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T 1109/05 10-04-2008
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Leitsystem für ein Walzwerk, insbesondere für eine Walzstraße
ABB Patent GmbH
SMS Demag AG
ALSTOM Power Conversion GmbH
I. Mit der am 7. Juli 2005 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde das Europäische Patent Nr. 1 165 263 widerrufen.
II. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) mit Schreiben vom 15. August 2005, eingegangen beim Europäischen Patentamt am 17. August 2005, Beschwerde ein und entrichtete gleichzeitig die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung ging am 24. Oktober 2005 ein.
III. Mit der Beschwerdebegründung wurden geänderte Anspruchssätze gemäß einem Hauptantrag und einem ersten und zweiten Hilfsantrag vorgelegt.
IV. In einer Mitteilung im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführerin die vorläufige Auffassung der Beschwerdekammer mitgeteilt, wonach keiner der drei Anträge gewährbar zu sein schien. Unter anderem verstießen die am Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen gegen Artikel 123 (2) EPÜ.
V. In der mündlichen Verhandlung am 10. April 2008 vor der Beschwerdekammer legte die Beschwerdeführerin weitere geänderte Anspruchssätze gemäß einem Haupt- und zwei Hilfsanträgen vor.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 oder 2 vom 10. April 2008.
VII. Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende I, II, III), von denen nur die Einsprechenden I und III zur mündlichen Verhandlung erschienen waren, beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.
VIII. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Leitsystem für ein Walzwerk, insbesondere eine Walzstraße, wobei das Walzwerk, insbesondere die Walzstraße, zumindest ein mittels eines Antriebssystems angetriebenes Walzgerüst aufweist, und wobei des Leitsystem ein Automatisierungsgerät (5,6) zum Steuern und/oder Regeln des Walzgerüstes und einen Inbetriebsetzungsrechner (1) aufweist,
- wobei der Inbetriebsetzungsrechner (1) zur Inbetriebnahme des Antriebssystems und des Automatisierungsgerätes (5,6) ausgebildet ist,
- wobei das Leitsystem zumindest ein Bussystem (8, 9, 23, 24) zur Übertragung von Betriebsparametern und/oder Programmcode von dem Inbetriebsetzungsrechner (1) zu zumindest einer der Komponenten Antriebssystem und Automatisierungsgerät (5,6) aufweist,
- wobei das Bussystem (8,9,23,24) zur Übertragung von zum Betrieb des Walzwerks, insbesondere der Walzstraße, notwendigen Informationen zwischen dem Antriebssystem und Automatisierungsgerät (5,6) ausgebildet ist.[sic!]
a) wobei das Leitsystem einen Bedienrechner (2 bis 4) zur Überwachung und/oder Beeinflussung des Walzwerks sowie ein erstes und ein zweites Bussystem (8, 9; 23, 24) aufweist,
b) wobei der Inbetriebsetzungsrechner (1) zur Inbetriebnahme auch des Bedienrechners (2 bis 4) ausgebildet ist,
c) wobei der Inbetriebsetzungsrechner (1), der Bedienrechner (2 bis 4) und das Automatisierungsgerät (5, 6) über das erste Bussystem (8, 9) datentechnisch miteinander verbunden sind,
d) wobei das Automatisierungsgerät (5, 6) und das Antriebssystem über das zweite Bussystem (23, 24) datentechnisch miteinander verbunden sind,
e) wobei das Leitsystem derart ausgebildet ist, dass zur Inbetriebsetzung des Automatisierungsgeräts (5, 6) Betriebsparameter und/oder Programmcode über das erste Bussystem (8, 9) vom Inbetriebsetzungsrechner (1) zum Automatisierungsgerät (5, 6) übertragen werden,
f) wobei das Leitsystem derart ausgebildet ist, dass Betriebsparameter und Programmcode über das zweite Bussystem (23, 24) vom Automatisierungsgerät (5, 6) zum Antriebssystem übertragen werden,
g) wobei das Leitsystem derart ausgebildet ist, dass zum Betrieb des Walzwerks erforderliche Informationen über das erste Bussystem (8, 9) zwischen dem Bedienrechner (2 bis 4) und dem Automatisierungsgerät (5, 6) übertragen werden,
h) wobei das Leitsystem derart ausgebildet ist, dass zum Betrieb des Walzwerks erforderliche Informationen über das zweite Bussystem (23, 24) zwischen dem Automatisierungsgerät (5, 6) und dem Antriebssystem übertragen werden,
i) wobei das Leitsystem derart ausgebildet ist, dass zur Inbetriebnahme des Bedienrechners (2 bis 4) Betriebsparameter und/oder Programmcode vom Inbetriebsetzungsrechner (1) zum Bedienrechner (2 bis 4) übertragen werden."
IX. Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 enthält die gleichen Merkmale wie Anspruch 1 des Hauptantrags, ergänzt um weitere, der Beschreibung entnommene Merkmale des Leitsystems.
X. Die Argumente der Beschwerdeführerin, soweit sie für die zu treffende Entscheidung erheblich sind, können wie folgt zusammengefasst werden:
Grundlage für die Änderungen am Anspruch 1 des Hauptantrags seien die erteilten Ansprüche 1 bis 7, sowie die Figur und die dazugehörigen Passagen der Beschreibung des Patents. Das Merkmal i) beruhe insbesondere auf dem erteilten Anspruch 3. Obwohl das Merkmal i) kein Bussystem erwähne, sei ein solches zuvor im Anspruch definiert. Damit werde impliziert, dass die im Merkmal i) definierte Datenübertragung über das zuvor, speziell im Merkmal c), angegebene Bussystem erfolge.
XI. Die Argumente der Beschwerdegegnerinnen, soweit sie für die zu treffende Entscheidung erheblich sind, können wie folgt zusammengefasst werden:
Gemäß erteiltem Anspruch 3 sei das Bussystem zur Übertragung von Betriebsparametern und/oder Programmcode vom Inbetriebsetzungsrechner zum Bedienrechner ausgebildet. Merkmal i) des geänderten Anspruchs 1 sei dagegen nicht mehr auf die Übertragung mittels des Bussystems eingeschränkt. Daraus ergebe sich, dass zumindest das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfüllt sei.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Nach Artikel 13(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.
Die Änderungen erfolgten während der mündlichen Verhandlung, also zu einem extrem späten Zeitpunkt. Aus Gründen der Verfahrensökonomie können Änderungen in einem so späten Verfahrensstadium ausnahmsweise dann zugelassen werden, wenn stichhaltige Gründe für die Zulassung sprechen, zum Beispiel wenn sie als Reaktion auf Einwände der Kammer oder der Einsprechenden erfolgen, der Diskussionsrahmen durch sie nicht ausgedehnt wird und sie eindeutig gewährbar sind (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 5. Auflage 2006, VII.D.14.2). Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten geänderten Haupt- und Hilfsanträge wurden zwar in Erwiderung auf vorgetragene Einwände der Einsprechenden und der Beschwerdekammer vorgelegt. Sie sind aber, wie im folgenden dargelegt wird, nicht eindeutig gewährbar, weil sie zumindest gegen das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ verstoßen.
3. Anspruch 1 des Hauptantrags beruht auf dem erteilten Anspruch 1, der durch die Merkmale a) bis i) ergänzt wurde (vgl. Punkt VIII).
Als Grundlage für das hinzugefügte Merkmal i) hat die Beschwerdeführerin den erteilten Anspruch 3 genannt. Dieser Anspruch lautet:
"Leitsystem nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß das Bussystem (8, 9, 23, 24) zur Übertragung von Betriebsparametern und/oder Programmcode von dem Inbetriebsetzungsrechner zum Bedienrechner ausgebildet ist."
Er geht zurück auf den ursprünglichen Anspruch 3 welcher lautet:
"Leitsystem nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß es zumindest ein Bussystem zur Übertragung von Betriebsparametern und/oder Programmcode von dem Inbetriebsetzungsrechner zu zumindest einer der Komponenten Antriebssystem, Automatisierungsgerät und Bedienrechner aufweist"
Der erteilte wie auch der ursprüngliche Anspruch 2 definieren im wesentlichen den Bedienrechner als zusätzliches Merkmal des Leitsystems und dass der Inbetriebsetzungsrechner zur Inbetriebnahme des Bedienrechners ausgebildet ist. Ein Bussystem erwähnen diese Ansprüche nicht.
Die Übertragung von Daten vom Inbetriebsetzungsrechner zum Bedienrechner geschieht also mittels des im erteilten Anspruch 1 genannten Bussystems (8, 9, 23, 24), bzw. mittels des im ursprünglichen Anspruch 3 genannten. Im geänderten Anspruch 1 weist das Merkmal i) diese Einschränkung nicht mehr auf. Das funktionelle Merkmal der Übertragung von Betriebsparametern und/oder Programmcode vom Inbetriebsetzungsrechner zum Bedienrechner, welches das Leitsystem einschränken soll ("wobei das Leitsystem derart ausgebildet ist..."), ist nicht mehr auf das Bussystem bezogen. Es schließt daher prinzipiell auch die Übertragung über andere Mittel, wie zum Beispiel über eine direkte Verbindung beider Rechner, über WLAN oder andere als die im Patent erwähnten Bussysteme ein. Für andere Übertragungsmittel zwischen Bedienrechner und Inbetriebsetzungsrechner als das offenbarte Bussystem, welches gemäß dem einzigen Ausführungsbeispiel nur Industrial- und Standard-Ethernet-Busse umfasst, gibt es im erteilten Patent und in den ursprünglichen Unterlagen keine Offenbarung. Der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 des Hauptantrags geht folglich über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123 (2) EPÜ).
4. Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass Anspruch 1 gemäß Merkmal c) ein erstes Bussystem definiere, das den Inbetriebsetzungsrechner und den Bedienrechner datentechnisch miteinander verbinde. Somit sei für den Fachmann klar, dass dieses erste Bussystem auch zur im Merkmal i) angegebenen Übertragung von Betriebsparametern und/oder Programmcode verwendet wird. Die Beschwerdekammer kann der Argumentation der Beschwerdeführerin zwar insoweit folgen, als die Übertragung über das erste Bussystem eine Möglichkeit darstellt, die der Fachmann sicher nicht ausschließt. Wie bereits oben ausgeführt ist Merkmal i) aber nicht eingeschränkt auf die Übertragung über das erste Bussystem oder, wie im erteilten Anspruch 3 allgemein formuliert, über das Bussystems (8, 9, 23, 24).
5. Da der geänderte Anspruch 1 des Hauptantrags zumindest das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllt und somit nicht eindeutig gewährbar ist, wird dieser verspätet vorgelegte Antrag nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 13 (1) VOBK).
6. Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 enthält die gleichen Änderungen wie Anspruch 1 des Hauptantrags. Die darüber hinaus hinzugefügten Merkmale stehen mit dem Merkmal i) nicht in funktionellem Zusammenhang und können daher am oben dargestellten Sachverhalt nichts ändern. Folglich werden die verspätet vorgelegten Hilfsanträge 1 und 2 ebenfalls nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 13 (1) VOBK).
7. Da keine gewährbare Fassung der Patentansprüche vorliegt, kann das Patent nicht aufrecht erhalten werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.