Informationen
Diese Entscheidung ist nur auf Englisch verfügbar.
J 0005/91 (Gesetzeslücke) 29-04-1992
Download und weitere Informationen:
I. Unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 16. Juni 1989 wurde am 15. Juni 1990 die europäische Patentanmeldung 90 201 567.6 (Veröffentlichungsnummer: 0 404 241) eingereicht. Im "Antrag auf Erteilung eines europäischen Patents" (EPA Form 1001.1 01.90) wurden in Feld 26 "Benennung von Vertragsstaaten" folgende 5 Staaten angekreuzt: DE, FR, NL, BE, ES. Gleichzeitig wurde jedoch an Benennungsgebühren nur eine Summe von DEM 1.1200 gezahlt, die nach dem damaligen Tarif von DEM 280 für 4 Benennungen ausreichte. Nach Artikel 9 (2), Satz 2 GebO war daher die Benennung "ES" in Feld 26 nicht bezahlt.
II. Der weitere Ablauf des Verfahrens stellte sich wie folgt dar:
11. September 1990: Absendung der Mitteilung nach Regel 85a (1) EPÜ (EPA Form 1135 04.89).
17. September 1990 (Montag): Ablauf der Nachfrist von 2 Monaten nach Absatz 2 der Regel 85a EPÜ.
21. September 1990: Beginn der Nachfrist von 1 Monat nach Absatz 1 der Regel 85a EPÜ.
1. Oktober 1990: Zahlung einer Benennungsgebühr für Spanien in Höhe von DEM 280 nebst Zuschlag von DEM 140.
11. Oktober 1990: Zahlung dreier weiterer Benennungsgebühren für Italien, Dänemark und Großbritannien von DEM 840 nebst Zuschlägen von DEM 420.
22. Oktober 1990 (Montag): Ablauf der Nachfrist von 1 Monat nach Absatz 1 der Regel 85a EPÜ.
27. Dezember 1990: Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung Nr. 90 201 567.6 mit der Veröffentlichungsnummer 0 404 241 unter Angabe folgender Benennungen: BE, DE, ES, FR, NL.
III. Mit Entscheidung vom 19. April 1991 stellte die Eingangsstelle des Europäischen Patentamts fest, daß die Benennungen von Italien, Dänemark und Großbritannien als zurückgenommen gelten, weil die Benennungsgebühren nebst Zuschlag nicht innerhalb der Nachfrist nach Regel 85a (2) EPÜ gezahlt wurden. Zur Begründung wurde im wesentlichen angeführt, daß die Gebühren für diese drei Staaten erst gezahlt worden seien, nachdem die Nachfrist von 2 Monaten nach Regel 85a (2) EPÜ abgelaufen war. Entsprechend seiner in Feld 27 des Antragsformulars abgegebenen Erklärung habe der Anmelder erklärt, daß die Benennungen dieser drei Staaten als vom Anmelder zurückgenommen zu betrachten seien, wenn die Gebühren nicht bis zu Ablauf der in Regel 85a (2) EPÜ vorgesehenen Nachfrist entrichtet werden. Auch habe er auf die Mitteilung nach Regel 85a (1) EPÜ verzichtet.
IV. Gegen diese Entscheidung erhob der Vertreter des Anmelders am 14. Mai 1991 Beschwerde, zahlte die Gebühr und begründete die Beschwerde sogleich. Er trägt vor, daß - ungeachtet der in Feld 27 des Antrags gegebenen Erklärung - nun einmal eine Mitteilung nach Regel 85a (1) EPÜ ergangen und infolge dieser Tatsache eine Fristverlängerung über den sich aus Regel 85a (2) EPÜ ergebenden Zeitpunkt hinaus eingetreten sei. Sinngemäß beantragt er, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Benennungen von Italien, Dänemark und Großbritannien als gültig anzuerkennen.
Mit Schreiben vom 7. April 1992 erklärte der Vertreter sein Einverständnis mit der Abfassung dieser Entscheidung in irgendeiner der Amtssprachen (vgl. hierzu Entscheidung J 18/90 vom 22. März 1991, Nr. 1 der Entscheidungsgründe, Leitsatz II, veröffentlicht in ABl. EPA 1992, 511).
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Bei der vorliegenden Beschwerde geht es darum, wie Regel 85a EPÜ auszulegen ist, wenn bei einer europäischen Patentanmeldung für Benennungen von Vertragsstaaten sowohl die Frist nach Absatz 1 dieser Regel wie auch die Frist nach Absatz 2 gilt und dabei die Frist nach Absatz 1 später abläuft als die Frist nach Absatz 2. Notwendig ist also eine Auslegung der neuen, nunmehr aus zwei Absätzen bestehenden Regel 85a in der Fassung vom 8. Dezember 1988, in Kraft getreten am 1. April 1989 (ABl. EPA 1989, 2). Zum Zwecke einer solchen Auslegung ist zunächst auf die Entstehungsgeschichte dieser Regel einzugehen (nachfolgend Nr. 3). Sodann ist auf den häufigsten Fall einzugehen. Dies ist der Normalfall, daß alle in Feld 26 des Antragsformulars enthaltenen Benennungen bezahlt sind, also nur eine Frist, nämlich diejenige nach Absatz 2 läuft (Nr. 4). Erst dann sind die Sonderfälle zu behandeln, in denen die Fristen nach den Absätzen 1 und 2 laufen und zu verschiedenen Zeitpunkten enden. Das Problem ist zunächst allgemein zu behandeln (Nr. 5). Sodann folgen die Lösungen für den hier vorliegenden Sonderfall (Nr. 6) sowie für den umgekehrten Sonderfall (Nr. 7).
3.1 Die Regel 85a (alte Fassung) EPÜ wurde 1979 (vgl. ABl. EPA 1979, 451) als außerordentliche Möglichkeit zur Nachzahlung von Gebühren geschaffen, bei denen eine Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPÜ ausgeschlossen ist. Dabei geht es nicht primär um die Benennungsgebühren, sondern um die sog. "Eingangsgebühren", zu denen neben Anmeldegebühr und Recherchengebühr auch die Benennungsgebühren gehören. Das EPA ging dann dazu über, in Form einer "Service"-Leistung auf die Möglichkeit zur Nachzahlung dieser Gebühren mit Zuschlagsgebühr innerhalb zweier Monate nach Ablauf der Grundfrist hinzuweisen. Gelegentlich ergingen die Hinweise allerdings so spät, daß dem Anmelder nur noch wenig Zeit zur Nachzahlung zur Verfügung stand.
3.2 Diese Erfahrung veranlaßte den Verwaltungsrat der EPO, die Regel 85a durch die oben (Nr. 2) genannte Neufassung zu ersetzen. Der Absatz 1 der neuen Regel bezieht sich auf alle sog. "Eingangsgebühren", einschließlich der Benennungsgebühren. Für alle diese Gebühren schreibt Absatz 1 der neuen Regel eine Mitteilung des EPA vor, durch die eine Nachzahlungsfrist von einem Monat gegeben wird. Da für wohl mehr als 95 % aller Anmeldungen die Gebühren bis zum Ablauf der Grundfrist gezahlt werden, ist eine Mitteilung nach Regel 85a Absatz 1 EPÜ überflüssig, wenn alle notwendigen oder beabsichtigten Zahlungen geleistet sind. Rechtlich ist es aber nur möglich, die überflüssige Mitteilung zu unterlassen, wenn auf eine solche für den Fall verzichtet ist, daß nur noch Benennungsgebühren für vorsorglich benannte Staaten unbezahlt sind.
4.1 Für die "Vorsorge"-Benennungen, also Benennungen, die sich nur aus Feld 27 des Antragsformulars ergeben, beließ es der Verwaltungsrat bei der bisherigen, sich an die Grundfrist unmittelbar anschließenden Nachfrist von zwei Monaten. Diese Frist ist in Absatz 2 der neuen Regel 85a EPÜ vorgesehen. Im Normalfall (wenn alle Benennungsgebühren nach Feld 26 bezahlt sind) kommt es nur auf diese letztgenannte Frist an.
4.2 Der Normalfall ist also dadurch gekennzeichnet, daß alle in Feld 26 enthaltenen Benennungen gezahlt sind und einige "Vorsorge"-Benennungen nach Feld 27 offenstehen. Mitteilungen, die auf die noch offene Zahlungsmöglichkeit hinweisen, würden hier selbst von den Anmeldern in den allermeisten Fällen als lästig empfunden. Da es sich um mehr als 95 % aller Anmeldungen handelt, würden solche Mitteilungen für das Amt eine große Belastung darstellen. Um dies zu vermeiden, sind in Feld 27 des Antragsformulars drei Erklärungen des Anmelders vorgedruckt. Danach nimmt der Anmelder (erstens) Benennungen nach Feld 27 mit Ablauf der in Regel 85a Absatz 2 EPÜ vorgesehenen Nachfrist von zwei Monaten zurück. Sodann "beantragt" er, (zweitens) von der Zustellung einer Mitteilung nach Regel 85a Absatz 1 EPÜ abzusehen. Logischerweise setzt damit das EPA in seinem Vordruck voraus, daß der Anmelder auch für Benennungen, die lediglich in Feld 27 enthalten sind, ein Recht auf eine Mitteilung nach Regel 85a Absatz 1 EPÜ hat. In einer weiteren (dritten) Erklärung, die sich eigentlich schon aus der ersten ergibt, beantragt er schließlich, bei Nicht-Bezahlung von Benennungen nach Feld 27 von der sog. Rechtsverlust-Mitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ ebenfalls abzusehen. Wesentlich erscheinen somit - in logischer Reihenfolge - die zweite Erklärung, also der Verzicht auf ein (vorausgesetztes) Recht auf Mitteilung nach Regel 85a Absatz 1 und sodann die erste Erklärung, daß jene Benennungen nach Feld 27, für die die Gebühr nicht bis zum Ablauf der Frist nach Regel 85a Absatz 2 EPÜ gezahlt wird, als zurückgenommen anzusehen sind. Regelungen solcher Art erscheinen durchaus gut und notwendig, um die sog. "Vorsorge"-Benennung für alle Vertragsstaaten überhaupt praktikabel zu machen. Der neuen Regel 85a und den in Feld 27 des Antragsformulars enthaltenen Erklärungen ist daher grundsätzlich zuzustimmen. Die nachfolgende Interpretation dieser Regelungen betrifft Sonderfälle, durch die die "Vorsorge"-Benennung als solche nicht in Frage gestellt wird.
5. Die beiden Sonderfälle ergeben sich, wenn nicht nur für die sog. "Vorsorge"-Benennungen nach Feld 27 die 2-Monatsfrist nach Absatz 2 der Regel 85a EPÜ läuft, sondern wenn außerdem eine Mitteilung nach Absatz 1 ergeht. In solchen Fällen laufen bezüglich ein und derselben Patentanmeldung zwei Fristen - einmal, wie normal - die 2-Monatsfrist nach Absatz 2 und zum anderen die 1-Monatsfrist ab Mitteilung nach Absatz 1.
5.1 In einem ersten Sonderfall kann dabei - wie bei der vorliegenden Beschwerde - die Frist nach Absatz 1 später ablaufen als diejenige nach Absatz 2. Diese Situation tritt ein, wenn die Mitteilung nach Absatz 1 verhältnismäßig spät ergeht. Der Fall dürfte selten sein. Wenn er aber eintritt, kann der Frist- Unterschied beachtlich sein (hier: mehr als 1 Monat).
5.2 In dem zweiten Sonderfall läuft die Frist nach Absatz 2 später ab als diejenige nach Absatz 1. Diese Situation tritt ein, wenn die Mitteilung nach Absatz 1 frühzeitig in einem zügigen Verwaltungsablauf abgesandt wird.
5.3 Der Gesetzgeber, d. h. in diesem Fall der Verwaltungsrat der EPO, hat diesen Sonderfällen bei der Neufassung der Regel 85a EPÜ keine Aufmerksamkeit gewidmet. In dem Dokument CA/79/88 Add. 1 vom 21. November 1988 ist folgendes ausgeführt:
4. Nach der Alternativlösung beträgt die Nachfrist einen Monat, damit der bisherige Verfahrensablauf nicht verlängert wird. Die Mitteilung kann nach den inneramtlichen Abläufen erst 20 Tage nach Fristablauf abgesandt werden; hinzu kommen 10 Tage, nach denen gemäß Regel 78 (3) EPÜ die Zustellung der Benachrichtigung als bewirkt gilt. Die 1-Monatsfrist beginnt demgemäß etwa einen Monat nach Ablauf der Grundfrist und endet etwa zum selben Zeitpunkt wie die bisherige Frist von 2 Monaten nach Ablauf der Grundfrist."
Aus diesen wie aus den übrigen Ausführungen in dem genannten Dokument kann geschlossen werden, daß es dem Verwaltungsrat vornehmlich darum ging, (a) für die sog. "Eingangsgebühren" allgemein (nicht nur für Benennungsgebühren) in Regel 85a eine obligatorische Mitteilung mit 1-Monatsfrist einzuführen und dessen ungeachtet (b) für die "Vorsorge"-Benennung die ohne Mitteilung laufende Nachfrist von 2 Monaten beizubehalten. Die genannten Sonderfälle hatte der Verwaltungsrat aber nicht im Auge.
5.4 Die neue Regel 85a EPÜ enthält somit eine Unvollständigkeit, d. h. eine Regelungslücke für zwei Sonderfälle, d. h. eine "Gesetzeslücke". Ob diese Lücke bewußt oder unbewußt ist, kann dahingestellt bleiben, denn sie muß auf jeden Fall von der Rechtsprechung geschlossen werden. Dies ist zunächst notwendig für den hier vorliegenden "ersten Sonderfall" (oben Nr. 5.1). Da man sich aber kaum darauf beschränken kann, eine Gesetzeslücke "zur Hälfte" zu schließen, sei sodann versucht, auch für den anderen, in der Praxis wohl häufigeren Sonderfall (oben Nr. 5.2) die Lücke zu schließen. Dies ist eine rechtssystematische Notwendigkeit zur Überprüfung der für den ersten Sonderfall zu suchenden Lösung.
5.5 Mittel zur Schließung der Gesetzeslücke sind vor allem und zuerst die vorhandenen Gesetzestexte von Regel 85a Absätze 1 und 2, und der aus dem zitierten Dokument erkennbare Wille des Gesetzgebers. Erst dann kommen - abhängig von der jeweiligen Situation - auch die im Feld 27 des Antragsformulars vorgedruckten Erklärungen in Betracht.
Diese Erklärungen geben für den Normalfall der sogenannten "Vorsorge"-Benennung (siehe oben Nr. 4) die rechtliche Grundlage für einen sinnvollen Verwaltungsablauf. Für diesen Normalfall sind in erster Linie die in Feld 27 des Antragsformulars vorgedruckten Erklärungen konzipiert. Außerhalb der Normal- Situation sind daher die vorgedruckten Erklärungen auslegungsbedürftig. Erklärungen - insbesondere vorgedruckte - sind nämlich immer nach dem erkennbaren Willen des Anmelders auszulegen. Wenn es um Sonderfälle geht, darf bei der Wertung dieser vorgedruckten Erklärungen weder der mutmaßliche Wille des Gesetzgebers bei der Neufassung der Regel 85a, noch der mutmaßliche, d. h. interessengerechte Wille des erklärenden Anmelders außer Betracht bleiben. Nicht zu vergessen ist bei der Deutung des mutmaßlichen Willens des Gesetzgebers wie des Anmelders die Rechtslage, wie sie sich bei Ablauf der Fristen nach Regel 85a Absatz 1 oder Absatz 2 EPÜ einstellt. Diese Rechtslage ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß bei Fristversäumung eine Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPÜ ausgeschlossen ist. Im Angesicht dieser Rechtslage gebietet sich - im Zweifel - eine Schließung der Gesetzeslücke dahingehend, daß es auf die zuletzt ablaufende Frist ankommt.
6.1 Im ersten der beiden Sonderfälle, so wie er hier in dieser Beschwerde vorliegt, läuft die Frist nach Regel 85a Absatz 1 EPÜ später ab als die Frist nach Absatz 2. Es kommt also darauf an, ob reine "Vorsorge"-Benennungen ebenfalls in den Genuß der Frist nach Absatz 1 kommen können. Dabei ist zunächst und in erster Linie der Wortlaut dieses Absatzes heranzuziehen. Dieser, in allen drei Sprachen übereinstimmende Wortlaut ("... e i n e Benennungsgebühr ...") bezieht sich auf j e d e nicht bezahlte Benennung. Hiervon geht auch der im Feld 27 des Formulars vorgedruckte Text aus.
6.2 Es kommt also darauf an, ob in dieser Situation der Rechtsverlust hinsichtlich der nur von Feld 27 erfaßten Staaten (IT, DK, GB) aus der vorgedruckten Erklärung abgeleitet werden kann. Der vorgedruckte Text sagt zwar, daß die Benennung solcher Staaten ("der hier zusätzlich benannten Staaten") nach Ablauf der in Regel 85a Absatz 2 EPÜ genannten Frist zurückgenommen sein soll. Eine solche Benennungsrücknahme (hinsichtlich aller sich nur aus Feld 27 ergebenden Staaten) legt die Erstinstanz ihrer Entscheidung zugrunde. Die vorgedruckte Erklärung des Anmelders kann nun aber nicht so ausgelegt werden, daß der Anmelder eine Gruppe von Benennungen zurücknehmen will, noch bevor die Frist nach Regel 85a Absatz 1 EPÜ abläuft. Andernfalls würde man den Willen des Anmelders abweichend vom Wortlaut der Regel 85a Absatz 1 EPÜ auslegen. Dieser Wortlaut umfaßt ganz eindeutig jede nicht gezahlte Benennung und gewährt für diese eine Frist von einem Monat nach Mitteilung und dies völlig ungeachtet der - ohne Mitteilung laufenden - Frist nach Absatz 2. Einschränkungen der Mitteilung auf Staaten nach Feld 26 unter Ausschluß solcher nach Feld 27 stehen daher mit Regel 85a Absatz 1 EPÜ nicht in Einklang. Im übrigen dürfte - wenn eine Mitteilung wegen offener Benennungsgebühren ergeht - die im vorgedruckten Text des Feldes 27 gemachte Unterscheidung von Staaten für die "die Zahlung beabsichtigt" und von Staaten, für die "die Zahlung vorbehalten" ist, wohl kaum mehr einen Sinn haben. Der Wortlaut von Regel 85a Absatz 1 EPÜ sieht eine Spaltung der Rechtswirkung der Mitteilung hinsichtlich solcher Kategorien von Staaten nicht vor.
6.3 Daraus ergibt sich eine erste Folgerung: Läuft die Frist nach Regel 85a Absatz 1 EPÜ später als die Frist nach Absatz 2 ab, so können innerhalb dieser später ablaufenden Frist die Benennungsgebühren für sämtliche Vertragsstaaten noch gültig gezahlt werden.
7.1 Im zweiten der beiden Sonderfälle (oben Nr. 5.2) läuft die Frist nach Regel 85a Absatz 1 EPÜ früher ab als die Frist nach Absatz 2. Dieser Sonderfall entsteht, wenn eine auf den Tag genaue Koordinierung mit der Frist nach Absatz 2 unterbleibt. Der Zeitunterschied kann dann nur geringfügig sein. Dennoch könnte er - gerade im Hinblick auf den Ausschluß der Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPÜ - entscheidend sein.
7.2 Der für die Lösung dieses zweiten Sonderfalles maßgebende Absatz 2 von Regel 85a EPÜ begünstigt zunächst nur Staaten nach Feld 27 des Antragsformulars, schließt also solche nach Feld 26 aus. Vom Ergebnis her gesehen erscheint dies allerdings sehr sonderbar. Die Zahlungsfrist für Staaten, hinsichtlich deren im Zeitpunkt der Anmeldung gesagt wird, daß die Zahlung "derzeit beabsichtigt" ist, wäre nämlich kürzer als die Zahlungsfrist für "sämtliche" andere Staaten, die rein "vorsorglich" auch noch benannt werden. Ein solches Ergebnis war vom Gesetzgeber bei der Neufassung der Regel 85a EPÜ sicherlich weder gewollt noch hingenommen. Gerade die Äußerungen im genannten CA-Dokument (siehe Nr. 5.3) zeigen, daß durch die Einführung der Mitteilung eine Verkürzung der 2-Monatsfrist nach der früheren Regel 85a bzw. ihrem heutigen Absatz 2 nicht beabsichtigt war. Eine solche Verkürzung wäre durch eine Steuerung der Absendung der Mitteilung auch leicht zu vermeiden. Der Gesetzgeber wollte aber die Verfahrensabläufe weder erschweren noch verzögern. Deswegen liegt es in seinem Sinne, für den Sonderfall, daß die 1-Monatsfrist vor der 2-Monatsfrist abläuft, den neuen Absatz 2 der Regel seinem Zweck gerecht auszulegen. Zweck der Neufassung von Regel 85a EPÜ war es, eine Nachfrist von 1 Monat nach Erhalt einer Mitteilung einzuführen. Soweit es dabei um Benennungen geht, sollte aber die allgemeine Nachzahlungsmöglichkeit für "sämtliche" Staaten innerhalb der 2 Monate erhalten bleiben. Daher darf in dem nun hier behandelten zweiten Sonderfall (1-Monatsfrist endet vor 2- Monatsfrist) der Absatz 2 von Regel 85a EPÜ auf die Benennung "sämtlicher" Staaten angewendet werden. Dies bedeutet eine analoge Anwendung von Absatz 2 der Regel 85a EPÜ auch auf Staaten nach Feld 26 des Antragsformulars. Es kann also "de minore ad maiorem" geschlossen werden: Was für jedweden Staat gilt, der nur rein "vorsorglich" benannt ist, muß für einen Staat erst recht gelten, wenn für diesen im Zeitpunkt der Anmeldung die "Zahlung beabsichtigt" war.
7.3 Die für den hier vorliegenden Fall gefundene Überbrückung der Gesetzeslücke in Regel 85a EPÜ (vgl. oben Nr. 6.3) kann daher für beide Sonderfälle wie folgt allgemein geschlossen werden:
Laufen die Fristen für die Nachzahlung von Benennungsgebühren nach den Absätzen 1 und 2 von Regel 85a EPÜ in der Fassung vom 8. Dezember 1988 zu verschiedenen Zeitpunkten ab, so können alle Benennungsgebühren noch bis zum späteren Zeitpunkt gültig gezahlt werden.
8. Die Benennungsgebühren nebst Zuschlagsgebühren für Italien, Dänemark und das Vereinigte Königreich sind daher wirksam gezahlt. Somit werden - rückwirkend - Benennungen wirksam, die in der veröffentlichten europäischen Patentanmeldung nicht aufgeführt sind. In das Europäische Patentblatt ist daher eine entsprechende Berichtigung aufzunehmen. Hinsichtlich des Schutzes Dritter sei auf die Entscheidung J 12/80 (ABl. EPA 1981, 143) Bezug genommen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, daß in der europäischen Patentanmeldung Nr. 90 201 567.6 (Veröffentlichungsnummer: 0 404 241) folgende Vertragsstaaten des Patentübereinkommens wirksam benannt sind: Belgien, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Italien, Niederlande, Spanien, Vereinigtes Königreich (BE DE DK FR IT NL ES GB).