T 1886/06 (Pigmentpräparation/MERCK) 23-10-2009
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Pigmentpräparation
Ausführbarkeit (ja): Die reine Mutmaßung, der Schutzbereich der Ansprüche könne sich auf nicht offenbarte Varianten erstrecken, reicht nicht aus.
Erfinderische Tätigkeit (nein)
I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 00 947 844.7
(Internationale Veröffentlichungsnummer WO-A-01/00738)
wurde das europäische Patent Nr. 1 200 527 mit 10 Patentansprüchen erteilt.
Der unabhängige Anspruch 1 hatte folgenden Wortlaut:
"1. Nichtstaubende homogene Pigmentpräparation, dadurch gekennzeichnet, daß sie
- >= 40 Gew.-% ein oder mehrerer Effektpigmente,
- 0,5 - 59,9 Gew.-% eines styrolmodifizierten
Polyacrylates mit einer Säurezahl von > 90 mg KOH,
- 0,5 - 50 Gew.-% Wasser und/oder eines organischen
Lösemittels oder Lösemittelgemisches,
- 0 - 10 Gew.-% eines Neutralisationsmittels, und
- 0 - 10 Gew.-% eines Modifiziermittels
enthält."
II. Gegen die Patenterteilung hat die Einsprechende wegen
mangelnder ursprünglicher Offenbarung (Artikel 100(c) EPÜ), wegen unzureichender Offenbarung (Artikel 100(b) EPÜ) sowie wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100(a) EPÜ) Einspruch erhoben. Sie stützte sich dabei unter anderem auf die Entgegenhaltungen
D2 WO-A-98/38253 und
D3 WO-A-99/24510 sowie auf
D11 Vergleichsversuche der Firma Eckart eingereicht mit
Schreiben vom 4. Februar 2005.
III. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung hat die
Patentinhaberin das Patentbegehren auf der Basis geänderter Ansprüche 1 bis 10, eingereicht mit Schreiben vom 4. Oktober 2005 verteidigt.
Dabei unterschied sich Anspruch 1 von dem in der erteilten Fassung durch Hinzufügung des Merkmals "und einer Glasübergangstemperatur von 50 - 140 ºC" nach dem Ausdruck "> 90 mg KOH".
IV. In ihrer Entscheidung über den Widerruf des Patents war
die Einspruchsabteilung zur Auffassung gelangt, dass dieser Anspruch 1 nicht klar sei im Sinne von Artikel 84 EPÜ. Der Wert der Glasübergangstemperatur hänge nämlich von der verwendeten Messmethode ab. Da diese im Streitpatent nicht offenbart sei, sei unklar ob eine Pigmentpräparation unter den Schutzumfang von Anspruch 1 fällt oder nicht.
V. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen diese
Entscheidung Beschwerde eingelegt. Mit ihrer Beschwerde-begründung hat sie die erteilten Ansprüche als Haupt-antrag verteidigt und geänderte Anspruchssätze in drei neuen Hilfsanträgen eingereicht. Mit Schreiben vom 22. September 2009 hat sie ihrerseits Vergleichsversuche in einem Dokument D15 eingereicht.
VI. Auf Antrag beider Parteien wurde am 23. Oktober 2009
eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer durchgeführt, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin ihren mit Schreiben vom 22. September 2009 angekündigten Hauptantrag fallen ließ und die drei mit Schreiben vom 22. September 2009 angekündigten Hilfsanträge als neuen Hauptantrag sowie ersten und zweiten Hilfsantrag weiterverfolgte.
Anspruch 1 des neuen Hauptantrages lautet:
"1. Nichtstaubende homogene Pigmentpräparation, dadurch gekennzeichnet, dass sie
- > 50 Gew.-% ein oder mehrerer Effektpigmente,
- 5 - 40 Gew.-% eines styrolmodifizierten
Polyacrylates mit einer Säurezahl von > 90 mg KOH,
- 1 - 40 Gew.-% Wasser,
- 1 - 7 Gew.-% eines Neutralisationsmittels, und
- 0 - 10 Gew.-% eines Modifiziermittels
enthält."
Anspruch 1 des ersten Hilfsantrages lautet:
"1. Trockenpräparate, insbesondere Granulate, Briketts, Pellets, hergestellt aus einer nichtstaubenden homogenen Pigmentpräparation, die
- >= 40 Gew.-% ein oder mehrerer Effektpigmente,
- 0,5 - 59,9 Gew.-% eines styrolmodifizierten
Polyacrylates mit einer Säurezahl von > 90 mg KOH,
- 0,5 - 50 Gew.-% Wasser und/oder eines organischen
Lösemittels oder Lösemittelgemisches,
- 0 - 10 Gew.-% eines Neutralisationsmittels, und
- 0 - 10 Gew.-% eines Modifiziermittels
enthält, indem die Formgebung der Trockenpräparate durch Tablettieren, Brikettieren, Pelletieren, Wirbelschicht-granulieren, Granulieren, Sprühgranulieren oder Extrudieren erfolgt, und die Trockenpräparate gegebenenfalls vom Lösemittel befreit werden."
Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrages unterscheidet sich
von dem des ersten Hilfsantrages dadurch dass die Trockenpräparate aus einer Pigmentpräparation, wie in Anspruch 1 des Hauptantrages definiert, hergestellt werden.
VII. Die Beschwerdeführerin hat ihre Beschwerde im
Wesentlichen wie folgt begründet:
- In den neuen Ansprüchen sei der Zurückweisungsgrund unter Artikel 84 EPÜ beseitigt. Der darin beanspruchte Gegenstand erfülle auch die Bedingungen des Artikels 123 EPÜ.
- Der beanspruchte Gegenstand sei ausreichend offenbart und für einen Fachmann ausführbar.
- Der beanspruchte Gegenstand sei nicht nur neu,
sondern auch erfinderisch, weil er durch die Dokumente D2 und D3 nicht in nahe liegender Weise herleitbar ist. Insbesondere sei dem Stand der Technik kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass aufgrund der besonderen styrolmodifizierten Polyacrylate, Produkte mit den in Dokument D15 gezeigten hervorragenden Eigenschaften bereitgestellt werden könnten. Außerdem seien die in Dokument D3 beschriebenen Polymere nicht einfach styrolmodi-fizierte Polyacrylate sondern deren Reaktionsprodukte mit einer weiteren polymeren Komponente B.
VIII. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat im
Wesentlichen folgende Argumente vorgebracht:
- Die geänderten Ansprüche erfüllten nicht die Voraussetzungen von Artikel 84 EPÜ sowie von 100(c) bzw. 123(2) EPÜ.
- Der in allen Anträgen beanspruchte Gegenstand erfülle nicht die Erfordernisse von Artikel 100(b) bzw. 83 EPÜ.
- Ausgehend von Dokument D2 als nächstliegendem Stand der Technik und bei Kenntnis der Entgegenhaltung D3 basiere der beanspruchte Gegenstand jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil es für einen Fachmann nahelag, in den aus Dokument D2 bekannten Pigmentpräparationen und Trockenpräparaten das Polyacrylat durch die aus Dokument D3 bekannten styrolmodifizierten Polyacrylate zu ersetzen, um alternative Produkte zu schaffen.
IX. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der
angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrages oder eines der Hilfsanträge 1 oder 2, alle Anträge eingereicht in der mündlichen Verhandlung.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
1. Zulässigkeit der Änderungen unter Artikel 123(2) und
84 EPÜ sowie Offenbarung der Erfindung (Artikel 100(b) EPÜ)
1.1 Die Kammer hat sich davon überzeugt, dass die in den
Ansprüchen aller Anträge vorgenommenen Änderungen den Bedingungen der Artikel 123(2) und 84 EPÜ genügen. Da die Beschwerde erfolglos bleibt, weil der beanspruchte Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sind weitere Ausführungen zur Zulässigkeit der Änderungen nicht erforderlich.
1.2 Das gleiche gilt zwar prinzipiell auch für das Argument
der Beschwerdegegnerin, der beanspruchte Gegenstand sei nicht ausführbar. Im vorliegenden Fall hält es die Kammer jedoch für sinnvoll, Stellung zu nehmen.
1.3 Die Beschwerdegegnerin hat hierzu im Wesentlichen
folgende Argumente vorgebracht:
1.3.1 Die Begriffe "nichtstaubend" und "homogen" seien
funktionelle Merkmale. Es sei aber unbestreitbar, dass mit 99 Gew.-% trockner Effektpigmente und 1 Gew.-% an Zusätzen keine nichtstaubende, homogene Pigment-präparation herstellbar ist. Zum Beleg seien die Vergleichsversuche D11 vorgelegt worden, welche zeigten, dass Pigmentpräparationen gemäß Anspruch 1 ebenso oder stärker stauben als die reinen Pigmentpulver, wenn der Anteil an Lösemittel bzw. styrolmodifiziertem Polyacrylat jeweils 10 Gew.-% oder weniger beträgt und dass eine solche Mischung auch nicht pelletierbar ist.
1.3.2 Auch sei der Begriff "nichtstaubend" im Streitpatent
nicht definiert, so dass ein Fachmann nicht in der Lage sei, festzustellen, wann er im verbotenen Schutzbereich der Ansprüche arbeitet. Daher sei die Erfindung nach der Spruchpraxis der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar und nicht mit den Bedingungen der Artikel 83 und 100(b) EPÜ vereinbar. Diesbezüglich hat die Beschwerdegegnerin auf die nichtveröffentlichte Kammerentscheidung T 256/87 verwiesen.
1.3.3 Darüber hinaus sei zur Herstellung der gewünschten
Pigmentpräparation ein Modifiziermittel nötig sowie ein styrolmodifiziertes Polyacrylat, das speziell eine Glasübergangstemperatur von 50 bis 140ºC aufweist. Dies gehe aus der Beschreibung hervor. Letzteres habe die Beschwerdeführerin in Verteidigung ihres Anspruchssatzes vom 4. Oktober 2005 auch selbst bestätigt.
1.3.4 Bezüglich der Hilfsanträge komme ferner hinzu, dass eine
Tablettierung von Zusammensetzungen mit einem Gehalt von
bis zu 50 Gew.-% an Wasser oder organischem Lösemittel nicht möglich sei. Dies sei aber vom jeweiligen Haupt-anspruch umfasst, weil nach dem Anspruchswortlaut zur Herstellung der Trockenpräparate weder die Entfernung von Wasser noch von Lösemittel erforderlich sei.
1.4 Diese Argumente überzeugen aus folgenden Gründen nicht:
1.4.1 Vorliegend wird eine nichtstaubende homogene Pigment-
präparation aus mindestens vier Zutaten beansprucht, wobei die Zutaten in bestimmten Mengenbereichen vorhanden sind. Gemäß Absatz 42 des Streitpatents wird die Pigmentpräparation hergestellt durch Mischen und Homogenisieren der Zutaten in einem Mischgerät.
Außerdem werden Trockenpräparate beansprucht, welche aus diesen Pigmentpräparationen durch konkrete Formgebungs-maßnahmen hergestellt sind und welche gegebenenfalls vom Lösemittel befreit werden (Ansprüche 1 und 8 des Hauptantrages und Ansprüche 1 des ersten und zweiten Hilfsantrages).
Wenn - wie die Beschwerdegegnerin vorträgt - die Eigen-
schaften "nichtstaubend" und "homogen" funktionelle Merkmale sind, also das Resultat einer Zusammensetzung aus den vier Komponenten in bestimmten Gewichts-bereichen, überrascht es nicht, wenn nicht jede Zusammensetzung zu diesen Eigenschaften führt, selbst wenn sie die vier Komponenten in Mengen enthält, die in die angegebenen Gewichtsbereiche fallen. Denn Anspruch 1 (aller Anträge) verlangt nicht, dass alle denkbaren Zusammensetzungen, welche die vier Komponenten in den genannten Gewichtsbereichen enthalten, auch gleichzeitig zu nichtstaubenden, homogenen Pigmentpräparationen führen.
Das von der Beschwerdegegnerin herangezogene Beispiel mit 99 Gew.-% an Trockenpigment bzw. die in ihren Vergleichsbeispielen gewählten Zusammensetzungen mit ebenfalls relativ geringen Anteilen an Lösemittel und Polyacrylat fallen mithin nicht unter den Wortlaut von Anspruch 1, wenn sie die Eigenschaften "nichtstaubend" und/oder "homogen" nachweislich nicht aufweisen.
1.4.2 Hinsichtlich der fehlenden Definition des Begriffs
"nichtstaubend" stellt sich zunächst die Frage, ob es überhaupt einer Erläuterung bedarf, oder ob die dem Begriff innewohnende Bedeutung nicht ausreicht, um dem Fachmann, an den sich die Patentschrift richtet, eine ausreichende technische Lehre zu vermitteln. Außerdem hat die fachkundige Beschwerdegegnerin selbst festgestellt, dass es nicht im Sinne des Streitpatents ist, wenn die Pigmentpräparationen ebenso oder sogar stärker stauben als die reinen Pigmentpulver (vgl. Absatz 2 des Streitpatents).
Die Beschwerdegegnerin hat sich auf die Entscheidung T 256/87 berufen. Nach dieser Entscheidung ist das Fehlen einer Bestimmungsmethode für einen in der Technik ungewöhnlichen Parameter, dann nicht schädlich für eine ausreichende Offenbarung einer Erfindung nach Artikel 83 EPÜ, wenn ein Fachmann nach der Lektüre der Patentschrift die Erfindung in allen wesentlichen Teilen ausführen kann und weiß, wann er im verbotenen Schutzbereich der Ansprüche arbeitet (vgl. Punkt 17 der Entscheidung). In dem der Entscheidung T 256/87 zugrunde liegenden Fall war dies aufgrund der einschlägigen Fachkunde durch indirekte empirische Ermittlungen für möglich gehalten worden.
Die in der Entscheidung T 256/87 gezogene Schlussfolge-rung kann aber nicht bedeuten, dass - im Umkehrschluss - die Verwendung eines nach Artikel 84 EPÜ undefinierten Ausdrucks in den Ansprüchen zwangsläufig dazu führt, dass die Erfindung nicht ausführbar im Sinne des Artikels 83 EPÜ ist, wenn sich nicht aus der Beschreibung oder der entsprechenden Fachkunde konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Definition ergeben. Zweifel an einer fehlende Ausführbarkeit im gesamten Schutzbereich der Ansprüche müssen nämlich mit nachprüfbaren Tatsachen begründet werden. Die reine Mutmaßung, dass sich dieser Schutzbereich auf nicht offenbarte Varianten erstrecken könnte, reicht nicht aus.
Grundsätzlich stellt die Verwendung eines undefinierten Begriffs in den Ansprüchen, beispielsweise eines relativen Begriffs, ein Problem unter Artikel 84 EPÜ dar. Danach müssen die Patentansprüche den Gegenstand angeben für den Schutz begehrt wird und sie müssen deutlich und knapp gefasst sowie von der Beschreibung gestützt sein. Im Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren führt dies dazu, dass wegen der fehlenden Abgrenzung des Schutzbereichs der Ansprüche durch einen solchen Ausdruck bei der Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit umfangreicherer Stand der Technik zu berücksichtigen ist, nämlich derjenige im Umfang sämtlicher technisch sinnvoller Deutungsmöglichkeiten des undefinierten Ausdrucks. Kann einem solchen Ausdruck im Extremfall überhaupt keine konkrete Bedeutung beigemessen werden, verliert er gegenüber dem in Betracht zu ziehenden Stand der Technik seine limitierende Wirkung sogar gänzlich.
Demgegenüber kann der Patentinhaber nicht einwenden, die umfangreichere Heranziehung des Stands der Technik sei wegen der Möglichkeit den undefinierten Ausdruck anhand der Beschreibung und der Zeichnungen einschränkend auszulegen, nicht zulässig. Denn diese aus Artikel 69(1) EPÜ folgende Auslegungsmöglichkeit betrifft, wie bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift folgt, nur den Inhalt der Patentansprüche, wie er für die Festlegung des Schutzbereichs eines Patents maßgeblich ist, mit der Folge, dass sich ein Patentinhaber eine solche einschränkende Auslegung des Schutzbereichs seines Patents von einem aus dem Patent in Anspruch genommenen Verletzer entgegenhalten lassen muss. Das heißt, Artikel 69(1) EPÜ kann nur für die Beantwortung der Frage herangezogen werden, ob ein Wettbewerber wissen kann, ob und wann er im verbotenen Schutzbereich arbeitet. Dies ist jedoch allenfalls eine Frage, ob die Patentansprüche diejenige Deutlichkeit aufweisen, die erforderlich ist, um Artikel 84 EPÜ zu genügen.
Vom Schutzbereich der Patentansprüche bzw. des Patents ist in Artikel 83 EPÜ dagegen nicht die Rede. Denn diese Vorschrift verlangt nur, dass die Erfindung im Patent so deutlich und vollständig zu offenbaren ist, dass sie von einem Fachmann ausgeführt werden kann.
1.4.3 Ferner betreffen die Artikel 83 bzw. 100(b) EPÜ
ausschließlich die Patentanmeldung bzw. (im vorliegenden Fall) das Patent und nicht den Sachvortrag der Patentinhaberin im späteren Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren wie dies der Beschwerdegegner hier geltend gemacht hat (vgl. Punkt 1.3.3). Daher ist es für die Belange des Artikels 100(b) EPÜ unerheblich, mit welchen Argumenten eine beschwerdeführende Patentinhaberin im Laufe des Verfahrens ihr geändertes Patentbegehren verteidigt, wenn diese Argumente in der Beschreibung des Patents keinen Widerhall finden und wenn es auch sonst keine Veranlassung gibt, anzunehmen, dass diese Argumente zutreffen.
Die Kammer stellt fest, dass dem Streitpatent nicht zu entnehmen ist, dass zur Durchführbarkeit der Erfindung die Verwendung eines Modifiziermittels sowie eines styrolmodifizierten Polyacrylats mit einer Glasüber-gangstemperatur von 50 bis 140ºC unabdingbar wäre. Vielmehr ist die Anwesenheit eines Modifiziermittels nach Absatz 11 der Patentschrift grundsätzlich optional und nach Absatz 28 der Patentschrift nur eine bevorzugte Variante. Das gleiche gilt für die Verwendung eines styrolmodifizierten Polyacrylats mit einer Glasüber-gangstemperatur von 50 bis 140ºC (Absatz 11 in Verbindung mit Absatz 26 der Patentschrift).
Die Beschwerdegegnerin hat keine Beweismittel vorgelegt, welche die Notwendigkeit der Präsenz eines Modifizier-mittels sowie eines styrolmodifizierten Polyacrylats mit einer Glasübergangstemperatur von 50 bis 140ºC belegten. Deshalb kann ihr Argument nicht überzeugen.
1.4.4 Da in den Hilfsanträgen ausschließlich Trockenpräparate
beansprucht werden, welche durch Tablettieren, Brikettieren etc. hergestellt werden, umfassen die Ansprüche der Hilfsanträge all die Präparate nicht, welche nicht trocken und/oder nicht tablettierbar sind. Darüber hinaus sind nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern bei der Prüfung der Ansprüche unlogische oder technisch unsinnige Auslegungen auszuschließen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 5. Auflage, 2006, Kapitel II.B.5.1). Infolgedessen ist einem Fachmann, an den sich die Patentschrift richtet, bewusst, dass bei höheren Anteilen von Lösemittel dieses soweit zu entfernen ist, dass eine Tablettierung möglich wird. Entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin steht dabei der Ausdruck Lösemittel sowohl aus fachlicher Sicht wie auch im Hinblick auf die Beschreibung nicht nur für organische Lösemittel sondern auch für Wasser (Absatz 41 der Patentschrift).
1.5 Aus diesen Gründen ist die Kammer zu der Überzeugung
gelangt, dass der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit unbegründet ist. Die Bedingungen des Artikels 83 EPÜ sind daher für alle Anträge erfüllt.
2. Erfinderische Tätigkeit
2.1 Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, Pigment-
präparationen bereitzustellen, die in lösemittelhaltigen wie auch lösemittelfreien Beschichtungssystemen verwendet werden können, eine hohe Stabilität aufweisen, sich leicht redispergieren lassen, sich durch eine hohe Kompatibilität mit den übrigen Komponenten des Beschichtungssystems auszeichnen sowie zur Herstellung von Trockenpräparaten, z.B. in Form von Pellets, Granulaten etc. geeignet sind (Absatz 10 des Streitpatents).
2.2 Die gleiche Aufgabe liegt Dokument D2 zugrunde (Seite 2,
zweiter und letzter Absatz in Verbindung mit Seite 5, Zeile 35 bis Seite 6, Zeile 1).
In Übereinstimmung mit den Parteien hält daher auch die Kammer Dokument D2 für einen akzeptablen Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
2.3 Die in Dokument D2 vorgeschlagenen Lösung obiger
Aufgabe besteht in der Bereitstellung von nicht-staubenden und homogenen Pigmentpräparationen, die sich vom Gegenstand nach Anspruch 1 des Hauptantrages allein dadurch unterscheiden, dass anstelle des styrol-modifizierten Polyacrylates mit einer Säurezahl von > 90 ein anderes Bindemittel verwendet wird, beispielsweise auf Basis von Cellulose, Polyacrylatharz oder Polystyrol (Anspruch 1 in Verbindung mit Seite 4, dritter Absatz, Seite 5, Zeile 16 bis Seite 6, Zeile 1 und Seite 7, Zeilen 13 bis 35).
2.4 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass mit den
beanspruchten Pigmentpräparationen gegenüber den aus Dokument D2 bekannten eine Verbesserung insofern erreicht werde, als damit haft- und wischfeste Drucke mit homogenem Druckbild erzeugt werden. Dies sei mit den Vergleichsversuchen D15 nachgewiesen worden.
2.5 Es ist jedoch offensichtlich, dass sich in Dokument D15
das erfindungsgemäße Beispiel (Beispiel 2) vom Vergleichsbeispiel (Beispiel 1) nicht allein durch das Unterscheidungsmerkmal, also durch die Verwendung eines styrolmodifizierten Polyacrylates mit einer Säurezahl von > 90 anstelle des dort verwendeten Methacrylsäure-Acrylsäureester-Copolymerisates (Rohagit SD 15) unterscheidet, sondern auch durch weitere Parameter, wie den Mengenverhältnissen, der Art des Neutralisations-mittels und der Anwesenheit von Senolith Hochglanzlack 350081.
Daher kann dieser Vergleich nicht belegen, dass die gefundenen Vorteile auf den Unterscheidungsmerkmalen beruhen, also darauf, dass anstelle des Polyacrylates Rohagit SD 15 ein styrolmodifiziertes Polyacrylat mit einer Säurezahl von > 90 verwendet wurde.
2.6 Infolgedessen kann die gegenüber Dokument D2
tatsächlich gelöste technische Aufgabe nur darin gesehen werden, eine alternative nichtstaubende homogene Pigmentpräparation bereitzustellen.
2.7 Somit bleibt zu untersuchen, ob - in Anbetracht des
vorhandenen Stands der Technik - die gemäß Hauptantrag
vorgeschlagene Lösung dieser Aufgabe auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
2.8 Dokument D2 enthält keinen Hinweis auf den Einsatz von
styrolmodifizierten Polyacrylaten, wohl aber auf die Verwendbarkeit von Derivaten der vorgeschlagenen Bindemittel (Seite 5, Zeilen 21 bis 35), insbesondere von Polyacrylsäure-Derivaten (Seite 6, Zeilen 14 bis 15).
2.9 Solche Derivate sind aber aus Dokument D3 bekannt und
zwar als Bestandteil wässriger, gegebenenfalls neutralisierter Pigmentdispersionen (Seite 1, Zeilen 4 bis 12 in Kombination mit Seite 5, Zeilen 5 bis 7, Seite 10, Zeilen 22 bis 27 und Seite 18, Zeilen 9 bis 12). Daher bezieht sich Dokument D3 auf das gleiche technische Gebiet wie Dokument D2 oder das Streitpatent und würde von einem Fachmann berücksichtigt werden, wenn es darum geht zu den aus Dokument D2 bekannten Pigmentdispersionen Alternativen bereitzustellen.
So beschreibt Beispiel 1 von Dokument D3 das Kondensationsprodukt von Joncryl 682, also dem in Beispiel 2 des Streitpatents verwendeten styrol-modifizierten Polyacrylat, mit einem verzweigten Polyester im Verhältnis 3:1 und einer resultierenden Säurezahl von 153 (Seite 30, Tabelle A, Seite 31, Tabelle B, Seite 32, Beispiel 1 und Seite 34, Tabelle C).
Es ist zwar richtig, wie die Beschwerdeführerin anführt, dass Dokument D3 eine Vielzahl sehr unterschiedlicher polymerer Zusammensetzungen offenbart und dass diese jeweils das Reaktionsprodukt von zwei verschiedenen Polymeren sind (Seite 4, Zeilen 14 bis 27), so auch das in Beispiel 1 von Dokument D3 eingesetzte Polymer.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann die Auswahl einer Komponente aus einer Vielzahl für den gleichen Zweck offenbarten Möglichkeiten aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen, wenn damit kein besonderer Effekt erzielt, sondern lediglich eine Alternative bereitgestellt wird.
Auch stellt - nach Überzeugung der Kammer - das in Beispiel 1 von Dokument D3 beschriebene Produkt immer noch ein styrolmodifiziertes Polyacrylat dar, welches zwar mit einem Polyester weiter modifiziert ist, vom Anspruchswortlaut aller Anträge der Beschwerdeführerin jedoch umfasst ist.
2.10 Die Kammer ist daher der Auffassung, dass ein Fachmann
in der Erwartung, eine Alternative zu den aus Dokument D2 bekannten Pigmentpräparation zu schaffen, das in Beispiel 1 von Dokument D3 beschriebene styrolmodi-fizierte Polyacrylat neben allen anderen in Dokument D3 beschriebenen polymeren Reaktionsprodukten als eine zumindest gleichwertige Möglichkeit in Betracht gezogen hätte, die ihm als Ersatz für die in Dokument D2 verwendeten Polymere zur Verfügung stehen.
Der Gegenstand nach Anspruch 1 des Hauptantrages beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2.11 Das gleiche gilt für Anspruch 1 beider Hilfsanträge,
weil die dort zusätzlich aufgenommenen Merkmale ebenfalls aus Dokument D2 bekannt sind (Anspruch 10 in Verbindung mit Seite 3, Zeilen 16 bis 20 und Seite 9, Zeilen 2 bis 6).
3. Somit bietet keiner der gestellten Anträge eine Basis
zur Aufrechterhaltung des Patents.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.