D 0004/86 (Europäische Eignungsprüfung) 08-06-1987
Europäische Eignungsprüfung
Zulassungsbedingungen
Praktikum ausserhalb eines Beschäftigungsverhältnisses
Ermessensfreiheit der Prüfungskommission bei der Beurteilung des Praktikums
I. Der Beschwerdeführer hat sich am 8. November 1985 zur siebten europäischen Eignungsprüfung für die beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter angemeldet.
II. Zum Nachweis für die Erklärung, daß er vier Jahre lang auf Teilzeitbasis und fünf Jahre lang auf Vollzeitbasis unter der Leitung eines zugelassenen Vertreters im Sinne des Artikels 7 (1) b) VEP in Frankreich tätig gewesen ist, und zur Begründung seines Antrags auf Verringerung der Beschäftigungszeit im Sinne des Artikels 8 (2) VEP hat der Beschwerdeführer folgende Unterlagen vorgelegt:
a) eine Bescheinigung des zugelassenen Vertreters vom 4. November 1985
b) eine Anlage, in der dieser ausführt, daß die Tätigkeit des Beschwerdeführers auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes am 1. Oktober 1976 begonnen und sich auf vier Zeitabschnitte verteilt hat (1976 - 1978, 1979 - 1980, 1981 - 1982, 1982 - 1985). In dieser Anlage gibt der Vertreter im einzelnen an, welche nationalen und europäischen Anmeldungen der Beschwerdeführer im Laufe seiner Ausbildung bearbeitet hat (von 1979 bis 1983 134 französische und 45 europäische Anmeldungen).
c) eine Bescheinigung des Centre d'études internationales de la propriété industrielle in Straßburg vom 29. Juli 1985, aus der hervorgeht, daß der Beschwerdeführer die Prüfungen für das internationale Diplom für gewerblichen Rechtsschutz erfolgreich abgelegt hat.
III. Nach der Bescheinigung, die der zugelassene Vertreter, unter dessen Leitung der Beschwerdeführer gearbeitet hatte, am 4. November 1985 ausgestellt hat, war dieser nicht auf Vollzeitbasis angestellt, obwohl er unter seiner Leitung und Aufsicht eine beträchtliche Zahl von Patentanmeldungen bearbeitet hat.
IV. Die Prüfungskommission hat den Beschwerdeführer mit Entscheidung vom 4. März 1986 mit der Begründung nicht zur Prüfung zugelassen, er habe nicht nachgewiesen, daß er die Bedingungen des Artikels 7 (1) b) i) VEP erfülle.
V. Die Prüfungskommission vertritt die Auffassung, daß die Geschäftsbeziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem zugelassenen Vertreter kein unter dessen Leitung und als dessen Assistent absolviertes Praktikum im Sinne des Artikels 7 (1) b) i) VEP darstelle. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 11. Juli 1980 in der Sache D 01/79 (ABl. EPA 1980, 298 ff.) stellte sie fest, daß die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem zugelassenen Vertreter eher beratender Natur gewesen sei und der Beschwerdeführer nicht der Leitung des Vertreters unterstanden habe.
VI. Die Kommission hat ferner darauf hingewiesen, daß eine Leitung im Sinne des Artikels 7 (1) b) i) VEP die unmittelbare tägliche Beaufsichtigung der Arbeit des Bewerbers einschließe und daß die Entfernung zwischen dem Arbeitsort des Beschwerdeführers (Annecy) und dem des zugelassenen Vertreters (Paris) eine Überwachung der in Artikel 7 VEP geforderten Art ausschließe.
VII. Der Beschwerdeführer hat gegen die Entscheidung der Prüfungskommission mit Schreiben vom 6. Mai 1986 Beschwerde eingelegt und diese wie folgt begründet:
1. Die Kommission sei von falschen Voraussetzungen ausgegangen, als sie die Zulassung verweigerte; tatsächlich sei nämlich jede dem Beschwerdeführer übertragene Akte vom zugelassenen Vertreter kontrolliert worden.
2. Die Bezugnahme auf die Entscheidung D 01/79 sei irreführend, weil die von der Prüfungskommission aufgeworfene Frage der Entfernung zwischen dem Arbeitsort des Beschwerdeführers und dem des zugelassenen Vertreters in den Entscheidungsgründen nicht in Betracht gezogen worden sei.
In seiner Begründung hat der Beschwerdeführer ausgeführt, daß die europäischen Patentanmeldungen in der Zeit von 1982 bis 1985 mit einer einzigen Ausnahme vom Vertreter kontrolliert worden seien und daß dieser auch alle Akten zu den vom Beschwerdeführer bearbeiteten und vom Vertreter unterzeichneten französischen Patentanmeldungen kontrolliert habe.
Dieser Sachverhalt sei bei der Anmeldung zur Prüfung nicht belegt worden und habe deshalb von der Prüfungskommission auch nicht berücksichtigt werden können.
VIII. Der zugelassene Vertreter hat mit Schreiben vom 21. Januar 1987 seine Zusammenarbeit mit dem Beschwerdeführer und insbesondere die Kontrolle, die er über dessen Tätigkeit ausgeübt hat, allgemein erläutert und darauf hingewiesen, daß er während der Ausbildung des Beschwerdeführers mit diesem in regem Kontakt gestanden habe. Er habe ferner die Arbeit des Beschwerdeführers kontrolliert und dabei die Entwürfe zu französischen und ausländischen Patentanmeldungen, die dieser ihm vorgelegt habe, überprüft und korrigiert.
1. Die Beschwerde entspricht Artikel 23 (2) VEP und ist somit zulässig.
2. Gemäß Artikel 7 (1) b) i) VEP können sich zur europäischen Eignungsprüfung Bewerber melden, die nachweisen können, daß sie zum Zeitpunkt der Prüfung in einem der Vertragsstaaten ein mindestens vierjähriges Praktikum auf Vollzeitbasis unter der Leitung einer oder mehrerer Personen, die in der Liste der zugelassenen Vertreter eingetragen sind, absolviert haben und daß sie während dieser Zeit als Assistent dieser Personen an einer Vielzahl von Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit europäischen Patentanmeldungen und Patenten anfallen, beteiligt waren.
3. Artikel 16 (2) VEP schreibt vor, daß einer Anmeldung zur europäischen Eignungsprüfung von einem zugelassenen Vertreter oder dem Arbeitgeber ausgestellte Bescheinigungen über Art und Umfang der von dem Bewerber unter ihrer Leitung ausgeübten Tätigkeit gemäß Artikel 7 (1) b) VEP beigefügt werden müssen.
4. Die Prüfungskommission hat die Auffassung vertreten, es gehöre zu der in Artikel 7 (1) b) i) VEP genannten Leitung, daß der zugelassene Vertreter den Bewerber im persönlichen Kontakt bei seiner täglichen Arbeit berate, anleite und unterstütze und damit unmittelbar beaufsichtige.
Der genannte Artikel sieht als Bedingung für die Zulassung zur europäischen Eignungsprüfung vor, daß der Bewerber ein mindestens vierjähriges Praktikum auf Vollzeitbasis (full time, à temps complet) unter der Leitung (under the supervision, sous la direction) eines zugelassenen Vertreters absolviert hat. Artikel 7 (1) b) i) VEP sieht außerdem vor, daß der Bewerber während dieser Zeit als Assistent eines Vertreters an einer Vielzahl von Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit europäischen Patentanmeldungen und Patenten anfallen, beteiligt war. Artikel 7 (1) b) ii) VEP schreibt als Alternativbedingung für die Zulassung zur europäischen Eignungsprüfung vor, daß der Bewerber mindestens vier Jahre lang auf Vollzeitbasis als Angestellter einer natürlichen oder juristischen Person beschäftigt war und für seinen Arbeitgeber vor dem Europäischen Patentamt gehandelt hat. Artikel 7 (1) b) iii) VEP sieht als weitere alternative Zulassungsbedingung vor, daß der Bewerber mindesten vier Jahre lang auf Vollzeitbasis als Assistent unter der unmittelbaren Aufsicht einer oder mehrer Personen im Sinne des Artikel 7 (1) b) ii) VEP gearbeitet hat.
5. Die Prüfungskommission hält es für ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer seine gesamte berufliche Tätigkeit in dem Zeitraum, in dem sein Praktikum stattgefunden hat, unter der Leitung eines zugelassenen Vertreters im Sinne des Artikels 7 (1) b) VEP ausgeübt hat.
Die Kammer stellt fest, daß die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem Vertreter, den er für das Praktikum gewählt hatte, dadurch gekennzeichnet war, daß er sich beruflich im wesentlichen seinen eigenen Mandanten widmete. Da er nicht die Qualifikation eines zugelassenen Vertreters besaß, brauchte er zweifellos jemanden mit dieser Qualifikation, um sich für diese Art der Tätigkeit formal abzusichern. Der Beschwerdeführer hätte jedoch - wie in dem der Entscheidung D 01/79 zugrunde liegenden Fall (s. Entscheidung der Beschwerdekammer in Disziplinar angelegenheiten, ABl. EPA 1980, 298 ff.) - dem Vertreter im Falle einer Meinungsverschiedenheit die Patentverfahren jederzeit wieder entziehen können, mit denen er ihn betraut hatte. Somit lag die endgültige Entscheidung in Wirklichkeit immer beim Beschwerdeführer.
Diese Sachlage erfüllt jedoch nicht die Bedingungen nach Artikel 7 (1) b) VEP. Der Bewerber unterstand nämlich in Wirklichkeit nicht der "Leitung" des betreffenden Vertreters; auch ist nicht ersichtlich, daß er als sein Assistent tätig war, wie es Artikel 7 (1) b) VEP für den Fall vorschreibt, daß der Praktikant nicht beim Vertreter angestellt ist.
Ein Praktikant, der nicht im Anstellungsverhältnis steht, muß - so lautet die Bedingung - den Vertreter während der gesamten Dauer des Praktikums als Assistent auf Vollzeitbasis bei dessen Tätigkeit im Zusammenhang mit europäischen Patentanmeldungen unterstützt haben und an dessen eigener Arbeit für die dieser in Wirklichkeit verantwortlich war, beteiligt gewesen sein. Diese Bedingung ist jedoch im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da der Beschwerdeführer in dem Zeitraum, in dem sein "Praktikum" stattgefunden hat, auf dem Gebiet des Patentwesens ausschließlich für seine eigenen Mandanten gearbeitet hat. Den zugelassenen Vertreter benötigte er nur, um den eigenen Qualifikationsmangel auszugleichen; die Überprüfung seiner Arbeit durch diesen Vertreter war demnach eine reine Formsache. Außerdem ist festzustellen, daß der Bewerber in Annecy, der Vertreter hingegen in Paris wohnte; sie waren also mehr als 500 km voneinander entfernt; unter diesen Umständen können keine täglichen Kontakte stattgefunden haben, wie in den Aktenunterlagen behauptet wird. Abgesehen davon, daß die Zusammenarbeit zwischen den beiden Personen die obengenannten Bedingungen nicht erfüllt, erscheint es also auch zweifelhaft, ob sie auf der in Artikel 7 (1) b) VEP geforderten "Vollzeitbasis" erfolgt ist.
Die Bedingungen des Artikels 7 (1) b) i) und iii) VEP sind somit nicht erfüllt.
Die Kammer will damit nicht ausschließen, daß die Zusammen arbeit zwischen dem Beschwerdeführer und dem von ihm gewählten Vertreter für ersteren lehrreich gewesen ist. Sie will nur ausschließen, daß die Prüfungskommission über die Qualität des Praktikums nach freiem Ermessen befinden darf und die Zulassungsbedingungen zur europäischen Eignungsprüfung für die beim EPA zugelassenen Vertreter in einer Weise ausgelegt werden, die gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und Gleichbehandlung verstößt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Aus den genannten Gründen wird die Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungskommission vom 4. März 1986 zurückgewiesen.