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T 0827/14 (Mehrfachpromotoren/BASF) 22-03-2019
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Mehrfachpromotoren und deren Verwendung zur Genexpression
Neuheit des Hauptantrags
Neuheit - (nein)
Hilfsanträge 2 und 3 - zugelassen (nein)
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (nachfolgend "Beschwerdeführerin") richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent mit der Nummer 1 908 841 zu widerrufen. Dieses Patent beruht auf der Europäischen Anmeldung mit der Nummer 07 123 772.1, veröffentlicht als EP 1 908 841 A1 (nachfolgend "die Patenanmeldung") und trägt den Titel "Mehrfachpromotoren und deren Verwendung zur Genexpression".
II. Gegen das erteilte Patent war gestützt auf Artikel 100(a) in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ Einspruch eingelegt worden.
III. Die Einspruchsabteilung kam in der angefochtenen Entscheidung zum Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des erteilten Patents (Hauptantrag) nicht neu gegenüber der Offenbarung von Entgegenhaltung D1 ist (Artikel 54 EPÜ), und dass der geänderte Wortlaut von Anspruch 1 aus Hilfsantrag 2 (der in der Rangfolge der behandelten Anspruchssätze erste substantielle Hilfsantrag) nicht klar ist (Artikel 84 EPÜ). Darüber hinaus ließ die Einspruchsabteilung den von der Patentinhaberin während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 3 mangels Erfüllung der Voraussetzungen von Regel 116(1) EPÜ nicht ins Einspruchsverfahren zu.
IV. Die Beschwerdeführerin reichte mit ihrer Beschwerdebegründung geänderte Hilfsanträge 2 und 3 ein. Die Beschwerdegegnerin sprach sich gegen deren Zulassung aus.
V. In einer Mitteilung informierte die Kammer die Parteien, dass das Patent während des laufenden Beschwerdeverfahrens in allen Vertragsstaaten erloschen ist und fragte, ob das Verfahren gemäß Regel 84(1) EPÜ in Verbindung mit Regel 100(1) EPÜ fortgesetzt werden solle. Die Beschwerdeführerin beantragte, das Verfahren fortzusetzen und eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu erlassen. Von Seiten der Beschwerdegegnerin ging keine Stellungnahme ein.
VI. Anspruch 1 wie erteilt (Hauptantrag) lautet:
"1. Genetisch verändertes coryneformes Bakterium, transformiert mit wenigstens einem Vektor enthaltend wenigstens eine Expressionskassette, wobei die Expressionskassette in 5'-3'-Richtung ein Sequenzmodul der folgenden allgemeinen Formel II umfasst:
5'-P1-(-Ax-Px-)n-Ay-Py-G-3' (II), worin
n für einen ganzzahligen Wert von 0 bis 10 steht,
Ax und Ay gleich oder verschieden sind und für eine chemische Bindung oder eine Linker-Nukleinsäuresequenz stehen;
P1, Px und Py für gleiche oder verschiedene Promotorsequenzen abgeleitet von gleichen oder verschiedenen coryneformen Bakterien kodieren, welche wenigstens einen RNA-Polymerase-bindenden Abschnitt umfassen; und wenigstens Py einen die Ribosomenbindung vermittelnden, 3'-terminalen Sequenzabschnitt umfasst,
G für wenigstens eine kodierende Nukleinsäuresequenz steht, welche mit der 5'-stromaufwärts gelegenen regulatorischen Sequenz funktionell verknüpft ist".
VII. Anspruch 1 von Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal "Genetisch verändertes coryneformes Bakterium" durch "Genetisch verändertes coryneformes Bakterium der Art Corynebacterium glutamicum" ersetzt wurde und das Merkmal "wobei das Gen G in Bezug auf die Expressionseinheit, umfassend in 5'-3'-Richtung ein Sequenzmodul der folgenden allgemeinen Formel I umfasst: 5'-P1-(-Ax-Px-)n-Ay-Py-3' (I) heterolog ist" hinzugefügt wurde.
VIII. Anspruch 1 von Hilfsantrag 3 lautet:
"1. Verfahren zur Herstellung eines genetisch veränderten coryneformen Bakteriums, durch Transformation des Bakteriums mit wenigstens einem Vektor enthaltend wenigstens eine Expressionskassette, wobei die Expressionskassette in 5'-3'-Richtung ein Sequenzmodul der folgenden allgemeinen Formel II umfasst:
5'-P1-(-Ax-Px-)n-Ay-Py-G-3' (II), worin
n für einen ganzzahligen Wert von 0 bis 10 steht,
Ax und Ay gleich oder verschieden sind und für eine chemische Bindung oder eine Linker-Nukleinsäuresequenz stehen;
P1, Px und Py für gleiche oder verschiedene Promotorsequenzen abgeleitet von gleichen oder verschiedenen coryneformen Bakterien kodieren, welche wenigstens einen RNA-Polymerase-bindenden Abschnitt umfassen; und wenigstens Py einen die Ribosomenbindung vermittelnden, 3'-terminalen Sequenzabschnitt umfasst,
G für wenigstens eine kodierende Nukleinsäuresequenz steht, welche mit der 5'-stromaufwärts gelegenen regulatorischen Sequenz funktionell verknüpft ist, wobei das Gen G in Bezug auf die Expressionseinheit, umfassend in 5'-3'-Richtung ein Sequenzmodul der folgenden allgemeinen Formel I umfasst:
5'-P1-(-Ax-Px-)n-Ay-Py-3' (I) heterolog ist".
IX. In dieser Entscheidung wird auf die folgenden Entgegenhaltungen verwiesen:
D1: M.T. Follettie et al., Journal of Bacteriology, 1993, Bd. 175(13), 4096-4103;
D9: H. Ibelgaufts, Gentechnologie von A bis Z, VCH, 1990, 314;
D10: Römpp Lexikon Biotechnology, Thieme, 1992, 467;
D15: Abbildung 1: Ask-asd Operon aus Corynebacterium glutamicum gemäß Dokument D1, eingereicht mit der Beschwerdebegründung.
X. Die für die Entscheidung relevanten schriftlich vorgetragenen Argumente der Beschwerdeführerin können folgendermaßen zusammengefasst werden:
Hauptantrag (Ansprüche wie erteilt)
Neuheit (Artikel 100(a) in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ) - Anspruch 1
Die in Entgegenhaltung D1 offenbarten transformierten Corynebakterien, die Vektoren mit einem natürlich vorkommenden ask-asd Operon enthielten, seien nicht neuheitsschädlich für die genetisch veränderten coryneformen Bakterien gemäß Anspruch 1. Die in dieser Entgegenhaltung beschriebenen Promotoren Pask1 und Pask2 sowie das Gen asd entsprächen den in Anspruch 1 erwähnten Promotoren P1 und Py sowie dem Gen G. Laut Beschreibung des Patents bestehe ein Promotor jedoch aus einer zusammenhängenden Sequenz von 35 bis 500 Nukleotid-Basenpaaren (Bp), die im Genom 5'-stromaufwärts der kodierenden Sequenz für ein Protein lägen. Diese Promotoren enthielten darüber hinaus eine Kernregion, die neben einer -10 Region eine 3'-terminale Ribosomenbindung vermittelnde Sequenzregion enthalte.
Übertrage man diese strukturellen Anforderungen auf die in der Entgegenhaltung D1 erwähnten Promotoren Pask1 und Pask2, so sei festzustellen, dass Pask1 spätestens mit dem Startcodon des ask-Gens ende (siehe Abbildung 1, Entgegenhaltung D15). Damit befänden sich 240 Bp zwischen dem Ende des Pask1 und dem Beginn des Pask2 Promotors. Gemäß Formel II in Anspruch 1 würden die Promotoren P1 und Py durch das Element Ay verbunden. Da das Patent den Begriff "Linker" nicht näher definiere, werde auf Entgegenhaltungen D9 und D10 verwiesen, die Nukleinsäure-Linker als einen kurzen synthetischen DNA-Doppelstrang von z.B. 6 bis 12 Bp Länge definieren (siehe D9). Daher würde der Fachmann eine Nukleinsäure von 240 Bp Länge, wie sie Entgegenhaltung D1 zeige, nicht als Linker definieren, wodurch die in dieser Entgegenhaltung gezeigte Expressionskassette aus Pask1, Pask2 und dem asd-Gen nicht unter den Gegenstand von Anspruch 1 fiele.
Hilfsanträge 2 und 3
Der geänderte Gegenstand von Anspruch 1 der beiden Hilfsanträge 2 und 3 räume den Einwand der mangelnden Klarheit des Begriffs "heterolog" aus.
XI. Die für die Entscheidung relevanten schriftlich vorgetragenen Argumente der Einsprechenden (Beschwerdegegnerin) können folgendermaßen zusammengefasst werden:
Hauptantrag (Ansprüche wie erteilt)
Neuheit (Artikel 100(a) in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ) - Anspruch 1
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber der Offenbarung von Entgegenhaltung D1. Dieses Dokument beschreibe zwei Promotoren (Pask1 und Pask2), die die Expression des asd-Gens kontrollieren. Beide Promotoren seien über eine kovalente Bindung miteinander verknüpft, die je nach Festlegung des 3'-Endes des ersten Promotors und des 5'-Endes des zweiten Promotors über einen Nukleinsäure-Linker verknüpft seien. Die Begriffe Promotor und Linker seien jeweils breit auszulegen. Unter Promotor sei generell ein zusammenhängender Sequenzabschnitt zu verstehen, der zumindest die typischen Regionen, wie -35-Region sowie RNA-Polymerase bindende Abschnitte, umfasse.
Zulassung der Hilfsanträge 2 und 3 ins Beschwerdeverfahren (Artikel 12(4) VOBK)
Hilfsanträge 2 und 3 sollten nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen werden, da die eingeführten Änderungen in (jeweils) Anspruch 1 prima facie nicht dazu geeignet seien, das Problem der fehlenden Klarheit des Begriffs "heterolog" auszuräumen.
XII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Einspruch zurückzuweisen. Alternativ wird beantragt, das Patent auf Grundlage der Hilfsanträge 2 oder 3 aufrechtzuerhalten. Des Weiteren wird eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren beantragt.
XIII. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, sowie die Hilfsanträge 2 und 3 nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen. Auch sie beantragt die Entscheidung im schriftlichen Verfahren.
Hauptantrag (Ansprüche wie erteilt)
Auslegung des Wortlauts von Anspruch 1
1. Zur Prüfung der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Entgegenhaltung D1 ist es erforderlich, zunächst den Wortlaut des Anspruchs 1 auszulegen, um feststellen zu können was, bzw. was nicht, unter den Schutzumfang des Anspruchs fällt.
2. Anspruch 1 ist auf ein genetisch verändertes coryneformes Bakterium gerichtet. Dieses ist mit wenigstens einem Vektor transformiert, der wenigstens eine Expressionskassette enthält, die in 5'-3'-Richtung ein Sequenzmodul mit der Zusammensetzung 5'-P1-(-Ax-Px-)n-Ay-Py-G-3' umfasst.
n steht darin für einen ganzzahligen Wert von 0 bis 10;
Ax und Ay stehen für gleiche oder verschiedene chemische Bindungen oder einen Nukleinsäuresequenz-Linker;
P1, Px und Py stehen für gleiche oder verschiedene Promotorsequenzen abgeleitet von gleichen oder verschiedenen coryneformen Bakterien, welche wenigstens einen RNA-Polymerase-bindenden Abschnitt umfassen, und worin wenigstens Py einen die Ribosomenbindung vermittelnden, 3'-terminalen Sequenzabschnitt enthält;
G steht für wenigstens eine kodierende Nukleinsäuresequenz, d.h. für ein Gen, welches mit der 5'-stromaufwärts gelegenen regulatorischen Sequenz, d.h. den Promotoren, funktionell verknüpft ist.
3. Der Anspruch umfasst somit mehrere Ausführungsformen. Wenn zum Beispiel im obigen Sequenzmodul n = 0 ist, enthält es nur noch die folgenden Bestandteile in 5'-3'- Richtung:
"P1-Ay-Py-G", worin P1, Ay, Py und G durch die oben genannten strukturellen und funktionellen Merkmale definiert sind. Ein solches Modul enthält somit ein Gen, sowie zwei Promotoren, die entweder mit oder ohne Linker miteinander verknüpft sind.
3.1 Der Parameter Ay in Anspruch 1 ist weder durch die Art der chemischen Bindung noch die Art des Nukleinsäure-Linkers definiert.
3.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert auf der Grundlage der Offenbarungen in den Entgegenhaltungen D9 und D10, dass der Fachmann unter einem Nukleinsäure-Linker, einen kurzen synthetisch hergestellten Doppelstrang verstehe.
3.3 Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen, da nach etablierter Rechtsprechung ein technischer Begriff im Anspruch so auszulegen ist, dass ihm die weitestgehende technisch sinnvolle Bedeutung zugemessen wird (siehe Punkt 2.1.3 der Entscheidung
T 79/96 vom 20. Oktober 1998, oder Punkt 3.2. der Entscheidung T 596/96 vom 14. Dezember 1999). Strukturelle Limitierungen, die im Anspruch fehlen und sich nur in der Beschreibung des Patents oder im Stand der Technik wiederfinden, können nicht zur Abgrenzung des beanspruchten Gegenstands gegenüber einer Offenbarung des Stands der Technik dienen, wenn diese, sinnvoll ausgelegt, unter den Anspruch fällt. Es ist weder aus der Entgegenhaltung D9 noch aus D10 zu entnehmen, dass unter einem Linker zwingend ausschließlich ein synthetischer und relativ kurzer DNA Doppelstrang zu verstehen ist. Daher sind beide Entgegenhaltungen im vorliegenden Fall nicht relevant.
3.4 Nach Auffassung der Kammer interpretiert der Fachmann Parameter Ay in Anspruch 1 dahingehend, dass die Promotoren im Sequenzmodul zum einen durch eine chemische Bindung jedweder Art, sei sie kovalent oder nicht, entweder direkt, d.h. ohne Linker, oder indirekt, z.B. über einen Linker jedweder Art miteinander verbunden sind. Wird die Verknüpfung über einen Nukleinsäure-Linker hergestellt, so ist zwar die Art des Linkers definiert, jedoch weder seine Länge noch seine Herkunft (synthetisch oder natürlich) oder die Art der Bindung, mit der der Linker die Promotoren miteinander verknüpft. Im vorliegenden Fall ist ein synthetischer Nukleinsäure-Linker auch nicht von einem natürlichen zu unterscheiden, da sich beide aus identischen Bausteinen (Nukleotiden) zusammensetzen. Entsprechend fallen Nukleinsäure-Linker von beliebiger Länge und Herkunft unter den Anspruch.
4. Des Weiteren sind in Anspruch 1 die Promotoren P1, Px und Py nicht näher definiert.
4.1 In diesem Zusammenhang argumentiert die Beschwerdeführerin, dass laut Beschreibung des Patents (siehe Absatz [0018]) der Promotor aus einer zusammenhängenden Sequenz von 35 bis 500 Nukleotiden bestehe und darüber hinaus in seiner Kernregion eine -10 Region enthalte.
5. Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen, da wie oben dargelegt technischen Begriffen im Anspruch eine weitestgehende technisch sinnvolle Bedeutung zuzumessen ist. Da Anspruch 1 weder die Länge noch die Art der Promotoren definiert, fallen Promotoren jeglicher Länge und Zusammensetzung, d.h. auch solche, die über zwei oder mehr funktionelle nicht zusammenhängende Einheiten verfügen (z.B. mit einem Promotor-Element und einem davon räumlich getrennten "Enhancer"-Element), unter den Anspruch. Darüber hinaus definiert der Anspruch auch keine Promotorkernregion. Daher fällt jeder funktionelle coryneforme Promotor unter den Anspruch.
Neuheit (Artikel 100(a) in Verbindung mit 54 EPÜ) - Anspruch 1
6. Die Beschwerdeführerin argumentiert, das der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber der Offenbarung von Entgegenhaltung D1 sei.
7. Dokument D1 offenbart eine Studie über die Struktur und Expression des "ask-asd" Operons in Corynebacterium flavum (C. flavum). Das ask-Gen kodiert in diesem Operon eine Aspartokinase (AK) bestehend aus einer alpha- und einer beta-Untereinheit, während das asd-Gen eine Aspartat Semialdehyde Dehydrogenase (ASD) kodiert. Beide Enzyme sind an der Biosynthese von bestimmten Aminosäuren beteiligt (siehe Zusammenfassung und Seite 4096, Spalte 1, Absatz 1, sowie Abbildung 6).
7.1 An der Expression des "ask-asd" Operons sind zwei Promotoren beteiligt. Die Transkription des "askPl" Promotors beginnt 35 und 38 Basenpaare (Bp) 5'-stromaufwärts ("upstream") vom ask-Gen, d.h. in einer sogenannten "-35 Region", sowie 5'-stromaufwärts vom asd-Gen (siehe Abbildungen 3 und 6). Der askPl Promotor kontrolliert die mRNA Expression der AKalpha- und eventuell ihrer beta-Untereinheit, sowie des ASD Enzyms. Der zweite Promotor, "askP2" liegt innerhalb der kodierenden Sequenz des ask-Gens, genauer gesagt innerhalb der die alpha-Untereinheit kodierenden Sequenz, und befindet sich 5'-stromaufwärts des Translationstarts der beta-Untereinheit des ask-Gens, sowie des asd-Gens (siehe Abbildungen 3 und 6). Der askP2 Promotor initiiert die mRNA Expression der beta-Untereinheit der AK und des ASD Enzyms. Beide Promotoren enthalten einen Ribosomenbindenden Sequenzabschnitt ("RBS") (siehe Abbildung 3) und müssen darüber hinaus auf Grund ihrer mRNA Expression-initiierenden Funktion über einen RNA-Polymerase-bindenden Sequenzabschnitt verfügen.
7.2 Allerdings wurde die Expression der AKbeta-Untereinheit von der durch den askP1 Promotor initiierten mRNA nicht sicher nachgewiesen (siehe Abbildung 6). Daher offenbart die Entgegenhaltung D1 eindeutig und unzweifelhaft nur eine funktionelle Verknüpfung zwischen dem asd-Gen und den beiden regulatorischen Promotor Sequenzen askP1 und askP2, die beide 5'-stromaufwärts von diesem Gen liegen.
7.3 Zudem offenbart die Entgegenhaltung D1, dass die beiden Promotoren über eine Nukleinsäuresequenz miteinander verknüpft sind, die in Teilen aus kodierenden Bereichen der alpha-Untereinheit des ask-Gens bestehen (siehe Abbildung 6). Die Bindungen innerhalb einer natürlichen Nukleinsäuresequenz sind zwingend chemischer Natur. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten. Diese Offenbarung in der Entgegenhaltung fällt somit bereits unter den Begriff "Ay" in Anspruch 1. Des weiteren ist der Begriff Nukleinsäure-Linker in Anspruch 1, wie oben ausgeführt, weder bezüglich seiner Länge noch seiner Herkunft definiert. Die Kammer kann daher dem Argument der Beschwerdeführerin, dass ein Fachmann unter einem Nukleinsäure-Linker eine synthetisch hergestellte kurze Nukleinsäuresequenz verstanden hätte, nicht folgen.
7.4 Entgegenhaltung D1 offenbart zudem, dass Expressionskonstrukte die Deletionen des "ask-asd" Operons enthalten, d.h. nur Teile des Wild-Typ Operons, in C. flavum transformiert und exprimiert werden. Offenbarte Expressionskonstrukte sind zum Beispiel die sogenannten "pMASDF2" oder "pMASDF3" Plasmide (siehe Abbildung 1 und Seite 4098, Spalte 2, letzter Absatz).
7.5 Zusammenfassend offenbart die Entgegenhaltung D1 somit transformierte, d.h. genetisch veränderte, coryneforme C. flavum Stämme. Deren Expressionskonstrukte "pMASDF2" und "pMASDF3" enthalten zwei über eine Nukleinsäuresequenz mittels einer chemischen Bindung miteinander verbundene unterschiedliche Promotoren (askP1 und askP2), die beide über Ribosomen- und RNA-Polymerase-bindende Sequenzabschnitte verfügen, sowie funktionell mit dem asd-Gen verknüpft sind, von welchem sie 5'-stromaufwärts liegen (siehe Abbildungen 1, 3 und 6).
8. Diese Stämme nehmen den Gegenstand von Anspruch 1 neuheitsschädlich vorweg. Der Hauptantrag erfüllt somit die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ nicht.
Zulassung der Hilfsanträge 2 und 3 zum Beschwerdeverfahren (Artikel 12(4) VOBK)
9. Die Beschwerdeführerin reichte mit ihrer Beschwerdebegründung die Hilfsanträge 2 und 3 ein. Diese Hilfsanträge sind somit gemäß Artikel 12(1) und (2) der VOBK grundsätzlich Bestandteil des Beschwerdeverfahrens. Allerdings hat die Kammer gemäß Artikel 12(4) VOBK ein Ermessen, unter anderem Anträge, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können, nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen.
10. Darüber hinaus besteht nach etablierter Rechtsprechung die primäre Aufgabe des Beschwerdeverfahrens darin, eine (gerichtliche) Entscheidung über die Richtigkeit einer davon strikt zu trennenden früheren Entscheidung der Prüfungsabteilung/Einspruchsabteilung zu fällen. Dies bedeutet, dass die Entscheidungen der Beschwerdekammern im Prinzip auf der Basis des Streitstoffs vor der ersten Instanz ergehen, was die Zulassung von neuem Vorbringen zwar nicht vollständig ausschließt, jedoch von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig macht. Es sollte im Beschwerdeverfahren kein gänzlich neuer Fall geschaffen werden (Artikel 12(4) and 13(1) VOBK; siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 8. Auflage 2016, IV.E.1 und IV.E.4).
11. Anspruch 1 des vorliegenden Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 aus Hilfsantrag 2, der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegt, dadurch, dass das Merkmal "Genetisch verändertes coryneformes Bakterium" durch das Merkmal "Genetisch verändertes coryneformes Bakterium der Art Corynebakterium glutamicum" ersetzt wurde. In anderen Worten, die beanspruchten genetisch veränderten coryneformen Bakterien im Allgemeinen wurden auf genetisch veränderte Bakterien der Art Corynebakterium glutamicum (C. glutamicum) beschränkt.
11.1 Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass die Änderung in Anspruch 1 des neuen Hilfsantrags 2 den Klarheitseinwand (Artikel 84 EPÜ) der Einspruchsabteilung gegenüber dem Begriff "heterolog" ausräume (siehe Punkt 16 der angefochtenen Entscheidung), weil eine Beschränkung des genetisch veränderten Bakteriums auf C. glutamicum dazu führe, dass der Fachmann eindeutig wisse, welches Bakterium als Ausgangsorganismus diene.
11.2 Dazu hält die Kammer fest, dass die Patentinhaberin mit ihrer Erwiderung auf den Einspruch im Schriftsatz vom 3. April 2013 bereits einen Hilfsantrag 2 im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt hat. Anspruch 1 dieses Hilfsantrags unterschied sich vom erteilten Anspruch 1 darin, dass spezifiziert wurde, dass das "Gen G in Bezug auf die Expressionseinheit" gemäß der Formel II "heterolog" ist.
11.3 Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Mitteilung, die der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, bereits darauf hingewiesen, dass der Begriff "heterolog" im geänderten Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 auf Klarheit zu prüfen sei (siehe Punkt 5.4). Ein Einwand unter Artikel 84 EPÜ gegen den neu eingeführten Begriff "heterolog" wurde auch von der Einsprechenden in Erwiderung auf die Ladung der Einspruchsabteilung erhoben (siehe Seite 5, Absatz 2 und 3 der Eingabe vom 24. Oktober 2013). Dagegen hat die Patentinhaberin in ihrer Eingabe vor der mündlichen Verhandlung weder zu dem Einwand unter Artikel 84 EPÜ der Einspruchsabteilung bzw. der Einsprechenden Stellung genommen, noch einen weiteren Hilfsantrag eingereicht, der diesem Einwand Rechnung getragen hätte.
11.4 Des Weiteren hat die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung keine Gründe genannt, warum der neue Hilfsantrag 2 nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren hätte vorgebracht werden können.
12. Anspruch 1 des vorliegenden Hilfsantrags 3, unterscheidet sich von Anspruch 1 in Hilfsantrag 2, der der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegt, dadurch dass das Merkmal "Genetisch verändertes coryneformes Bakterium, transformiert" durch das Merkmal "Verfahren zur Herstellung eines genetisch veränderten coryneformen Bakteriums durch Transformation des Bakteriums" ersetzt wurde. In anderen Worten, ein Produktanspruch wurde durch ein Verfahren zur Herstellung des Produkts ersetzt.
12.1 Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass die Änderung in Anspruch 1 von Hilfsantrag 3 den Klarheitseinwand (Artikel 84 EPÜ) der Einspruchsabteilung in der angegriffenen Entscheidung ausräume, weil in einem Verfahren zur Herstellung eines genetisch veränderten coryneformen Bakteriums der Fachmann den Ausgangsorganismus kenne, in den der Vektor transformiert und somit festgestellt werden könne, ob das Gen heterolog zur Expressionseinheit sei oder nicht.
12.2 Der oben dargelegte Sachverhalt bezüglich des neuen Hilfsantrags 2 (siehe Punkte 11.3 und 11.4) trifft vollumfänglich auch für den neuen Hilfsantrag 3 zu.
12.3 Darüber hinaus findet sich ein Verfahren gemäß Anspruch 1 von Hilfsantrag 3 weder in den erteilten Ansprüchen, noch wurde ein solcher im erstinstanzlichen Verfahren zur Beseitigung der Einwände der Einsprechenden vorgeschlagen. Daher handelt es sich bei Hilfsantrag 3 um ein neues Vorbringen der Beschwerdeführerin basierend auf einem gänzlich neuen Sachverhalt, der als solcher noch nie von der Erstinstanz daraufhin geprüft wurde, ob er die Erfordernisse des EPÜ erfüllt. Hilfsantrag 3 stellt somit einen gänzlich neuen Fall dar, bei dem für die Kammer prima facie nicht ersichtlich ist, ob sich dadurch keine komplexen und den Erfordernissen des EPÜ zuwiderlaufende neue Sachverhalte ergeben.
13. In Ausübung des der Kammer zustehenden Ermessens gemäß Artikel 12(4) VOBK werden die Hilfsanträge 2 und 3 nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.