Spezielle Keramik-Spritzbeschichtung verlängert Lebensdauer von Produkten: Nuria Espallargas und Fahmi Mubarok als Finalisten für Europäischen Erfinderpreis 2022 nominiert
- Spanische Chemikerin und Werkstoffingenieurin Nuria Espallargas und indonesischer Materialwissenschaftler Fahmi Mubarok sind gemeinsam für den Preis des Europäischen Patentamts (EPA) für ihre innovative Keramik-Spritzbeschichtung nominiert
- Mithilfe eines neuartigen Verfahrens werden keramische Partikel zum Schutz vor hohen Temperaturen beschichtet und so ein neuer Verbundwerkstoff namens ThermaSiC hergestellt
- Aufsprühen des Materials bei hohen Temperaturen auf Bauteile wie Bremsscheiben und Industriegeräte kann deren Lebensdauer verlängern, da sie besser gegen Abnutzung oder den Kontakt mit Chemikalien geschützt sind
München, 17. Mai 2022 - Das Europäische Patentamt (EPA) gibt bekannt, dass die spanische Chemikerin, Werkstoffingenieurin und Universitätsprofessorin Nuria Espallargas und der indonesische Materialwissenschaftler und außerordentliche Universitätsprofessor Fahmi Mubarok gemeinsam für den Europäischen Erfinderpreis 2022 nominiert worden sind. Sie haben ein Verfahren entwickelt, mit dem keramische Werkstoffe ohne Schmelzpunkt auf hohe Temperaturen erhitzt werden können, um sie auf technische oder industrielle Bauteile aufzuspritzen.
Ihre innovative Keramik-Spritzbeschichtung soll die Lebensdauer von Bauteilen verlängern, die in verschiedenen Industriezweigen verwendet werden, indem sie besser vor Verschleiß und chemischer Belastung schützt. Die ersten industriellen Anwendungen werden in Auto- oder Zugbremsen, Werkzeugen für die Glasherstellung und Ausrüstungen für die Metallgewinnung erwartet. In einem bevorstehenden Projekt mit der Europäischen Weltraumorganisation soll getestet werden, wie gut die Beschichtungen dem Abrieb durch Sand auf dem Mond und dem Mars widerstehen können.
„Mit ihrem Einfallsreichtum haben Nuria Espallargas und Fahmi Mubarok ein Problem gelöst, das Experten auf ihrem Gebiet für unlösbar hielten", sagte EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2022. „Ihr Prozess verbessert die Langlebigkeit und Haltbarkeit von Industrieprodukten erheblich - ein entscheidender Aspekt in der Materialwirtschaft."
Espallargas und Mubarok sind gemeinsam als einer von vier Finalisten in der Kategorie „KMU" nominiert, in der außergewöhnliche Erfinder in kleinen Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von weniger als 50 Mio. EUR ausgezeichnet werden. Die Gewinner der diesjährigen Ausgabe des Europäischen Erfinderpreises des EPA werden am 21. Juni im Rahmen einer virtuellen Preisverleihung bekannt gegeben.
Entwicklung eines neuen Materials
Die Idee zu der Erfindung geht auf die Promotion von Nuria Espallargas in Materialwissenschaften und Metallurgietechnik zurück. Sie beschäftigte sich damit, dass bestimmte Arten keramischer Beschichtungen, die in der Industrie wegen ihrer Festigkeit, Temperaturbeständigkeit und ihres geringen Gewichts verwendet werden, in Vakuumkammern aufgetragen werden und nicht durch eine Technik namens thermisches Spritzen, bei der ein Material auf Temperaturen von über 2500 °C erhitzt und mit einer Spritzpistole aufgetragen wird. Das thermische Spritzen ist billiger als die Verwendung einer Vakuumkammer und ermöglicht die Beschichtung einer größeren Anzahl von Objekten, galt aber für Keramiken ohne Schmelzpunkt als unmöglich, da sie bei hohen Temperaturen eher verdampfen als schmelzen.
Diese Wissenslücke und die Annahme, dass es unmöglich sei, sie zu schließen, motivierten Espallargas, eine Lösung zu finden: „Wenn ein Material keinen Schmelzpunkt hat, kann es im Prinzip nicht für das thermische Spritzen verwendet werden, und das hat mich fasziniert. Ich wollte herausfinden, wie man dieses Problem lösen kann, weil für diese Materialien der Markt für thermisches Spritzen begrenzt ist."
Das Vorhaben Espallargas, zu dem Zeitpunkt außerordentliche Professorin an der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie (NTNU), wurde mit Skepsis aufgenommen, weil große Unternehmen der thermischen Spritzindustrie damit gescheitert waren. 2010 stellte sie Fahmi Mubarok als Doktoranden ein und gab ihm die Aufgabe zu erforschen, wie Siliziumkarbid - eine Keramik und eines der härtesten synthetischen Materialien - thermisch gespritzt werden kann.
Der Heureka-Moment kam nach unzähligen Versuchen und einem Gespräch mit Kollegen, bei dem Espallargas und Mubarok erkannten, dass die Siliziumkarbidpartikel mit etwas geschützt werden mussten, das zwei Funktionen gleichzeitig erfüllen konnte: „Es musste die Fähigkeit haben, das Siliziumkarbid vor hohen Temperaturen zu schützen und gleichzeitig das Siliziumkarbid zu binden, um eine Beschichtung zu bilden", erläutert Mubarok.
Dieses Konzept zum Schutz der Partikel gab es auf dem Markt für das thermische Spritzen bereits für andere Werkstoffe. Allerdings wurde es nicht für Keramiken ohne Schmelzpunkt verwendet. Espallargas und Mubarok beschlossen, Yttrium-Aluminium-Granat (YAG) als eine Oxidart, die den extremen Temperaturen beim thermischen Spritzen standhält, zur Beschichtung der Siliziumkarbidpartikel zu verwenden. 2012 gelang es den beiden Wissenschaftlern, ein thermisch spritzbares Siliziumkarbidpulver herzustellen, das dauerhafte Beschichtungen erzeugt.
Nachdem sie mit Hilfe des Technologietransferbüros ihrer Universität ein Patent angemeldet hatten, als sich die Erfindung noch im Labormaßstab befand, gründeten Espallargas und Mubarok 2014 Seram Coatings, um ihr Verbundmaterial namens ThermaSiC zu vermarkten. Laut Espallargas war das Patent, das 2018 erteilt wurde, entscheidend, um Investitionen zu sichern: „Ohne ein Patent wäre das unmöglich gewesen. Bei allen Gesprächen mit Geldgebern für den Kauf eines Systems oder einer Ausrüstung zur Entwicklung des Produkts kam bei jedem Einzelnen die Frage, ob die Erfindung geschützt sei."
Nachdem das Unternehmen seit 2017 kleine Mengen von ThermaSic produziert und im Feldversuch mit potenziellen Kunden getestet hat, ist das Produkt nun bereit für die Industrialisierung. Espallargas sieht dabei die USA als größten Markt, gefolgt von Japan und der EU. Sie geht davon aus, dass die Beschichtung zunächst in der Bremsenindustrie für Autos, Züge, Lastwagen, Industrieanlagen oder Fahrräder zum Einsatz kommen wird.
Mehrere andere Branchen, insbesondere Glas-, Walzen- und Druckmaschinenhersteller, sind ebenfalls an der kommerziellen Nutzung des neuen Verbundwerkstoffs interessiert. Seram Coatings arbeitet mit führenden Walzenherstellern in den USA und in Japan zusammen, aber auch mit einem großen britischen Druckmaschinenunternehmen, das die Beschichtung noch in diesem Jahr auf den Markt bringen will, um die Oberfläche von Walzen zu behandeln, die Papier verarbeiten.
Bis heute hat Seram Coatings fast eine Million Euro in den Bau einer eigenen thermischen Spritzanlage investiert, die es dem Unternehmen ermöglicht, Beschichtungen für Kunden vor Ort herzustellen und zu testen, ohne auf Einrichtungen Dritter zurückgreifen zu müssen. Das Forschungs- und Entwicklungsteam des Unternehmens arbeitet ständig an neuen Versionen von ThermaSiC und neuen Produkten mit dem Ziel, neue Märkte zu erschließen. In den nächsten acht bis zehn Jahren sieht Seram Coatings das Potenzial, 225.000 kg ThermaSiC pro Jahr zu verkaufen und damit etwa 2,9 % des Weltmarktes für keramische Rohstoffe für thermische Spritzbeschichtungen abzudecken.
Hinweis für die Redaktionen
Informationen zu den Erfindern
Nuria Espallargas ist Expertin für Materialwissenschaften und Metallurgietechnik. Nach einem Master-Studium sowie ihrer Promotion an der Universität Barcelona und einem weiteren Master an der Polytechnischen Universität von Katalonien in Barcelona absolvierte sie ihre Postdoc-Phase in der Abteilung für Ingenieurdesign und Werkstoffe an der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie (NTNU) in Trondheim. 2009 wurde sie außerordentliche Professorin am selben Fachbereich und gleichzeitig wissenschaftliche Beraterin bei SINTEF, einer der größten unabhängigen Forschungsorganisationen Europas. 2012 wurde Espallargas Professorin an der NTNU, bevor sie 2014 das Spin-off-Unternehmen Seram Coatings mitgründete, um ThermaSiC zu vermarkten. Espallargas ist derzeit Professorin an der NTNU sowie Vorstandsmitglied und Investorin bei Seram Coatings.
Fahmi Mubarok hat einen Bachelor of Engineering in Werkstofftechnik vom Bandung Institute of Technology in Bandung, Indonesien, und einen Master in Materialwissenschaften von der Technischen Universität Hamburg. Nach seiner Tätigkeit als Assistenzprofessor im Fachbereich Ingenieurwesen am Sepuluh Nopember Institute of Technology im indonesischen Surabaya ging Mubarok 2010 nach Norwegen, um an der NTNU unter der Leitung von Espallargas über thermisch gespritzte Siliziumkarbidbeschichtungen zu promovieren. 2014 wurde er Mitbegründer von Seram Coatings, wo er in Teilzeit als F&E-Manager arbeitete, während er gleichzeitig seine Postdoc-Phase am NTNU absolvierte. 2017 kehrte er als außerordentlicher Professor für Maschinenbau am Sepuluh Nopember Institute of Technology nach Indonesien zurück, ist aber weiterhin an einigen Projekten von Seram Coatings beteiligt.
Espallargas und Mubarok werden als Erfinder in dem europäischen Patent EP2914760B1 genannt.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis ist einer der renommiertesten Innovationspreise in Europa. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben gerufen und ehrt Einzelpersonen und Teams, die Lösungen für einige der größten Herausforderungen unserer Zeit gefunden haben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury ausgewählt, die sich aus früheren Finalisten des Preises zusammensetzt. Gemeinsam prüfen sie die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur sozialen und nachhaltigen Entwicklung und zum wirtschaftlichen Wohlstand. Das EPA verleiht den Preis in vier Kategorien (Industrie, Forschung, KMU und Nicht-EPO-Staaten) und wird darüber hinaus am 21. Juni im Rahmen einer virtuellen Zeremonie einen Preis für das Lebenswerk ausloben. Der Gewinner des Publikumspreises wird von der Öffentlichkeit aus den 13 Finalisten über ein Online-Voting auf der Webseite es EPA ermittelt. Die Stimmenabgabe ist bis zum 21. Juni 2022 möglich. Lesen Sie mehr über die Teilnahmebedingungen und Auswahlkriterien für den Europäischen Erfinderpreis.
In diesem Jahr wird das EPA zum ersten Mal auch den Young Inventors prize vergeben. Der neue Preis für junge Menschen unter 30 ist mit einer Geldprämie für die drei Finalisten dotiert, um sie weiter zu ermutigen, kreative Lösungen für drängende Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung zu finden.
Über das EPA
Mit 6 400 Mitarbeitern ist das Europäische Patentamt (EPA) eine der größten Behörden in Europa. Das EPA, das seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinder hochwertigen Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund 700 Millionen Menschen umfassen. Außerdem ist das EPA weltweit führend in den Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.
Pressekontakte Europäisches Patentamt
Luis
Berenguer Giménez
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