T 0511/02 17-02-2004
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Einbaukältegerät
Einspruch - Zulässigkeit (nein)
Montage - bzw. Einbauanleitung - öffentliche Zugänglichkeit - substantiiert (nein)
I. Gegen das unter Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Erstanmeldung vom 14. Oktober 1994 erteilte Patent, auf dessen Erteilung am 28. Oktober 1998 im Patentblatt 98/44 hingewiesen worden war, legte die Beschwerdeführerin am 28. Juli 1999 Einspruch ein und beantragte, das Patent aus den Gründen des Artikels 100 a) EPÜ insbesondere wegen mangelnder Neuheit bzw. mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu widerrufen. Nach dem Antrag und der Aufforderung zur Abbuchung der Einspruchsgebühr fährt der Einspruchsschriftsatz fort:
"Der Einspruch stützt sich neben den im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften ... (Aufzählung von 6 Patentdruckschriften und einer Gebrauchsmusterdruckschrift) zusätzlich noch auf folgende Druckschriften:
Montageanweisung für ein integrierbares Vorratszentrum von BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH, Veröffentlichungsdatum Juli 1987 (D1).
Gebrauchs- und Einbauanleitung 7 081 081 von Liebherr Veröffentlichungsdatum April 1992 (D2)."
Auf der Titelseite von D1 ist links unten die Ziffernfolge "1 709 986 268" aufgedruckt und auf der letzten Seite die Ziffern- und Buchstabenfolge "1 709 986 268 D, GB, F, I, NL, N, S, E (6707) 027 264 707", und D2 enthält auf der Titelseite neben der unmittelbar unter den Worten "Gebrauchs- und Einbauanleitung" stehenden Ziffernfolge "7 081 081" im unteren Drittel links den Aufdruck "D 4/92 20.4". Der Einspruchsschriftsatz fährt unter der Überschrift "Begründung:" fort mit der sachlichen Gegenüberstellung der Patentansprüche des Streitpatents und des Inhalts der Entgegenhaltungen.
Zu den Umständen der öffentlichen Zugänglichmachung der Entgegenhaltungen wurden im Einspruchsschriftsatz selbst keine Angaben gemacht. Am 30. September 1999 legte die Beschwerdeführerin eine eidesstattliche Versicherung ihres Angestellten, Herrn Günter Bott, vor, dahingehend, daß die auf der Montageanweisung - D2 - aufgebrachte Ziffernkombination "6707" das Druckdatum, nämlich Juli 87, der Montageanweisung wiedergebe, die unmittelbar im Anschluß an den Druck veröffentlicht worden sei.
II. Mit Entscheidung vom 2. Mai 2002 hat die Einspruchsabteilung den Einspruch als unzulässig verworfen. Sie hat ihre Verwerfungsentscheidung damit begründet, daß die Einspruchsschrift zu den behaupteten Veröffentlichungszeitpunkten von D1 und D2 keine Angabe von Beweismitteln "zur Glaubhaftmachung" dieser Tatsachen enthalte. Auch sei nicht angegeben, wem, wann und wo D1 und D2 gezeigt oder übergeben worden seien. Vielmehr würden diese Broschüren wie von einer amtlichen Stelle, z. B. dem Patentamt, veröffentlichte Druckschriften behandelt. Da ferner bzgl. der Druckschriften D3 bis D9 keine Argumente vorgebracht worden seien, sei der Einspruch unzulässig.
Die Einwendungen der Einsprechenden wonach auch die Fachleute der Konkurrenz die für Prospekte verwendeten Datumsformate kennten und daher die in der Einspruchschrift zum Veröffentlichungszeitpunkt gemachten Angaben nicht belegt werden müßten, wies die Einspruchabteilung zurück. Sie hielt es zwar für glaubwürdig, daß sich aus der Angabe "D4/92 20.4" auf der ersten Seite von D2 das Druckdatum, nämlich April 1992, entnehmen lasse, daß aber der Aufdruck "1 709 986 268 D, GB, F, I, NL, S, E (6707) 027 264 707" auf der letzten Seite von D1 deren Drucklegung im Juli 1987 für das EPA nicht erschließe.
Auch ließ die Einspruchsabteilung die Ausführungen der Einsprechenden, daß bei massenvervielfältigten, von ihrem Inhalt her an eine unbestimmte Vielzahl von Lesern gerichteten Druckwerken der Aufwand zu ihrer Erstellung nur getrieben werde, wenn sicherer Bedarf nach ihnen bestehe, und daß sich der Bedarf ausschließlich aus dem Zweck dieser Schriften ergebe, verteilt zu werden, nicht gelten.
Sie vertrat die Ansicht, daß das Vorhandensein einer Montageanweisung (D1) oder einer Gebrauchs- und Einbauanleitung (D2) nicht automatisch ein Beleg dafür sei, daß diese in der vorliegenden Form auch tatsächlich zusammen mit dem Gerät zur Auslieferung gelangt sei. Es sei z. B. nicht ausgeschlossen, daß nach dem Druck ein Fehler in einem solchen Schriftstück festgestellt werde oder daß aus firmen- oder vertriebspolitischen Gründen die Produktion und der Vertrieb eines dazugehörigen Gerätes unterbleibe.
III. Gegen die Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 16. Mai 2002 unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt und diese am 23. August 2002 begründet.
Sie macht unter Hinweis auf die Entscheidung T 0234/86 (ABl. EPA 1989,79) geltend, daß dem Erfordernis von Regel 55 c) EPÜ entsprochen werde, wenn das Beweismittel in der Einspruchsschrift genau bezeichnet und angegeben sei, welche Tatsachenbehauptung hierdurch bewiesen werden solle. Dem sei sie, die Beschwerdeführerin, durch Identifizierung der Beweismittel D1 und D2 mit der Angabe von deren jeweiligem Veröffentlichungsdatum nachgekommen. Die Feststellung, ob die Entgegenhaltungen veröffentlicht seien oder nicht, gehöre als Beweiswürdigung zur Prüfung der sachlichen Begründetheit des Einspruchs.
Ferner sei auf die Entscheidung T 0324/90 (ABl. EPA 1993, 33), einen Wiedereinsetzungsfall betreffend, zu verweisen, deren Feststellung, daß die innerhalb der Zweimonatsfrist des Artikels 122 (2) EPÜ anzugebenden Tatsachen weder glaubhaft gemacht werden müßten, noch hierfür Beweismittel anzugeben seien, auch auf die Ausschlußfrist des Artikels 99 (1) EPÜ anwendbar sei und es deshalb möglich sei, die im Einspruchsvorbringen dargelegten Tatsachen auch außerhalb der Einspruchsfrist "glaubhaft zu machen", was mit der eidesstattlichen Versicherung vom 27. September 1999 geschehen sei.
Schließlich widerspreche es jeder Lebenserfahrung, daß bei einer Entgegenhaltung wie der D2, die erst in Bearbeitung genommen werde, wenn die Serienproduktion unwiderruflich feststehe, der Vertrieb unterbleibe.
IV. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) ist diesen Ausführungen entgegengetreten und hält die angeführte Rechtsprechung nicht für einschlägig.
V. Entsprechend dem Antrag beider Beteiligter hat am 17. Februar 2004 eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Keine der Beteiligten hat, wie vorher angekündigt, an der mündlichen Verhandlung teilgenommen. Die Beschwerdeführerin hat die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents beantragt.
Die Beschwerdegegnerin hat die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.
1. Die Beschwerde ist zulässig, da sie den in Regel 65 (1) EPÜ aufgeführten Erfordernissen entspricht.
2. Bevor - entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin - die Überprüfung des Streitpatents auf dessen materiellrechtliche Erfordernisse erfolgen kann, ist zu prüfen, ob der Einspruch der Beschwerdeführerin zulässig ist. Denn die Prüfung, ob einer der in Artikel 100 EPÜ genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht, setzt die Zulässigkeit des Einspruchs voraus (Artikel 101 (1) EPÜ).
3. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob die Beschwerdeführerin ihrer Substantiierungspflicht, wann und wie die von ihr herangezogenen Druckschriften D1 und D2 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, mit ihrer knappen Angabe, Veröffentlichungsdatum Juli 1987 und April 1992, die sich beide nicht aus den Entgegenhaltungen selbst ergeben, nachgekommen ist.
4. Zulässigkeitserfordernis für den Einspruch ist nach Artikel 99 (1) und Regel 55 c) EPÜ u. a. die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel. Darunter ist die Gesamtheit der Tatsachen zu verstehen, aus denen die Einsprechende den Widerruf des Patents herleiten will, d. h. die Begründung des Einspruchs muß die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes maßgeblichen Umstände darlegen. Welche Umstände maßgeblich sind, hängt vom Einzelfall ab und ergibt sich aus dessen Gesamtzusammenhang (vgl. T 0222/85, ABl. EPA 1988, 128 Punkt 4).
Im vorliegenden Fall sind die von der Beschwerdeführerin angeführten Entgegenhaltungen keine Patentschriften, die ihr Veröffentlichungsdatum auf der ersten Seite enthalten und das deshalb in der Regel keines Kommentars und keiner Erläuterung bedarf. Bei den hier herangezogenen Entgegenhaltungen handelt es sich dagegen um Montage- bzw. Einbauanleitungen, die in der Regel kein Veröffentlichungsdatum tragen, sondern ein verschlüsseltes oder unverschlüsseltes Druckdatum. Insofern ist der von der Beschwerdeführerin verwendete Ausdruck "Veröffentlichungsdatum" zumindest irreführend. Montage- und Einbauanleitungen werden üblicherweise nicht im eigentlichen Wortsinn "veröffentlicht", sondern durch Vertrieb zusammen mit dem zu montierenden oder einzubauenden Erzeugnis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Insofern hat die Beschwerdegegnerin recht, wenn sie eine Parallele zur offenkundigen Vorbenutzung zieht. Auch aus den hier vorliegenden Entgegenhaltungen ergibt sich nicht, wann und wie sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Da dieser Umstand entscheidend ist für die Feststellung, ob die Entgegenhaltungen zum Stand der Technik gehören und damit, ob sie dem Patent überhaupt entgegengehalten werden können, fehlt es hier an der ausreichenden Angabe der relevanten Tatsachen und Beweismittel, so daß die Beschwerdegegnerin und die Einspruchsabteilung nicht wußten, wie der Hinweis auf das Veröffentlichungsdatum, der in dieser Form sowieso, wie oben dargelegt, unzutreffend ist, zu interpretieren war (vgl. T 0222/85 a. a. O.).
Die bloße Angabe des Veröffentlichungsdatums bei einer derartigen Entgegenhaltung ist wohl vergleichbar mit einem Vorbringen, daß eine bestimmte Entgegenhaltung neuheitsschädlich ist oder mangelnde erfinderische Tätigkeit begründet, ohne gleichzeitig darzulegen, welche Angaben in der Entgegenhaltung zu diesem Vorbringen führen.
5. Die von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidungen sind aus folgenden Gründen nicht einschlägig:
5.1. In dem der Entscheidung T 0234/86 zugrunde gelegenen Fall waren, abgesehen von Literatur für allgemeines Fachwissen, drei Patentschriften genannt, und es war angegeben, was jeweils aus welcher Schrift bekannt sein sollte. Nur bei einer Patentschrift, wie sich aus dem Zusammenhang erschließt, war die Stelle der behaupteten Offenbarung nicht angegeben. Dies hatte die Kammer im Hinblick auf die Kürze der Entgegenhaltung für unbeachtlich gehalten. Im vorliegenden Fall fehlt dagegen im Hinblick auf die beiden angeführten Druckschriften jegliche Angabe über deren Zugänglichmachung an die Öffentlichkeit.
5.2. In der Entscheidung T 0324/90 wurde festgestellt, daß die deutsche Fassung von Artikel 122 (3) Satz 1 EPÜ gegenüber der englischen und französischen Fassung ein zusätzliches Erfordernis enthält, nämlich "die zur Begründung dienenden Tatsachen glaubhaft zu machen". Da gemäß Artikel 177 (1) EPÜ alle drei Fassungen gleichermaßen verbindlich sind, wurde festgehalten, daß innerhalb der Zweimonatsfrist nach Artikel 122 (2) EPÜ nur die Gründe und Tatsachen anzugeben sind, aber nicht glaubhaft gemacht werden müssen und auch die Angabe etwaiger Beweismittel später erfolgen kann, um mit der englischen und französischen Fassung in Einklang stehende Erfordernisse zu schaffen.
Die Vorschriften von Artikel 99 (1) Satz 2 EPÜ i. V. m. Regel 55 c) EPÜ und Artikel 122 (2), (3) EPÜ sehen unterschiedliche Anforderungen vor. Im ersten Fall ist auch die Angabe von Beweismitteln innerhalb der Frist vorgeschrieben. Im zweiten Fall bedarf es einer Angabe von Beweismitteln zur Fristwahrung nicht. Da verschiedene Vorschriften für den Einspruch und die Wiedereinsetzung vorhanden sind, besteht für eine analoge Anwendung der Wiedereinsetzungsvorschriften auf den Einspruch kein Anlaß.
5.3. Im übrigen geht es im vorliegenden Fall nicht um die Glaubhaftmachung bestimmter Vorgänge, sondern um die Substantiierung des Einspruchs, d. h. die ausreichende Angabe der relevanten Tatsachen, die den geltend gemachten Widerrufsgrund begründen sollen.
Insoweit ist auch die Feststellung der Einspruchsabteilung im vierten Absatz auf Seite 4 ihrer Entscheidung, daß die öffentliche Zugänglichkeit der Dokumente D1 und D2 vor dem Prioritätsdatum des Patents von der Einsprechenden innerhalb der Einspruchsfrist hätte "glaubhaft gemacht werden sollen" in "hätte substantiiert werden müssen" zu korrigieren.
6. Schließlich kann die Kammer auch dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, daß die Feststellung, ob die Entgegenhaltungen veröffentlicht worden seien oder nicht, als Beweiswürdigung zur Prüfung der sachlichen Begründetheit des Einspruchs gehöre, nicht zustimmen.
6.1. Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Einspruchsschriftsatz als Entgegenhaltungen eine Montageanweisung und eine Gebrauchs- und Einbauanleitung genannt und deren Veröffentlichungsdatum angegeben. Sie hat damit drei Begriffe miteinander in Verbindung gebracht, die im allgemeinen nichts miteinander zu tun haben. Denn eine Montageanweisung oder eine Gebrauchs- und Einbauanleitung wird, wie bereits unter Punkt 4 ausgeführt, in der Regel nicht veröffentlicht, sondern dem vertriebenen Produkt beigefügt. Deshalb hätte es einer Darlegung bedurft, auf Grund welcher Umstände entgegen allgemeiner Gepflogenheiten im vorliegenden Fall die Entgegenhaltungen tatsächlich veröffentlicht wurden. Da der Einspruchsschriftsatz hierzu keine Angaben enthielt, waren die Beschwerdegegnerin und die Einspruchsabteilung auf die Vermutung angewiesen, daß die Beschwerdeführerin mit "Veröffentlichungsdatum" wohl den falschen Begriff gewählt hatte und "Druckdatum" meinte. Die bloße Angabe des Druckdatums eines Schriftstückes reicht aber nicht aus, um dessen öffentliche Zugänglichkeit zu substantiieren. Denn die öffentliche Zugänglichmachung erfolgt logischerweise immer zu einem späteren Zeitpunkt.
Insofern hätte es in diesem Fall der Darlegung der Umstände zu einem Zeitpunkt oder Zeitraum bedurft, die zur Zugänglichmachung der Entgegenhaltungen an die Öffentlichkeit führten.
6.2. Da hierzu einerseits keine Angaben gemacht wurden und andererseits der Begriff "Veröffentlichungsdatum" im Hinblick auf den Charakter der herangezogenen Entgegenhaltungen erläuterungsbedürftig ist, es aber an diesen Erläuterungen fehlt, ist der Einspruchs in einem entscheidenden Punkt nicht substantiiert und somit unzulässig.
6.3. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, hätte es gar nicht der Überlegungen der Einspruchsabteilung in Bezug auf mögliche Fehler in den zitierten Schriftstücken oder auf das Unterbleiben der Produktion und des Vertriebs des den Schriftstücken entsprechenden Produkts bedurft. Vielmehr reicht es aus festzustellen, daß zur öffentlichen Zugänglichkeit der zitierten Schriftstücke in Hinblick auf Zeit und Umstände innerhalb der Einspruchsfrist keine Angaben gemacht wurden.
7. Da der Einspruch der Beschwerdeführerin unzulässig ist, ist eine sachliche Prüfung, ob die von ihr geltend gemachten Einspruchsgründe der mangelnden Neuheit und erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehen, nicht möglich.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.