T 0374/12 11-11-2014
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Flächiges, gewalztes Halbzeug aus einer Aluminiumlegierung
I. In der am 31. Januar 2012 zur Post gegebenen Entscheidung wies die Einspruchsabteilung den Einspruch gegen das Europäische Patent Nr. 1 466 992 zurück.
II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.
III. Eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 11. November 2014 statt.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten und die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. Hilfsweise beantragte sie, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in der geltenden, hilfsweise in der Fassung der Hilfsanträge 1 oder 2 gemäß Schriftsatz vom 27. Dezember 2012 aufrechtzuerhalten.
V. Der einzige Anspruch des Patents wie erteilt lautet wie folgt:
"Verfahren zur Herstellung eines flächigen, gewalzten Halbzeugs aus einer Aluminiumlegierung, wobei die Aluminiumlegierung die folgenden Legierungsanteile in Gewichtsprozenten aufweist:
2 <= Mg <= 5
Mn <= 0,5
Cr <= 0,35
Si <= 0,4
Fe <= 0,4
Cu <= 0,3
Zn <= 0,3
Ti <= 0,15
andere in Summe maximal 0,15, einzeln maximal 0,05, Rest A1 [sic],
wobei das Halbzeug aus einem Barren (4) abgewalzt wird, im Walzprozess mindestens einem Zwischenweichglühen zwischen zwei Kaltwalzstichen und einem Schlussweichglühen jeweils in einem Kammerofen (7, 9) unterworfen wird und der Umformgrad vor dem ersten Zwischenweichglühen mindestens 50 % und vor dem Schlussweichglühen höchstens 30 % beträgt dadurch gekennzeichnet, d a s s [sic] das Halbzeug nach dem Schlussweichglühen um 0,1 bis 0,5 % gereckt wird."
VI. In der angefochtenen Entscheidung werden unter anderem folgende Entgegenhaltungen erwähnt:
D1: US -A- 4 151 013;
D6: US -B- 6 383 314; und
D11: M. Bloeck et al. " Aluminium-Karosseriebleche der Legierungsfamilie AlMg(Cu), Teil I" Aluminium (1995), 3
VII. Die Beschwerdeführerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung sei als Hauptangriffslinie vorgetragen worden, dass ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik D6 und angesichts der D11 der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderische Tätigkeit beruhe.
Die Begründung der angefochtenen Entscheidung befasse sich jedoch nicht mit dieser Angriffslinie. D6 sei lediglich im Bezug auf die Kombination der D1 und D6 erwähnt worden, während D11 überhaupt nicht genannt worden sei. Somit enthalte die angefochtene Entscheidung bezüglich der Angriffslinie D6+D11 keine Begründung. Die Entscheidungen T856/91 und T1231/03, die erstinstanzliche Entscheidungen betreffen, bei denen lediglich Lücke in der Begründung vorhanden seien, seien im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Vielmehr entspreche der vorliegende Sachverhalt denen der Fälle T278/00 und T1870/07.
Da die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Kombination D6+D11 nicht begründet sei, gebe es keinen Grund anzunehmen, dass die Argumente der Einsprechenden zu diesem Punkt gehört und berücksichtigt worden seien. Somit sei ihr rechtliches Gehör verletzt worden.
Angesichts dieses wesentlichen Verfahrensmangels sei die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen und die Beschwerdegebühr zu erstatten.
VIII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Es sei zwar richtig, dass die Kombination D6+D11 - die Hauptangriffslinie der Einsprechende während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung - in der angefochtenen Entscheidung explizit nicht erwähnt worden sei. Trotzdem sei aus der Entscheidung ersichtlich, warum diese Angriffslinie nicht überzeugend sei. Auf Seite 8 werde nämlich erklärt, dass in Stand der Technik alle Prozessschritte wesentlich seien, und dass D6 von der Lehre des Streitpatents hinweg lehre. Es sei somit klar, dass D6 nicht den nächstliegenden Stand der Technik darstellen könne, so dass die Kombination der D6 und D11 nicht in naheliegender Weise zur beanspruchten Erfindung führen könne. Der fehlende explizite Hinweis auf die Kombination D6+D11 sei daher lediglich ein formeller Mangel und keine fehlende Begründung. Die Beschwerdekammern haben schon in den Entscheidungen T856/91 und T1231/03 festegestellt, dass eine Lücke in der Begründung nicht unmittelbar ein Verstoß gegen die Erfordernisse der Regel 111(2) EPÜ darstelle.
Folglich sei weder eine fehlende Begründung der angefochtenen Entscheidung noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs festzustellen.
Eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung, die der Einsprechenden die Tür zur Einführung weiterer Entgegenhaltungen öffnen könne, sei daher nicht gerechtfertigt.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Begründung der angefochtenen Entscheidung
2.1 Gemäß Regel 111(2) EPÜ sind Entscheidungen des EPA, die mit der Beschwerde angefochten werden können, zu begründen. Die gemäß dieser Vorschrift erforderliche Begründung soll es dem Beschwerdeführer und der Kammer ermöglichen, zu verstehen, ob die Entscheidung gerechtfertigt ist oder nicht. Ferner kann nur anhand der Begründung festgestellt werden, ob der Vortrag der Parteien, insbesondere der unterlegenen Partei, tatsächlich berücksichtigt wurde, so dass die Erfordernisse des Artikels 113(1) EPÜ erfüllt sind (siehe z.B. R19/10 vom 16. März 2011, Punkt 6.2 der Entscheidungsgründe und T1182/05 vom 15. Februar 2008, Punkt 10. der Entscheidungsgründe).
2.2 Im vorliegenden Fall ist es unstreitig, dass sich die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung in erster Linie darauf berufen hat, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von D6 als nächstliegendem Stand der Technik angesichts der D11 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (siehe Punkt 4. der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Nach dieser Argumentationslinie sind alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 aus D6 bekannt und das Merkmal des kennzeichnenden Teils durch D11 nahegelegt.
2.3 Dieser Meinung schloss sich die Einspruchsabteilung nicht an (siehe Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Punkt 4). Die Entscheidungsgründe der angefochtene Entscheidung enthalten jedoch keine explizite Begründung, warum der Gegenstand des Anspruchs 1 angesichts der Kombination der D6 und D11 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Anders als bei den von der Beschwerdegegnerin zitierten Entscheidungen T856/91 und T1231/03 bei denen jeweils lediglich eine Lücke in der Begründung vorhanden war, fehlt in der angefochtenen Entscheidung die Erörterung der von der Einsprechenden als wesentlich erachteten Angriffslinie.
2.4 Die Beschwerdegegnerin bestreitet nicht, dass die Kombination D6+D11 in der angefochtenen Entscheidung nicht erwähnt ist. Sie trägt aber vor, dass die Textstelle auf Seite 8 der angefochtenen Entscheidung eine implizite Begründung zu diesem Punkt enthalte. Es gehe nämlich aus dieser Textstelle hervor, dass D6 nicht den nächstliegenden Stand der Technik darstellen könne, so dass die Kombination der D6 und D11 nicht in naheliegender Weise zur beanspruchten Erfindung führe.
Dieser Ansicht kann die Kammer nicht folgen.
Es ist zwar richtig, dass auf Seite 8 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung D6 erwähnt ist. Diese Textstelle bezieht sich jedoch auf eine andere Angriffslinie, die von D1 als nächstliegendem Stand der Technik ausgeht. Dazu stellt die Einspruchsabteilung fest, dass ein Umformgrad vor dem Schlussweichglühen von höchstens 30 %, der aus D1 nicht bekannt ist, durch D6 nicht nahegelegt wird. Die Aussage wonach D6 von der Lehre des Streitpatents hinweg lehrt, bezieht sich eindeutig auf diese Frage ("Da der Umformgrad des letzten Kaltwalzens des Verfahrens von D6 mindestens 20-80% und bevorzugt 50-80% beträgt, lehrt D6 hinweg von der Lehre des Streitpatents"). Folglich geht entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin aus dieser Stelle nicht hervor, dass D6 nicht den nächstliegenden Stand der Technik darstellen kann.
2.5 Somit enthält die angefochtene Entscheidung weder explizit noch implizit eine Begründung, warum der Gegenstand des Anspruchs 1 angesichts der Kombination D6+D11 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Deshalb sind die Erfordernisse der Regel 111(2) EPÜ nicht erfüllt.
2.6 Nach ständiger Rechtssprechung der Beschwerdekammer ist das Fehlen einer ausreichenden Begründung in der angefochtenen Entscheidung nach Regel 111 (2) EPÜ als ein die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigender wesentlicher Verfahrensmangel anzusehen (Rechtssprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes, 7. Auflage 2013, IV.E.8.3.4). Die Beschwerdegebühr ist daher zurückzuerstatten (Regel 103 EPÜ).
2.7 Gemäß Artikel 11 VOBK verweist eine Kammer die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurück, wenn das dortige Verfahren wesentliche Mängel aufweist, es sei denn, dass besondere Gründe gegen die Zurückverweisung sprechen.
Im vorliegenden Fall sind solche besonderen Gründe nicht zu erkennen. Es ist zwar richtig, dass die Beschwerdeführerin dadurch neue Entgegenhaltungen im erstinstanzlichen Verfahren vorbringen kann. Allerdings ist die Möglichkeit, dass weitere Entgegenhaltungen, deren Zulassung in Einspruchsverfahren auf jeden Fall im Ermessen der Einspruchsabteilung liegt, vorgebracht werden, im Fall einer Zurückverweisung zur weiteren Prüfung immer gegeben. Sie kann daher keinen besonderen Grund gegen diese Zurückverweisung darstellen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.