T 0119/82 (Gelatinierung) 12-12-1983
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1. Die Wirkung eines Verfahrens zeigt sich im Ergebnis, d.h. im chemischen Bereich im Erzeugnis, mit allen ihm innewohnenden Eigenschaften und den Folgen seiner besonderen Herstellung, z.B. Qualität, Ausbeute und wirtschaftlichem Wert. Bekanntlich sind Analogieverfahren dann patentfähig, wenn sie zu neuen, erfinderischen Erzeugnissen führen, und zwar deshalb weil sich alle Merkmale des Analogieverfahrens nur von einer bisher unbekannten und unvorhersehbaren Wirkung ableiten lassen (Aufgabenerfindung). Ist jedoch die Wirkung ganz oder teilweise bekannt, ist also das Erzeugnis bekannt oder nur eine neue Modifikation eines bekannten Strukturteils, dann sollte die Erfindung, d.h. das Verfahren oder das Zwischenprodukt hierfür, nicht ausschließlich aus Merkmalen bestehen, die sich bereits zwangsläufig und aufgrund des Stands der Technik in naheliegender Weise von dem bekannten Teil der Wirkung ableiten lassen (vgl. auch "Zykolopropan/ Bayer, T 65/82, ABl. 8/1983,327).
2. Eine Lösung ist nicht nur dann naheliegend, wenn der Fachmann alle Vorteile eines bestimmten Schrittes erkennen konnte, sondern auch dann, wenn ihm klar sein mußte, daß er angesichts der vorhersehbaren Nachteile oder mangels einer Verbesserung nicht in der vorgeschlagenen Weise handeln sollte, vorausgesetzt, er hat diese Folgen insgesamt tatsächlich richtig eingeschätzt.
3. Der Beschwerdeführer, der ein Vorurteil geltend macht, das den Fachmann von der angeblichen Erfindung abgehalten hätte, hat die Beweislast für ein solches Vorurteil.
Erfinderische Tätigkeit
Wirkung von Verfahren
Wirkung/Vorhersehbarkeit
Ableitbarkeit der Erfindung von einer bekannten Wirkung
I. Die am 1. August 1979 eingereichte und am 6. Februar 1980 unter der Nummer 7815 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 79 301 547.0, die die Priorität einer früheren Anmeldung vom 1. August 1978 (US-930 044) in Anspruch nimmt, wurde durch Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 15. Februar 1982 zurückgewiesen. Der Entscheidung lagen die Ansprüche 1 bis 10 zugrunde. Der Hauptanspruch lautete wie folgt:
"Verfahren zu Herstellung einer polymeren Lösung oder eines polymeren Gels mit hoher Viskosität, das folgende Verfahrensschritte umfaßt:
a) Bildung eines Lösungsmittelsystems aus einer organischen Flüssigkeit und einem polaren Cosolvens, wobei die organische Flüssigkeit ein aromatischer Kohlenwasserstoff, ein aliphatischer Kohlenwasserstoff, ein aliphatischer Chlorkohlenwasserstoff, ein Keton, ein zyklischer aliphatischer Äther, ein aliphatischer Äther, ein aliphatischer Ester, ein Paraffinöl oder eine Mischung dieser Stoffe sein kann, das polare Cosolvens einen Löslichkeitsparameter von mindestens 10,0 aufweist, ein wasserlöslicher Alkohol, ein Amin, ein di- oder trifunktioneller Alkohol, ein Amid, ein Phosphat, ein Lakton, ein Acetamid oder ein Gemisch aus diesen Stoffen sein kann und in dem Lösungsmittelsystem weniger als 15 Gew.-% ausmacht und die Viskosität des Lösungsmittelsystems weniger als ca. 1 000 cP beträgt;
b) Lösung eines neutralisierten sulfonierten Polymers in dem genannten Lösungsmittelsystem, wobei die Konzentration des neutralisierten sulfonierten Polymers in der Lösung 0,1 bis 20 Gew.-% und die Viskosität der Lösung weniger als 20 000 cP beträgt, das Polymer ein Grundgerüst mit einem Löslichkeitsparameter unter 10,5 besitzt und einen Kristallinitätsgrad unter 25 aufweist und das sulfonierte Polymer durch Kationen der Gruppe IA, IB, IIA oder IIB des Periodensystems oder durch Blei-, Zinn-, Antimon- oder Ammonium- oder Aminkationen neutralisiert ist; und
c) Zugabe von 5 bis 500 Vol-% Wasser, bezogen auf das Volumen der organischen Flüssigkeit und des polaren Cosolvens, zu der Lösung, wobei das Wasser nicht mit der Lösung mischbar ist, so daß das polare Cosolvens aus der Lösung in das Wasser übertritt und dadurch ein Ansteigen der Viskosität der Lösung oder Suspension von unter 20 000 cP auf einen höheren Wert bewirkt."
II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß zumindest der Gegenstand von Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Entgegenhaltung US-A-3 931 021 enthalte bis auf die Verwendung von Wasser in der letzten Verfahrensstufe sämtliche Merkmale des beanspruchten Verfahrens zur Herstellung hochviskoser polymerer Lösungen und führe zum gleichen Produkt wie das Verfahren der Anmelderin. Ferner zeige der entgegengehaltene Stand der Technik, daß jede Erhöhung des Anteils der Cosolventien in dem Gemisch geringere Viskositäten nach sich ziehe. Da auch allgemein bekannt sei, daß überschüssiges polares Cosolvens mit Hilfe von Wasser extrahiert werden könne, sei die daraus folgende Zunahme der Viskosität nicht unerwartet. Anspruch 10 betreffe das Produkt des Verfahrens, das keine Neuheit besitze und ebenfalls nicht patentfähig sei.
III. Die Anmelderin legte am 8. April 1982 unter Entrichtung der Beschwerdegebühr gegen die Entscheidung vom 15. Februar 1982 Beschwerde ein; die Beschwerdebegründung wurde am 3. Juni 1982 eingereicht.
IV. Auf Einwände der Kammer hin brachte die Beschwerdeführerin fristgerecht weitere Argumente vor; daraufhin wurde für den 12. Oktober 1983 eine mündliche Verhandlung anberaumt. Vor der mündlichen Verhandlung wurden mit Schreiben vom 20. September 1983 hilfsweise neue Anspruchssätze eingereicht, wobei der erste Satz, abgesehen von der Begrenzung des Konzentrationsbereichs in der Verfahrensstufe b auf "0.5 bis 5 Gew.-%" und der Streichung von Anspruch 10, einem Anspruchssatz in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen entspricht. Im übrigen ist dieser Satz bis auf kleinere Änderungen faktisch identisch mit den in der Zurückweisungsentscheidung genannten Ansprüchen. In Anspruchssatz B wird die Viskosität des Produkts auf einen Wert über 50 000 cP beschränkt, und in Anspruchssatz C umfaßt das Verfahren auch die Verfahrensstufe des Entfernens aller Lösungsmittel bei erhöhten Temperaturen zum Zwecke des Ausfällens des Polymers. In Anspruchssatz D schließlich wird das gleiche Verfahren zur Bohrlochregulierung durch Erzeugung eines Gels im Bohrloch angewendet.
V. Die Beschwerdebegründung und die der Kammer unterbreiteten zusätzlichen Argumente lauten im wesentlichen wie folgt:
a) Die entgegengehaltene US-Druckschrift befasse sich lediglich mit der Aufgabe der Regelung der Viskosität polymerer Lösungen bei Temperaturänderungen. Jegliche Vermutung, die Druckschrift betreffe in irgendeiner Weise die Erhöhung der Viskosität, stehe im Widerspruch zu deren erklärtem Zweck. Von einem Gel sei lediglich im Zusammenhang mit einem nichtpolaren Lösungsmittel und einem polaren Cosolvens die Rede, im Unterschied zu einer weiteren Feststellung, wonach sich Gels aus Polymeren bilden, die zu ionischer Quervernetzung in nichtpolaren organischer Flüssigkeiten befähigt sind.
b) Ferner führt die Beschwerdeführerin aus, aufgrund des normalen Fachwissens wäre zu erwarten gewesen, daß die Zugabe von Wasser entweder zur Ausfällung eines Polymers oder zur Phasentrennung des Systems führe. Stattdessen werde im Falle ionischer Polymere überraschend eine Emulsion gebildet. Es sei auch überraschend, daß unter bestimmten Bedingungen, d. h. bei geringen Polymerkonzentrationen, Statt der organischen Phase die wäßrige Phase in den Gelzustand übergehe. Da eine Erhöhung des Alkoholgehalts zur Verringerung der Viskosität führe, sei nicht vorherzusehen gewesen, daß die Zugabe von Wasser eine Erhöhung der Viskosität zur Folge haben würde. Die Erzeugung eines viskosen Systems in einem organischen Lösungsmittel könne Wochen dauern.
c) Ferner stellt die Beschwerdeführerin in Abrede, daß ihr Produkt mit dem des entgegengehaltenen Stands der Technik identisch sei. Das erfindungsgemäße Produkt bestehe aus zwei Phasen, während es sich beim Stand der Technik um ein Einphasensystem handele. Selbst wenn es sich um das gleiche Produkt handelte, wäre es falsch, einem alternativen Verfahren zur Erzielung des gleichen Ergebnisses die Patentfähigkeit abzusprechen, da keine Erklärung dafür vorliege, weshalb der Erfinder gerade den alternativen Weg vorrangig in Betracht gezogen habe. Ob das Verfahren patentfähig sei oder nicht, werde nach Auffassung der Beschwerdeführerin einzig und allein dadurch bestimmt, ob die einzelnen Verfahrensschritte naheliegend oder nicht naheliegend seien. Der Charakter des Produkts, z. B. ob es Neuheit besitzt, sei dabei ohne Belang; es sollte allein das Verfahren selbst im Verhältnis zum Stand der Technik geprüft werden.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung des Patents. Ferner wurde mit der Begründung, die Prüfungsabteilung habe voreilig gehandelt, die Rückzahlung des Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ beantragt.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die mit Schreiben vom 20. September 1983 eingereichten verschiedenen Anspruchssätze sind formal nicht zu beanstanden. Alle eingeschränkten Merkmale sind durch die Erstunterlagen gestützt.
3. Aufgabe des beanspruchten Verfahrens ist die Herstellung einer polymeren Lösung oder eines polymeren Gels mit hoher Viskosität. Diese Aufgabe wird im wesentlichen dadurch gelöst, daß ein neutralisiertes sulfoniertes Polymer in einem Gemisch aus einer nichtpolaren organischen Flüssigkeit und einem polaren Cosolvens gelöst und anschließend das Cosolvens vollständig oder größtenteils durch Behandlung mit Wasser entfernt wird. Das Verfahren wird anhand der Beispiele in der Beschreibung erläutert, insbesondere mit Xylol oder Heptan als organischem Lösungsmittel und Methanol, Isopropanol und Hexanol als Cosolventien. Während bei Verwendung von Methanol die Extraktion mit 8 Vol-% Wasser, bezogen auf das Volumen der organischen Flüssigkeit und des Cosolvens, die Viskosität des polymeren Gemisches bereits auf über 50 000 cP ansteigen läßt, wird dies bei Verwendung von Isopropanol erst mit 12 Vol-% Wasser erreicht. Hexanol als Cosolvens läßt sich viel schwieriger entfernen; bei einer Zugabe von 14 Vol. Wasser erhöht sich die Viskosität lediglich auf etwa 900 cP. Neben den Polymeren in den Beispielen werden noch einige andere Polymere - jedes unter Angabe spezifischer organischer Flüssigkeiten - einzeln empfohlen. Die Cosolventien sind dahingehend gekennzeichnet, daß sie einen "Löslichkeitsparameter von 10,0" haben und mit Wasser mischbar (Seite 9, Zeile 33) bzw. wasserlöslich (Seite 10, Zeile 12) sind. Dabei sollten die Cosolventien nur vorzugsweise "in der organischen Flüssigkeit löslich oder mit dieser mischbar sein", obwohl dies doch unerläßlich für den Phasenwechsel des Cosolvens, d. h. für seine Extraktion mit Hilfe von Wasser sein dürfte.
4. Der nächstliegende Stand der Technik, US-A-3 931 021 (1), beschreibt die Herstellung ionischer Polymerenlösungen mit bestimmten Viskositäten in einem Gemisch aus organischen Flüssigkeiten und polaren Cosolventien. Dabei werden die gleichen spezifischen sulfonierten Polymeren aufgezählt und unter Angabe jeweils geeigneter organischer Flüssigkeiten einzeln empfohlen wie in der vorliegenden Anmeldung. Ferner sind die polaren Cosolventien allgemein durch den gleichen Löslichkeitsparameter gekennzeichnet wie im vorliegenden Fall, außer daß sie hier ausdrücklich in der organischen Flüssigkeit "löslich oder mit dieser mischbar" sein müssen. Die Reihe der empfohlenen Cosolventien reicht von Methanol bis hin zu solchen mit erheblich geringerer Polarität. In den Beispielen werden nur Hexanol, Decanol und Benzylalkohol verwendet. Dabei kann sogar in einem Gemisch von 1 % Hexanol in Xylol eine Viskosität bis zu 175 000 cP erzielt werden.
5. Die Beispiele sollen zwar zeigen, daß die Viskositäten derartiger Lösungen weniger von Temperaturschwankungen beeinflußt werden als die von Lösungen ohne Cosolvens, die Tabellenergebnisse lassen aber auch erkennen, daß die Viskositäten bei höheren Cosolvenskonzentrationen allgemein niedriger sind. Darüber hinaus zeigen die Vergleichsversuche, daß bei völligem Wegfall der Cosolventien als Folge der schrittweisen Verringerung des Cosolvensgehalts (Tabellen A,C und D) noch eine der höchsterwartbaren Viskositäten (z. B. 85 000 cP) erzielt wird, wann man zudem die Halbierung der Polymerkonzentration berücksichtigt (Tabelle B zeigt offensichtlich nur eine einzige von der Norm abweichende Ausnahme). Ungeachtet der Zielrichtung der entgegengehaltenen Druckschrift ist die Kammer der Auffassung, daß die tabellarisch dargestellten Viskositäten für den Fachmann, der mehr auf hohe Viskositäten als auf Stabilität abzielt, eine wichtige Information enthalten.
6. Der obengenannte Stand der Technik bestätigt die Erfahrungen, die schon früher mit sulfonierten Polymeren als Verdickungsmittel gemacht wurden, und insbesondere die Tatsache, daß "die Zugabe von Alkoholen die Viskosität des verdickten Kohlenwasserstoffs herabsetzt" (vgl. Spalte 2, Zeile 53 bis Spalte 3, Zeile 4 der Druckschrift US-A-3 679 382 (2)). Ferner war bereits bekannt, daß organische Flüssigkeiten durch Polymere mit polaren Gruppen, die zur Bildung "assozierender Bindungen" befähigt sind, in den Gelzustand überführt werden können und daß die Anwesenheit polarer Cosolventien in diesem Zusammenhang unerwünscht ist, da dies die genannte Wirkung verringern würde (vgl US-A-3 666 430 (3) Spalte 2, Zeilen 33 bis 49). Bei diesen Verfahren geht es in erster Linie um die Überführung von Brennstoffen in den Gelzustand; es wird zwar davon abgeraten, andere Kationen als Ammonium zu verwenden, aber nur, um ein Absetzen im Motor zu vermeiden ((2), Spalte 4, Zeilen 36 bis 44). Dennoch stellen sie, was die Herstellung von Gels aus ionischen Polymeren in organischen Flüssigkeiten angeht, einen relevanten Stand der Technik dar. Es ist zwar nicht klar ersichtlich, warum die Zugabe sehr kleiner Mengen Wasser die Verdickung von Gemischen in einem Fall (vgl. (2), Spalte 4, Zeilen 44 bis 49) gefördert hat, aber diese Beobachtung steht im Gegensatz zur Argumentation der Beschwerdeführerin, daß unter diesen Umständen das Ausfällen des Polymers zu erwarten gewesen wäre.
7. Für die Beschränkungen. die sich aus den Angaben über die Löslichkeit in organischen Flüssigkeiten einerseits und Wasser andererseits bzw. die Mischbarkeit mit diesen Stoffen für die Wahl der Cosolventien ergeben, ist von Bedeutung, daß in der vorliegenden Anmeldung speziell Acetamid und 1,2-Propandiol (Seite 10, Zeilen 13 bis 17) erwähnt werden. Diese Verbindungen sind in Benzol "wenig löslich" bzw. "löslich", d. h. nicht völlig mischbar mit Benzol, einer wiederholt genannten organischen Flüssigkeit. Sie sind lediglich in Wasser löslich bzw. mit Wasser mischbar. Die Forderung nach Wasserlöslichkeit ist also so zu verstehen, daß sie auch geringe Löslichkeit wie im Falle von Hexanol einschließt. Im vorliegenden Zusammenhang kann dieser Begriff nur bedeuten, daß das Cosolvens weitgehend, wenn nicht vollständig mit Wasser extrahierbar sein muß, damit die Viskosität des restlichen Gemisches erheblich erhöht wird. Zwar wurde in dem betreffenden Beispiel Hexanol mit 14 Vol-% Wasser nur zu einem geringen Teil extrahiert, doch wird in den Ansprüchen auf die Möglichkeit hingewiesen, 500 Vol-% Wasser zu verwenden. Eine durch diese Wassermenge auf das 35fache gesteigerte Extraktion von Hexanol würde zu erheblich höheren Viskositäten als den bei Verwendung geringer Wassermengen festgestellten führen. Es besteht daher keine Veranlassung, das nur wenig wasserlösliche Hexanol vom beanspruchten Verfahren auszuschließen; es liegen auch keine Argumente oder Änderungsanträge der Beschwerdeführerin vor, die dem entgegenstehen.
8. Da die anmeldungsgemäßen Beispiele auch Produkte zeigen, die wegen der Verwendung geringerer Mengen von Wasser bei der Extraktion unter dem Höchstwert liegende Viskositäten aufweisen, müssen nach der einmaligen Behandlung noch wirksame Mengen von Cosolventien in der organischen Flüssigkeit zurückgeblieben sein, aus denen sich die Unterschiede erklären. Die Produkte dürften daher unter die im entgegengehaltenen Stand der Technik nach (1) umrissene allgemeine Gruppe viskoser Dreikomponentengemische fallen. Sollte das beanspruchte Verfahren dagegen im wesentlichen zur Bildung viskoser Zweikomponentensysteme führen, ohne daß eine wirksame Menge an Cosolvens in der organischen Phase zurückbleibt, so dürften diese Systeme in den Bereich der Produkte des Stands der Technik fallen, in dem ionische Polymere organische Flüssigkeiten lediglich gelieren lassen oder verdicken (d. h. (2) und (3)), bzw. als diesen Produkten sehr nahekommend einzustufen sein, Ferner ist von Bedeutung, daß auch in (1) zumindest ein hochviskoses Gemisch, das auch Hexanol enthält, sowie andere derartige Gemische in reinem Xylol im einzelnen beschrieben sind (siehe vorstehend unter Nr. 4 und 5).
9. Die Beschwerdeführerin behauptet, daß die nach dem beanspruchten Verfahren hergestellten Produkte neu und nicht mit den im Stand der Technik vorgeschlagenen identisch seien, da auch eine wäßrige Phase vorhanden sei. Es ist jedoch offenkundig, daß die wäßrige Phase unwesentlich ist und keinerlei Nutzen bringt und daß sie, auch wenn sie im Gel eingeschlossen ist, die Viskosität des Produkts insgesamt herabsetzen dürfte. In größeren Mengen würde sie, falls sie das Produkt umhüllt, geradezu den Zweck des Verfahrens verhindern; deshalb wird in der Anmeldung empfohlen, die wäßrige Phase durch herkömmliche Verfahren zur "Flüssigextraktion" (Seite 4, Zeile 2) zu entfernen, womit offenbar geeignete Trennverfahren gemeint sind. Wahlweise kann die wäßrige Phase auch einfach verdampft werden (Seite 2, Zeile 36 bis Seite 3, Zeile 7 sowie Anspruch 2). Das (vorübergehende) Anfügen funktionell überflüssiger und mit dem eigentlichen Erzeugnis in keinem Zusammenhang stehender weiterer bekannter Komponenten in ein bekanntes Erzeugnis stellt bloß eine lose Zusammenfügung von Gegenständen ("mere collocation") dar, der keine Neuheit zukommen dürfte, es sei denn, es liegen andere Gründe vor, die auf eine zusätzliche Wirkung hindeuten. So würde z. B. eine erhöhte Menge einer unerwünschten Verunreinigung einer bekannten Verbindung keine Neuheit verleihen. Im vorliegenden Zusammenhang ist die wäßrige Phase ein Nebenprodukt ohne jede technische Bedeutung.
10. Die Reihe der nach dem anmeldungsgemäßen Verfahren hergestellten Produkte überschneidet sich beträchtlich mit den in den Gelzustand überführten Flüssigkeiten des Stands der Technik und umfaßt insbesondere einige bereits bekannte Gemische. Selbst wenn diese zur Wiederherstellung der Neuheit durch Disclaimer ausgenommen würden, stellten die verbleibenden Produkte gegenüber der allgemeinen Klasse der Zwei- oder Dreikomponentengele nicht zwangsläufig eine neue und erfinderische Produktauswahl dar. Nichts deutet darauf hin, daß die anmeldungsgemäßen viskosen Lösungen oder Gels derartige unerwartete vorteilhafte Eigenschaften haben; solche Eigenschaften wurden auch nicht geltend gemacht. Somit kann die Patentfähigkeit des beanspruchten Verfahrens zur Herstellung dieser Produkte nicht auf deren Patentfähigkeit gestützt werden.
11. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach der Charakter des Produkts hier außer Betracht bleiben solle, vertritt die Kammer die Auffassung, daß der Charakter des Produkts einschließlich der Frage der Neuheit und des Naheliegens gegenüber dem Stand der Technik bei der Beurteilung der dem Verfahren zugrunde liegenden erfinderischen Tätigkeit eine entscheidende Rolle spielt. Die Wirkung eines Verfahrens zeigt sich im Ergebnis, d. h. im chemischen Bereich im Erzeugnis, mit allen ihm innewohnenden Eigenschaften und den Folgen seiner besonderen Herstellung, z. B. Qualität, Ausbeute und wirtschaftlichem Wert. Bekanntlich sind ansonsten nicht erfinderische Analogieverfahren dann patentfähig, wenn sie zu neuen, erfinderischen Erzeugnissen führen, und zwar deshalb, weil sich alle Merkmale des Analogieverfahrens nur von einer bisher unbekannten und unvorhersehbaren Wirkung ableiten lassen (Aufgabenerfindung). Ist jedoch die zu erzielende Wirkung ganz oder teilweise bekannt, ist also das Erzeugnis bekannt oder nur eine neue Modifikation eines bekannten Strukturteils, dann sollte die Erfindung, d. h. das Verfahren oder das Zwischenprodukt hierfür, nicht ausschließlich aus Merkmalen bestehen, die sich bereits zwangsläufig und aufgrund des Standes der Technik in naheliegender Weise von dem bekannten Teil der Wirkung ableiten lassen (vgl. auch "Zyklopropan/Bayer, T 65/83, ABl. EPA 8/1983, 327).
12. Die besonderen Merkmale des vorliegenden Produkts sind seine Komponenten, d. h. das sulfonierte Polymer, die organische Flüssigkeit und gegebenenfalls eine bestimmte Menge Cosolvens sowie der gewünschte Viskositätswert. Solche bekannten Gemische lassen sich in naheliegender Weise dadurch herstellen, daß die einzelnen Komponenten gemischt und ggf. anschließend weitere Mengen der Komponenten zugegeben werden, um eventuelle Unzulänglichkeiten auszugleichen und die Viskosität auf den gewünschten Wert zu bringen. Das definierte viskose Produkt mit all seinen Merkmalen stellt für den Fachmann also als Verfahren ausgedrückt dessen Resultat dar. Bezüglich alternativer, auf das gleiche Ziel gerichteter Verfahren erhebt sich die Frage, ob es unter den gegebenen Umständen auch nahegelegen hätte, zur Einstellung des Gemisches bestimmte überschüssige Mengen von Komponenten zu entfernen anstatt andere Komponenten zuzugeben, um auf dies Weise den Mangel auszugleichen. Aufgaben dieser Art erfordern unmittelbar Trennverfahren, die zu den allgemein bekannten Grundoperationen der chemischen Verfahrenstechnik gehören, u. a. möglicherweise Verdampfungs- und Extraktionsverfahren. Was die Regelung des Cosolvensgehalts eines Dreikomponentengemisches durch Entfernen der Überschußmenge angeht, so hätte der Fachmann die Extraktion mittels Wasser im Hinblick auf die Gegenwart der im wesentlichen unpolaren organischen Flüssigkeiten ohne weiteres als gangbare Lösung erkannt. Im Unterschied zu vielen anderen Fällen in der Chemie wäre das Ergebnis hier aufgrund der zur Verfügung stehenden Löslichkeitsdaten und Verteilungskoeffizienten sowie einfacher physikalisch-chemischer Überlegungen leicht vorauszusagen gewesen.
13. Die Angabe des Erfinders, er hätte die Folgen der Zugabe von Wasser nicht absehen können, kann die Annahme nicht widerlegen, daß sich der begriffliche Fachmann der genannten Möglichkeiten bewußt gewesen wäre, da nichts Gegenteiliges vorgebracht wurde. Der Hinweis, daß sich der entgegengehaltene Artikel von Longworthy ("Ionic Polymers", Holliday-Verlag, 1975) mit einem Plastifizierungseffekt mittels Wasser befasse und dort von einem beträchtlichen Ionenhydrationsgrad die Rede sei, ist ohne Belang. Diese Wirkung wurde natürlich in Abwesenheit nichtpolarer Flüssigkeiten beobachtet, von denen zu erwarten gewesen wäre, daß sie sich als stark hydrophobe Medien erweisen würden. Während andere polare Cosolventien sowohl hydrophile als auch hydrophobe Komponenten haben, was Löslichkeit in polaren wie auch in nichtpolaren Lösungsmitteln bedeutet, hat Wasser ausschließlich polaren Charakter und dürfte in nichtpolaren Medien als Lösungsmittel schwerlich in nennenswertem Maße bestehen können. Die Beschwerdeführerin wurde aufgefordert, diesbezüglich Beweise zu führen; aus dem daraufhin vorgelegten Material geht jedoch nicht hervor, daß das Produkt wider Erwarten doch in solchen Medien hydriatisiert wird. Durch ähnliche Überlegungen ließe sich auch die angeblich unerwartete Bildung von Emulsionen mittels Gels erklären, bei der neben dem physikalischen Einschluß geringer Mengen dispergierten Wassers in hochviskosen Systemen der hydrophile/hydrophobe Charakter des ionischen Polymers auch stabilisierend wirken kann.
14. Der Einwand, daß eher ein Ausfällen des Polymers als eine viskose Lösung zu erwarten gewesen sei, überzeugt ebenfalls nicht. Als Beispiel hat die Beschwerdeführerin Polystyrol genannt, das keine hydrophilen Sulfonatgruppen enthält. Außerdem wäre mit einer solchen Trennung nur dann zu rechnen gewesen, wenn das Lösungsmittel nennenswerte Mengen Wasser lösen könnte, was bei den zu verwendenden, im wesentlichen nichtpolaren Flüssigkeiten nicht der Fall ist. Der weitere Einwand, beim Einsatz des sulfonierten Polymers in geringen Konzentrationen könne anstatt der organischen Phase das Wasser selbst in den Gelzustand überführt werden, ist eine leere Behauptung. Der Beschwerdeführer, der ein Vorurteil geltend macht, das den Fachmann von der angeblichen Erfindung abgehalten hätte, hat die Beweislast für ein solches Vorurteil. Ein bloßer Hinweis auf eine unveröffentlichte anhängige Patentanmeldung, die für die Öffentlichkeit und für die Kammer nicht zugänglich ist, widerlegt nicht den Eindruck von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens. Dies legt den Gedanken nahe, daß eine den vorgeschlagenen Grenzwert überschreitende Menge des sulfonierten Polymers die Ursache für das unerwartete Übergehen der wäßrigen Phase in den Gelzustand ausschalten würde, anstatt daß sich lediglich die Menge des Polymers in beiden Phasen erhöht. Dies ist eine völlig überraschende Behauptung, die ohne Stütze durch äußerst überzeugende Beweise nicht aufrechtzuerhalten ist. Der Inhalt dieser Behauptung und die Art und Weise, wie sie vorgetragen wird, verstoßen gegen die übliche Praxis und insbesondere gegen die Grundsätze der Beweisführung vor Gericht.
15. Die Beschwerdeführerin hat keinerlei Beweise vorgelegt, die glaubhaft gemacht hätten, daß ein wirkliches Vorurteil dagegen bestand, den Einsatz von Wasser zur Einstellung der Viskosität in Betracht zu ziehen, oder daß sich bei Anwendung des beanspruchten Verfahrens ein unerwarteter Vorteil gegenüber dem direkten Mischverfahren ergibt. Das neue, indirekte Verfahren, das Extraktion als zusätzliche Verfahrensstufe und - fakultativ - das Entfernen der wäßrigen Phase vorsieht, dürfte eher als zusätzliche Bürde oder als Umweg anzusehen sein, der nur durch einen bisher nicht vermuteten zusätzlichen Effekt wettgemacht werden kann. Das beanspruchte Verfahren selbst kann insgesamt 24 Stunden dauern; es konnte nicht glaubhaft nachgewiesen werden, daß der direkte Weg mehr Zeit in Anspruch nehmen würde. Die Modifikation des Stands der Technik, d. h. des Mischverfahrens an sich, durch das Extraktionsverfahren weist offenbar keine unerwarteten Merkmale oder Vorteile auf.
16. Das Argument, daß alternative Verfahren als um so weniger naheliegend anzusehen sind, je ausgefallener oder gar je ungünstiger sie sind, läßt sich nicht aufrechterhalten. Die rhetorische Frage, warum der Fachmann denn einen derartigen Umweg überhaupt in Erwägung gezogen habe, ließe sich auch dann stellen, wenn jemand versuchen würde, für die unattraktivsten Analogieverfahren zur Herstellung einer bekannten Verbindung Patentschutz zu erlangen. Eine Lösung ist nicht nur dann naheliegend, wenn der Fachmann alle Vorteile eines bestimmten Schrittes erkennen konnte, sondern auch dann, wenn ihm klar sein mußte, daß er angesichts der vorhersehbaren Nachteile oder mangels einer Verbesserung nicht in der vorgeschlagenen Weise handeln sollte, vorausgesetzt, er hat die Folgen tatsächlich richtig eingeschätzt.
17. Das nach dem beanspruchten Verfahren gewonnene Produkt gehört zum bekannten Stand der Technik und ist durch seine Komponenten und die gewünschte Viskosität gekennzeichnet. Durch die bereits bekannten Merkmale sind alle erforderlichen Komponenten für ein alternatives Verfahren zur Herstellung des Gemisches vorgegeben; ferner ist bekannt, daß die Viskosität durch genaue Einstellung des Cosolvensgehalts bestimmt wird. Wie erläutert, waren zur Einstellung des Cosolvensgehalts durch Entfernen überschüssiger Cosolvensmengen bereits geeignete Verfahren zur Extraktion mit Hilfe von Wasser bekannt. Die Anwendung aller beanspruchten Maßnahmen zur Herstellung und Einstellung des Gemisches war ohne weiteres aus dem Stand der Technik abzuleiten und daher naheliegend; somit ist die Feststellung der Prüfungsabteilung, daß dem Hauptanspruch (Anspruchssatz A) keine erfinderische Tätigkeit zugrund liegt, zu bestätigen.
18. Die in den hilfsweise eingereichten Anspruchssätzen B und C zusätzlich aufgeführten Merkmale beinhalten nichts, was irgendeinem der Hauptansprüche Patentfähigkeit verleihen könnte. Die Begrenzung der Viskositätswerte im Anspruchssatz B auf über 50 000 cP kennzeichnet Produkte, die in Anbetracht der im nächstliegenden Stand der Technik nach (1) für Drei- und Zweikomponentensysteme offenbarten höchsten Viskositäten sowohl vorhersehbar als auch herstellbar waren. Anspruchssatz C ist auf das Beschichten eines Substrats beschränkt, wobei alle Lösungsmittel verdampfen müssen, damit sich die im Gel enthaltene Trockensubstanz niederschlägt; dies ist zweifellos ein in der Farbstoffindustrie allgemein bekanntes Verfahren zur Behandlung aller Arten von viskosen Lösungen oder Gels. Der auf die Regulierung von Bohrlöchern, gerichtete Anspruchssatz D kann derzeit nicht beurteilt werden, da hier ganz besondere Umstände und Wechselwirkungen zu berücksichtigen sein könnten; solange keine Recherche im Stand der Technik über die Möglichkeiten der Gelbildung unter derartigen Umständen durchgeführt worden ist, kann die Verwendung solcher bekannten Gels und die Art der damit erzielten Wirkung nicht richtig bewertet werden.
19. Da die von der Anmelderin im Prüfungsverfahren vorgebrachten Erläuterungen keine ausreichende Grundlage boten, um den gewichtigen Vorwurf des Naheliegens zu entkräften, und die Prüfungsabteilung daher auch bei Vornahme von Änderungen keine Möglichkeit zur Erteilung eines Patents sah, war die Zurückweisung gerechtfertigt (siehe auch die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer T 84/82 "Chloralderivate" vom 18.3.1982). Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr kann nur erfolgen, wenn ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt; ein solcher liegt aber nach Auffassung der Kammer hier nicht vor.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 15. Februar 1982 wird aufgehoben.
2. Die Beschwerde wird insoweit zurückgewiesen, als sie die mit Schreiben der Anmelderin vom 20. September 1983 vorgelegten Anspruchssätze A, B und C betrifft.
3. Die Sache wird an die Vorinstanz mit der Auflage zurückverwiesen, die Sachprüfung auf der Grundlage des unter demselben Datum vorgelegten, auf die Bohrlochregulierung gerichteten Anspruchssatzes D fortzusetzen.
4. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.