T 0284/96 (Pigmente/BAYER) 20-07-1999
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Verfahren zur Herstellung von Pigmenten auf Isoindolbasis
Erfinderische Tätigkeit (nein) - naheliegendes, alternatives Verfahren
Vorteil (nein), Vorurteil (nein), weg weisende Lehre (nein), Beweisanzeichen (nein)
Inventive step (no) - advantages not supported by sufficient evidence cannot be taken into consideration in assessing inventive step - secondary indicia (no) - prejudice in the art - time factor
I. Die am 27. März 1996 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers (Einsprechenden) richtet sich gegen die am 29. Januar 1996 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 424 759 zurückgewiesen wurde. Das Streitpatent enthielt sechs Ansprüche, deren einziger unabhängiger wie folgt lautete:
"1. Verfahren zur Herstellung von Pigmentfarbstoffen der Formel
FORMEL
worin
R unabhängig voneinander = Wasserstoff oder Substituent, dadurch gekennzeichnet, daß man Phthalodinitril (II) in einem organischen Medium mit einem Alkohol (III) In Gegenwart einer Base umsetzt und anschließend vorzugsweise ohne Zwischenisolierung, das Reaktionsprodukt in Gegenwart von Wasser mit Verbindungen der Formel
FORMEL (IV)
im Molverhältnis 2:1, bezogen auf (II), gegebenenfalls in Gegenwart von oberflächenaktiven Verbindungen, im pH-Bereich von 1 bis 6, vorzugsweise 1,5 bis 3,5, umsetzt."
II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang wegen unzureichender Offenbarung der Erfindung und mangelnder erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden. Zur Stützung des Einspruches wurden folgende Druckschriften angezogen:
(1) DE-A-2 041 999,
(2) DE-A-2 628 409,
(3) DE-B-1 012 406,
(4) Angew. Chem., Band 68, Seiten 133 bis 150 (1956),
(5) Khim. Geterotsikl. Soedin., Band 1977, Seiten 63 bis 68, in Form der englischen Übersetzung (Seiten 54 bis 58),
(6) DE-C-879 102 und
(7) DE-C-888 837.
III. Die Einspruchsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, daß das Streitpatent die Erfindung deutlich und vollständig offenbare, so daß ein Fachmann sie ausführen könne. Im Streitpatent fänden sich detaillierte Angaben zu Reaktionsbedingungen und Reagenzien sowie zahlreiche konkrete Ausführungsbeispiele.
Des weiteren entschied die Einspruchsabteilung, daß der Gegenstand des Streitpatents auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Sie führte diesbezüglich insbesondere aus, daß die Druckschrift (1) als nächstliegender Stand der Technik das anspruchsgemäße Verfahren zur Herstellung der Pigmentfarbstoffe der Formel (I) offenbare mit dem einzigen Unterschied, daß in der zweiten Stufe "zweckmäßigerweise in Gegenwart wasserfreier Carbonsäuren" gearbeitet werde. Demgegenüber sei die Aufgabe in dem Auffinden eines alternativen Verfahrens zur Herstellung dieser Pigmentfarbstoffe zu sehen. Aus der Druckschrift (1) gehe nun eindeutig hervor, daß die Gegenwart von Wasser zu störenden Nebenprodukten führe mit der Folge, daß der Fachmann durch dieses Vorurteil gehindert sei, in Gegenwart von Wasser zu arbeiten. Zwar werde im Verfahren der Druckschrift (2) zur Herstellung der gleichen Pigmentfarbstoffe in Gegenwart von Wasser gearbeitet, dieses Verfahren verfolge aber einen anderen Syntheseweg, so daß es das Vorurteil aus Druckschrift (1) gegen die Anwesenheit von Wasser nicht aufheben könne. Die Druckschriften (3), (4), (6) und (7), die sich mit der Stabilität verfahrensgemäßer Zwischenprodukte gegen Wasser beschäftigten, stützten eher dieses Vorurteil und die Druckschrift (5) empfehle ausdrücklich das verfahrensgemäße Zwischenprodukt in kaltem Wasser zu suspendieren. Daher lasse sich der Gegenstand des Streitpatents nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ableiten. Auch ausgehend von der Druckschrift (2) als nächstliegendem Stand der Technik ergebe sich keine andere Schlußfolgerung.
IV. Der Beschwerdeführer hat zur Begründung seiner Beschwerde im wesentlichen vorgetragen, daß das anspruchsgemäße Verfahren zur Herstellung der Pigmentfarbstoffe bereits aus der nächstliegenden Druckschrift (1) an sich bekannt sei, lediglich die zweite Reaktionstufe werde bei dem Verfahren des Standes der Technik in wasserfreiem Medium statt in Gegenwart von Wasser durchgeführt. Das Verfahren zur Herstellung der Pigmentfarbstoffe gemäß Druckschrift (1) erfolge sowohl über das Zwischenprodukt 1-Alkoxy-3-imino-isoindolenin, d. h. wie im Verfahren des Streitpatents, als auch alternativ über das Zwischenprodukt 1-Amino-3-imino-isoindolenin. Im Verfahren der Druckschrift (2) werde nun dieses zweitgenannte Zwischenprodukt mit Barbitursäure in Gegenwart von Wasser erfolgreich zu den Pigmentfarbstoffen kondensiert. Die so hergestellten Pigmentfarbstoffe, so lehre diese Druckschrift, wiesen gute Dispergierbarkeit auf, eine Eigenschaft, auf die auch das Streitpatent abhebe. Folglich sei es naheliegend gewesen, auch jenes erstgenannte, in Druckschrift (1) offenbarte Zwischenprodukt in Gegenwart von Wasser umzusetzen, womit der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum anspruchsgemäßen Verfahren gelange.
Darüber hinaus legten die Druckschriften (3) bis (7) Zeugnis von der ausreichenden Stabilität des erstgenannten Zwischenprodukts 1-Alkoxy-3-imino-isoindolenin in Wasser, so daß es für den Fachmann keinen Zweifel an einer erfolgreichen Umsetzung auch dieses Zwischenproduktes mit Barbitursäure in Gegenwart von Wasser gebe.
V. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) hat diesem Vorbringen widersprochen und im wesentlichen vorgetragen, daß in der zweiten Reaktionsstufe des patentgemäßen Verfahrens das Zwischenprodukt 1-Alkoxy-3-imino-isoindolenin mit Barbitursäure in Gegenwart von Wasser zu den Pigmentfarbstoffen umgesetzt werde. Diese Reaktionsführung sei durch den Stand der Technik nicht nahegelegt, ja der Fachmann würde geradezu davon abgehalten, diesen Weg zu beschreiten. Die Druckschrift (1) betreffe zwar ein Verfahren zur Herstellung dieser Pigmentfarbstoffe, welches entweder über die Zwischenprodukte 1-Alkoxy- oder 1-Amino-3-imino-isoindolenin ablaufe; von einer Äquivalenz dieser beiden Zwischenprodukte im Hinblick auf deren Umsetzung mit Barbitursäure in Gegenwart von Wasser könne aber nicht gesprochen werden, weil die entsprechende Umsetzung in dieser Druckschrift in Abwesenheit von Wasser durchgeführt werde. Die Druckschrift (1) lehre daher ein Vorurteil gegen die Verwendung von Wasser. Die Druckschrift (2) schlage lediglich die Umsetzung des einen dieser beiden Zwischenprodukte, nämlich des 1-Amino-3-imino-isoindolenins, in Gegenwart von Wasser vor. Das Vorurteil der Druckschrift (1) gegen die Anwesenheit von Wasser bei der Umsetzung des anderen Zwischenproduktes, des 1-Alkoxy-3-imino-isoindolenins, werde dadurch verstärkt, sonst hätte die Druckschrift (2) nämlich vorschlagen müssen, nicht nur das eine, sondern auch das andere Zwischenprodukt in Gegenwart von Wasser umzusetzen. Dieses Vorurteil aus der Druckschrift (1) gegen die Anwesenheit von Wasser bei der Umsetzung des anderen Zwischenproduktes 1-Alkoxy-3-imino-isoindolenin überwinde nun gerade das anspruchsgemäße Verfahren.
Die weiteren Druckschriften (3), (4), (6) und (7) seien bereits vor der Druckschrift (1) Stand der Technik gewesen, so daß jene das Vorurteil aus letzterer nicht beseitigen könnten. Im übrigen werde in der Druckschrift (3) zwar ein 1-Alkoxy-3-imino-isoindolenin umgesetzt, allerdings zu einem Monokondensat, während die patentgemäß hergestellten Pigmentfarbstoffe Biskondensate darstellten. In Druckschrift (4) auf Seite 134, letzter Absatz werde offensichtlich nicht 1-Amino-3-imino-isoindolenin sondern eine andere Verbindung hydrolysiert, da diese bei ihrer Zersetzung Alkohol abspalte. Zwar werde in Druckschrift (5) ein 1-Alkoxy-3-imino-isoindolenin aus wäßriger Lösung isoliert, allerdings lediglich mit einer Ausbeute von 74,2 % und unter Verwendung von kaltem Wasser, das auf eine Instabilität hinweise. Die wesentliche Aussage der Druckschrift (6) bestehe darin, daß Wasser verseifend auf Alkoxy-imino-isoindolenine einwirke. Die Druckschrift (7) betreffe die Herstellung von Phthalocyaninen auf Textilfasern, womit die vorliegende Erfindung nichts zu tun habe. Im übrigen stellten nicht die Druckschriften (3) bis (7), sondern die Druckschriften (1) und (2) den maßgeblichen Stand der Technik dar.
VI. Der Beschwerdeführer hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Der Beschwerdegegner hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
VII. Am 20. Juli 1999 hat eine mündliche Verhandlung vor der Kammer in Abwesenheit des Beschwerdeführers stattgefunden, der nach ordnungsgemäßer Ladung im Schriftsatz vom 3. Februar 1999 angekündigt hatte, nicht teilzunehmen. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ)
Die Kammer hat keine Veranlassung von der Beurteilung der Ausführbarkeit durch die Einspruchsabteilung abzuweichen. Da im Beschwerdeverfahren mangelnde Ausführbarkeit durch unzureichende Offenbarung der Erfindung nicht geltend gemacht wurde, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.
3. Erfinderische Tätigkeit
Es verbleibt daher zu prüfen, ob der beanspruchte Gegenstand des Streitpatents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
3.1. Gemäß Artikel 56 EPÜ beruht eine Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Für die Beantwortung dieser Frage aus objektiver Sicht ist es nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern erforderlich, den nächstliegenden Stand der Technik festzustellen, demgegenüber die Aufgabe zu ermitteln, die erfindungsgemäß gestellt und gelöst wird, und die Frage des Naheliegens der anmeldungsgemäßen Lösung dieser Aufgabe für den Fachmann angesichts des Standes der Technik zu klären (siehe u. a. Entscheidungen T 24/81, ABl. EPA 1983, 133, Punkt 4 der Entscheidungsgründe; T 248/85, ABl. EPA 1986, 261, Punkt 9.1 der Entscheidungsgründe).
3.2. Als erstes ist somit der nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln.
3.2.1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Pigmentfarbstoffen der formelmäßig näher beschriebenen Art, bei welchem in einem ersten Teilschritt Phthalodinitril mit einem Alkohol in Gegenwart einer Base und anschließend in einem zweiten Teilschritt dieses Reaktionsprodukt mit einer Barbitursäure im Molverhältnis 1:2 im pH-Bereich von 1. bis 6 umgesetzt wird. Nach dem patentgemäßen Verfahren werden die Pigmentfarbstoffe in guter Ausbeute und Reinheit erhalten und sie weisen eine hohe Brillanz, gute Licht- und Wetterechtheit und Dispergierbarkeit auf (Streitpatentschrift Seite 3, Zeilen 14 bis 16). Unter Berücksichtigung dieser Ziele und dieser Verfahrensmaßnahmen ist eine Auswahl unter den angezogenen Druckschriften vorzunehmen, um den hierzu nächstliegenden Stand der Technik festzustellen.
3.2.2. Die Druckschrift (1) beschreibt ein gattungsgemäßes Verfahren zur Herstellung der gleichen Pigmentfarbstoffe, bei welchem in einem ersten Teilschritt Phthalodinitril mit einem Alkoholat, d. h. dem Umsetzungsprodukt eines Alkohol und einer Base, (Seite 3, Absatz 3, Zeilen 1 bis 3) und anschließend in einem zweiten Teilschritt das Reaktionsprodukt des ersten Teilschrittes mit einer Barbitursäure (Seite 3, Absatz 2, Zeilen 4 bis 6) im Molverhältnis 1:2 (Seite 2, Absatz 5, Zeile 3) in Gegenwart einer wasserfreien Säure (Seite 4, Absatz 1, Zeilen 6 bis 10) umgesetzt wird. Die Reinheit der verfahrensgemäß erhaltenen Pigmentfarbstoffe, sowie deren Farbstärke, Brillanz und Echtheitseigenschaften, wie Licht- und Wetterechtheit, werden herausgestellt (Seite 2, Absätze 3 und 5; Seite 8, letzte Zeile).
Somit strebt die Lehre der Druckschrift (1) und jene des Streitpatents dem gleichen Ziel zu und das Verfahren dieser Druckschrift stimmt auch in allen wesentlichen Merkmalen mit jenem des Streitpatents überein mit der einzigen Ausnahme, daß der zweite Teilschritt des patentgemäßen Verfahrens in Gegenwart von Wasser durchgeführt wird.
Aufgrund dieser weitgehenden Übereinstimmungen zwischen Druckschrift (1) und dem Streitpatent stellt diese Druckschrift zur Überzeugung der Kammer den nächstliegenden Stand der Technik dar.
3.2.3. Zwar betrifft die Druckschrift (2) ebenfalls ein Verfahren zur Herstellung der gleichen Pigmentfarbstoffe. Im ersten Teilschritt wird Phthalodinitril allerdings mit Ammoniak (Seite 5, Absatz 3) und anschließend dieses Reaktionsprodukt mit einer Barbitursäure im Molverhältnis 1:2 in Wasser in Gegenwart einer Säure im pH-Bereich von 1 bis 6 umgesetzt (Anspruch 1). Die Pigmentfarbstoffe werden verfahrensgemäß in guter Ausbeute und Reinheit erhalten; deren Brillanz, Licht- und Wetterechtheit wird angesprochen sowie deren leichtere Dispergierbarkeit herausgestellt (Seite 4, Absätze 2 und 4).
Diese Druckschrift und das Streitpatent wenden sich dem gleichen Ziele zu, gleichwohl werden zur Herstellung der Pigmentfarbstoffe unterschiedliche Verfahrenswege eingeschlagen: während patentgemäß im ersten Teilschritt des Verfahrens das Phthalodinitril mit Alkohol umgesetzt wird, erfolgt diese Umsetzung im Verfahren nach Druckschrift (2) mit Ammoniak als Reaktant.
Aus diesem Unterschied im Verfahrensweg zwischen Streitpatent und Druckschrift (2), den das Verfahren nach Druckschrift (1) nicht aufweist, schließt die Kammer, daß die Druckschrift (2) dem Streitpatent ferner liegt als die Druckschrift (1).
3.2.4. In der angefochtenen Entscheidung wurde festgestellt, daß keines der in den Druckschriften (3) bis (7) offenbarten Verfahren die im Streitpatent hergestellten Pigmentfarbstoffe erzeugt. Diese Auffassung haben der Beschwerdeführer und Beschwerdegegner im Beschwerdeverfahren bestätigt. Die Kammer hat sich von der Richtigkeit dieser Auffassung überzeugt und sieht daher keine Veranlassung, vom übereinstimmenden Sachvortrag der Parteien abzuweichen.
Nachdem die Druckschriften (3) bis (7) nicht die Herstellung der Pigmentfarbstoffe des Streitpatents betreffen, scheiden sie als nächstliegend aus.
3.3. Ausgehend von Druckschrift (1) als nächstliegendem Stand der Technik liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, ein weiteres Verfahren zur Herstellung der im Streitpatent formelmäßig näher beschriebenen Pigmentfarbstoffe mit insbesondere sehr guter Dispergierbarkeit bereitzustellen.
3.3.1. Der Beschwerdegegner hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgetragen, daß er die Aufgabe in der Bereitstellung eines Verfahrens zur Herstellung von Pigmentfarbstoffen mit besserer Dispergierbarkeit als in Druckschrift (1) sehe. Gleichzeitig hat er jedoch eingestanden, diese Behauptung nicht auf Beweismittel stützen zu können.
3.3.2. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern können Vorteile, auf die sich der Patentinhaber-Beschwerdegegner gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik beruft, die aber nicht hinreichend belegt sind, bei der Ermittlung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe und damit für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht gezogen werden (siehe z. B. Entscheidung T 20/81, ABl. EPA 1982, 217, Punkt 3 der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall ist daher der behauptete Vorteil der besseren Dispergierbarkeit der anspruchsgemäß hergestellten Pigmentfarbstoffe gegenüber denen der nächstliegenden Druckschrift (1) mangels Beweismittel nicht bei der Festlegung der patentgemäßen Aufgabe heranzuziehen. Deshalb bleibt die bereits vorstehend in Punkt 3.3 definierte Aufgabenstellung - Bereitstellung eines weiteren Herstellungsverfahrens - bestehen.
3.4. Zur Lösung der oben genannten Aufgabe schlägt das Streitpatent das Verfahren zur Herstellung der Pigmentfarbstoffe gemäß Anspruch 1 vor, in welchem der zweite Teilschritt in Gegenwart von Wasser durchgeführt wird.
3.5. Die erfolgreiche Lösung der patentgemäßen Aufgabe durch die Bereitstellung des anspruchsgemäßen Verfahrens wird weder in der angefochtenen Entscheidung noch vom Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren angegriffen. Auch im Hinblick auf die Ausführungen in der Streitpatentschrift hat die Kammer keinen Anhaltspunkt, den Erfolg der Lösung von sich aus in Zweifel zu ziehen.
3.6. Es bleibt nun zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregungen bot, die genannte Aufgabe durch die Bereitstellung des anspruchsgemäßen Verfahrens zu lösen.
3.6.1. Die Druckschrift (1) beschreibt neben der oben näher beschriebenen ersten Verfahrensalternative zur Herstellung der Pigmentfarbstoffe, bei welcher im ersten Teilschritt Phthalodinitril mit einem Alkoholat und anschließend das Reaktionsprodukt mit einer Barbitursäure umgesetzt wird, weiterhin die zweite Verfahrensalternative, im ersten Teilschritt das Phthalodinitril mit Ammoniak umzusetzen.
Die Druckschrift (2) geht nun gemäß Seite 3, Absatz 2 vom Verfahren der Druckschrift (1) aus und hat sich zum Ziel gesetzt, dieses zu verbessern, um Pigmentfarbstoffe mit insbesondere leichterer Dispergierbarkeit zu erzeugen (Seite 4, Absätze 2 und 4), eine Eigenschaft, auf die auch das Streitpatent abhebt (Seite 3, Zeile 16). Die in Gegenwart von Wasser hergestellten Pigmentfarbstoffe der Druckschrift (2) zeigen im direkten Vergleich mit den wasserfrei hergestellten der Druckschrift (1) tatsächlich leichtere Dispergierbarkeit (Seite 8, Beispiel 1).
Das Herstellungsverfahren der Druckschrift (2) geht zur Erreichung dieses Ziels von der oben genannten zweiten Alternative des Verfahrens der Druckschrift (1) aus, d. h. es setzt im ersten Teilschritt Phthalodinitril mit Ammoniak um, und führt anschließend die Umsetzung dieses Reaktionsproduktes mit einer Barbitursäure in Gegenwart von Wasser durch (Anspruch 1; Seite 5, Absatz 3). Wenn aber die Druckschrift (2) nun das Reaktionsprodukt gemäß zweiter Verfahrensalternative der Druckschrift (1) gezielt im zweiten Teilschritt des Verfahrens in Gegenwart von Wasser umsetzt und dadurch Pigmentfarbstoffe mit leichterer Dispergierbarkeit erzeugt, hat es für den Fachmann in Anbetracht der patentgemäßen Aufgabe (siehe Punkt 3.3 oben) nahegelegen, auch bei der ersten Verfahrensalternative der Druckschrift (1) den zweiten Teilschritt in Anwesenheit von Wasser vorzunehmen, d. h. das Reaktionsprodukt aus Phthalodinitril und Alkohol der ersten Verfahrensalternative mit Barbitursäure in Gegenwart von Wasser umzusetzen. Folglich führt die Anregung der Druckschrift (2), den zweiten Teilschritt des Herstellungsverfahrens in Gegenwart von Wasser durchzuführen, in Kombination mit der Lehre der Druckschrift (1) den Fachmann zwanglos zum anspruchsgemäßen Verfahren, ohne daß er erfinderische Anstrengungen unternehmen müßte, um die patentgemäße Aufgabe zu lösen.
3.6.2. Nach seinem schriftlichen Vortrag will der Beschwerdegegner in der Lehre der Druckschrift (1), den zweiten Teilschritt "zweckmäßigerweise in Gegenwart wasserfreier Carbonsäuren, ..Mineralsäuren, ...Ansolvosäuren ...und/oder Acylierungsmittel ..." vorzunehmen (Seite 4, Zeilen 6 bis 10), ein Vorurteil gegen die Anwesenheit von Wasser in diesem zweiten Teilschritt des Verfahrens sehen, mit der Folge, daß dessen Überwindung durch das patentgemäße Verfahren diesem erfinderische Qualität verleihe.
An die Anerkennung eines Vorurteils sind nach allgemeiner Rechtsprechung der Beschwerdekammern hohe Anforderungen zu stellen. Das tatsächliche Vorliegen eines Vorurteils setzt eine weitverbreitet herrschende, aber falsche Lehrmeinung der gesamten Fachwelt voraus, eine ablehnende Haltung einzelner Fachleute genügt hierzu nicht. Fehlende Allgemeingültigkeit des Vorurteils versagt folglich diesem die Anerkennung. Wird ein Vorurteil lediglich anhand einer Patentschrift geltend gemacht, so ist zu berücksichtigen, daß die Angaben über technische Zusammenhänge darin auf speziellen Voraussetzungen oder der persönlichen Auffassung des Verfassers beruhen können. Daher ist einem behaupteten Vorurteil allein aufgrund solcher Angaben grundsätzlich keine Allgemeingültigkeit beizumessen (siehe Entscheidung T 19/81, ABl. EPA 1982, 51, Punkt 5.3 der Entscheidungsgründe).
Im vorliegenden Fall ist die Druckschrift (1), aus welcher der Beschwerdegegner ein Vorurteil abzuleiten sucht, eine Offenlegungsschrift und die angezogene Aussage in dieser Druckschrift stellt somit lediglich die persönliche Ansicht der Verfasser dar. Mangels Allgemeingültigkeit in der gesamten Fachwelt begründet diese Aussage der Druckschrift (1) folglich kein Vorurteil.
Darüber hinaus obliegt dem Beschwerdegegner-Patentinhaber, der ein Vorurteil geltend macht, das die angebliche Erfindung durchbrochen habe, der Beweis für ein solches Vorurteil (siehe Entscheidung T 119/82, ABl. EPA 1984, 217, Punkt 14 der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall hat er die Druckschrift (1) als Beweismittel angezogen, die hingegen, wie oben ausgeführt, das behauptete Vorurteil nicht trägt; weitere Beweismittel wie Lehr- oder Fachbücher hat er im Verfahren nicht vorgelegt. Damit hat der Beschwerdegegner-Patentinhaber seiner Beweispflicht nicht genügt, mit der Folge, daß sein diesbezügliches Vorbringen keine Berücksichtigung finden kann.
Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu der Überzeugung, daß eine erfinderische Tätigkeit des anspruchsgemäßen Verfahrens nicht auf die Überwindung eines Vorurteils der Fachwelt gestützt werden kann.
3.6.3. Die Kammer hat auch das Vorbringen des Beschwerdegegners in der mündlichen Verhandlung untersucht, die angezogene Lehre der Druckschrift (1), den zweiten Teilschritt "zweckmäßigerweise in Gegenwart wasserfreier Carbonsäuren, ..Mineralsäuren, ....Ansolvosäuren ...und/oder Acylierungsmittel ..." vorzunehmen (Seite 4, Zeilen 6 bis 10), weise, wenn sie denn schon nicht ein Vorurteil belege, doch wenigstens dergestalt von der Erfindung weg, daß sie den Fachmann davon abgehalten hätte, im zweiten Teilschritt des Herstellungsverfahrens in Anwesenheit von Wasser zu arbeiten, obgleich die Lehre der Druckschrift (2) zu dieser Verfahrensweise eine Anregung bot.
3.6.3.1. Zum einen lehrt die angezogene Aussage der Druckschrift (1), die Reaktion des zweiten Teilschrittes des Herstellungsverfahrens lediglich "zweckmäßigerweise" in Gegenwart wasserfreier Säuren und/oder Acylierungsmittel zu führen, ein obligatorisches Erfordernis im Sinne eines Abhaltens des Fachmanns von jeglicher anderer Vorgehensweise bedeutet dies nicht. Dies zeigt ja auch die Druckschrift (2), die, ausgehend von dieser Lehre der Druckschrift (1), gleichwohl lehrt, den zweiten Teilschritt in Gegenwart von Wasser durchzuführen.
3.6.3.2. Zum anderen ist diese spezielle Lehre der Druckschrift (1) darauf gerichtet, den Nachteil der Bildung von Nebenprodukten beim Herstellungsverfahren zu verringern. Konkret wird angegeben, daß "in Gegenwart der genannten Mittel" die Umsetzung im zweiten Teilschritt "beschleunigt [wird], so daß die Umsetzung bei niedrigeren Temperaturen durchgeführt werden kann, wodurch gleichzeitig sehr reine Farbstoffe" erhalten werden (Seite 4, Absatz 1, letzter Satz). Diese Lehre der Druckschrift (1) stellt somit in erster Linie auf die beschleunigende Wirkung der genannten Mittel, d. h. der Säuren und/oder Acylierungsmittel, ab; in diese Lehre gezielt und allein die Abwesenheit von Wasser hineinzulesen, wie der Beschwerdegegner, bedeutet eine von der vorliegenden Erfindung aus rückblickende Lesart dieser Lehre, der nicht gefolgt werden kann.
3.6.3.3. Aus den oben genannten Gründen hat die Lehre der Druckschrift (1) den Fachmann nicht davon abgehalten, die Reaktion des zweiten Teilschritts des Herstellungsverfahrens in Gegenwart von Wasser vorzunehmen.
3.6.4. Weiterhin hat der Beschwerdegegner zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit des anspruchsgemäßen Verfahrens eingewandt, daß die Druckschrift (2) nur die zweite Verfahrensalternative der Druckschrift (1) weiterentwickle, nicht hingegen die erste wie das Streitpatent, also von letzterer weg weise.
Es ist zwar richtig, daß die Druckschrift (2) lediglich die zweite Verfahrensalternative der Druckschrift (1) aufgreift, aus diesem Stillschweigen über die erste Verfahrensalternative aber ein Vorurteil gegen diese oder eine von dieser weg weisende Lehre abzuleiten, beruht auf reiner Spekulation, die zur Begründung einer erfinderischen Tätigkeit ausscheidet.
Die Kammer hält es in diesem Zusammenhang für angezeigt darauf hinzuweisen, daß ein Aufgreifen der ersten Verfahrensalternative aus Druckschrift (1) in der Druckschrift (2), wie der Beschwerdegegner sie fordert, die neuheitsschädliche Offenbarung des Gegenstandes des Streitpatents bedeutete. Neuheit und erfinderische Tätigkeit sind hingegen gemäß Artikel 52 (1) EPÜ zwei eigenständige Erfordernisse für die Patentfähigkeit einer Erfindung und für deren Beurteilung gelten demzufolge unterschiedliche Kriterien. Einer Vermischung dieser beiden eigenständigen Erfordernisse durch die Anwendung sich deckender Beurteilungskriterien, wie sie augenscheinlich der Beschwerdegegner vorzunehmen versucht, vermag die Kammer nicht zuzustimmen.
3.6.5. Der Beschwerdegegner hat außerdem darauf abgehoben, daß das Reaktionsprodukt aus Phthalodinitril und Alkohol, das Alkoxy-imino-isoindolenin, als Halbacetal keine tautomere Form ausbilden könne im Gegensatz zum Reaktionsprodukt aus Phthalodinitril und Ammoniak, dem Amino-imino-isoindolenin, als Aminal. Daher nehme der Fachmann eine größere Unbeständigkeit des ersten Reaktionsproduktes Alkoxy-imino-isoindolenin im Vergleich zum zweiten Reaktionsprodukt Amino-imino-isoindolenin gegenüber Wasser an und übertrage somit die erfolgreiche Umsetzung dieses zweiten Reaktionsproduktes in Gegenwart von Wasser gemäß Druckschrift (2) auf das aus Druckschrift (1) bekannte erste Reaktionsprodukt nicht.
Diese behauptete Annahme des Fachmanns wird hingegen durch die Lehre der Druckschrift (4) widerlegt. Gemäß Seite 138, linke Spalte, Zeilen 1 bis 4 sind die Amino-imino-isoindolenine, d. h. das zweite Reaktionsprodukt, ähnlich unbeständig wie die Alkoxy-imino-isoindolenine, d. h. das erste Reaktionsprodukt, gegenüber verseifenden Mitteln, insbesondere verdünnten Säuren, wobei oberhalb von 20. C bereits Wasser allein hydrolysierend wirkt. Auf Grund dieser Ähnlichkeit der beiden Reaktionsprodukte hinsichtlich ihrer Beständigkeit gegenüber Wasser ist der Fachmann, im Gegensatz zum Vorbringen des Beschwerdegegners, nicht nur nicht daran gehindert, sondern geradezu dazu aufgerufen, die erfolgreiche Umsetzung des zweiten Reaktionsproduktes in Gegenwart von Wasser gemäß Druckschrift (2) auf das aus Druckschrift (1) bekannte und ähnlich beständige erste Reaktionsprodukt zu übertragen.
3.6.6. Der Beschwerdegegner hat auch vorgetragen, daß die Druckschrift (4) auf Seite 134, rechte Spalte, letzter Absatz eine vergleichende Aussage über die Beständigkeit von Alkoxy-imino-isoindolenin und Amino-imino-isoindolenin gegenüber Wasser enthalte und hieraus eine Stütze für die erfinderische Tätigkeit abgeleitet.
Dieser letzte Absatz der rechten Spalte betrifft gemäß seines Wortlautes Alkoxy-imino-isoindolenine bzw. deren tautomere Alkoxy-amino-Form, nicht aber Amino-imino-isoindolenine. Dies geht auch aus dieser rechten Spalte, Zeile 3 und dem anschließenden Formelbild hervor und folgt außerdem aus der Angabe in dem angezogenen letzten Absatz, daß bei Zersetzung der dort angegebenen Verbindungen bei 130 bis 160 C sich Alkohol abspaltet, eine Abspaltung, die bei der behaupteten Verbindung Amino-imino-isoindolenin chemisch unmöglich wäre. Der Vortrag des Beschwerdegegner ist somit nicht von den Tatsachen getragen und kann folglich nicht berücksichtigt werden.
3.6.7. Der Beschwerdegegner hat des weiteren vorgetragen, der Zeitablauf von 11 Jahren von der Offenlegung der Druckschrift (2) bis zum Prioritätstag des Streitpatents lasse die vorliegende Erfindung als nicht naheliegend erscheinen.
Der Zeitfaktor zwischen der Veröffentlichung des einschlägigen Standes der Technik und dem Zeitpunkt der Erfindung kann ein Beweisanzeichen für das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit darstellen. Allerdings ersetzt eine bloße Prüfung auf das Vorliegen von Beweisanzeichen nicht die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik aus objektiver Sicht nach dem Aufgabe-Lösung-Ansatz wie unter Punkt 3.1 oben ausgeführt. Beweisanzeichen stellen lediglich Hilfserwägungen für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar und sind somit nur in Zweifelsfällen von Bedeutung, wenn die objektive Bewertung des Standes der Technik kein klares Bild ergibt (siehe Entscheidungen T 24/81, ABl. EPA 1983, 133, Punkt 15 der Entscheidungsgründe; T 351/93 vom 1. März 1993, Punkt 5.6 der Entscheidungsgründe; T 645/94 vom 21. Oktober 1997, Punkt 4.7 der Entscheidungsgründe; letztere beiden Entscheidungen nicht veröffentlicht in ABl. EPA). Im vorliegenden Fall bestehen jedoch keine Zweifel, nachdem die objektive Bewertung des Standes der Technik ein klares Bild ergibt (siehe Punkte 3.2 bis 3.6.3 oben) und das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit aus objektiver Sicht nach dem Aufgabe-Lösung-Ansatz zu verneinen ist.
Folglich kann auch dieses Vorbringen des Beschwerdegegners nicht durchgreifen.
3.6.8. Bei dieser Sachlage können die weiter entfernt liegenden Druckschriften (3) und (5) bis (7) dahinstehen. Dies steht im Einklang mit der Auffassung des Beschwerdegegners, lediglich die Druckschriften (1) und (2) stellten den maßgeblichen Stand der Technik dar.
3.7. Die Kammer ist aus den oben angeführten Gründen überzeugt, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents eine naheliegende Lösung der patentgemäßen Aufgabe darstellt und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
3.8. Da über einen Antrag nur als Ganzes zu entscheiden ist, ist auf die abhängigen Ansprüche nicht weiter einzugehen.
Der Antrag des Beschwerdegegners ist folglich wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 52 (1) und 56 EPÜ nicht gewährbar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.