W 0004/94 (Pigmente) 16-01-1995
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1. Die Begründungspflicht unter Regel 68.2 PCT kann dann als erfüllt angesehen werden, wenn der maßgebende Grund für die Entscheidung erkennbar ist, auch wenn die Gründe möglicherweise als unzureichend oder unrichtig angesehen werden (vgl. Punkt 4.1 der Entscheidungsgründe).
2. Wenn die im Widerspruch vorgetragenen Argumente keine zusätzliche technische und/oder patentrechtliche Erörterung bedingen, also zu keiner neuen Beurteilung des Sachverhaltes führen, so ist es nicht unmittelbar fehlerhaft, wenn die Mitteilung des Ergebnisses der Überprüfung im Rahmen von Regel 68.3 e) PCT eine bloße Rückbeziehung auf die Gründe des sogenannten "PCT/IPEA/405" darstellen (vgl. Punkt 4.2 der Entscheidungsgründe).
IPEA
Begründungspflicht nach Regel 68.2 und Regel 68.3e) PCT
Beurteilung der Einheitlichkeit a posteriori
Funktionales Merkmal nicht zweifelsfrei in Frage gestellt
Rückzahlung aller Gebühren
I. Die Anmelderin hat am 12. Oktober 1992 die internationale Anmeldung PCT/EP92/02351 gemäß Formblatt PCT/RO/101, Blatt Nr. 5, Feld Nr. VIII, "Kontrolliste", mit 49 Blättern Beschreibung, einem Anspruchssatz umfassend "6 Blätter", einem Blatt Zusammenfassung sowie drei Blättern Zeichnungen eingereicht. Anspruch 1 auf Seite 50 der Anmeldung lautet wie folgt:
"1. Plättchenförmiges Pigment mit hohem Glanz und hohem Deckvermögen oder hoher Transparenz, bestehend aus einer transparenten, anorganischen, plättchenförmigen Matrix, die einen zusätzlichen Bestandteil enthalten kann, dadurch gekennzeichnet, daß der zusätzliche Bestandteil ein lösliches oder nichtlösliches Farbmittel ist und daß zur Erzielung des Glanzes die Matrix zumindest auf einer Seite mit einer oder mehreren dünnen, transparenten oder semitransparenten reflektierenden Schichten aus Metalloxiden oder Metallen belegt ist."
II. Die fünf Seiten 50 bis 54 der Anmeldung umfassen die weiteren Ansprüche, und zwar die von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 bis 15, in Folge betreffend die stoffliche Ausgestaltung der Matrix, Netzwerkbildner zu deren Modifikation, Bariumsulfat zur Glättung der Oberfläche, die stoffliche Ausgestaltung der Farbmittel sowie die stoffliche Ausgestaltung der die Matrix belegenden Schichten. Anspruch 16 betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines plättchenförmigen Pigmentes; ihm folgen die abhängigen Ansprüche 17 bis 25 und, nach Angaben der Anmelderin im Bescheid, datiert 28. Juli 1993, Seite 2, dritter Absatz, die weiteren abhängigen Verfahrensansprüche 26, 27 sowie der Verwendungsanspruch 28. Weitere Seiten mit Ansprüchen sind in der Akte nicht zu finden.
III. Mit der das Datum 29. Juni 1993 tragenden "Aufforderung zur Einschränkung der Ansprüche oder zur Zahlung zusätzlicher Gebühren" im Rahmen von Artikel 34 (3) a) und Regel 68.2 PCT wurde der Anmelderin mitgeteilt, daß das Europäische Patentamt als "die mit der internationalen vorläufigen Prüfung beauftragte Behörde" (IPEA) der Auffassung ist, daß mit der internationalen Anmeldung fünf Erfindungen beansprucht werden und demzufolge entweder, wie dargelegt, die Ansprüche einzuschränken oder vier zusätzliche Prüfungsgebühren zu bezahlen seien.
Die IPEA hat hierzu ausgeführt, daß gegenüber dem Dokument JP- A-2-32 170 der Beschreibung sowie den Dokumenten FR-A- 1 581 309, dort Anspruch 1, sowie FR-A-1 273 230, dort Zusammenfassung, die Aufgabe, mehrschichtige plättchenförmige Pigmente bereitzustellen, als Idee nicht neu sei. Folglich fänden sich in den Ansprüchen 1 bis 25 verschiedene Erfindungen, die nicht untereinander in der Weise verbunden seien, daß sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichten, und zwar:
(i) Plättchenförmiges Pigment, bestehend aus einer transparenten, anorganischen plättchenförmigen Matrix und daß die Matrix zumindest auf einer Seite mit einer oder mehreren dünnen, transparenten oder semitransparenten reflektierenden Schichten aus Metalloxiden oder Metallen belegt sei.
(II) Die obigen Pigmente, wobei die Matrix ein Farbmittel enthält.
(III) Die obigen Pigmente, wobei die Matrix mit Netzwirkstoffen modifiziert ist.
(IV) Die obigen Pigmente, wobei die Matrix zur Glättung der Oberfläche Bariumsulfat enthält.
(v) Neues Verfahren zur Herstellung der obigen Pigmente, wobei die Matrix vor der Beschichtung mit einer Säure behandelt wird.
Somit beträfen dann die Erfindungen II - V weitere Ausführungsformen dieser allgemeinen Idee, welche verschiedene Aufgaben hätten, die sich alle auf die Matrix bezögen.
IV. Die Anmelderin hat unter Widerspruch alle geforderten zusätzlichen Gebühren entrichtet und zur Begründung im Schreiben, datiert 28. Juli 1993, sowie in der Begleitantwort zur Zahlung der Widerspruchsgebühr, datiert 12. Januar 1994, u. a. geltend gemacht, daß nicht nur das Farbmittel in der Matrix als wesentliches Merkmal von Anspruch 1 zu verstehen sei, sondern daß der Gegenstand dieses Anspruches auch durch die zum Stand der Technik genannten Dokumente nicht neuheitsschädlich vorbeschrieben werde, wobei die bekannten Substrate nicht dem jetzt beanspruchten Matrixmaterial gleichgesetzt werden könnten und daher nach den PCT- Richtlinien Ansprüche auf ein Produkt, dessen Herstellung und Verwendung in einer Anmeldung zuzulassen seien.
V. In der "Aufforderung zur Zahlung der Widerspruchsgebühr" nach Regel 68.3 e) PCT, datiert 22. Dezember 1993, hat die IPEA der Anmelderin ohne weiteres Eingehen auf die Widerspruchsgründe mitgeteilt, daß die ebenfalls in Regel 68.3 e) PCT noch vorgesehene Überprüfung ergeben habe, daß die Aufforderung vom 29. Juni 1993 berechtigt gewesen sei.
VI. In Antwort hierzu hat die Anmelderin die Widerspruchsgebühr entrichtet, einen neuen Hauptanspruch eingereicht und im Begleitschreiben, datiert 12. Januar 1994, u. a. ausgeführt, daß, um die Nachteile natürlicher Materialien zu überwinden, als Aufgabe der Erfindung anzusehen sei, eine plättchenförmige Matrix zu verwenden, die durch Verfestigung eines flüssigen Precursor auf einer glatten Unterlage hergestellt werden kann.
1. Der Widerspruch ist zulässig.
2. Zu dem offensichtlich in der Akte fehlenden ursprünglich eingereichten sechsten Blatt des Anspruchssatzes entsprechend einer Seite 55 der vorliegenden Beschreibung ist zu vermerken, daß, abgesehen von dem Umstand, daß auch die IPEA bei der Beurteilung der Einheitlichkeit die dementsprechend fehlenden Ansprüche 26 bis 28 nicht berücksichtigt hatte, dies letztendlich keinen Einfluß auf die Entscheidung der Kammer haben kann (deren Befugnis, aus Artikel 155 (3) EPÜ in Verbindung mit Regel 68.3 c) PCT herzuleiten ist), ob die Einheitlichkeitseinwände bezüglich der in der strittigen Zahlungsaufforderung definierten Erfindungsgegenstände I bis V zutreffen und ob deshalb die Aufforderung zur Zahlung der vier zusätzlichen Gebühren berechtigt war.
3. Die Kammer hat auch keine Kompetenz, die Einheitlichkeit auf Basis des von der Anmelderin mit Schreiben vom 12. Januar 1994 eingereichten sogenannten neuen Hauptanspruches zu prüfen (vgl. W 3/91, vom 21. September 1992, Punkt 2 der Entscheidungsgründe). Allerdings sieht sich die Kammer nicht gehindert, die in diesem Schreiben enthaltenen allgemeinen Ausführungen zur strittigen Einheitlichkeit mit in ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen.
4. Obwohl von der Anmelderin im Widerspruch nicht ausdrücklich aufgegriffen, sieht sich die Kammer im vorliegenden Fall aufgrund der knappen Ausführungen der IPEA dazu veranlaßt, zur Frage der Begründungspflicht Stellung zu nehmen.
4.1 Die IPEA hat unter Verweis auf drei Dokumente, also a posteriori, die mangelnde Einheitlichkeit festgestellt und nach Überprüfung unverändert aufrechterhalten. Obwohl die Ausführungen hierzu, wie nachstehend noch aufzuzeigen, nicht im vollen Umfang mit den Richtlinien zur Durchführung der internationalen vorläufigen Prüfung nach dem PCT Kap. VI, 5.5 und 5.7 mit Verweis auf Kap. III, 7. in Einklang sind, können im Hinblick auf den Umstand, daß die Anmelderin im Widerspruch einen Neuheitseinwand gegenüber dem Gegenstand der Erfindung nach Anspruch 1 aufgegriffen hat, die Ausführungen der IPEA als über eine bloße Behauptung hinausgehend verständlich angesehen werden, so daß ein Mindestkriterium der Begründungspflicht im Sinne von Regel 68.2 PCT als gegeben angesehen werden kann. Die Kammer sieht dann keinen Verstoß gegen die Begründungspflicht, wenn der maßgebende Grund für die Entscheidung erkennbar ist, die Gründe aber möglicherweise als unzureichend oder unrichtig angesehen werden. In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA wird, nach Meinung der Kammer, an diesem Grundsatz festgehalten. Auch in den Widerspruchsentscheidungen findet sich bereits eine vergleichbare Linie (z. B. die veröffentlichte Entscheidung W 3/93, ABl. EPA, 1994, 931 ff., Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe). Dort hat die Kammer die Auffassung vertreten, daß aufgrund des Umstandes, daß die Anmelderin überhaupt in der Lage war, sachlich Stellung zu nehmen, die Begründung noch als ausreichend angesehen werden kann.
4.2 Was die Anforderung an den Umfang der Mitteilung des Ergebnisses der Überprüfung im Rahmen von Regel 68.3 e) PCT betrifft, so ist zu vermerken, daß diese Regel entgegen der "Aufforderung zur Einschränkung oder Zahlung" unter 68.2, erster Satz, vom Wortlaut her lediglich die Mitteilung eines Ergebnisses vorschreibt, ohne daß die obligatorische Angabe von Gründen expressis verbis erwähnt wird. Die entsprechenden Richtlinien zur Durchführung des Regelwerkes unter Kapitel VI, 5.7, sehen auch nur für den Fall eines negativen Ergebnisses der Überprüfung, also der Nichtbestätigung des Sachverhaltes in der Aufforderung unter 68.2, eine technische Begründung vor. Nach Auffassung der Kammer schließt deshalb die Formulierung "doit indiquer les raisons techniques de ce résultat..." bzw. "...will give a technical reasoning of that result..." dann, wenn die Überprüfungskommission zu der Überzeugung gelangt, daß die im Widerspruch vorgetragenen Argumente keine zusätzliche technische und/oder patentrechtliche Erörterung bedingen, also zu keiner neuen Beurteilung des Sachverhaltes führen, die Vorgehensweise einer bloßen Rückbeziehung auf die Gründe des sogenannten "PCT/IPEA/405" - wie im vorliegenden Falle geschehen - nicht als unmittelbar fehlerhaft aus.
Die Überprüfung nach Regel 68.3 e) PCT kann auch mit der Abhilfe gemäß Artikel 109 EPÜ analogieweise verglichen werden, wonach eine gesonderte Begründungspflicht nicht vorgesehen ist.
5. Es verbleibt daher zu prüfen, ob die vorliegenden Gründe unter Regel 68.2 PCT die Forderung nach vier zusätzlichen Prüfungsgebühren rechtfertigen.
5.1 Die Kammer entnimmt der von der IPEA vorgenommenen Auflistung der sogenannten verschiedenen Gruppen von Erfindungen (i) bis (v), daß diese auf der Voraussetzung basiert, daß, entgegen dem Widerspruchsvorbringen der Anmelderin, Anspruch 1 ein plättchenförmiges Pigment zum Gegenstand hat, dessen Matrix lediglich fakultativ ein lösliches oder nichtlösliches Farbmittel aufweist. Dieser Beurteilungsgrundlage und dem folgenden Schluß, allerdings nur insoweit, daß die Positionen (II) bis (v) der Auflistung weitere Ausführungsformen der Matrix der erfindungsgemäßen Pigmente betreffen, kann die Kammer zustimmen.
5.2 Unabhängig jedoch von dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Farbmittels ist besagter Anspruch 1 auf ein plättchenförmiges Pigment, bestehend aus einer transparenten, anorganischen, plättchenförmigen Matrix gerichtet. Nicht nur, daß die Anmelderin in ihrem Vortrag wiederholt bestritten hat, daß eine plättchenförmige Matrix im anmeldungsgemäßen Sinne bereits bekannt sei, auch aus dem Gesamtoffenbarungsgehalt der Anmeldungsunterlagen, der Beschreibung sowie den Beispielen, und zwar denen mit und ohne Farbmittel, geht unmittelbar hervor, daß der Terminus Matrix in Anspruch 1 gezielt die Eigenschaft innehaben soll, ein lösliches oder nichtlösliches Farbmittel aufnehmen zu können, also der Terminus Matrix im Sinne eines funktionalen Merkmales bei einem Vergleich gegenüber dem Stand der Technik zu berücksichtigen ist. Überdies ist nach Auffassung der Kammer für den Fachmann sogar ohne Heranziehung des Beschreibungsteils zur Anmeldung zweifelsfrei vorgegeben, daß nicht beliebige plättchenförmige, anorganische Substrate Matrices darstellen, die für den gezielten Einbau von Farbmitteln geeignet sind. Selbstverständlich sind nachträglich unkontrollierte Diffusionsvorgänge in ein Substrat nicht im Sinne einer gezielten Bereitstellung einer Matrix zu interpretieren. Demzufolge kann auch die Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1, in der Form wie von der IPEA abgehandelt, nicht zweifelsfrei in Frage gestellt werden.
5.3 Auch die Kammer hat sich hierzu die zitierten Dokumente FR-A-1 581 309, FR-A-1 273 230 sowie ergänzend zu den Angaben in der Beschreibung zur Anmeldung den englischsprachigen "Abstract" zur JP-2 032 170 angeschaut und ist zu der Überzeugung gelangt, daß keine der Entgegenhaltungen eine Matrix im anmeldungsgemäßen Sinne so deutlich beschreibt, daß ohne zusätzliche Ausführungen ein Neuheitsmangel erhoben werden könnte. Aufgrund der Betrachtungsweise, daß alle aufgelisteten Gruppen von Erfindungen die Matrix als funktionales Merkmal enthalten, ist dann nicht mehr unmittelbar zu erkennen, wie durch mangelnde Neuheit besagter "Idee" (vgl. voranstehend Absatz 5.2) die Erfindungen in Gruppen zerfallen sollen. Es besteht daher im Hinblick auf einen a posteriori Nichteinheitlichkeitseinwand bei vorliegender nicht zweifelsfrei in Frage gestellter Neuheit ein zusätzlicher Erklärungsbedarf auf der Grundlage einer gegenüber dem genannten Stand der Technik zu definierenden Aufgabe unter Einbezug der beanspruchten Lösungswege, also im Rahmen einer Prüfung auf erfinderische Tätigkeit. Die in der vorliegenden Aufforderung gewählte Aufgabe kann hierbei nicht ohne weiteres helfen. Gleichfalls erscheint die von der Anmelderin vorgetragene Aufgabe bezüglich eines flüssigen Precursors, die eindeutig einen Lösungsansatz enthält, ungeeignet.
5.4 Da somit die in der Aufforderung der IPEA vom 29. Juni 1993 angegebenen Gründe für die festgestellte Uneinheitlichkeit nicht überzeugen können, war die Aufforderung zur Zahlung vier zusätzlicher Gebühren nicht gerechtfertigt, und demzufolge können die bezahlten Gebühren für vier zusätzliche Erfindungen und die Widerspruchsgebühr nicht einbehalten werden.
5.5 Abschließend ist festzustellen, daß die Kammer nach Regel 68.3 c) PCT lediglich zu prüfen hatte, ob in Anbetracht der von der IPEA angeführten Gründe im Lichte des Widerspruchsvorbringens die Einbehaltung der zusätzlichen Gebühren gerechtfertigt war, und nicht von Amts wegen untersucht werden konnte, ob ein Einwand mangelnder Einheitlichkeit aus anderen als den angegebenen Gründen gerechtfertigt gewesen wäre, z. B. nach Berücksichtigung weiterer bei der Recherche gefundener Druckschriften. Dementsprechend könnte in einem möglichen späteren Verfahren nach Kapitel II PCT der Einwand mangelnder Einheitlichkeit mit einer anderen Begründung erneut erhoben werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Rückzahlung der entrichteten zusätzlichen Gebühren für vier Erfindungen und der Widerspruchsgebühr wird angeordnet.