J 0007/94 (Prioritätserklärung (Berichtigung)) 18-01-1995
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1. Die Berichtigung von Prioritätsangaben, die nicht so rechtzeitig beantragt wird, daß in die Veröffentlichung der Anmeldung ein entsprechender Hinweis aufgenommen werden kann, ist nur dann zuzulassen, wenn sie aufgrund besonderer Umstände gerechtfertigt ist (Bestätigung der Entscheidung J 6/91, ABI. EPA 1994, 349). Dies gilt auch für die Hinzufügung einer Priorität mit einem späteren Tag als demjenigen der irrtümlich beanspruchten Priorität.
2. Die bloße Tatsache, daß eine vorhandene Priorität nicht in Anspruch genommen wurde, rechtfertigt keine Berichtigung.
Berichtigung von Mängeln (Priorität)
Berichtigung nach der Veröffentlichung
Interesse der Öffentlichkeit
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 91 111 531.9 wurde am 11. Juli 1991 unter Inanspruchnahme der Priorität dreier früherer israelischer Anmeldungen eingereicht. Die Prioritätserklärung in Feld 25 des Antragsformblatts enthielt folgende Angaben:
Anmeldetag................Aktenzeichen
11. Juli 1990.............95 037
16. Januar 1991...........96 969
16. Januar 1991...........96 973
II. Die Unterlagen zu den drei Prioritäten wurden am 5. September 1991 formgerecht eingereicht, und die Anmeldung wurde mit den im Antragsformblatt vermerkten Prioritätsangaben veröffentlicht. Der europäische Recherchenbericht wurde am 15. Dezember 1992 versandt.
III. Am 11. Februar 1993 beantragte der Anmelder nach Regel 88 Satz 1 EPÜ die Berichtigung der Erklärung hinsichtlich der ersten Priorität, die wie folgt angegeben werden sollte: "Anmeldetag: 25. Oktober 1990, Aktenzeichen IL 96 118". Es wurde ausgeführt, daß bei der Abfassung der Beschreibung der Anmeldung Nr. 96 969 irrtümlich auf die Anmeldung Nr. 95 037 Bezug genommen und dieser Fehler in die Anmeldung Nr. 96 973 und die vorliegende Anmeldung übernommen worden sei. Dabei wurde geltend gemacht, daß dies ohne weiteres als Versehen einer Bürokraft erkennbar sei, daß Rechte Dritter durch die Berichtigung nicht beeinträchtigt würden und daß nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen werde. Gleichzeitig wurde die Prioritätsunterlage für die Anmeldung Nr. 96 118 eingereicht.
IV. Mit Entscheidung der Eingangsstelle vom 14. Dezember 1993 wurde der Berichtigungsantrag zurückgewiesen. In der Entscheidung wurde ausgeführt, daß einem Antrag auf Berichtigung einer Prioritätserklärung laut Entscheidung J 4/82 (ABI. EPA 1982, 385) nur dann stattzugeben sei, wenn er so rechtzeitig gestellt werde, daß in die Veröffentlichung der Anmeldung ein entsprechender Hinweis aufgenommen werden könne, um die Rechtssicherheit der veröffentlichten Informationen für Dritte zu gewährleisten. Besondere Umstände, die eine Ausnahme von dieser Regel rechtfertigten, wie dies in J 14/82 (ABI. EPA 1983, 121), J 3/91 (ABI. EPA 1994, 365) oder J 2/92 (ABI. EPA 1994, 375) der Fall gewesen sei, seien im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Veröffentlichung habe weder einen Hinweis auf eine offensichtliche Unrichtigkeit der Prioritätserklärung enthalten, noch sei die Berichtigung sehr kurz nach Einreichung der Anmeldung beantragt worden.
V. Am 10. Februar 1994 legte der Anmelder Beschwerde ein; am 16. Februar 1994 wurde die Beschwerdegebühr entrichtet. Die schriftliche Beschwerdebegründung wurde am 8. April 1994 eingereicht. Auf eine entsprechende Mitteilung der Kammer führte der Beschwerdeführer sein Vorbringen weiter aus.
VI. Die zur Stützung der Beschwerde angeführten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Aus der einschlägigen Rechtsprechung, insbesondere den Entscheidungen J 3/91 und J 2/92, ergäben sich weder eine Frist zur Einreichung des Berichtigungsantrags noch das Erfordernis, daß in die Veröffentlichung der Anmeldung ein Hinweis aufzunehmen sei. Bei der beantragten Berichtigung werde der Abgrenzung zwischen den Interessen des auf optimalen Schutz bedachten Anmelders und dem Rechtssicherheitsbedürfnis der Öffentlichkeit, wie in J 3/91 und J 2/92 definiert, in vollem Umfang Rechnung getragen.
Die Eingangsstelle habe den Antrag zu Unrecht mit der Begründung zurückgewiesen, daß die falsche Angabe nicht unmittelbar aus der veröffentlichten Anmeldung ersichtlich gewesen sei. Es reiche aus, daß vollständig und rückhaltlos dargelegt worden sei, wie es zu dem Fehler gekommen sei. Bei einem Vergleich der veröffentlichten Anmeldung mit der Anmeldung IL 95 037 hätte sich dieser Fehler herausgestellt, der zu dem Zeitpunkt entdeckt worden sei, als die Berichtigung beantragt wurde, und zwar insbesondere deshalb, weil die Abbildungen der vorliegenden Anmeldung in der früheren Anmeldung fehlten. Damit sei auch den Anforderungen für eine Berichtigung nach Regel 88 Satz 2 EPÜ Rechnung getragen, wie sie die Große Beschwerdekammer in Sachen G 3/89 und G 11/91 (ABl. EPO 1993, 117 und 125) niedergelegt habe, denenzufolge eine Unrichtigkeit dann als solche offensichtlich sei, wenn für den Fachmann keine Zweifel bestanden, daß die Angabe nicht stimme.
Die Prioritätserklärung gebe auch nicht die wirkliche Absicht des Anmelders wieder, nämlich sämtliche Prioritätsunterlagen anzuziehen, deren Inhalt der Beschreibung der vorliegenden Anmeldung entspreche. Die einzig mögliche Erklärung für die falsche Prioritätsangabe sei der Fehler einer Bürokraft, der auch die weiteren Schritte des Anmelders ausgelöst habe. Ein solcher Fehler rechtfertige die Hinzufügung der versehentlich weggelassenen Priorität, wie dies insbesondere aus der Entscheidung J 11/92 (ABI. EPA 1995, 25) hervorgehe, bei der es um einen dem vorliegenden sehr ähnlichen Sachverhalt gegangen sei.
Es wurde dargelegt, daß der Anmelder mit der gebührenden Sorgfalt gehandelt und die Berichtigung sobald wie möglich beantragt habe. Der Anmelder habe das Versehen erst entdecken können, als die Anmeldung und die Priorität anhand des Recherchenberichts überprüft worden seien. Der Zeitraum, der zwischen dem Prioritäts- und dem Anmeldetag der Anmeldung einerseits und der Stellung des Berichtigungsantrags andererseits verstrichen sei, falle daher weniger ins Gewicht als die Tatsache, daß die Berichtigung kurze Zeit nach Eingang des Recherchenberichts beantragt worden sei.
Im übrigen sei der technische Inhalt der Anmeldung IL 96 118 der Öffentlichkeit seit der Veröffentlichung der vorliegenden Anmeldung bekannt, da er in der veröffentlichten Fassung dieser Anmeldung enthalten sei. Eine Änderung der prioritätsbegründenden Anmeldung sei unmöglich, da diese seit dem Anmeldetag beim israelischen Patentamt vorliege.
1. Der zulässigen Beschwerde kann nicht stattgegeben werden.
2. Die Kammer hat ihre Rechtsprechung zur Berichtigung von Mängeln nach Regel 88 Satz 1 EPÜ im Hinblick auf Prioritätsangaben in der Entscheidung J 6/91 (ABI. EPA 1994, 349) zusammengefaßt. Im vorliegenden Fall war der Berichtigungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen worden, er sei nicht so rechtzeitig gestellt worden, daß in die Veröffentlichung der Anmeldung ein entsprechender Hinweis hätte aufgenommen werden können; besondere Umstände, wonach die Berichtigung in einem späteren Stadium gerechtfertigt gewesen wäre, hätten nicht vorgelegen. Dieser von der Eingangsstelle angewandte allgemeine Grundsatz steht mit der Entscheidung J 6/91 (Nr. 3 (4) der Entscheidungsgründe) in Einklang.
3. Der Beschwerdeführer konnte nicht nachweisen, auf Grund welcher Umstände es gerechtfertigt gewesen wäre, dem Interesse des Beschwerdeführers an der Vornahme der Berichtigung einen Vorrang vor den Interessen der Öffentlichkeit einzuräumen (s. J 6/91, Nr. 3 (6) der Entscheidungsgründe).
4. Bei der Ausübung des Ermessens in Fällen, in denen es um einen eine Priorität betreffenden Berichtigungsantrag geht, hat die Kammer den Zweck zu berücksichtigen, auf den die Formvorschriften zur Inanspruchnahme einer Priorität abstellen. Das EPÜ enthält solche Formvorschriften in Artikel 88 und in Regel 38 EPÜ. Sie müssen am Anmeldetag oder innerhalb genau bezeichneter Fristen (Regel 38 (2) bis (4) EPÜ) erfüllt sein, und zwar unabhängig von der Frage, ob im Prioritätsintervall einschlägiger Stand der Technik vorliegt oder nicht. Diese Bestimmungen entsprechen Artikel 4 D (1) Satz 2 der Pariser Verbandsübereinkunft, demzufolge jedes Land bestimmt, bis wann die Prioritätserklärung spätestens abgegeben werden muß. Der Tag oder der Zeitraum ist so festzusetzen, daß der Verpflichtung zur Veröffentlichung der in der Erklärung enthaltenen Angaben gemäß Artikel 4 D (2) der Pariser Verbandsübereinkunft entsprochen werden kann. Mit diesem Verfahren soll der unbefriedigenden Situation vorgebeugt werden, daß diejenigen, für die das Patent Konsequenzen hat, von einer beanspruchten Priorität überrascht werden (Bodenhausen, Paris Convention for the Protection of Industrial Property, Genf 1968, Art. 4 D, Anm. (a); Ladas, Patents, Trademarks and Related Rights, National and International Protection, Bd. 1, Cambridge, Mass. 1975, §§ 271 ff.). Die Veröffentlichung der Anmeldung ist im europäischen Patentsystem u. a. deshalb vorgesehen, um den Zeitraum der Ungewißheit hinsichtlich etwaiger neuer Patente für die am Wettbewerb Beteiligten abzukürzen (van Empel, The Granting of European Patents, Leyden 1975, Nr. 371). Diesen Zweck kann die Veröffentlichung jedoch nur dann erfüllen, wenn sie die für die Patentierbarkeit der Erfindung, die Gegenstand der Patentanmeldung ist, maßgeblichen Bestandteile enthält. Die Patentierbarkeit läßt sich nur anhand des Standes der Technik beurteilen, der aber seinerseits nur ermittelt werden kann, wenn bekannt ist, ob eine Priorität beansprucht wird und inwieweit diese rechtswirksam ist (Art. 54 i.V. mit Art. 89 EPÜ). Aus diesem Grund schreibt Regel 38 (5) EPÜ ausdrücklich vor, daß die Angaben der Prioritätserklärung in der veröffentlichten Anmeldung zu vermerken sind.
5. Diese Informationen sind nicht nur erforderlich, um es Dritten zu ermöglichen, sich auf Patente einzustellen, die sie in Zukunft berücksichtigen müssen. Artikel 67 EPÜ räumt vielmehr dem Anmelder ab der Veröffentlichung der Patentanmeldung einstweiligen Schutz ein. Damit sind die Mitbewerber gezwungen, den Wirkungen des Patentschutzes bereits von diesem Zeitpunkt an Rechnung zu tragen (Paterson, The European Patent System, London 1992, Abs. 6-18). Daß sie dies tun, kann jedoch von ihnen nur dann erwartet werden, wenn sie auch über eine zuverlässige Rechtsgrundlage für die zu treffenden wirtschaftlichen Entscheidungen verfügen. Hierzu gehören insbesondere, wie bereits ausgeführt, die Prioritätsangaben.
6. Daraus erklärt sich, warum in der Rechtsprechung in Fällen, in denen die Berichtigung einer Prioritätserklärung nicht so rechtzeitig beantragt worden war, daß in die Veröffentlichung ein entsprechender Hinweis aufgenommen werden konnte, der Aspekt der Rechtssicherheit mit besonderem Nachdruck hervorgehoben worden ist und die Kammer sich nicht der Auffassung des Beschwerdeführers anzuschließen vermag, daß die Streichung einer unrichtigen Priorität und die Einfügung einer neuen Priorität keine Beeinträchtigung des Interesses der Öffentlichkeit darstellt, sondern lediglich der Unterrichtung des Lesers über die tatsächliche Priorität dient. Ganz im Gegenteil würde die uneingeschränkte Möglichkeit zur Änderung oder Einfügung von Prioritätserklärungen nach der Veröffentlichung die Verläßlichkeit der Veröffentlichung in einem ihrer wichtigsten Elemente einschränken.
7. Ferner ist zu bedenken, daß für jedwede Auslegung der Ausführungsordnung im Hinblick auf Artikel 164 (2) EPÜ der Grundsatz der konventionskonformen Auslegung gilt (G 1/88, ABI. EPA 1989, 189, Nr. 4 der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall sind die Artikel 88 (1), 91 (1) d) und (3) EPÜ heranzuziehen. In ihnen ist festgelegt, daß der Prioritätsanspruch erlischt, wenn den Vorschriften über die Inanspruchnahme der Priorität nicht entsprochen worden ist. Eine Praxis, die die Einfügung von Prioritätserklärungen nach Regel 88 EPÜ uneingeschränkt zuließe und Artikel 88 in Verbindung mit Regel 38 EPÜ außer Betracht ließe, stünde daher im Widerspruch zum Übereinkommen. Die Tatsache allein, daß eine vorhandene Priorität nicht in Anspruch genommen wurde, kann die Einfügung dieser Priorität auf dem Wege der Berichtigung nicht rechtfertigen. Aus diesen Gründen hält die Kammer an ihrer bisherigen Praxis fest, wonach eine Berichtigung in dieser Phase nur bei Vorliegen besonderer Umstände zuzulassen ist, insbesondere wenn anhand der veröffentlichten Anmeldung ohne weiteres ersichtlich ist, daß eine Priorität falsch angegeben ist oder fehlt.
8. Hiervon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Daß ein Mangel nach Einsichtnahme in die Prioritätsunterlage entdeckt werden könne, wie der Beschwerdeführer vorträgt, reicht nicht aus, da ja die veröffentlichten Angaben als solche am Veröffentlichungstag zuverlässig sein müssen. Die Unrichtigkeit der Prioritätsangaben war auch nicht aus der Prioritätsunterlage ersichtlich, die zu der im Antragsformblatt angegebenen Priorität eingereicht worden war. Das Argument des Beschwerdeführers, der Fehler sei bereits aus der Tatsache ersichtlich, daß die vorliegende Anmeldung mehrere Blätter mit Zeichnungen enthalten habe, die von den Zeichnungen in der Prioritätsunterlage völlig abwichen, ist nicht überzeugend, da es keine Bestimmung gibt, wonach die frühere Anmeldung mehr oder weniger weitgehend mit der Anmeldung, für die die Priorität beansprucht wird, übereinzustimmen hätte. Es mag für einen Anmelder sinnvoll sein, eine Priorität nur für eine bestimmte Ausführungsart der Erfindung in Anspruch zu nehmen, die nicht unbedingt in einer Zeichnung dargestellt sein muß. Andernfalls würde Artikel 88 (2) und (3) EPÜ, der sich mit der Inanspruchnahme von mehreren Prioritäten und von Teilprioritäten befaßt, seinen Sinn verlieren. Unstimmigkeiten in bezug auf die Gebiete der Technik, auf die sich die Anmeldungen bezogen, waren nicht ersichtlich.
9. Nach Ansicht des Beschwerdeführers wird das Interesse der Öffentlichkeit durch die Hinzufügung einer zweiten oder weiteren Priorität ohnedies nicht beeinträchtigt. Es trifft zwar zu, daß in einem solchen Fall die Veröffentlichung der Anmeldung nicht verzögert würde, ein Gesichtspunkt, der für das in Artikel 93 EPÜ verankerte Prinzip der frühzeitigen Veröffentlichung von Bedeutung ist. Gleichwohl kann das öffentliche Interesse auch durch die Hinzufügung einer Priorität beeinträchtigt werden, deren Tag nach demjenigen der irrtümlich beanspruchten Priorität liegt, da jede weitere Priorität für die Beurteilung der Rechtsgültigkeit des Patents von Belang ist.
10. Irgendwelche sonstigen besonderen Umstände zur Rechtfertigung der beantragten Berichtigung, wie sie in die einschlägigen älteren Entscheidungen eingeflossen sind, sind hier nicht erkennbar. Weder kann dem EPA angelastet werden, daß in der Veröffentlichungsphase kein Hinweis für die Öffentlichkeit erfolgt ist (vgl. J 3/82, ABI. EPA 1983, 171), noch wurde die Öffentlichkeit durch eine Parallelanmeldung über den vollen Umfang des Schutzbegehrens unterrichtet (vgl. J 11/92, a.a.0.).
11. Da dem Berichtigungsantrag aus den obengenannten Gründen nicht stattzugeben ist, kann auch dahingestellt bleiben, ob die Unrichtigkeit, wie vom Beschwerdeführer vorgetragen, auf den Fehler einer Bürokraft zurückzuführen ist.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.