (nein, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg)
Admissibility of appeal (yes)
Inventive step (yes) - closest state of the art
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die am 1. März 1994 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 0 265 854 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu widerrufen, am 28. März 1994 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 30. Mai 1994 eingegangen.
Gegenstand der Entscheidung waren die mit Schreiben vom 25. März 1992 eingereichten Patentansprüche 1 bis 9, die in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung redaktionell geändert wurden.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß Dokument (1) (EP-A-0 061 113), in dem die Herstellung von Fluor-nitro-benzaldehyden aus Chlor-nitro-benzaldehyden beschrieben wird, den nächstkommenden Stand der Technik repräsentiere, und daß sich das beanspruchte Verfahren von diesem Stand der Technik lediglich durch die Abwesenheit einer Nitro-Gruppe unterscheide.
Da es aus dem Dokument (1) bekannt war, daß die Aldehydgruppe unter den Reaktionsbedingungen der Halogenaustauschreaktion stabil sei, und da aus den Dokumenten
(2) "Fluoroorganic compounds in industry: application and synthetis". CHEMISTRY and INDUSTRY, 4. August 1986, Seiten 518 bis 523 und
(4) Organikum, 3. Auflage (Berlin 1964), Seiten 265 bis 269, 305 und 306
bekannt war, daß sowohl Nitrogruppe als Aldehydgruppe die Elektronendichte am Benzolkern durch mesomere oder induktive Effekte herabsetzen, kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluß, es sei zu erwarten gewesen, daß ein Cl/F-Austausch auch an einem Chlor-benzaldehyd ohne aktivierende Nitrogruppe stattfinden würde.
III. Während der mündlichen Verhandlung am 14. August 1996 hat die Beschwerdeführerin einen neuen Anspruchssatz mit Ansprüchen 1 bis 9 (Hauptantrag) und einen weiteren Anspruchssatz mit Ansprüchen 1 bis 8 (Hilfsantrag) eingereicht. Der einzige unabhängige Anspruch gemäß dem Hauptantrag war mit dem mit Schreiben vom 25. März 1992 eingereichten Patentanspruch 1 identisch und lautete
"1. Verfahren zur Herstellung von Fluorbenzaldehyden, dadurch gekennzeichnet, daß man Chlorbenzaldehyde der Formel
FORMEL
worin R1, R2 und R3 unabhängig voneinander H, F und/oder Cl darstellen, jedoch mindestens einer der Reste Chlor und vorzugsweise mindestens einer der Reste R1 und R3 Wasserstoff ist und S1 und S2 Wasserstoff sind, einsetzt, und diese einer Chlor-Fluor-Austausch-Reaktion mit Alkalifluorid in dipolar-aprotischem Medium unterwirft."
Anspruch 1 des Hilfsantrags enthielt zusätzlich die im erteilten Anspruch 8 angegebenen bevorzugten Reaktionstemperaturen.
IV. Die Beschwerdeführerin hat bezweifelt, daß aus dem Stand der Technik der Schluß gezogen werden könne, daß eine Aldehydgruppe unter den Reaktionsbedingungen des beanspruchten Cl/F-Austauschverfahrens stabil sei. Weiterhin hat sie vorgetragen, aus den Dokumenten (1) und (4) gehe hervor, daß die Nitrogruppe einen deutlich stärkeren aktivierenden Effekt als die Aldehydgruppe besitze und daß es der Fachmann im Kenntnis der Dokumente (1) und
(5) Weygand/Hilgetag, Preparative Organic Chemistry, John Wiley & Sons 1972, Seite 209
für ausgeschlossen halten mußte, daß die Aldehydgruppe alleine einen ausreichenden aktivierenden Einfluß für den Chlor/Fluor-Austausch besitze.
V. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) berief sich in bezug auf die Patentfähigkeit des beanspruchten Verfahrens im wesentlichen auf die in der angefochtenen Entscheidung beschriebenen Gründe und vertrat den Standpunkt, die Lehren der Dokumente (1), (2) und (4) hätten den Fachmann zu dem Versuch angeregt, einen Cl/F-Austausch an einem Chlorbenzaldehyd, in dem keine aktivierende Nitrogruppe anwesend ist, vorzunehmen.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1 bis 9 (Hauptantrag) oder Ansprüche 1 bis 8 (Hilfsantrag).
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückverweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
VII. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin stattzugeben.
1. Zulässigkeit der Beschwerde
1.1 Entgegen Regel 64 (b) EPÜ enthält der Beschwerdeschriftsatz keine ausdrücklichen Angaben über den Umfang, in dem die angefochtene Entscheidung geändert oder aufgehoben werden soll. In einem solchen Fall ist zu ermitteln, ob dem objektiven Erklärungswert der Beschwerdeschrift ein Antrag zu entnehmen ist (siehe T 194/90 vom 27. November 1992, nicht veröffentlicht, Nr. 1 der Entscheidungsgründe). Da die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall zuletzt im Einspruchsverfahren nur den einzigen Antrag gestellt hat, das Patent mit dem der angefochtenen Entscheidung beigefügten Anspruchssatz aufrechtzuerhalten, ist die Beschwerdeschrift so auszulegen, daß die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents mit diesem Anspruchssatz beantragt wird (siehe T 7/81, ABl. EPA 1983, 98).
1.2. Da auch alle anderen Vorschriften der Artikel 106 bis 108 EPÜ und der Regel 64 EPÜ erfüllt sind, was niemals bestritten wurde, ist die Beschwerde zulässig.
2. Hauptantrag
2.1. Artikel 123 EPÜ
Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß der Anspruch 1 durch die ursprünglichen Unterlagen gestützt ist und sein Schutzbereich nicht über den des Anspruchs des erteilten Patents hinausgeht. Somit sind keine Einwände nach Artikel 123 EPÜ zu erheben; da dies nicht bestritten wird, ist eine detaillierte Begründung hierzu nicht erforderlich.
2.2. Neuheit
Die Kammer stimmt den Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung zur Neuheit des beanspruchten Verfahrens zu. Da mangelnde Neuheit im Beschwerdeverfahren nicht geltend gemacht wurde, erübrigen sich nähere Ausführungen hierzu.
2.3. Erfinderische Tätigkeit
2.3.1 Es ist unbestritten, daß am Anmeldetag des Streitpatentes Verfahren zur Herstellung von im Anspruch 1 des Streitpatentes definierten Fluorbenzaldehyden bekannt waren. Als repräsentativ für diesem Stand der Technik können die auf Seite 2, Zeilen 7 bis 49, des Streitpatentes erwähnten Druckschriften DE-B-2 039 426 und EP-A-0 164 619 betrachtet werden.
In der angefochtenen Entscheidung sind diese Druckschriften bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt worden. Im Streitpatent sind diese Dokumente jedoch gewürdigt und der Formulierung der technischen Aufgabe zugrundegelegt worden. Die Kenntnis des Inhalts dieser Dokumente ist daher Voraussetzung für das richtige Verständnis der Erfindung. Sie können aus diesem Grund bei der Durchführung der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nicht außer Betracht gelassen werden (T 536/88 ABl. EPA 1992, 638). Hieraus folgt, daß im vorliegenden Fall die beiden Dokumente zum Inhalt der Patentschrift gehören und sich somit automatisch im Einspruchsbeschwerdeverfahren befinden.
Die in der angefochtenen Entscheidung als nächster Stand der Technik bezeichnete Druckschrift (1) liegt dem Gegenstand des Streitpatents ferner, da sie nicht die Herstellung der Fluorbenzaldehyde der Formel I, sondern von Nitro-Fluorbenzaldehyden betrifft und keinerlei Anlaß bietet, nitrogruppen-freie Fluorbenzaldehyde herzustellen. Diese Druckschrift kommt daher für die Formulierung der technischen Aufgabe und als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht (siehe auch T 321/87 vom 26. Januar 1989, Gründe Nr. 3, T 388/89 vom 26. Februar 1991, Gründe Nr. 6.1 und T 645/92 vom 12. April 1994, Gründe Nr. 2.1, sämtlich nicht veröffentlicht).
Die Kammer geht daher bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von dem auf Seite 2, Zeilen 7 bis 49 des Streitpatentes gewürdigten Stand der Technik aus, für den die Druckschriften DE-B-2 039 426 und EP-A-0 164 619 repräsentativ sind.
Demnach hat man bisher die nach dem Verfahren des Streitpatents erhältlichen Fluorbenzaldehyde der Formel I aus gängigen Ausgangsprodukten nach komplizierten, mehrstufigen Syntheseverfahren hergestellt (Streitpatent, Seite 2, Zeilen 50 bis 53). Dies hat die Beschwerdegegnerin nicht bestritten. Ausgehend hiervon bestand gemäß Streitpatent die Aufgabe, eine einfachere Herstellungsmethode für die Fluorbenzaldehyde der Formel I zur Verfügung zu stellen, mit deren Hilfe diese Fluorbenzaldehyde in einem einzigen Reaktionsschritt aus gängigen Ausgangsprodukten in akzeptablen Ausbeuten (normalerweise um etwa 70 %) bereitgestellt werden können (Seite 3, Zeilen 34 bis 37).
Zur Lösung dieser Aufgabe wird die im Anspruch 1 definierte Chlor-Fluor-Austausch-Reaktion mit Alkalifluorid in dipolar aprotischem Medium vorgeschlagen.
Im Hinblick auf die Beispiele 1 bis 3 des Streitpatents ist es glaubhaft, daß damit die oben genannte Aufgabe gelöst worden ist. Dies hat die Beschwerdegegnerin nicht bestritten.
2.3.2 Es ist somit zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregungen bot, die oben definierte Aufgabe, Fluorbenzaldehyde der Formel I, die keine aktivierende Nitrogruppe enthalten, in einem einstufigen Verfahren unter Anwendung der Chlor-Fluor Austauschreaktion an aromatischen Verbindungen mit Alkalifluorid in dipolar aprotischem Medium aus den entsprechenden Chlorbenzaldehyden herzustellen.
2.3.3 Die Beschwerdegegnerin meint, solche Anregungen seien den Druckschriften (1), (2) und (4) zu entnehmen, denn Druckschrift (1) beschreibe die technische Herstellung strukturell vergleichbarer Fluorbenzaldehyde aus den entsprechenden Chlorbenzaldehyden mittels Alkalifluorid in einem dipolar-aprotischen Medium. Die Übertragung dieses bekannten Verfahrens auf die Herstellung der nitrogruppenfreien Fluorbenzaldehyde der Formel I habe nahegelegen, da aus Druckschrift (2), insbesondere Seite 519, linke Spalte, 5. Absatz, hervorgehe, daß nicht nur die Nitrogruppe, sondern auch die Cyano- und die Acylchloridgruppe einen Chlor-Fluor-Austausch (in dieser Druckschrift als "Halex-Reaktion" bezeichnet) ermöglichen könne. Da die Acylchloridgruppe eine ähnliche Struktur wie die Aldehydgruppe habe, sei auch eine ähnlich starke aktivierende Wirkung der beiden Gruppen zu erwarten gewesen, so daß anzunehmen war, auch die Aldehydgruppe sei genügend aktivierend, um einen Chlor-Fluor-Austausch zu ermöglichen. Diese Annahme werde ferner durch Druckschrift (4) gestützt, aus deren die Seiten 305 und 306 verbindendem Absatz hervorgehe, daß sowohl die Nitrogruppe als auch die Aldehydgruppe die nucleophile aromatische Substitution begünstige.
2.3.4 Dieser Argumentation kann sich die Kammer nicht anschließen. Nach Druckschrift (1) ist nämlich für die Chlor-Fluor-Austausch-Reaktion (im folgenden in Anlehnung an Druckschrift (2) als Halex-Reaktion bezeichnet) eine aktivierende Nitrogruppe zwingend erforderlich. Diese Druckschrift gibt für sich allein genommen keinerlei Anregung, diese Reaktion auch in Abwesenheit von Nitrogruppen durchzuführen.
2.3.4.1 In Druckschrift (2) aus dem Jahr 1986 sind die Kenntnisse über die Halex-Reaktion zusammengefaßt. Der Inhalt dieser Druckschrift repräsentiert also das allgemeine Fachwissen zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents. Darin ist lediglich die Rede davon, daß außer der Nitrogruppe auch Nitril-, Trifluormethyl- und Acylchlorid-Gruppen genügend aktivierend wirken und unter den Reaktionsbedingungen stabil sind (siehe Seite 519, linke Spalte, 5. Absatz). Über die Eignung von Aldehydgruppen als aktivierende Gruppen ist der Druckschrift nichts zu entnehmen.
2.3.4.2 Die von der Beschwerdeführerin bestrittene Behauptung der Beschwerdegegnerin, aus der Zusammenschau der Druckschriften (2) und (4) folge, daß der aktivierende Einfluß von Acylhalogenid- und Aldehydgruppen auf nucleophile aromatische Substitutionsreaktionen, zu denen auch die Halex-Reaktion gehört, in der gleichen zahlenmäßigen Größenordnung liege, da diese Gruppen eine ähnliche Struktur hätten, wird durch die rein qualitativen Angaben in diesen Druckschriften nicht gestützt. Ihnen läßt sich allenfalls entnehmen, daß sowohl die Aldehyd- als auch die Acylhalogenidgruppe weniger aktivierend wirken als die Nitro- oder Nitrilgruppe. Dieses Vorbringen der Beschwerdegegnerin, die für ihre Behauptung die Beweislast trägt, kann die Kammer daher bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigen.
2.3.4.3 Die Kammer kann sich auch dem Vorbringen der Beschwerdegegnerin nicht anschließen, die Anwendung der Halex-Reaktion auf Chlorbenzaldehyde ohne weitere aktivierende Substituenten sei nichts weiter als die nicht erfinderische, weil folgerichtige Fortsetzung der in Druckschrift (2) wiedergegebenen technischen Entwicklung zum Einsatz von Ausgangsstoffen mit immer schwächer aktivierenden Gruppen.
2.3.4.4 Grundlage dieses Vorbringens ist die Behauptung der Beschwerdegegnerin, die Angaben im Streitpatent, Seite 3, Zeilen 38 bis 51, nach denen das Gelingen des beanspruchten Verfahrens überraschend war, stünden im Widerspruch zu dem aus Druckschrift (1) entnehmbaren Sachverhalt. Zwar geht aus Druckschrift (1) hervor (Seite 2, Zeilen 17 bis 23), daß unter den in dieser Druckschrift beschriebenen Reaktionsbedingungen der Halex-Reaktion keine Nebenreaktionen an und mit der Aldehydgruppe auftreten. Wie die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die Beispiele in Druckschrift (1) und im Streitpatent vorgetragen hat, sind die gemäß Streitpatent anzuwendenden Reaktionsbedingungen jedoch erheblich schärfer als die gemäß Druckschrift (1) erforderlichen. Dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin ist im Einklang mit den Angaben auf Seite 6, Zeilen 5 bis 19, der Druckschrift (1), denen entnommen werden kann, daß der Chlor-Fluor-Austausch praktisch ausschließlich durch die Position des Chloratoms relativ zur Nitrogruppe beeinflußt wird. Irgendein meßbarer aktivierender Einfluß der Aldehydgruppe ist der Druckschrift nicht zu entnehmen. Daraus folgt, daß der aktivierende Effekt der Aldehydgruppe, wenn überhaupt vorhanden, im Vergleich mit dem der Nitrogruppe sehr gering sein muß. Der Fachmann mußte somit für die Halex-Reaktion mit einem nitrogruppen-freien Chlorbenzaldehyd sehr viel schärfere Reaktionsbedingungen in Betracht ziehen.
2.3.4.5 Zwar sind diese Bedingungen, nämlich Reaktionstemperatur und Reaktionszeit, im geltenden Patentanspruch 1 nicht angegeben. Sie folgen aber zwangsläufig aus dem in Druckschrift (2), Seite 519, zusammengefaßten allgemeinen Fachwissen (siehe insbesondere den ersten vollständigen Absatz der rechten Spalte), gemäß dem die anspruchsgemäße Umsetzung nur oberhalb einer Mindesttemperatur in technisch vertretbarer Zeit zu bewerkstelligen ist. Die Beschwerdegegnerin hat nicht bestritten, daß die erforderlichen Reaktionstemperaturen von der noch für vertretbar gehaltenen Reaktionszeit in dem Fachmann geläufiger Weise abhängen. Daher ist der geltende Anspruch dahin zu verstehen, daß die Reaktionstemperatur und Reaktionszeit im Rahmen des allgemeinen Fachwissens abzustimmen waren.
2.3.4.6 Aus dem Vergleich der Beispiele in Druckschrift (1) mit denjenigen des Streitpatents folgt in der Tat, daß in Anwesenheit einer Nitrogruppe die Reaktion entweder bei vergleichbarer Temperatur wesentlich schneller abläuft oder bei vergleichbarer Reaktionszeit wesentlich niedrigere Temperaturen erfordert.
In den Beispielen 1 bis 5 des Dokumentes (1) wird nämlich bei Temperaturen von 150 bis 180 C das fluorierte Reaktionsprodukt schon nach 0.5 bis 1 Stunden in technisch brauchbaren Ausbeuten erhalten, während bei einer Reaktionszeit von 12 Stunden nur eine Temperatur von 100 C erforderlich ist (Beispiel 6).
Im Gegensatz dazu geht aus den Beispielen 1 bis 3 des Streitpatentes hervor, daß akzeptable Ausbeuten an nitrogruppen-freien Benzaldehyden erst nach 10 bis 20 Stunden Erhitzen auf 210 bis 215 C erhalten werden.
In Anbetracht dieses Sachverhalts läßt sich aus Druckschrift (1) in Verbindung mit dem aus Druckschrift (2) hervorgehenden allgemeinen Fachwissen nicht herleiten, daß der Fachmann dem Versuch, die nitrogruppenfreien Benzaldehyde der Formel I durch eine Halex-Reaktion herzustellen, eine realistische Erfolgsaussicht zugebilligt hätte. Dies gilt insbesondere in Anbetracht der vorliegenden Aufgabenstellung, ein Syntheseverfahren zu entwickeln, mit dem Fluorbenzaldehyde in akzeptablen Ausbeuten (normalerweise um etwa 70 % und darüber) (Streitpatent, Seite 3, Zeile 35) erhalten werden.
2.3.4.7 Den vorstehenden Erwägungen steht nicht entgegen, daß in der Beschreibung des Streitpatentes der breite Temperaturbereich von 120 bis 250 C, insbesondere zwischen etwa 180 und 230 C, angegeben ist (Seite 4, Zeilen 43 und 44), denn die Beschwerdeführerin hat zu Recht bemerkt, daß die Beschreibung den geltenden, im Einspruchsverfahren eingeschränkten Patentansprüchen noch nicht angepaßt wurde und daß sich diese Angaben auf die nicht mehr beanspruchte Herstellung von Verbindungen mit stärker aktivierenden Gruppen, einschließlich der aus Druckschrift (1) bekannten, beziehen. Im Zuge der noch durchzuführenden Beschreibungsanpassung werden diese Angaben daher zu überarbeiten sein.
2.3.5 Die Kammer ist aus diesen Gründen zu der Überzeugung gelangt, daß die Argumentation der Beschwerdegegnerin durch den Inhalt der Druckschriften (1), (2) und (4) nicht gestützt wird. Die von der Beschwerdegegnerin gezogenen Schlußfolgerungen beruhen vielmehr auf der Interpretation dieses Standes der Technik im Lichte der Kenntnis des Streitpatents, sind also das Ergebnis einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise.
Da aus den übrigen zum Stand der Technik gehörenden Dokumenten lediglich zu entnehmen war, daß ein Chlor-Fluor-Austausch an einem Benzaldehyd nur dann möglich ist, wenn eine Nitrogruppe anwesend ist (siehe zum Beispiel Dokument (5) Seite 209, zweiten Absatz), kommt die Kammer zur Schlußfolgerung, daß der Fachmann nicht mit hinreichender Aussicht auf Erfolg versucht hätte, die in der Einleitung des Streitpatentes erwähnte mehrstufige Synthesemethode zur Herstellung von Fluorbenzaldehyden durch die beanspruchte einstufige Chlor-Fluor-Austauschmethode zu ersetzen, und daß sich das im Anspruch 1 beanspruchte Verfahren somit nicht in naheliegender Weise aus dem zur Verfügung stehenden Stand der Technik ergibt.
2.3.6 Die Gegenstände der abhängigen Ansprüche 2 bis 9 betreffen besondere Ausführungsformen des im Anspruch 1 beanspruchten Verfahrens und haben daher zusammen mit diesem Anspruch ebenfalls Bestand.
2.4 Der Aufrechterhaltung des Patentes aufgrund des Hauptantrags und einer noch anzupassenden Beschreibung steht daher nichts im Wege.
3. Hilfsantrag
Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, auf die Gewährbarkeit des Hilfsantrags einzugehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtenen Entscheidung wird aufgehoben. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüchen 1 bis 9 (Hauptantrag) und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.