T 0221/13 28-09-2018
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Gasgekühlte elektrische Maschine mit einem Axialventilator
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Neuer Einwand basierend auf im Einspruchverfahren eingereichten Dokumenten
Erfinderische Tätigkeit - Neue Tatsachen und Beweismittel
Verspätetes Vorbringen - Rechtfertigung der Verspätung (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Patent EP 1 006 644 (im Folgenden Streitpatent) zurückzuweisen. Die angegebenen Gründe hierfür waren unter anderem, dass die Maschine gemäß erteiltem Anspruch 1 neu gegenüber Dokument E1 sei und ausgehend von Dokument E2 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
II. Die folgenden Dokumenten des Standes der Technik sind für diese Entscheidung relevant:
E1: US 4,246,503
E2: DE 196 45 272 A1
E8: DE 44 16 299 A1
E10: US 4,208,599.
III. Am 28. September 2018 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat zuletzt beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat zuletzt beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
VI. Der Wortlaut des erteilten unabhängigen Anspruchs 1 lautet wie folgt:
"Gasgekühlte elektrische Maschine mit einem Axialventilator (12) und einem abströmseitig des Axialventilators (12) angeordneten Nachleitapparat zur Druckerhöhung eines Kühlgases, wobei das Kühlgas mittels Axialventilator (12) aus einem stromaufwärts zum Axialventilator (12) angeordneten Anströmraum (41), welcher durch eine Innenverschalung (21) und eine in der radialen Ebene des Axialventilators (12) angeordneten Trennwand (20) begrenzt ist, in einen stromabwärts zum Axialventilator (12) angeordneten Ausströmraum (42), welcher durch die Trennwand (20) und eine Aussenverschalung (37) begrenzt wird, forciert treibbar ist
dadurch gekennzeichnet,
dass der Anströmraum (41) als Diffusor zur Umlenkung einer Kühlgasströmung (39) von einer im wesentlichen radialen in eine im wesentlichen axiale Strömungsrichtung und der Nachleitapparat als Umlenkdiffusor (36) zur Umlenkung der Kühlgasströmung (39) von einer im wesentlichen axialen in eine im wesentlichen radiale Strömungsrichtung ausgebildet ist."
VII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin waren im Wesentlichen wie folgt:
Keines der Beispiele falle unter den Wortlaut von Anspruch 1. Daher sei dessen Gegenstand nicht so vollständig und deutlich offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Insbesondere sei die Anordnung von zwei hintereinander angeordneten Umlenkdiffusoren nicht ausreichend offenbart.
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei nicht neu gegenüber der aus Dokument E1 bekannten Maschine.
Der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E1 sei noch nicht im Einspruchsverfahren vorgetragen worden, weil die Beschwerdeführerin davon ausgegangen sei, dass das damalige Vorbringen ausreichend gewesen sei, um das Streitpatent zu widerrufen. Die herangezogenen Dokumente seien ohnehin allesamt schon im Verfahren gewesen. Außerdem sei es strittig gewesen, ob das Merkmal des Nachleitapparats als Umlenkdiffusor in E1 offenbart sei. Da die Kammer dies anders als die Einspruchsabteilung bewerte, sei das erstmalige Vorbringen mit der Beschwerdebegründung gerechtfertigt und daher im Beschwerdeverfahren zuzulassen.
VIII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin waren im Wesentlichen wie folgt:
Die erst mit der Beschwerdebegründung erhobenen Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von Dokument E1 als nächstliegendem Stand der Technik sei prima facie nicht relevant und wegen Verspätung nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Im Übrigen verwies die Beschwerdegegnerin auf die Argumente der Einspruchsabteilung.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Artikel 100 b) EPÜ (Ausreichende Offenbarung)
2.1 Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass keines der angegebenen Ausführungsbeispiele in Figur 1 bis 4 und den Absätzen [0017] bis [0029] unter den erteilten Anspruchswortlaut fällt. Anspruch 1 definiert einen Anströmraum, welcher "als Diffusor [...] ausgebildet" ist. Aus dieser Formulierung folgt, dass der Anströmraum als Ganzes betrachtet wie ein Diffusor wirken muss. Wie bei einem Diffusor, muss also auch am Ausgang eines als Diffusor ausgebildeten Anströmraumes der statische Druck höher als an dessen Eingang sein. Die Ausgestaltung des Anströmraumes ist in allen Beispielen des Streitpatentes zu komplex, um durch Betrachtung lediglich der Figuren auf ein Diffusorverhalten des Anströmraumes als Ganzes schließen zu können. Hierfür wären Messungen des statischen Drucks oder fluiddynamische Simulationen nötig. Es finden sich auch in den Anmeldeunterlagen keine weiteren Passagen, die eine Ausgestaltung des Anströmraumes als Diffusor offenbaren. Qualitative Betrachtungen der Figur 1 scheinen eher den Schluss nahezulegen, dass in Analogie zur Ausbildung des Ausströmraumes als Umlenkdiffusor, der Anströmraum als eine Umlenkdüse ausgebildet ist, denn die Luftströmung fließt radial von außen nach innen und wird durch den deutlich kleineren Radius des Diffusortrichters geführt.
2.2 Allerdings berücksichtigt der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht, dass ein Anspruchsgegenstand nicht allein schon deshalb nicht ausführbar ist, weil keine detaillierten Beispiele angegeben sind. Der Anspruchsgegenstand kann viel mehr auch dann ausreichend offenbart sein, wenn kein detailliertes Ausführungsbeispiel angegeben ist, sofern er für den Fachmann aufgrund seiner Fachkenntnis ohne unzumutbaren Aufwand ausgeführt werden kann (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Auflage 2016, II.C.4.3).
2.3 Dies ist nach Auffassung der Kammer hier der Fall: Dem Fachmann sind aufgrund seines Fachwissens Formgebungen bekannt, die bekanntermaßen als Umlenk-Diffusor wirken. Es wird darauf hingewiesen, dass es hierzu nicht im Widerspruch steht, dass der Fachmann nicht durch qualitative Betrachtung beliebiger vorgegebener Anström- oder Ausströmräume zuverlässig auf deren Diffusor-Verhalten schließen kann. Der Fachmann könnte vielmehr unter Verwendung bekannter Umlenk-Diffusoren einen Anströmraum gemäß Anspruch 1 ausbilden, auch wenn hierzu keine detaillierten Beispiele angegeben sind. Wenn dem Fachmann aber bekannt ist, wie ein Umlenkdiffusor auszugestalten ist, kann die Kammer auch nicht erkennen, dass zwei hintereinandergestaltete Umlenkdiffusoren wie beansprucht nicht ausführbar wären.
2.4 Daher steht der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents nicht entgegen.
3. Artikel 100 a) mit Artikel 54 (2) EPÜ (Neuheit)
3.1 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist neu gegenüber Dokument E1, denn E1 offenbart nicht, dass
(i) der Anströmraum als ein Diffusor ausgebildet ist und
(ii) die Trennwand in der radialen Ebene des Axialventilators angeordnet ist.
3.2 Der erste Unterschied folgt aus den folgenden Gründen:
Wie oben unter Punkt 2.1 dargelegt, muss der Anströmraum als Ganzes wie ein Diffusor wirken. In der Beschreibung des Dokuments E1 wird weder explizit erwähnt, dass der Anströmraum (21, 22) als Diffusor ausgebildet ist, noch, dass der statische Druck am Ausgang des Anströmraumes höher als am Eingang ist. Die dargestellte Form des in der Figur 1 dargestellten Anströmraumes (21, 22) ist zu komplex als dass man durch die reine Betrachtung dieser Figur zumindest qualitativ auf eine statische Druckerhöhung an dessen Ausgang schließen könnte. Gerade hinter der Engstelle im Bereich des Überganges von "path 21" zur "inlet region 22" wird die Strömung vermutlich nicht laminar und die Druckverhältnisse damit nicht qualitativ ohne Weiteres bewertbar sein. Betrachtungen, die darauf abstellen, dass sich an irgendwelchen lokal heraus-gegriffenen Stellen im Anströmraum der Querschnitt erweitert, sind nach Auffassung der Kammer ungeeignet darzulegen, warum der Anströmraum als Diffusor ausgebildet ist.
Der in Figur 1 dargestellte Anströmraum lenkt für die Kammer allerdings zweifelsfrei den Kühlgasstrom von einer radialen in eine axiale Richtung. Insgesamt ist ein als Diffusor ausgebildeter Anströmraum aber nicht offenbart.
3.3 Der zweite Unterschied folgt unmittelbar aus Figur 1 des Dokumentes E1, in der man erkennt, dass die Trennwand (19) gegenüber der Ebene des Axialventilators (15) weiter rechts liegt.
4. Artikel 114 (2) EPÜ und Artikel 12 (4) VOBK - Verspätetes Vorbringen
4.1 Die Beschwerdeführerin hat erstmals in der Beschwerdebegründung vorgebracht, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ausgehend von E1 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit E8 oder E10 nicht erfinderisch sei. Im Einspruchsverfahren beschränkte sich ihr Vorbringen hingegen darauf, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neu gegenüber der aus Dokument E1 bekannten Maschine sei und dass ausgehend von Dokument E2 als nächstliegendem Stand der Technik keine erfinderische Tätigkeit vorliege.
Für das Naheliegen des mit Patentanspruch 1 beanspruchten Gegenstands hat die Beschwerdeführerin die Dokumente E8 und E10 im Einspruchsverfahren indes nicht als Beweismittel benannt und auch die zugehörigen Tatsachen nicht vorgetragen und zwar weder ausgehend von E2 noch ausgehend von E1.
4.2 Vorbringen der Beschwerdeführerin im Hinblick auf das Dokument E10 findet sich im Einspruchsverfahren lediglich in Zusammenhang mit ihrem Angriff gegen die erteilten Patentansprüche 2 bis 8 dahingehend, dass E2 der nächstliegende Stand der Technik sei und dass E10 Figur 1 "verschiedenste Ausführungen von Diffusoren und deren Einsatz in elektrischen Maschinen" zeige. Demgegenüber trägt die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung vor, dass E1 nächstliegender Stand der Technik sei und im Zusammenhang mit der Figur 1 in E10 den mit Patentanspruch 1 beanspruchten Gegenstand nahelege, weil in E10 "ein Diffusor offenbart wird, wobei der Diffusor eine Umlenkung des Kühlgases von einer im Wesentlichen radialen Strömungsrichtung in eine im Wesentlichen axiale Strömungsrichtung bewirkt". Dieses Vorbringen beinhaltet daher neue Tatsachen und verknüpft diese erstmals mit dem insoweit neuen Beweismittel E10.
Gleiches gilt für das Vorbringen in der Beschwerdebegründung in Zusammenhang mit dem Dokument E8, zu dem die Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren lediglich vorgetragen hat, dass es in Spalte 1, Zeile 50 ff die in Anspruch 9 des erteilten Patents beanspruchten Leitschaufeln zeige. Die Behauptung in der Beschwerdebegründung, dass E1 in Kombination mit E8 den beanspruchten Gegenstand nahelege, weil E8 "einen stromaufwärts des Ventilators befindlichen Umlenkdiffusor aufweist, wobei der Diffusor eine Umlenkung des Kühlgases von einer radialen Strömungsrichtung in eine im Wesentlichen axiale Strömungsrichtung bewirkt (siehe Figur 1 der E8)" beinhaltet damit neue Tatsachen und verknüpft diese erstmals mit dem insoweit neuen Beweismittel E8.
4.3 Allein der Umstand, dass zu einem Dokument bereits im Einspruchsverfahren vorgetragen und bestimmte Textstellen oder Figuren daraus als Beweismittel für bestimmten Tatsachenvortrag genannt wurden, schließt es nicht aus, dass neue auf dieses Dokument gestützte Tatsachen und die Benennung des Dokuments bzw. bestimmter Dokumentstellen als Beweismittel für diese neuen Tatsachen im Beschwerdeverfahren nicht zugelassen werden. Nach Artikel 114 (2) EPÜ und Artikel 12 (4) VOBK kommt es nämlich nicht darauf an, ob ein Dokument verspätet eingereicht wird, sondern maßgeblich ist, ob ein Beweismittel oder eine Tatsache verspätet vorgebracht wird. Ein Dokument wird nicht durch die bloße Benennung im Verfahren bzw. durch seine Einreichung zum Beweismittel an sich. Vielmehr ist es notwendig, konkret anzugeben, welche Tatsache durch welchen konkreten Inhalt des Dokuments belegt werden soll. Ein Beteiligter kann sich dementsprechend nicht darauf beschränken, ein Konvolut von Dokumenten vorzulegen ohne substantiiert vorzutragen, welche Tatsachen durch welche konkreten Passagen oder Figuren der jeweiligen Dokumente belegt werden sollen.
4.4 Da die Beschwerdeführerin die Dokumente E8 und E10 erstmals im Beschwerdeverfahren als Beleg für das Naheliegen des mit dem erteilten Patentanspruch 1 beanspruchten Gegenstands benannt hat, handelt es sich vorliegend folglich um neue Tatsachen, die auf insoweit neue Beweismittel gestützt werden.
4.5 Die Kammer übt daher ihr Ermessen gemäß Artikel 114 (2) EPÜ und Artikel 12 (4) VOBK dahingehend aus, das auf die Dokumente E1 in Kombination mit E8 oder E10 gestützte Vorbringen im Hinblick auf Patentanspruch 1 nicht zuzulassen, weil dieses Vorbringen neue Tatsachen und insoweit neue Beweismittel beinhaltet, die bereits im Einspruchsverfahren hätten vorgebracht werden können. Im Verlauf des Einspruchverfahrens war sowohl aufgrund der Verteidigung des Patentinhabers als auch aufgrund der vorläufigen Einschätzung der Einspruchsabteilung im Ladungszusatz ohne weiteres erkennbar, dass eine Entscheidung dahingehend, dass der Gegenstand nach Anspruch 1 des erteilten Patents ausgehend von E2 als dem nächstliegenden Stand der Technik nicht nahegelegt wird, in Betracht kommt. Aufgrund dessen bestand schon im Einspruchsverfahren - und damit nicht erst aufgrund der im Ladungszusatz mitgeteilten vorläufigen Rechtsauffassung der Kammer - hinreichende Veranlassung, alternative Tatsachen und zugehörige Beweismittel vorzubringen, um einen Widerruf des Patents auf der Grundlage von Artikel 56 EPÜ zu erwirken.
5. Weitere Gründe, warum die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben sei, wurden nicht vorgetragen. Dem Antrag der Beschwerdegegnerin, die Beschwerde zurückzuweisen, war damit stattzugeben.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.