T 0470/97 (Schwachschäumende Waschmittel/SASOL) 10-07-2001
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Schwachschäumende Maschinen-Waschmittel
Verfahrensmißbrauch (ja) - erstmalige Geltendmachung weiterer Patenthinderungsgründe in der mündlichen Verhandlung nicht zugelassen
Mangelnde Offenbarung (nein) - falsche (unmögliche) Prozentangaben sind im Lichte der Beschreibung auszulegen
1. Stützt sich die einsprechende Beschwerdeführerin vor Ablauf der Frist zur Beschwerdebegründung nur auf einen einzigen Grund (hier mangelnde Offenbarung, Artikel 83 EPÜ), ohne die von der ersten Instanz zu anderen Patenthinderungsgründen getroffene Entscheidung zu bestreiten, dann ist das Beschwerdeverfahren grundsätzlich auf diesen Grund beschränkt. Dies folgt aus analoger Anwendung der Entscheidung G 9/91, OJ EPA 1993, 408, wonach ein Einsprechender grundsätzlich auf die Gründe beschränkt ist, die er vor Ablauf der Einspruchsfrist angegeben hat, es sei denn, die Gegenpartei stimmt zu, daß weitere Gründe behandelt werden. Die Einführung weiterer Gründe in das Beschwerdeverfahren, wie mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Anspruchgegenstandes, liegt daher im Ermessen der Beschwerdekammer, gegebenenfalls mit Zustimmung der Gegenpartei.
2. Ein erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer gestellter Antrag, auch mangelnde erfinderische Tätigkeit des Anspruchsgegenstandes zu behandeln, stellt jedenfalls dann einen Verfahrensmißbrauch dar, wenn die Beschwerdeführerin eine Mitteilung der Beschwerdekammer unbeantwortet läßt, in der die Parteien mehr als ein halbes Jahr vor der Verhandlung darauf hingewiesen wurden, daß sich diese auf die Diskussion mangelnder Offenbarung (Artikel 83 EPÜ) beschränken werde. Ein solcher Antrag wird von der Beschwerdekammer nicht zugelassen (Sachverhalt und Anträge, Punkt V. und Entscheidungsgründe, Punkte 1.1 bis 1.4).
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 0 457 965 in geänderter Form aufrechtzuerhalten.
II. Der angefochtenen Entscheidung lag ein Satz von 7. Ansprüchen zugrunde, dessen unabhängiger Anspruch 1 folgenden Wortlaut hat:
"1. Schwachschäumendes, flüssiges Maschinen-Waschmittel, dadurch gekennzeichnet,
daß der tensidische Anteil aus 5. bis 30 % Alkylpolyglycosid,
5. bis 30 % Fettalkoholethercarboxylat,
5. bis 30 % Seife und
0. bis 3 % anderen Tensiden
besteht."
Gegenstand der Ansprüche 2 bis 7 sind weitere Ausgestaltungen des Mittels nach Anspruch 1.
III. In einem Einspruchsschriftsatz war der Widerruf des Patents in vollem Umfang aufgrund von Artikel 100 a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit und aufgrund von Artikel 100 b) EPÜ wegen mangelnder Ausführbarkeit beantragt worden.
IV. Die Einspruchsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, daß
- der Gegenstand der Ansprüche sowohl neu als auch erfinderisch sei;
- die im Anspruch 1 enthaltenen Prozentangaben sich nur auf das gesamte Waschmittel beziehen können; und
- die beanspruchte Erfindung für einen Fachmann daher ausführbar sei.
V. Die gegen diese Entscheidung eingelegte Beschwerde wurde ausschließlich damit begründet, daß die beanspruchte Erfindung wegen mangelnder Offenbarung für den Fachmann nicht ausführbar sei.
Die am 28. November 2000 zur Post gegebene Mitteilung der Kammer, mit der die Parteien unter anderem informiert wurden, daß sich die mündliche Verhandlung auf eine Diskussion der mangelnden Offenbarung des angegriffenen Patents beschränken werde, blieb unbeantwortet.
VI. Die von der Beschwerdeführerin (Einsprechende) sowohl mündlich als auch schriftlich vertretene Auffassung läßt sich wie folgt zusammenfassen:
- Die im Anspruch 1 enthaltenen Prozentangaben bezögen sich sprachlich auf die vier Komponenten, aus denen der tensidische Anteil des beanspruchten Waschmittels bestehe. Da sich die Mengen der vier Komponenten nicht auf 100 %, sondern maximal auf 93 % ergänzten, sei ein dem Anspruch entsprechendes Waschmittel für den Fachmann nicht herstellbar;
- die Beschreibung lehre, daß die im beanspruchten Waschmittel eingesetzte Tensidmischung im wesentlichen aus Alkylpolyglykosiden, Fettalkoholethercarboxylaten und Seifen bestehe (Seite 2, Zeilen 16 und 17). Jedoch werden in der Beschreibung die für diese Tenside anzuwendenden Konzentrationen einerseits auf die Tensidmischung (Seite 2, Zeilen 18 bis 24), andererseits auf das gesamte Waschmittel (Seite 3, Zeile 18 und Seite 4, Zeilen 6 und 17) bezogen;
- während die Tensidkonzentrationen in den Beispielen der Tabellen 1 und 2 des Streitpatents mit der Wahl des gesamten Waschmittels als Bezugsbasis für die fraglichen Prozentangaben vereinbar seien, hätten die Tensidkonzentrationen in den Beispielen der Tabelle 3 des Streitpatents die Wahl des gesamten tensidischen Anteils als Bezugsbasis gestützt; die Streichung dieser Tabelle 3 vor der ersten Instanz sei willkürlich gewesen;
- angesichts der widersprüchlichen Beschreibung sei es daher für den Fachmann nicht möglich, die für die Herstellung der erfindungswesentlichen Tensidmischung notwendigen Konzentrationen der einzelnen Tensidkomponente zu identifizieren und die beanspruchte Erfindung auszuführen.
VII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat im wesentlichen vorgetragen, daß sich die im Anspruch 1 enthaltenen Prozentangaben auf das gesamte Waschmittel bezögen, was der Fachmann unmittelbar der Beschreibung habe entnehmen können, und daß die beanspruchte Erfindung daher für den Fachmann ausführbar gewesen sei.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
IX. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen oder das Patent auf Basis eines ersten oder zweiten Hilfsantrags jeweils mit dem mit Schreiben vom 6. Oktober 1997 geänderten Anspruch 1 aufrechtzuerhalten.
X. An der am 10. Juli 2001 abgehaltenen mündlichen Verhandlung lehnte die Kammer den Antrag der Beschwerdeführerin ab, die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes diskutieren zu dürfen.
Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidungen der Kammer.
1. Verfahrensfragen
1.1. Im vorliegenden Fall war die Beschwerde alleine darauf gestützt worden, die Einspruchsabteilung habe die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ im Hinblick auf das Streitpatent falsch beurteilt.
Die von der ersten Instanz im Hinblick auf die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes getroffene Entscheidung wurde in der Beschwerdebegründung nicht bestritten.
Spätestens als die Parteien von der Kammer mehr als ein halbes Jahr vor der mündlichen Verhandlung schriftlich informiert worden waren, daß sich die mündliche Verhandlung angesichts der Beschwerdebegründung auf die Abhandlung der unter Artikel 83 EPÜ erhobenen Einwände beschränken werde, hätte die Beschwerdeführerin weitere Einwände geltend machen können. (Ob diese dann auch berücksichtigt worden wären, kann dahingestellt bleiben.)
Die Beschwerdeführerin hat im Gegensatz dazu erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragt, die mangelnde erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes diskutieren zu dürfen.
Dies hat die Kammer abgelehnt.
1.2. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA ist die Beschwerde gegen die Entscheidung der ersten Instanz Gegenstand des Beschwerdeverfahrens; diese Beschwerde muß begründet sein (siehe G 4/93, ABl. EPA 1995, 875, Punkt 9 und die im ABl. EPA noch nicht veröffentlichte G 1/99, Punkt 6.4).
Eine Beschwerdebegründung entspricht den Erfordernissen des Artikels 108, Satz 3 EPÜ, wenn sie die Gründe angibt, aus denen die angefochtene Entscheidung, nach Auffassung der Beschwerdeführerin, keinen Bestand haben kann (siehe z. B. J 22/86, ABl. EPA 1987, 280, Punkt 2; T 220/83, ABl. EPA 1986, 249, Punkt 1).
Damit gewährleistet die Beschwerdebegründung, daß alle Beteiligten und die Kammer zum frühestmöglichen Zeitpunkt die im Beschwerdeverfahren abzuhandelnden Punkte erkennen und vorbereiten können.
Außerdem ist nach dem Grundsatz des ordnungsgemäßen Verfahrens eine Partei verpflichtet, rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung die zur Stützung ihrer Anträge vorzubringenden Tatsachen und Beweismittel der Gegenseite zur Kenntnis zu bringen.
Dies ist schon aus verfahrensökonomischen Gründen erforderlich.
1.3. Stützt sich daher die Beschwerdeführerin vor Ablauf der Frist zur Beschwerdebegründung nur auf einen einzigen Grund (hier mangelnde Offenbarung, Artikel 83 EPÜ), ist das Beschwerdeverfahren grundsätzlich auf diesen Grund beschränkt. Dies folgt aus analoger Anwendung der Entscheidung G 9/91, OJ 1993, 408 (Punkte 6, 16 und 18), wonach ein Einsprechender grundsätzlich auf die Gründe beschränkt ist, die er vor Ablauf der Einspruchsfrist angegeben hat, es sei denn, die Gegenpartei stimmt zu, daß weitere Gründe behandelt werden. Die Einführung weiterer Gründe in das Beschwerdeverfahren, wie mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Anspruchgegenstandes, liegt daher im Ermessen der Beschwerdekammer, gegebenenfalls mit Zustimmung der Gegenpartei.
Falls neue Beweismittel, Tatsachen oder Anträge, die durchaus früher vorgebracht werden konnten, erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen werden, liegt außerdem ein Verfahrensmißbrauch vor, den die zuständige Instanz des EPA nach Artikel 114 (2) EPÜ unterbinden kann (siehe G 4/92, ABl. EPA 1994, 149, Punkte 5 bis 7), wobei die Entscheidung über die Zulässigkeit des spät Vorgebrachten unter anderem im Lichte einer effizienten Verfahrensdurchführung getroffen werden muß (siehe die im ABl. EPA nicht veröffentlichte T 633/97, Punkt 2.2).
1.4. Da der Antrag der Beschwerdeführerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer gestellt wurde, waren die von der Beschwerdeführerin angesprochenen weiteren Patenthinderungsgründe und die zur Stützung dieser Gründe vorzubringenden Tatsachen oder Beweismittel bis zu diesem Zeitpunkt sowohl der Beschwerdegegnerin als auch der Kammer unbekannt.
Die Diskussion dieser Patenthinderungsgründe in der mündlichen Verhandlung hätte daher zwingend und mit unvorhersehbaren Konsequenzen den Verfahrensabschluß verzögert.
Bei dieser Sachlage war die erstmalige Geltendmachung weiterer Patenthinderungsgründe in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht zuzulassen.
1.5. Die Kammer hat auch keine Veranlassung von der Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit durch die Einspruchsabteilung abzuweichen. Eine nähere Begründung hierfür ist unter den gegebenen Umständen nicht erforderlich.
1.6. Somit ist die Beschwerde auf Fragen hinsichtlich mangelnder Offenbarung (Artikel 83 EPÜ) beschränkt.
Hauptantrag
2. Mangelnde Offenbarung (Artikel 83 EPÜ)
2.1. Gemäß dem Anspruch 1 des Streitpatents besteht der tensidische Anteil des beanspruchten Maschinen-Waschmittels aus
5. bis 30 % Alkylpolyglycosid, 5 bis 30 %
Fettalkoholethercarboxylat, 5 bis 30 % Seife und
0. bis 3 % anderen Tensiden.
Wie die Beschwerdeführerin beanstandet hat, beziehen sich die im Anspruch 1 enthaltenen Prozentangaben sprachlich auf die vier Komponenten, aus denen der tensidische Anteil des beanspruchten Waschmittels besteht. Diese Prozentangaben müßten daher so gewählt sein, daß sie stets eine Ergänzung auf 100 % zulassen. Da sie sich aber maximal auf 93 % ergänzen, sind in diesem Fall die Prozentangaben für die Tensidkomponenten offensichtlich falsch, was der Fachmann unmittelbar erkennt.
2.2. Wie bereits in mehreren Entscheidungen der Beschwerdekammern des EPA festgestellt wurde, ist ein solcher Anspruch unklar (T 2/80, ABl. EPA 1982, 149, Punkt 3 der Entscheidungsgründe und T 13/83, ABl. EPA 1984, 428, Punkt 2 der Entscheidungsgründe).
Da Artikel 84 EPÜ jedoch kein Einspruchsgrund im Sinne des Artikels 100 EPÜ ist und diese falschen Prozentangaben bereits in der erteilten Fassung des Anspruchs 1 enthalten waren, kann dieser Mangel von der Kammer nicht berücksichtigt werden. Vielmehr muß der Anspruch so ausgelegt werden, und zwar unter Bezugnahme auf die Beschreibung, daß er technisch sinnvoll wird.
2.3. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA darf darüber hinaus die Offenbarung einer Erfindung nicht allein vom Inhalt der Patentansprüche her beurteilt werden, sondern es müssen hierzu auch die Beschreibung und Zeichnungen (wenn vorhanden) herangezogen werden (siehe z. B. T 14/83, ABl. EPA 1984, 105, Punkt 3 der Entscheidungsgründe).
Eine Erfindung wäre dann ausreichend offenbart, wenn ein Fachmann sie anhand aller dieser Offenbarungsmittel in der gesamten Breite des von den Ansprüchen bestimmten Schutzbereichs ausführen kann. Der von den Ansprüchen bestimmte Schutzbereich ist in dieser Hinsicht nach Artikel 69 (1) EPÜ im Lichte der Beschreibung auszulegen (G 2/88, ABl. EPA 1990, 93, Punkte 4 und 5; G 6/88, ABl. EPA 1990, 114, Punkt 3).
Aus alledem folgt, daß im vorliegenden Fall der Fachmann die Beschreibung zu Rate zu ziehen hat, sowohl um Anspruch 1 technisch sinnvoll auszulegen, als auch um festzustellen, ob die beanspruchte Erfindung (so wie sie sich in Zuge der Auslegung darstellt) ausführbar ist.
2.4. Nach der Lehre der Beschreibung lag der Erfindung des Streitpatents die Aufgabe zugrunde, eine Tensidkombination für schwachschäumende Waschmittel bereitzustellen, welche zwingend aus drei Tensidkomponenten, d. h. Alkylpolyglycosiden, Ethercarboxylaten und Seife besteht und, wenn gewünscht, kleinere Mengen weiterer Tenside enthalten kann (siehe Seite 2, Zeilen 16, 17, 37 und 38).
Obwohl die Beschreibung des Streitpatents auf Seite 2, Zeilen 18 bis 24 den fehlerhaften Wortlaut des Anspruchs 1 wiederholt, lehrt sie auf Seite 3, Zeile 18 und Seite 4, Zeilen 6 und 17, daß die zwingend vorgeschriebenen Tenside in bestimmten Mengen, bezogen auf das gesamte Waschmittel, anwesend sein müssen. Die jeweiligen Prozentangaben sind mit jenen des Anspruchs 1 identisch.
Die Wahl des gesamten Waschmittels als Grundlage für die Prozentangaben wird von den Ausführungsbeispielen der Tabellen 1 und 2 gestützt, wie auch die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingeräumt hat.
2.5. Nach Überprüfung der vor der ersten Instanz gestrichenen Beispiele der Tabelle 3 kommt die Kammer außerdem zum Ergebnis, daß die dort angegebenen Tensidkonzentrationen weder mit einer Wahl des gesamten Waschmittels noch mit der Wahl der gesamten Tensidmischung als Bezugspunkt für die Prozentangaben vereinbar sind. Daher wurden diese Beispiele vor der ersten Instanz zu Recht gestrichen.
2.6. Die Kammer schließt daraus, daß nach Berücksichtigung der einzigen konsistenten technischen Lehre der Beschreibung der fachkundige Leser, der nicht am Wortlaut klebt, sondern den technischen Sinn eines Textes zu erfassen sucht, sofort die im Anspruch 1 enthaltenen Prozentangaben auf das gesamte Waschmittel bezogen hätte.
Daß Waschmittel, die unter einen in dieser Weise ausgelegten Anspruch 1 fallen, für einen Fachmann nicht herstellbar seien, hat die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht. Die Kammer kann auch keine Umstände erkennen, die Zweifel an der Herstellbarkeit solcher Waschmittel begründen könnten.
Daraus folgt unmittelbar, daß die beanspruchte Erfindung im Streitpatent so beschrieben ist, daß sie der Fachmann ausführen kann.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.