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T 1553/13 (Unzulässigkeit einer Beschwerde bei Entrichtung der Beschwerdegebühr nach Ablauf der Beschwerdefrist) 20-02-2014
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Einlegung der Beschwerde nach Ablauf der Beschwerdefrist
Zahlung der Beschwerdegebühr nach Ablauf der Beschwerdefrist
Vorlage an die Große Beschwerdekammer
Der Großen Beschwerdekammer wird folgende Frage vorgelegt:
Ist eine Beschwerde unzulässig oder gilt sie als nicht eingelegt, wenn die Einlegung der Beschwerde und die Zahlung der Beschwerdegebühr nach Ablauf der Beschwerdefrist des Artikels 108 Satz 1 EPÜ erfolgen?
I. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der sie das europäische Patent mit der Nummer 2 122 134 widerrufen hat, wurde am 25. April 2013 zur Post gegeben. Die die Entscheidung enthaltende Postsendung erreichte die Kanzlei des Vertreters am 26. April 2013 und wurde dort von einer Person mit dem Namen "Weber" entgegengenommen. Am 7. Mai 2013 hat der Vertreter der Patentinhaberin ein Empfangsbekenntnis die Entscheidung betreffend unterzeichnet und beim Europäischen Patentamt eingereicht. Seine Beschwerde ist am 8. Juli 2013 beim Europäischen Patentamt eingegangen und am selben Tag wurde die Beschwerdegebühr gezahlt.
II. Mit Schreiben vom 15. Juli 2013 hat der Geschäftsstellenbeamte der Kammer darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeschrift erst nach Ablauf der Beschwerdefrist beim Europäischen Patentamt eingegangen ist.
III. Der Vertreter der Beschwerdeführerin hat auf dieses Schreiben hin ausgeführt, dass die zweimonatige Beschwerdefrist ausgehend vom Datum der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses, das dem Tag der Kenntnisnahme entspricht, zu berechnen ist, wonach die Beschwerdefrist rechtzeitig eingegangen wäre. Er weist darauf hin, dass nach Regel 126 (2) EPÜ bei einer Zustellung durch eingeschriebenen Brief dieser mit dem zehnten Tag nach Abgabe zur Post als zugestellt gelte, es sei denn, das Schriftstück sei an einem späteren Tag zugegangen. Nach Regel 126 (4) EPÜ gelte deutsches Recht, soweit die Zustellung durch die Post nicht durch die Absätze 1 bis 3 geregelt sei. Deshalb seien die Vorschriften der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) und des deutschen Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) anwendbar. In § 4 Absatz 2 VwZG gebe es bei der Zustellung durch eingeschriebenen Brief eine ähnliche Zugangsfiktion (dort von drei Tagen). Diese gelte dann nicht, wenn mit der Zustellung durch eingeschriebenen Brief die Zustellung durch Empfangsbekenntnis nach § 5 Absatz (2)VwZG kombiniert werde. Dann würde als Tag der Zustellung der im Empfangsbekenntnis genannte Tag gelten. Dies belege einen Vorrang des Empfangsbekenntnisses. Die deutsche Zivilprozessordnung unterscheide zwischen Zustellung (§§ 166-174 ZPO) und Ersatzzustellung (§§ 175ff ZPO). Zu der letztgenannten Gruppe gehöre die Zustellung in den Geschäftsräumen. Aus der Wortwahl "Ersatz"-Zustellung zeige sich ebenfalls der Vorrang des Empfangsbekenntnisses. Im Falle der Unzulässigkeit werde die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt.
IV. Daraufhin hat die Beschwerdekammer mitgeteilt, dass sie die Beschwerde weiterhin als verspätet ansehe und, da kein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt sei, beabsichtige ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Dabei komme, je nach der Auslegung von Artikel 108 Satz 2 EPÜ, die Zurückweisung der Beschwerde als unzulässig oder die Behandlung der Beschwerde als nicht erhoben in Betracht. Nur im letzteren Falle könnte die Beschwerdegebühr zurückgezahlt werden.
V. Die Beschwerdeführerin wies darauf hin, dass in der Entscheidung G 9/92, die auf die Entscheidung T 742/96 zurückgehe, entschieden worden sei, dass die Beschwerde aufgrund verspäteter Zahlung der Beschwerdegebühr als nicht eingelegt gelte. Dies ergebe sich auch aus der Entscheidung T 445/98.
VI. Mit Schreiben vom 26. November 2013 hat die Kammer mitgeteilt, dass sie beabsichtige, der Grossen Beschwerdekammer entsprechende Fragen vorzulegen. Dies hat die Beschwerdeführerin begrüßt; die Beschwerdegegnerin hat mitgeteilt, dass sie sich der Meinung des Europäischen Patentamts anschließe, derzufolge die Beschwerde nicht gültig sei.
1. Die Beschwerde ist außerhalb der Frist des Artikels 108 Satz 1 EPÜ eingelegt worden.
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung ist am 25. April 2013 zur Post gegeben worden. Nach Regel 126 (2) EPÜ gilt die Postsendung mit dem zehnten Tag nach Abgabe als zugestellt, es sei denn, dass das Schriftstück an einem späteren Tag zugegangen ist.
2. Unter Zugrundelegung des Abgabedatums zur Post am 25. April 2013 ist die Beschwerdefrist am Freitag, den 5. Juli 2013 abgelaufen, weil der 5. Mai 2013 der Tag der Zustellung ist (Regel 126 (2) EPÜ). Offensichtlich war am 26. April 2013 die Kanzlei trotz Abwesenheit des Vertreters geöffnet und die Postsendung, die die Beschwerdeentscheidung enthielt, wurde durch eine unbestrittenerweise empfangsberechtigte Person mit dem Namen "Weber" entgegengenommen.
3. Entscheidungen, durch die eine Beschwerdefrist in Lauf gesetzt wird, werden durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein zugestellt (Regel 126(1) Satz 1 EPÜ). Ausweislich
des Europäischen Patentregisters ist ein Rückschein in Form einer "Tracking Information" in den Akten. Bei in den Räumen des Empfängers anwesenden Personen darf nach den Umständen auch angenommen werden, dass sie zur Annahme der Sendungen
berechtigt sind.
4. Die Auffassung des Vertreters der Beschwerdeführerin, dass die zweimonatige Beschwerdefrist ausgehend vom Datum der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses am 7. Mai 2013, das dem Tag der tatsächlichen Kenntnisnahme entspreche, zu berechnen sei und folglich die Beschwerdeschrift rechtzeitig eingegangen wäre, entspricht nicht der Rechtslage.
5. Unzutreffend ist, dass nach Regel 126 (4) EPÜ deutsches Recht gilt, weil die Zustellung durch die Post nicht durch die Absätze 1 bis 3 geregelt ist und folglich die Vorschriften der deutschen Zivilprozessordnung und des deutschen Verwaltungszustellungsgesetzes anwendbar seien. Vielmehr ist die Zustellung nach Regel 126 (1) EPÜ erfolgt und ein Rückgriff auf nationales Recht scheidet damit aus.
6. Im Übrigen bezweifelt die Kammer, dass die Hinweise auf deutsche Zustellvorschriften tatsächlich die Argumentation der Beschwerdeführerin stützen könnten. Eine entsprechende Anwendung der Zivilprozessordnung bei einer Zustellung durch eine Verwaltungsbehörde bedürfte der besonderen Begründung. Hinzu kommt, dass der Begriff der Ersatzzustellung den folgenden Sachverhalt regelt: Ein Empfänger wird nicht angetroffen; ersatzweise darf dann an die in den genannten Vorschriften bezeichneten Personen zugestellt werden. Weitergehende Aussagen über ein Rangverhältnis kann den Vorschriften nicht entnommen werden. Auch bei der Anwendung des Verwaltungszustellungsgesetzes gibt es den von der Beschwerdeführerin behaupteten Vorrang der Zustellung durch Empfangsbekenntnis soweit ersichtlich nicht. Vielmehr sind die Zustellung durch eingeschriebenen Brief und die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis Alternativen. Die Relevanz der von der Beschwerdeführerin genannten Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs, veröffentlicht in NJW-RR 1992, Seite 1150, erschließt sich der Kammer in diesem Zusammenhang nicht, zumal es in dieser Entscheidung um eine Zustellung nach der Zivilprozessordnung geht.
7. Das Empfangsbekenntnis des Europäischen Patentamts hat seine Grundlage in der Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 10. Juni 2010 über die Beifügung einer vorbereiteten Empfangsbescheinigung (EPA Form 2936) bei Zustellungen durch
eingeschriebenen Brief mit Rückschein (ABl. EPA 2010, Seite 377). Es hat die Verwaltungsvereinfachung in den Fällen, in denen es Schwierigkeiten mit dem Rückschein gibt, zum Ziel. Einen Einfluss auf eine erfolgte Zustellung durch Einschreiben
mit Rückschein nach Regel 126 (1) EPÜ hat es nicht.
8. Fragen an die Grosse Beschwerdekammer
Nach Artikel 112 (1) EPÜ befasst die Beschwerdekammer zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung die Grosse Beschwerdekammer, oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt.
8.1 Einheitliche Rechtsanwendung
Nach Artikel 108 Satz 2 EPÜ gilt die Beschwerde erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr entrichtet worden ist.
8.1.1 Die Auslegung der Vorschrift in der Mehrzahl der Entscheidungen der Beschwerdekammern
Artikel 108 Satz 2 EPÜ ist in zahlreichen Entscheidungen der Beschwerdekammern in der Weise ausgelegt worden, dass eine Beschwerde nicht existent wird, wenn die Beschwerdegebühr nicht innerhalb der Zwei-Monats-Frist für die Einlegung der Beschwerde gezahlt wird mit der Konsequenz, dass eine verspätet gezahlte Beschwerdegebühr zurückgezahlt wurde. Viele dieser Entscheidungen befassen sich auch mit einem Wiedereinsetzungsantrag, nachdem die Beschwerdegebühr verspätet gezahlt wurde. Neben der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags befasste sich die jeweilige Kammer mit der Beschwerde und ihren fehlenden Existenz nur in wenigen Sätzen.
Die Ausgangsentscheidung ist J 21/80. In dieser Sache wurde die Beschwerdegebühr zu spät gezahlt. Die Kammer führt aus : «En raison de linexistence d'un recours valable, le montant de la taxe de recours payée tardivement doit être restitué.» Eine weitere Begründung enthält die Entscheidung nicht. Der Tenor lautet insoweit in der Originalsprache Französisch: «Le recours contre la décision de la Section de dépôt du 12 mai 1980 est considéré comme non formé.» Die deutsche Übersetzung lautet: Die Beschwerde ... gilt als nicht eingelegt.
Die Entscheidung J 16/82 folgte J 21/80. Dort finden sich folgende Ausführungen: (siehe 2., 9. und 10. der Gründe):
2. Zu den Voraussetzungen einer rechtswirksamen Beschwerde gehört, daß die Beschwerdegebühr innerhalb der nach Artikel 108 EPÜ vorgeschriebenen 2-Monatsfrist entrichtet wurde. Andernfalls gilt die Beschwerde nach Artikel 108 Satz 2 EPÜ nicht als eingelegt (siehe Entscheidung der JurBK J 21/80 vom 26. Februar 1981, ABl. EPA 1981, 101).
9. Da eine Wiedereinsetzung somit nicht stattfinden kann, gilt die Beschwerde gem. Artikel 108 Satz 2 EPÜ als nicht eingelegt. Artikel 108 Satz 2 EPÜ ist entsprechend seiner Entstehungsgeschichte in Zusammenhang mit Satz 1 in dem Sinne zu verstehen, dass die Beschwerde nicht als eingelegt gilt, wenn die Beschwerdegebühr nicht innerhalb der in Satz 1 genannten Beschwerdefrist entrichtet worden ist (siehe auch die bereits unter Nr. 2 erwähnte J 21/80 vom 26. Februar 1981, ABl. EPA 1981, 101).
10. Gilt eine Beschwerde gem. Artikel 108 Satz 2 EPÜ deswegen als nicht eingelegt, weil die Beschwerdegebühr erst nach Ablauf der Beschwerdefrist gezahlt wurde, so kann der mit der Zahlung der Gebühr verfolgte Zweck nicht mehr erreicht werden. Die Beschwerdegebühr ist daher zurückzuzahlen, ohne daß es einer besonderen Anordnung der Beschwerdekammer bedarf.
Somit fehlt in diesen Entscheidungen mit Ausnahme eines nicht näher erklärten Bezugs auf die Entstehungsgeschichte eine Begründung, weshalb Artikel 108 Satz 2 EPÜ in der vorgenommenen Weise ausgelegt wurde. Spätere Entscheidungen haben diese Begründung insoweit nicht ergänzt, auch nicht die von der Beschwerdeführerin zitierte Entscheidung T 445/98, die in den Punkten 5 bis 8 eine nicht-existierenden von einer existierenden Beschwerde unterscheidet.
Die anderen von der Beschwerdeführerin genannten Entscheidungen G 9/92 (bzw. G 2/97) und T 742/96 enthalten nach Auffassung der Kammer nichts Ergänzendes zur Auslegung des Artikels 108 Satz 2 EPÜ.
In der Entscheidung T 489/93 hat die Kammer in einem Fall, bei dem die Beschwerde wegen verspäteter Zahlung der Beschwerdegebühr keinen Erfolg hatte, ausgeführt:
Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen, Regel 65 (1) EPÜ. Der Wortlaut in Regel 65 (1) EPÜ [1973] als "unzulässig" ist in einem weiten Sinn verwendet, d.h. umfasst sowohl den Fall der existenten (aber "unzulässigen") wie den der nicht existenten Beschwerde. Die Kammer hat in dem ihr vorliegenden Fall die Beschwerde als nicht existent angesehen und unter Bezugnahme auf J 21/80 die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet.
8.1.2 Von der vorgenannten Auslegung abweichende Entscheidungen
In den Entscheidungen T 1289/10, T 1535/10 und T 2210/10 wurde Beschwerde als unzulässig verworfen ohne dass eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet worden ist, obwohl die Beschwerde nach Ablauf der Beschwerdefrist eingelegt wurde und obwohl die Beschwerdegebühr erst nach Ablauf dieser Frist gezahlt wurde. In den Gründen wurde dies nicht behandelt.
In der Entscheidung T 79/01 wurde die Beschwerde als unzulässig verworfen, nachdem die Beschwerdegebühr nicht in voller Höhe bezahlt wurde. Die Kammer vertrat die Auffassung, dass dies zu einer folgerichtigen Auslegung der Regel 65(1) EPÜ 1973 führe und führte in den Gründen in Ziffer 10 aus:
There is no reason to provide the appellant with a more favourable treatment in case of late (or insufficient, as in the present case) payment of the appeal fee (ie the appeal is deemed not been filed and the appeal fee is reimbursed) as in case of, for example, late filed statement of grounds (inadmissibility of the appeal). Moreover the "travaux préparatoires" seem to support this interpretation. In the "Materialien zum EPÜ" (IV/6514/61-D) is provided for, with reference to the "Entscheidungsmöglichkeiten der Beschwerdekammer" that "Die Kammer kann feststellen, dass die Beschwerde wegen Nichtentrichtung der Gebühr unzulässig ist".
8.2 Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
Dieselbe Formulierung wie in Artikel 108 Satz 2 EPÜ findet sich in Artikel 94 (1) Satz 2 EPÜ (Prüfungsantrag), Artikel 99 (1) Satz 2 EPÜ (Einspruch), Artikel 105a (1) Satz 2 EPÜ (Beschränkungsantrag), Artikel 112a (4) Satz 3 EPÜ (Überprüfungsantrag), Regel 22 (2) Satz 1 EPÜ (Antrag auf Eintragung eines Rechtsübergangs), Regel 89 (2) Satz 2 EPÜ (Erklärung des Beitritts), Regel 123 (3) EPÜ (Antrag auf Beweissicherung) und Regel 136 (1) Satz 3 EPÜ (Antrag auf Wiedereinsetzung). Die Auslegung des Artikels 108 Satz 2 EPÜ könnte demzufolge Auswirkungen über den vorliegenden Fall hinaus haben.
8.3 Abweichende Entscheidungen zu einer verwandten Frage
Wenn man die Entscheidungen T 1026/06 und T 1486/11 miteinander vergleicht, werden mögliche Auswirkungen im vorgenannten Sinn deutlich: Die Entscheidungen weichen hinsichtlich der Frage voneinander ab, ob eine Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr nach der Zweimonatsfrist der Regel 136 (1) EPÜ den Wiedereinsetzungsantrag unzulässig macht oder ob er als nicht gestellt gilt.
In beiden Fällen ging es um die Frage der Wiedereinsetzung nach dem die Beschwerde verspätet eingelegt und die Beschwerdegebühr verspätet gezahlt wurde. Hinzu kam, dass auch die Wiedereinsetzungsgebühr verspätet gezahlt wurde.
Der jeweilige Antrag auf Wiedereinsetzung wurde zurückgewiesen, die Beschwerde als nicht eingelegt angesehen und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet.
In der Entscheidung T 1486/11 kam die Kammer zum Ergebnis, dass im Hinblick auf Regel 136 (1) Satz 3 EPÜ der Wiedereinsetzungsantrag nicht als gestellt gelte und die Wiedereinsetzungsgebühr zurückgezahlt werden müsse (siehe Punkt 1.8 und Punkt 3 der Gründe), wogegen in der Entscheidung T 1026/06 die Regel 136 (1) Satz 3 EPÜ nicht herangezogen wurde. Der Antrag auf Rückzahlung der Wiedereinsetzungsgebühr wurde in dieser Sache mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Gebühr notwendig sei, um den Wiedereinsetzungsantrag wirksam werden zu lassen und deshalb mit rechtlichem Grund bezahlt worden sei (siehe Punkt 7 der Gründe).
8.4 Erforderlichkeit einer Entscheidung der Großen Beschwerdekammer
In der hier zu entscheidenden Sache hängt es von der Auslegung des Artikels 108 Satz 2 EPÜ ab, ob die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Beschwerde als nicht erhoben gilt. Ist die Beschwerde unzulässig, dann kann die Beschwerdegebühr nicht zurückgezahlt werden. Die Kammer neigt zu letzterem.
8.4.1 Auslegungsregeln
In der Sache G 5/83 (Amtsblatt EPA 1985, 60; siehe Preliminary Observations: Interpretation of the European Patent Convention) hat die Große Beschwerdekammer entschieden, dass das Europäische Patentübereinkommen unter Zugrundelegung der Artikel 31 und 32 der Wiener Übereinkunft über das Recht der Verträge auszulegen ist. Diese Artikel lauten:
"Artikel 31 Allgemeine Auslegungsregel
(1) Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.
(2) Für die Auslegung eines Vertrags bedeutet der Zusammenhang außer dem Vertragswortlaut samt Präambel und Anlagen
a) jede sich auf den Vertrag beziehende Übereinkunft, die zwischen allen Vertragsparteien anläßlich des Vertragsabschlusses getroffen wurde;
b) jede Urkunde, die von einer oder mehreren Vertragsparteien anläßlich des Vertragsabschlusses abgefaßt und von den anderen Vertragsparteien als eine sich auf den Vertrag beziehende Urkunde angenommen wurde.
(3) Außer dem Zusammenhang sind in gleicher Weise zu berücksichtigen
a) jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen;
b)jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht;
c) jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz.
(4) Eine besondere Bedeutung ist einem Ausdruck beizulegen, wenn feststeht, daß die Vertragsparteien dies beabsichtigt haben.
Artikel 32 Ergänzende Auslegungsmittel
Ergänzende Auslegungsmittel, insbesondere die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses, können herangezogen werden, um die sich unter Anwendung des Artikels 31 ergebende Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn die Auslegung nach Artikel 31
a) die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel läßt oder
b) zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt.
8.4.2 Anwendung der allgemeinen Auslegungsregel
Nach Artikel 31 (1) der Wiener Übereinkunft ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Artikel 31 (4) bestimmt ergänzend, dass einem Ausdruck eine besondere Bedeutung beizulegen ist, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien dies beabsichtigt haben. Die gewöhnliche Bedeutung des Artikels 108 Satz EPÜ ("Die Beschwerde gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr entrichtet worden ist.) scheint zu sein, dass so lange die Beschwerdegebühr nicht entrichtet worden ist, die Beschwerde als nicht eingelegt gilt und dass die Vorschrift ab der Entrichtung der Gebühr nicht mehr anwendbar ist, so dass ab diesem Zeitpunkt die Beschwerde als erhoben gilt. Ein Zusammenhang zwischen der Entrichtung der Gebühr und der Frist zur Einlegung der Beschwerde kann der Vorschrift nicht entnommen werden. Dass die Fassung der Vorschrift "Die Beschwerde gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr entrichtet worden ist. als "Die Beschwerde gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr
r e c h t z e i t i g entrichtet worden ist. zu verstehen sein soll, kann nicht festgestellt werden.
Die Kammer hält auch entgegen T 324/90 (ABl. EPA 1993, 33) das Argument nicht für zutreffend, dass die Beschwerdegebühr deshalb zurückgezahlt werden müsse, weil bei verspäteter Zahlung ein rechtlicher Grund für diese fehlen würde. Dabei steht der Ausgangspunkt nicht in Frage, dass Gebührenzahlungen, für die ein rechtlicher Grund fehlt zurückgezahlt werden müssen. Dies führt im vorliegenden Fall jedoch nicht zu einer Rückzahlung, da der rechtliche Grund in der Durchführung des Beschwerdeverfahrens liegt. Artikel 108 Satz 2 EPÜ in Verbindung mit Artikel 2 Nr. 11 Gebührenordnung unterscheidet dabei nicht zwischen Entscheidungen über die Zulässigkeit und über die Begründetheit einer Beschwerde.
8.4.3 Ergänzende Auslegungsmittel
Nach Artikel 32 der Wiener Übereinkunft können ergänzende Auslegungsmittel, insbesondere die vorbereitenden Arbeiten, zur Auslegung herangezogen, um die sich unter Anwendung des Artikels 31 ergebende Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn die Auslegung nach Artikel 31 die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt. Die nach Artikel 31 gefundene Auslegung ist weder mehrdeutig noch dunkel im Sinne von unklar, noch führt sie zu einem sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis. Die vorbereitenden Arbeiten könnten deshalb allenfalls zur Bestätigung der gefundenen Auslegung herangezogen werden.
Direkte Hinweise zur Auslegung des Artikels 108 Satz 2 EPÜ konnte die Kammer in den travaux préparatoires nicht auffinden. Folgende Stellen könnten indirekt die gefundene Auslegung bestätigen:
IV/6.514/61-D
Die travaux préparatoires befassen sich in IV/6.514/61-D mit einem Entwurf des Artikels 93, der später zu Artikel 108 EPÜ wurde. Paragraph 2 lautete: Wird die Beschwerdegebühr nicht rechtzeitig entrichtet, so gilt die Beschwerde als nicht erhoben. Auf Seite 3 der Erörterungen zu Artikel 93 des Vorentwurfs des Abkommens wird berichtet: Herr Van Benthem stellt die Frage, ob das Abkommen ein Rechtsmittel gegen die Feststellung vorsehe, dass die Beschwerde wegen Nichtentrichtung der Gebühr als nicht eingelegt gelte. Der Präsident antwortet hierauf, in diesem Fall müsse ein Rechtsmittel vor dem europäischen Patentgericht möglich sein. Ergänzend steht auf Seite 9: Die Feststellung, dass seine eingelegte Beschwerde mangels rechtzeitiger Gebührenzahlung als nicht erhoben gilt, wird dem Beschwerdeführer in einer wiederum beschwerdefähigen Entscheidung zugestellt werden müssen. Es erscheint nicht erforderlich, diesen Grundsatz im Abkommen selbst festzulegen. Ob in der Ausführungsordnung zu diesem Abkommen eine entsprechende Bestimmung aufgenommen werden soll, wird später zu entscheiden sein."
Das zeigt, dass die Fiktion der nicht erhobenen Beschwerde bei nicht rechtzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr erwogen wurde, aber weder diese Formulierung, noch das damit verbundene Verfahren in die endgültige Fassung des Europäischen Patentübereinkommens übernommen wurden.
Hinzu kommt, dass die Vertragsschließenden des Europäischen Patentübereinkommens an anderer Stelle sehr wohl Formulierungen verwenden, die Konsequenzen nicht rechtzeitiger Verfahrenshandlungen regeln. So bestimmt Artikel 94 (2) EPÜ ausdrücklich, dass, wenn ein Prüfungsantrag nicht rechtzeitig gestellt wird, die Anmeldung als zurückgenommen gilt. Artikel 11 der Gebührenordnung regelt ergänzend ausdrücklich, wann und in welchem Umfang die Prüfungsgebühr zurückgezahlt wird. Regelungen dieser Art fehlen zu Artikel 108 Satz 2 EPÜ. Es erscheint deshalb als nicht systemgemäß in Artikel 108 Satz 2 EPÜ ein Wort hineinzulesen, das dort nicht steht (siehe oben 8.4.2, 1. Absatz).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Großen Beschwerdekammer wird folgende Frage vorgelegt:
Ist eine Beschwerde unzulässig oder gilt sie als nicht eingelegt, wenn die Einlegung der Beschwerde und die Zahlung der Beschwerdegebühr nach Ablauf der Beschwerdefrist des Artikels 108 Satz 1 EPÜ erfolgen?