T 0257/03 (Waschmittel Komponente/HENKEL) 15-03-2004
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Sprühgetrocknetes Waschmittel oder Komponente hierfür
The Procter & Gamble Company
Unilever PLC
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 0 802 965, betreffend ein "Sprühgetrocknetes Waschmittel oder Komponente hierfür", widerrufen worden ist.
II. Mit den Einsprüchen war das gesamte Patent wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit, sowie mangelnder Offenbarung (Artikel 100 a) und b) EPÜ) angegriffen worden.
III. Im Einspruchsverfahren hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) das Patent von Anfang an nicht in der erteilten Fassung verteidigt und in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung geänderte Anspruchsfassungen als Haupt- und Hilfsanträge 1 bis 4 vorgelegt.
IV. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, daß der Hauptantrag aufgrund Regel 57 a) EPÜ, sowie die Hilfsanträge 1 und 2 aufgrund Regel 71a (2) EPÜ, Hilfsantrag 3 aufgrund Artikel 84 oder 123 (3) EPÜ und Hilfsantrag 4 aufgrund Artikel 123 (2) EPÜ unzulässig sind.
V. Mit der Beschwerde beantragte die Beschwerdeführerin die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt (Hauptantrag). Zudem legte sie aber mit der Beschwerdebegründung weitere 23 Sätze von geänderten Ansprüchen, als Hilfsanträge 1 bis 23, vor, welche Ansprüche mit denen der Haupt- und Hilfsanträge 1 bis 4 des Einspruchsverfahrens nicht identisch sind.
VI. Die Kammer hat mit einem Schreiben vom 24. November 2003 die Parteien zur mündlichen Verhandlung geladen und einige Kommentare mitgeteilt.
VII. Am 15 März 2004 fand die mündliche Verhandlung statt an der die Beschwerdegegnerin I trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht teilgenommen hat, wie sie der Kammer dies im voraus schriftlich mitgeteilt hatte.
VIII. Zur Zulässigkeit der Beschwerde im Hinblick auf Artikel 108 (3) EPÜ hat die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:
- Aus der Beschwerdebegründung gehe eindeutig hervor, daß neue Anträge vorgelegt würden und warum diese den Erfordernissen des EPÜ genügten.
- Aus diesem Grund könne jeder Leser - der auch die angefochtene Entscheidung im Hinterkopf habe - der schriftlich vorgelegten Beschwerdebegründung entnehmen, daß die gesamte Begründung der Einspruchsabteilung nicht mehr relevant sei. Mit anderen Worten mache Natur und Umfang der Änderungen des Hauptanspruches klar, daß die gesamte Begründung der Einspruchsentscheidung nunmehr überwunden werden solle. Darüberhinaus mache die Beschwerdebegründung klar, daß ein eindeutiger Zusammenhang zwischen den vorgenommenen Änderungen und den Gründen der Entscheidung der Einspruchsabteilung bestehe.
- Der vorliegende Fall sei vergleichbar mit dem der Entscheidung T 162/97 zugrundeliegenden.
IX. Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende) haben der Argumentation der Beschwerdeführerin widersprochen und ausgeführt, daß die Beschwerdebegründung einerseits keine Ausführungen darüber enthalte, weshalb die angefochtene Entscheidung unzutreffend sei, andererseits den Versuch darstellte das Einspruchsverfahren neu aufzurollen.
X. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung,
- Hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in beschränkter Form auf der Basis eines der mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Hilfsanträge 1 bis 23.
- In Fall einer Abweichung von der Entscheidung T 162/97 den Fall der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
XI. Die Beschwerdegegnerinnen beantragen (die Beschwerdegegnerin I schriftlich) die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen
- Für den Fall, daß die Kammer die Beschwerde für zulässig halten sollte, den Fall an die erste Instanz zurückzuverweisen
- Im Fall der Zurückverweisung der Patentinhaberin die daraus entstehenden Kosten aufzuerlegen.
1. Zulässigkeit der Beschwerde im Hinblick auf Artikel 108 (3) EPÜ.
1.1. Nach Artikel 108 Satz 3 EPÜ ist die Beschwerde innerhalb von vier Monaten nach Zustellung der - angefochtenen - Entscheidung schriftlich zu begründen. Die Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde hängt mithin davon ab, ob die Beschwerdeführerin - innerhalb der vorgeschriebenen Begründungsfrist - eine Beschwerdebegründung eingereicht hat, die den nach der genannten Vorschrift an ihren Inhalt zu stellenden Anforderungen genügt.
1.2. Wie die Kammer schon in ihrer Mitteilung vom 24. November 2003 ausgeführt hat, darf sich eine Beschwerdebegründung nicht darin erschöpfen, die Unrichtigkeit oder Anfechtbarkeit der angefochtenen Entscheidung zu behaupten. Denn diese Auffassung ergibt sich bereits aus dem Umstand, daß die Beschwerdeführerin einen solchen Rechtsbehelf eingelegt hat. Vielmehr muß eine Beschwerdebegründung, für die einem Beschwerdeführer über die Zweimonatsfrist für die Einlegung der Beschwerde hinaus weitere zwei Monate Zeit zustehen, angeben, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen die Entscheidung nach Meinung des Beschwerdeführers aufgehoben werden muß.
1.3. Die von der Beschwerdeführerin am 30. April 2003 eingereichte Beschwerdebegründung enthält indessen ausschließlich Ausführungen zum Offenbarungsgehalt des Streitpatents, zu Klarheit, Neuheit und erfinderischer Tätigkeit. In ihr werden die mit Schreiben der Beschwerdeführerin vom 21. Juni 2001, das sie im Einspruchsverfahren als - einzige - Erwiderung auf die beiden Einsprüche vorgelegt hat, vorgebrachten Argumente (identisch im Aufbau, wie er auch durch die Begründung der beiden Einsprüche inhaltlich vorgegeben war) teils wiederholt insbesondere aber vertieft. Ausführungen oder sonst Bezüge zur Entscheidung der Einspruchsabteilung enthält die Beschwerdebegründung nicht.
1.4. Die Beschwerde ist jedoch ein Rechtsbehelf, der einem Verfahrensbeteiligten gegen Entscheidungen des Europäischen Patentamts (siehe Artikel 113 Absatz 1 EPÜ) zusteht, durch die er beschwert ist (Artikel 107 EPÜ).
1.5. Zwar kann die Beschwerdekammer als zweite Instanz auch im Rahmen der Zuständigkeit der Einspruchsabteilung tätig werden, was deshalb zu einer Fortführung des Einspruchsverfahrens führen kann (siehe Artikel 111 Absatz 1, Satz 2, 1. Alternative EPÜ). Wie die Grosse Beschwerdekammer in ihren Entscheidungen G 9/91 und G 10/91 (ABl. EPA 1993, 408) bezugnehmend auf ihre Entscheidungen G 7/91 und G 8/91 (ABl. EPA 1993, 346 und 356) ausgeführt hat, ist jedoch das Beschwerdeverfahren - anders als das rein administrative Einspruchsverfahren - als verwaltungsgerichtliches Verfahren anzusehen, dessen Hauptzweck es ist, der unterlegenen Partei die Möglichkeit zu geben, die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich anzufechten.
1.6. Eine einmal getroffene Entscheidung der ersten Instanz hat (außer im Fall einer Abhilfe nach Artikel 109 Absatz 1 EPÜ) Bestand bis sie durch eine Entscheidung der zu diesem Zweck angerufenen Beschwerdekammer aufgehoben wird. Keinesfalls kann deshalb die Beschwerde dazu führen, ohne Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung das Verfahren in den Stand bei Einlegung des oder der Einsprüche zurückzuversetzen.
Daran ändert es nichts, daß eine Beschwerde hinsichtlich der Wirkungen der angefochtenen Entscheidung aufschiebende Wirkung hat (Artikel 106 Absatz 1 Satz 2 EPÜ).
1.7. Einen Hinweis oder auch nur Fingerzeig darauf, aus welchen Gründen die Entscheidung der Einspruchsabteilung aus der Sicht der Beschwerdeführerin aufgehoben werden soll, kann die Kammer auch nicht dem Umstand entnehmen, daß die Beschwerdeführerin mit der Beschwerde - erstmals - die Aufrechterhaltung ihres Patents in der erteilten Fassung beantragt hat.
1.7.1. Zwar trifft es zu, daß mit dem "Zurückgehen" auf das Patent in der erteilten Fassung die Gründe, aus denen die Einspruchsabteilung das Patent in der - eingeschränkten - Fassung des im Einspruchsverfahren gestellten Hauptantrags und der vier Hilfsanträge widerrufen hat, inhaltlich "leerlaufen".
1.7.2. Dies kann aber nicht zwangsläufig dazu führen, daß deshalb die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist.
1.8. Denn bei der Prüfung der europäischen Patentanmeldung oder des europäischen Patents und bei den Entscheidungen darüber hat sich das Europäische Patentamt an die vom Anmelder oder Patentinhaber vorgelegte oder gebilligte Fassung zu halten (Artikel 113 Absatz 2 EPÜ). War die Einspruchsabteilung deshalb an die von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge gebunden, und hat diese dort (und im übrigen von Beginn des Einspruchsverfahrens an) ihr Patent ausschließlich in einer eingeschränkten Fassung verteidigt, war das Patent in der erteilten Fassung folglich nicht Gegenstand der Entscheidung der Einspruchsabteilung (vgl. auch insoweit T 528/93 nicht veröffentlicht, Punkte 1.2 und 1.3 der Entscheidungsgründe).
1.8.1. Ein mit der Beschwerde erstmals gestellter Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung kann infolgedessen weder der Beschwerdekammer noch den Einsprechenden einen Hinweis darauf liefern, weshalb die angefochtene Entscheidung aus einem anderen Grund aufzuheben ist als dem das Einspruchsverfahren neu aufzurollen. Dies kann aber nicht - Allein- Zweck des Beschwerdeverfahrens sein.
1.8.2. Die Kammer möchte betonen, daß es hier nicht um Fragen des - teilweisen - Verzichts auf ein Patent oder darum geht, in welcher Weise ein Patent im Beschwerdeverfahren in erweitertem Umfang verteidigt werden kann. Diese Fragen können sich erst im Fall einer zulässigen Beschwerde stellen.
Hier ist allein die Frage zu entscheiden, ob aus einer erweiterten Verteidigung des Patents, wie sie der Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht zugrundegelegt hat, Gründe tatsächlicher oder rechtlicher Art entnommen werden können, die die Auffassung der Beschwerdeführerin erkennen lassen, weshalb die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist. Da sich die Entscheidung der Einspruchsabteilung aber nicht mit einem solchen Antrag befassen konnte (Artikel 113 Absatz 2 EPÜ), ergibt sich ohne zusätzliche Anhaltspunkte oder ausdrückliche Ausführungen in der Beschwerdebegründung hieraus nichts für die Zulässigkeit der Beschwerde.
1.9. Anders war es im Fall, der der Entscheidung T 162/97 zugrundelag, den die Beschwerdeführerin mit dem vorliegenden für vergleichbar hält.
1.9.1. Denn dort hatte die Einspruchsabteilung das Patent, das die dortige Beschwerdeführerin in der erteilten Fassung verteidigt hatte, mangels erfinderischer Tätigkeit widerrufen, weil das Patent ein Merkmal enthielt, das nach dem nächstkommenden Stand der Technik bereits bekannt war.
Mit der Beschwerde hatte die Patentinhaberin eine Anspruchsfassung vorgelegt, in der das betreffende Merkmal im Wege eines Disclaimers ausgeschlossen war, und in der Beschwerdebegründung ausdrücklich auf diese Änderung, die einen Unterschied zum Stand der Technik begründe, hingewiesen.
Deshalb hat die Kammer dort die Beschwerde für zulässig gehalten, weil die Art der eingeschränkten Anspruchsfassung zusammen mit den Angaben in der Beschwerdebegründung ein "causal link" zwischen der von der Beschwerdeführerin einschränkend geänderten Fassung des Patentanspruchs 1 und den Gründen der angefochtenen Entscheidung herstelle.
Im Gegensatz zum vorliegenden Fall war das Patent in der erteilten Fassung dort also Gegenstand der angefochtenen Einspruchsentscheidung.
1.9.2. Wenn die Beschwerdeführerin vorliegend aber in der Beschwerdeinstanz das Patent in einer erweiterten - hier der erteilten - Fassung verteidigt, kann dies ein solches "causal link" zur Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht begründen, weil diese sich mit dem Patent in dieser Fassung niemals befaßt hat. Daß eine solche Fassung wie erteilt gewissermaßen als automatische Folge die (Zulässigkeits-) Einwendungen, aufgrund derer die Einspruchsabteilung das Patent in den ihr vorgelegten eingeschränkten Fassungen nach Haupt- und Hilfsanträgen widerrufen hat, ins Leere gehen läßt, liefert keinen Hinweis auf den Inhalt des Unrichtigkeitsvorwurfs oder darauf, weshalb die angefochtene Entscheidung sonst aufzuheben ist, Gründe auf die die Beschwerdeführerin ihren Rechtsbehelf gründen muß, damit er zulässig ist.
1.9.3. Diesen hätte sie allerdings durch Ausführungen auch konkludenter Art geben können. Zum Beispiel durch Ausführungen der Beschwerdeführerin weshalb der erste Hilfsantrag, der von der Einspruchsabteilung als verspätet eingereicht nicht zugelassen worden ist, dennoch nicht verspätet war, weil er von ihr zur Herstellung der Neuheit gegenüber einer Entgegenhaltung bestimmt war, die etwa einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingeführt worden ist.
Daraus folgt, daß die Beschwerdebegründung den Erfordernissen des Artikel 108 Satz 3 EPÜ nicht entspricht.
2. Liegt der vorliegend zu treffenden Beschwerdeentscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde als er Gegenstand der Entscheidung T 162/97 war, war die Grosse Beschwerdekammer auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (Artikel 112 Absatz 1, 1. Alternative EPÜ) anzurufen.
Daß sich hier eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gestellt hätte, hat auch die Beschwerdeführerin nicht behauptet.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde der Patentinhaberin wird als unzulässig verworfen.