D 0031/22 17-03-2023
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I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungskommission vom 6. Juli 2022, in der festgestellt wurde, dass die Prüfungsarbeit des Beschwerdeführers zur Aufgabe A der europäischen Eignungsprüfung 2022 (im Folgenden: Aufgabe A) mit 38 Punkten und damit mit der Note "NICHT BESTANDEN" bewertet wurde.
II. Mit Schreiben vom 10. Juli 2022, das am 12. Juli 2022 beim EPA einging, legte der Beschwerdeführer gegen die Entscheidung der Prüfungskommission vom 6. Juli 2022 Beschwerde ein und begründete diese. Er hatte bereits am 11 Juli 2022 die vorgeschriebene Beschwerdegebühr entrichtet. Das Prüfungssekretariat legte die Beschwerde der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (Beschwerdekammer) mit Schreiben vom 15. September 2022 vor und teilte mit, dass die Prüfungskommission beschlossen habe, der Beschwerde nicht abzuhelfen. Weder der Präsident des Europäischen Patentamtes noch der Präsident des Rats des Instituts der zugelassenen Vertreter, denen nach Artikel 24 (4) Satz 1 der Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für zugelassene Vertreter (VEP) in Verbindung mit Artikel 12 der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (VDV) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, äußerten sich schriftlich zur Beschwerde.
III. Die Kammer teilte dem Beschwerdeführer am 16. Februar 2023 in einer Mitteilung gemäß Artikel 13(2) und 14 der Ergänzenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten des Europäischen Patentamtes (EVBD) ihre vorläufige Einschätzung mit.
IV. Der Beschwerdeführer nahm hierzu noch am selben Tag Stellung und beantragte eine umgehende schriftliche Entscheidung, in der die Kammer das Bestehen der Prüfung feststellen möge. Die Kammer trat dem nicht näher.
V. Die mündliche Verhandlung fand daher wie mit Ladung vom 4. Januar 2023 mitgeteilt am 17. März 2023 in Anwesenheit des Beschwerdeführers und eines Vertreters des Präsidenten des Rats des Instituts der zugelassenen Vertreter statt und wurde als Videokonferenz durchgeführt. Am Ende der Verhandlung wurde die vorliegende Entscheidung verkündet.
VI. Zur Begründung seiner Beschwerde machte der Beschwerdeführer unter anderem Folgendes geltend:
Die Aberkennung von 8 von 28 erreichbaren Punkten für eine nach Auffassung der Prüfungskommission zu weitgehende, in der Sicht des Beschwerdeführers aber notwendige Einschränkung des Kopf-/Schaft-Winkelbereichs beim Vorrichtungsanspruch sei nicht gerechtfertigt. Die im Prüferbericht vorgeschlagenen Merkmale "schief" bzw. alternativ "ungleich 90°" seien nicht geeignet, Neuheit herzustellen, da angesichts der in der Praxis anzunehmenden Messungenauigkeit die Entscheidungen T 594/01 und T 386/17 eine Eignung vergleichbarer Merkmale zur Abgrenzung verneint hätten:
Ein Merkmal "mehr als 0°" umfasse Werte, die näher an 0 Grad lägen, als die endliche Fehlerspanne, der die Bestimmung des Winkelbetrags immer unterworfen sei. Jedenfalls könnten die vorgeschlagenen, von 90° kaum abweichenden, Werte keinen eine erfinderische Tätigkeit begründenden technischen Effekt (ausreichende Durchmischung) bewirken.
Ferner rügt der Beschwerdeführer die im Prüferbericht vorgeschlagene Aberkennung von 10 Punkten für den Fall, dass im Rahmen des auf die Pulpeherstellung gerichteten Verfahrensanspruchs eine Beschränkung durch einen Bezug auf das Stampfwerk hergestellt wurde. Denn durch das oben geschilderte Neuheitsproblem sei die ganze Aufgabe nicht mehr schlüssig gewesen. Die von dem Beschwerdeführer statt dessen gewählte Lösung (Kombination des Vorrichtungsmerkmals "fixer Winkel ungleich 90°" mit der zu erreichenden Funktion, wonach der Winkel "so gewählt ist ..., dass mit jedem Schlag des Hammers über 90 % des Pulpevolumens im Bottich (1) bewegt werden" gebe einen größeren Schutzbereich als der Vorrichtungsanspruch, nämlich für Winkel größer 82°, bei denen diese Funktion noch erfüllt werde. Auch hätten hier nicht 5 Punkte für das Fehlen der mindestens fünf-tägigen Branntkalk-Behandlung zur Zellulose-Extrahierung abgezogen werden dürfen, da es sich dabei nicht um ein essentielles Mittel, sondern nur um einen bevorzugten Schritt gehandelt habe.
Schließlich vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, sein auf die Herstellung von Hadernpapier gerichteter Verfahrensanspruch hätte nicht zugleich als vermeintlich mangelhafter Pulpeherstellungsanspruch einen Abzug von sechs Punkten erfahren und als Papierherstellungsanspruch gar nicht mehr berücksichtigt werden dürfen, so dass ihm alle der dort vier möglichen Punkte entgangen seien. Anders sei die Bewertung mit 0 Punkten aber nicht zu erklären, da alle nach der Musterlösung für die Papierherstellung geforderten Merkmale in seinem Vorschlag enthalten gewesen seien. Dies sei eine unzulässige Doppelbestrafung.
Zuletzt wird auch die Aberkennung der möglichen 16 Punkte für den das Papier betreffenden Produktanspruch beanstandet. Zum einen umfasse Hadernpapier schon nach dem Allgemeinwissen nicht nur aus Lumpen hergestelltes Papier, und der diesbezüglich Abzug sei daher ungerechtfertigt. Zum anderen sei auch ein Abzug wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit infolge Fehlens der Merkmale "lignin-frei" und "homogen untergemischt" nicht gerechtfertigt. Ersteres sei nicht essentiell, zweiteres unklar und in der Folge auch nicht beschränkend. Wenn die Musterlösung im Parallelfall beim Verfahrensanspruch das Weglassen des einzigen bekannten zur Ausführung geeigneten Stampfwerks zulasse, dürfe nicht im Rahmen des Produktanspruchs das Weglassen von "homogen untergemischt" plötzlich beanstandet werden.
VII. Der Beschwerdeführer beantragte abschließend,
- die angefochtene Entscheidung aufzuheben
- die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer formulierten Ansprüche 1, 2 und 13 an die Prüfungskommission zurückzuverweisen;
und
- die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten,
VIII. Hinsichtlich der Einzelheiten der streitigen Prüfungsaufgabe wird auf die veröffentlichte Prüfungsaufgabe und den entsprechenden Prüferbericht verwiesen, die unter https://www.epo.org/learning/eqe/compendium_de.html auf der Website des Europäischen Patentamts abrufbar sind.
IX. Von der Darstellung der weiteren Einwände des Beschwerdeführers wird abgesehen, da diese für die Entscheidung nicht mehr relevant sind (vgl. unten Entscheidungsgründe 6.3 und 7.2).
Die zulässige Beschwerde erweist sich als begründet.
1. Ausgangspunkt
1.1 Gemäß Artikel 24 (1) der Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für zugelassene Vertreter (VEP) und nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (im Anschluss an D 1/92, ABl. EPA 1993, 357) sind Entscheidungen der Prüfungskommission grundsätzlich nur dahingehend zu überprüfen, ob nicht die VEP, die bei ihrer Durchführung anzuwendenden Bestimmungen (ABVEP) oder höherrangiges Recht verletzt sind. Es ist nicht die Aufgabe der Beschwerdekammer, das Prüfungsverfahren sachlich zu überprüfen. Den Prüfungsausschüssen und der Prüfungskommission steht nämlich im Grundsatz ein Beurteilungsspielraum zu, der nur sehr begrenzt der gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist.
1.2 Das eingeräumte Ermessen ist jedoch sachgerecht und willkürfrei auszuüben. Um insoweit die Entscheidung der Prüfungskommission im Einzelfall für den Bewerber nachvollziehbar zu machen, sieht Regel 4 (1) ABVEP als ein wesentliches Element des Prüfungsverfahrens
(vgl. D 13/17, Punkt 3.3 der Entscheidungsgründe) vor, dass den Teilnehmern Bewertungsbögen übersandt werden, die Einzelheiten zur Notengebung enthalten müssen. Die Grundlagen für die Vergabe der dort nach Kategorien aufgeschlüsselten Einzelpunkte lassen sich wiederum dem veröffentlichten Prüferbericht entnehmen, der Hinweise sowohl zu den von den Kandidaten erwarteten Lösungen als auch zu denkbaren Fehlern, die sich negativ auf die Bewertung ausgeübt haben, enthält. Auf diese Weise soll die anzustrebende einheitliche Bewertung der Arbeiten der Bewerber im Sinne von Artikel 6(2)b) VEP erleichtert werden.
1.3 Diese Schemata und die noch detaillierteren internen Bewertungsvorlagen dürfen allerdings nicht so strikt angewendet werden, dass für abweichende, aber dennoch vertretbare und kompetent begründete Antworten nicht ebenfalls angemessen Punkte vergeben werden (vgl. D 7/05, Punkt 13 der Entscheidungsgründe). Hieran scheint es vorliegend zu mangeln, wie im Folgenden zu zeigen ist.
2. Vorrichtungsanspruch - Stampfwerk
2.1 Der Beschwerdeführer sah sich durch eine Reihe von Entscheidungen der Beschwerdekammern (u.a. T 594/01 und T 386/17), die infolge der inhärenten Messungenauigkeit eine Abgrenzbarkeit eines beanspruchten Bereichs von einem unmittelbar angrenzenden vorbekannten Messwert verneinen, daran gehindert, den Anspruch wie in der Musterlösung vorgeschlagen mit "ungleich 90°" vom Stand der Technik (D1) abzugrenzen. Er brachte dies auch in der Beschreibung deutlich zum Ausdruck, so dass zur Überzeugung der Kammer dargetan ist, dass es sich nicht lediglich um spätere Erklärungen handelt, die nur der Beschwerdebegründung entnommen werden können (vgl. D 16/02, Punkt 3.2 und D 30/22, Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe).
Die vom Beschwerdeführer in Bezug genommene Rechtsprechung wird zwar nicht von allen Kammern vertreten, es handelt sich aber um eine Reihe von Entscheidungen, die teilweise auch in die Veröffentlichung "Rechtsprechung der Beschwerdekammern" aufgenommen wurde, so dass die vom Beschwerdeführer in seiner Arbeit zum Ausdruck gebrachte Einschätzung, ein Anspruch, der sich nicht mit ausreichendem, auch den Messtoleranzbereich umfassenden Abstand von den vorbekannten 90° absetzt, könnte als nicht neu angesehen werden, jedenfalls eine gut vertretbare und sauber begründete Alternativlösung darstellt. Diese muss auch angemessen bepunktet werden.
Zwar hat der Beschwerdeführer seinen Einwand gegen den Punkteabzug beim Vorrichtungsanspruch nicht weiterverfolgt, nachdem die Kammer den Hinweis erteilt hat, dass der Abzug von 8 Punkten auch allein durch die selbst nach seiner Lösung immer noch unnötig starke Beschränkung von "unter 82°" statt "82° oder kleiner" begründet sein kann.
Folgeanpassungen, die sich bei anderen Teilen der Prüfung ergeben, müssen aber im Hinblick auf das Gebot, vertretbare Alternativlösungen angemessen zu bepunkten, ebenfalls angemessen berücksichtigt werden, was Anlass zu den folgenden Ausführungen gibt.
3. Verfahrensanspruch - Pulpeherstellung
3.1 Der Beschwerdeführer hat als Anspruch 1 einen ersten Verfahrensanspruch "zur Herstellung von Hadernpapier aus Roh-Pflanzenmaterial" verfasst, bei dem er nur die Verfahrensschritte bis zur Herstellung der Pulpe beansprucht. Dieser Anspruch wurde von der Prüfungskommission als Verfahrensanspruch betreffend die Pulpeherstellung angesehen, aber nur mit 3 von 28 Punkten bewertet.
3.2 Ausgehend von seiner Lösung beim Vorrichtungsanspruch hat der Beschwerdeführer beim Verfahrensanspruch die Schrägstellung zwar aufgenommen, aber nicht mit absoluten Werten spezifiziert, sondern durch Verwendung des funktionalen Merkmals, wonach sichergestellt sein muss, dass die Pulpe so zirkuliert wird, dass mit jedem Schlag des Hammers über 90% des Pulpevolumens im Bottich bewegt werden, variabel definiert.
3.3 Damit hat er zum einen - wie von der Lösung erwartet - einen weiteren Anspruchsbereich realisiert als ihn der Vorrichtungsanspruch bieten kann.
3.4 Zum anderen hat er damit dem Umstand Rechnung getragen, dass die Prüfungsaufgabe die Erfindung gerade darin sieht, dass bei jedem Schlag eine ausreichende Pulpezirkulation erreichbar ist, die eine sofortige Untermischung des Leims schon während des Schlagstampfens ermöglicht, was im Ergebnis aber erst durch die entdeckte Lösung der Schrägstellung des Hammerkopfs erreicht wurde. Die Prüfungsaufgabe bringt dagegen nicht zum Ausdruck, dass der Fachperson bereits andere Möglichkeiten aus ihrem Fachwissen bekannt waren, dieses Ergebnis tatsächlich zu erzielen. D1 nennt insoweit zwar in Absatz [013] Konstruktions-Parameter, die im Hinblick auf eine gewünschte gleichmäßige Aufbereitung der Pulpe verändert werden können, ohne aber anzudeuten, dass eine oder mehrere davon schon im Rahmen von Routineversuchen Erfolgsaussichten auch hinsichtlich der durch Zugabe des Leims veränderten Pulpezusammensetzung haben würden (vgl. Richtlinien für die Prüfung Teil F, Kapitel IV, Punkt 4.10).
3.5 Der Bezug auf ein Stampfwerk mit schräggestelltem Kopf, dessen Maß der Schrägstellung aber nicht durch eine Gradangabe eingeschränkt, sondern nur funktionell über die zu erreichende Durchmischung beschrieben wird, berücksichtigt somit die Vorgabe in Punkt 2.1 und 6.5 dieses Kapitels der Prüfungsrichtlinien, wonach die Mittel zur Ausführung einer Funktion angegeben werden müssen, wenn dem Fachmann nicht ohnehin aus seinem Fachwissen geeignete Mittel geläufig sind; gleichzeitig bewirkt er aber keine unnötig große Beschränkung des Anspruchs.
3.6 Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Beschwerdeführer gewählte Lösung gegenüber der Musterlösung, die im Verfahrensanspruch das für das zu erreichende Ergebnis wesentliche Merkmal in keiner Weise abbildete, zumindest als gut vertretbare, wenn nicht sogar überlegene Alternative und wurde vom Beschwerdeführer auch in der skizzierten Beschreibung sauber begründet.
3.7 Damit hätte die Lösung eine angemessene Zuerkennung von Punkten verdient gehabt.
3.8 Inhaltlich entspricht Anspruch 1, auch wenn er als "Verfahren zur Herstellung von Hadernpapier aus Roh-Pflanzenmaterial" bezeichnet wird, einem Anspruch auf die im Rahmen der Papierherstellung zunächst erfolgende Pulpeherstellung, da er keine darüber hinausgehenden weiteren Verfahrensschritte enthält. Die Funktionsangabe ist dabei nicht beschränkend, da sie nur eine Eignung betrifft. Diese Eignung ist auch gegeben; denn die Pulpeherstellung stellt sich tatsächlich als erster Teil eines Verfahrens zur Herstellung von Papier dar.
3.9 Der am Ende von Punkt 3.4 des Prüferberichts genannte Fehler, wonach von manchen Bewerbern kein Anspruch auf die Herstellung von Papierpulpe formuliert wurde, sondern gleich ein Verfahren zur Herstellung von Papier, das auch alle Schritte zur Herstellung von Papierpulpe umfasste, ist dem Beschwerdeführer daher nicht zur Last zu legen; denn er hat einen ersten Verfahrensanspruch, der nur die Schritte bis zur Pulpeherstellung enthält, verfasst. Entsprechend wäre diesbezüglich auch ein etwaiger Abzug von 6 Punkten (genannt ist die Vergabe von maximal 22 Punkte auf einen wie beschrieben kombinierten Anspruch) vorliegend nicht gerechtfertigt. Angesichts der insgesamt nur vergebenen 3 Punkte ist jedoch zu besorgen, bzw. kann von der Kammer zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass eine solche Reduktion möglicherweise doch erfolgte.
4. Verfahrensanspruch - Papierherstellung
4.1 Der Beschwerdeführer hat als Anspruch 2 einen weiteren Verfahrensanspruch formuliert, der die über die Herstellung der Pulpe hinaus zur Herstellung des Endprodukts Papier erforderlichen weiteren Verfahrensschritte enthält.
4.2 Der Anspruch ist abhängig von Anspruch 1 formuliert, entspricht aber inhaltlich dem in der Musterlösung unter Ziffer 3.4 vorgeschlagenen Anspruch, der im ersten Verfahrensschritt auch das "Bereitstellen von Papierpulpe nach einem der Ansprüche X bis ..." fordert.
4.3 Es ist für die Kammer nicht erkennbar, warum keine Punkte für einen Papierherstellungsanspruch vergeben wurden; es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass es zu der vom Beschwerdeführer vermuteten Doppelbestrafung gekommen ist, obwohl inhaltlich die Bestrafungen nicht nur in Kombination, sondern bereits jede für sich genommen nicht gerechtfertigt gewesen wären.
4.4 Wäre erkannt worden, dass der Beschwerdeführer in der Sache mit Anspruch 1 einen solchen auf die Herstellung des Zwischenprodukts Pulpe und mit Anspruch 2 einen solchen auf Herstellung des Endprodukts Papier formuliert hatte, wäre zu erwarten gewesen, dass in beiden Kategorien Punkte vergeben worden wären.
5. Produktanspruch - Papier
5.1 Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass die Vergabe von Null aus 16 Punkten auf zwei Abzügen von je 6 Punkten wegen der fehlenden Merkmale "ligin-freies Roh-Pflanzenmaterial" und "homogen untergemischter Leim" sowie von 4 Punkten wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit beruht.
Die ersten beiden Abzüge erachtet die Kammer als vertretbar (siehe Punkte 5.2 und 5.3), der dritte erscheint nicht nachvollziehbar (siehe Punkt 5.4 und 5.5).
5.2 Der vom Beschwerdeführer statt des erstgenannten Merkmals verwendete Ausdruck "Hadernpapier" mag zwar zum Ausdruck bringen, dass "lignin-freies Roh-Pflanzenmaterial" enthalten sein kann (vgl. Absatz [003] des Mandanten-Schreibens), er ist aber nicht synonym, sondern enger, da er die Anwesenheit von "Hadern"="Lumpen" im Ausgangsmaterial impliziert. Auch wenn dies in der englischen Fassung ein wenig deutlicher wird, in der beide Ausdrücke mit "rag" übersetzt werden, ist dieser Umstand auch der deutschen Fassung mit ausreichender Klarheit zu entnehmen, da Absatz [003] des Mandanten-Schreibens "Hadernpapier" als ein Produkt aus geschlagenen Baumwoll- und Leinenlumpen, üblicherweise mit beigefügtem Hanf und Flachs definiert. Das vom Mandanten hergestellte Papier ist daher (nach dieser, für die Prüfung allein maßgeblichen) Definition gerade kein Hadernpapier, vgl. Absatz [008], da aus Umweltgründen auf die Verwendung von Lumpen verzichtet wird. Etwaige besondere Kenntnisse auf dem Gebiet der Erfindung, wonach der Ausdruck "Hadernpapier" dementgegen auch in einem weiteren Sinn verwendet werden mag, waren von den Kandidaten außer Acht zu lassen (Regel 22(3) ABVEP). Die Kammer sieht hierin auch kein Allgemeinwissen.
5.3 "Homogen untergemischt" stellt zwar ein Merkmal dar, das tendenziell Klarheitsbedenken begegnen könnte. Im Kontext des Produktanspruchs scheint es zur Abgrenzung aber geeignet. Auch wenn "homogen" als relativer Begriff vielleicht sehr breit auszulegen oder ganz wegzulassen wäre, so erscheint jedenfalls die Untermischung des Leims, die das Produkt ja von dem im Stand der Technik nur beidseitig aufgetragenen Leim unterscheidet, als zu recht im Prüferbericht gefordertes Merkmal. Die Klarheitsbedenken hätten also allenfalls ein Weglassen des Merkmalsteils "homogen" gerechtfertigt.
5.4 Sollte tatsächlich ein Abzug wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit erfolgt sein, wäre dieser nicht gerechtfertigt. Das vom Beschwerdeführer beanspruchte Produkt war laut Aufgabe in dieser Qualität (Reißfestigkeit über 1.900 N/m, vgl. Absatz [026]) bislang nicht erzielbar und ein Weg dorthin war im Stand der Technik nicht nahegelegt. Der im Prüferbericht angeführte Vermerk, wonach Parameter- und Strukturmerkmale für eine vollständige Charakterisierung des Erzeugnisses erwartet wurden, ist zwar für die Kammer nachvollziehbar. Gleiches gilt für die Ausführungen im Prüferbericht dahingehend, dass die Strukturmerkmale dem Anspruch nur formal Neuheit verleihen konnten. Es ergibt sich im Folgeschluss - in Übereinstimmung mit den Angaben im Absatz [026] des Mandanten-Schreibens - dass nicht erfinderische Ausführungsformen eben durch das im Anspruch des Beschwerdeführers angegebene Parametermerkmal "Reißfestigkeit über 1.900 N/m" ausgeschlossen sind.
5.5 Falls bereits wegen der fehlenden Merkmale "ligin-freies Roh-Pflanzenmaterial" und "homogen untergemischter Leim" je 6 Punkte abgezogen wurden, käme ein weiterer Abzug von 4 Punkten wegen des Fehlens dieser Merkmale im Kontext der erfinderischen Tätigkeit einer unzulässigen "Doppelbestrafung" gleich (vgl. D 13/17, Punkt 3.7 der Entscheidungsgründe).
6. Neubewertung
6.1 Die Kammer hat den Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass sie im vorliegenden Fall nicht in der Lage ist, ohne Eingriff in das der Prüfungskommission vorbehaltene Ermessen festzustellen, welche Punktvergabe unter Beachtung der obigen Ausführungen für seine Ansprüche 1, 2 und 13 angemessen erscheint. Denn die Kammer kann nicht erkennen, aufgrund welcher Erwägungen die Prüfungskommission für die beiden Verfahrensansprüche nur 3 Punkte bzw. keinen Punkt und für den Produktanspruch ebenfalls keinen Punkt vergeben hat.
6.2 Es ist somit zwar sehr wahrscheinlich, dass bei einer Neubewertung unter Beachtung der oben unter 3.7, 3.9, 4.3, 4.3, 5.4 und 5.5 dargelegten Erwägungen dem Beschwerdeführer statt der bislang zuerkannten 37 Punkte eine Punktzahl zuzusprechen ist, die bei den benötigten 45 oder mehr Punkten liegt; dies kann von der Kammer aber nicht mit der ausreichenden Sicherheit und ohne wertende Neubetrachtung der gesamten Prüfungsarbeit festgestellt werden.
6.3 Der Beschwerdeführer hat seinen Antrag daher auf eine Zurückverweisung an die Prüfungskommission zur erneuten Entscheidung über seine Ansprüche 1, 2 und 13 beschränkt. Diesem Antrag kann stattgegeben werden.
7. Erstattung der Beschwerdegebühr
7.1 Da der vorliegenden Beschwerde stattzugeben ist, entspricht es der Billigkeit, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Artikel 24(4) Satz 3 VEP anzuordnen.
7.2 Da der Beschwerdeführer alle Anträge zurückgenommen hat, mit denen er keinen Erfolg gehabt hätte, kann die Rückzahlung der Beschwerdegebühr auch in vollem Umfang angeordnet werden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur erneuten Entscheidung an die Prüfungskommission zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.