T 2238/15 11-04-2018
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Planenaufbau eines Nutzfahrzeugs
Offenkundige Vorbenutzung - Nichtzulassung eines rechtzeitig vorgelegten Beweisangebots durch die Einspruchsabteilung - Wesentlicher Verfahrensmangel (ja)
Keine verspätet vorgebrachten Tatsachen, sondern Argumente
Zurückverweisung an die erste Instanz - (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (ja)
I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2 330 023 in geändertem Umfang auf der Grundlage des Hilfsantrags 1 aufrechterhalten worden ist, hat die Einsprechende Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung war unter anderem der Auffassung, dass dem Antrag auf Beweissicherung durch Inaugenscheinnahme eines offenkundig vorbenutzten Fahrzeugs (Fzg.-IdentNr. WK0S0002400121095) nicht stattzugeben sei und die im Zusammenhang mit dieser behaupteten Vorbenutzung angebotenen Zeugen (Hr. Georg Rolle, Hr. Reinhard Kreis) nicht zu laden seien.
Die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 gegenüber Dokument MB 6 (EP 0 925 975 A2) wurde anerkannt, ebenso das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von diesem nächstkommenden Stand der Technik. Die Diskussion zur erfinderischen Tätigkeit gegenüber der Kombination der Dokumente MB 3 (DE 20 2006 003 548 U1) mit MB 8 (DE 296 08 103 U1) wurde als verspätet eingereichte Tatsache angesehen und nicht ins Verfahren zugelassen, da diese Kombination der Aufrechterhaltung des Patentes gemäß Hilfsantrag 1 prima facie nicht entgegenstehe.
III. Zum Beweis der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung hat die Einsprechende im Einspruchsschriftsatz folgende Unterlagen aufgeführt:
MB 1.1: Übergabebestätigung für Fahrzeug mit der Fzg.-IdentNr. WK0S0002400121095;
MB 1.2: Abholinformation mit Kopie der Zulassungsbescheinigung für das Fahrzeug mit der Fzg.-IdentNr. WK0S0002400121095;
MB 1.3: Konstruktionszeichnung Nr. 6090992 für eine Seitenplane des vorbenutzten Fahrzeugs;
MB 1.4: Eidesstattliche Versicherung des Herrn Georg Rolle, Schenker Deutschland AG;
MB 1.5 bis 1.13: Fotosatz des Fahrzeugs mit der Fzg.-IdentNr. WK0S0002400121095. |
Mit Schreiben vom 2. Juli 2015 hat die Einsprechende weitere Unterlagen nachgereicht:
MB 1.14: Eidesstattliche Versicherung des Herrn Reinhard Kreis;
MB 1.15: Eidesstattliche Versicherung des Herrn Daniel Bielohlawek;
MB 1.16: Liste von Fahrzeugen, die vor dem Prioritätstag des Streitpatents mit einer Plane gemäß der Zeichnung MB 1.3 ausgestattet waren. |
IV. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet in der Merkmalsgliederung der angefochtenen Entscheidung wie folgt:
M Planenaufbau (1, 35) eines Nutzfahrzeugs (N), vorzugsweise eines Lastkraftwagens, Anhängers oder Aufliegers,
M1 - mit einer Rahmenkonstruktion (7,37) und wenigstens einer seitlich an einer Längsseite (10,10',38) der Rahmenkonstruktion (7,37) angebrachten Planeneinheit (12,12',30,50),
M2 - wobei die Rahmenkonstruktion (7,37) wenigstens eine Eckrunge (8,8',8",41) und wenigstens einen Längsholm (11,35,53) aufweist, die in einem Eckbereich (18,18',40) der Rahmenkonstruktion (7,37) miteinander verbunden sind,
M3 wobei die Planeneinheit (12,12',30,50) zwischen einer geöffneten Stellung und einer geschlossenen Stellung am Längsholm (11,35,53) gehalten ist,
M4 - wobei die Planeneinheit (12,12',30,50) in der geschlossenen Stellung mit der Eckrunge (8, 8',8'',41) verbindbar ausgebildet ist,
M5 wobei am oberen Rand (17) der Planeneinheit (12,12',30,50) am Längsholm (11,35,53) angebrachte Längsholmverbindungsmittel (16,34,52) vorgesehen sind, und
M6 wobei an wenigstens einem seitlichen Ende der Planeneinheit (12,12',30,50) wenigstens ein Eckrungenverbindungsmittel (15,33,55) zur Verbindung mit der Eckrunge (8,8',8'',41) vorgesehen ist,
dadurch gekennzeichnet,
M7 - dass die Planeneinheit wenigstens ein Aussteifungselement (19,36,51) aufweist, das mit der Planeneinheit (12,12',30,50) in die geöffnete Stellung bringbar und in der geschlossenen Stellung der Planeneinheit (12,12',30,50) im Eckbereich (18,18',40) der Rahmenkonstruktion (7,37) in einem Bereich zwischen den Längsholmverbindungsmitteln (16,34,52) und dem Eckrungenverbindungsmittel (15,33,55) angeordnet ist,
M8 - dass die Längsholmverbindungsmittel (16,34,52) entlang des Längsholms (11,35,53) geführte Schlitten sind,
M9 - dass das Eckrungenverbindungsmittel (15,33,55) eine Spannstange ist
M10 - und dass das Aussteifungselement (19,36,51) im Bereich zwischen dem äußeren Schlitten und der Spannstange vorgesehen ist.
V. In Vorbereitung auf die durch die Kammer bereits anberaumte mündliche Verhandlung überreichte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 20. März 2018 neue Beweismittel zur offenkundigen Vorbenutzung eines weiteren Fahrzeugs (Fzg.-IdentNr. WK0S0002400132227) mit den Merkmalen des Streitpatents und bot dazu Zeugenbeweis (Hr. Bielohlawek, Hr. Ernst Gschwilm) sowie Inaugenscheinnahme dieses Fahrzeugs an, das die Beschwerdeführerin zuvor käuflich erworben hatte.
VI. Am 11. April 2018 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Rückerstattung der Beschwerdegebühr und den Widerruf des europäischen Patents. Der Antrag, für den Fall der Zurückverweisung eine geänderte Besetzung der Einspruchsabteilung wegen befürchteter Befangenheit anzuordnen, wurde zurückgenommen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Basis eines der mit Beschwerdeerwiderung vom 5. September 2016 definierten Hilfsanträge 1 bis 3.
VII. Das für die vorliegende Entscheidung relevante Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Das rechtliche Gehör der Einsprechenden sei infolge erheblicher Verfahrensmängel beeinträchtigt worden, wie nachfolgend dargestellt.
a) Die Einspruchsabteilung habe mit Mitteilung vom 12. Februar 2014 den mit dem Einspruchsschriftsatz gestellten Antrag auf Beweissicherung nach Regel 123 (1) EPÜ abgewiesen, ohne dabei die Dringlichkeit der Beweisaufnahme zu bewerten. Damit habe die Einspruchsabteilung den ihr eingeräumten Ermessenspielraum überschritten. Die Beweisaufnahme sei zu einem späteren Zeitpunkt erschwert oder unmöglich gewesen, da das vorbenutzte Fahrzeug sich nicht in der Verfügungsgewalt der Einsprechenden befunden habe, die nur begrenzte Möglichkeiten des Zugriffs darauf gehabt habe. Es sei nicht sicherzustellen gewesen, dass die für die Beweisführung notwendigen Bauteile bis zu einer späteren Inaugenscheinnahme verfügbar blieben.
Es liege auch nicht im Ermessen des Spruchkörpers zu bestimmen, welche Beweismittel vorzulegen seien (wie im vorliegenden Fall der Verweis auf ein Sachverständigengutachten anstelle der Beweisaufnahme). In Artikel 117 EPÜ sei das allgemein anerkannte Verfahrensrecht verankert (siehe T 1110/03), dass Beweise in geeigneter Form anzubieten und auch zu berücksichtigen seien. Zudem sei gemäß T 142/97 ein entscheidendes Organ des EPA verpflichtet, sich von der Relevanz der vorgelegten Beweismittel zu überzeugen, bevor es über deren Annahme oder Ablehnung entscheide. Der Beweissicherungsantrag zur Inaugenscheinnahme des vorbenutzten Fahrzeugs habe den Beweis für die Tatsachenbehauptungen erbringen sollen, dass die in der Zeichnung MB 1.3 dargestellte Seitenplane der des als offenkundig vorbenutzt geltend gemachten Fahrzeugs entspreche und ein TIR-Verschluss gemäß MB 1.3 insbesondere auf den Fotos MB 1.7 und MB 1.9 erkennbar sei. Der Antrag hätte demnach vor seiner Ablehnung berücksichtigt werden müssen.
Es sei keine Sachverhaltsermittlung durch die Einspruchsabteilung erforderlich gewesen. Der Antrag auf Beweissicherung habe deutlich angegeben, dass über die im Einspruchsschriftsatz genannten Tatsachen Beweis erhoben werden solle. Dies habe die Einsprechende mit Schriftsatz vom 21. März 2014 konkretisiert. Die beantragte Inaugenscheinnahme hätte zumindest den Nachweis erbringen können, dass die die Planenverstärkung der Seitenplane zeigenden Fotos an dem in Rede stehenden Sattelauflieger aufgenommen worden seien. Damit hätte die eidesstattliche Versicherung des Herrn Georg Rolle glaubhaft gemacht werden können, d. h. die Ablehnung des Beweissicherungsantrags komme einer vorgezogenen Beweiswürdigung gleich.
b) Mit der Einspruchsschrift sei die Vernehmung von Zeugen angeboten worden, um die offenkundige Vorbenutzung zu stützen. Im Einspruchsschriftsatz seien bereits alle Tatsachen benannt gewesen, d. h. alle baulichen Merkmale und der Zeitpunkt der Vorbenutzung sowie die Umstände, wie das Fahrzeug der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei. Für die strittigen Punkte des bereits vorliegenden Tatsachenvortrags seien Inaugenscheinnahme (bzgl. der baulichen Merkmale) beantragt und Zeugen angeboten worden. Der Zeuge Georg Rolle habe bezeugen können, dass das offenkundig vorbenutzte Fahrzeug seit der Auslieferung bis zur Aufnahme der Fotos gemäß MB 1.5 bis MB 1.13 baulich unverändert geblieben sei, wie bereits in der eidesstattlichen Versicherung ausgeführt. Damit wären Zeitpunkt und Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung belegbar, was in der angefochtenen Entscheidung als strittig vermerkt und somit entscheidungserheblich sei. Diese Frage hätte nur über eine Zeugeneinvernahme geklärt werden können. Die Vernehmung des Zeugen Reinhard Kreis sei später für die Stützung der Tatsachenbehauptung angeboten worden, dass auf Grundlage der Konstruktionszeichnung MB 1.3 Seitenplanen für Sattelauflieger gefertigt worden seien. Es sei wegen des Vermerks "Prototyp" in MB 1.3 strittig gewesen, dass eine gemäß MB 1.3 konstruierte Plane bei dem vorbenutzten Fahrzeug verwendet worden sei, wofür Zeugenbeweis angeboten worden sei. Die durch die Zeugen zu klärenden Punkte (siehe die eidesstattlichen Versicherungen) seien gemäß der angefochtenen Entscheidung "nicht bekannt" oder "nicht nachgewiesen", ohne dass auf die eidesstattlichen Versicherungen eingegangen werde. Eine Zeugeneinvernahme habe die Einspruchsabteilung mit der Begründung abgelehnt, dass Zeugen nur Tatsachenbehauptungen erhärten, jedoch Sachverhalte nicht selbst vortragen könnten. Alle Tatsachenbehauptungen seien jedoch bereits im Einspruchsschriftsatz enthalten gewesen, wie auch im Schriftsatz vom 2. Juli 2015 ausführlich dargelegt (siehe dazu den ähnlich gelagerten Fall in der Entscheidung T 1363/14, insbesondere Punkt 2.2.4). Lediglich die zur Untermauerung der Tatsachenbehauptungen erforderlichen Beweismittel hätten nicht schon im Einspruchsschriftsatz enthalten sein können (d. h. die Ergebnisse der Inaugenscheinnahme und Zeugeneinvernahme). Eine Zeugeneinvernahme sei vorzunehmen (siehe T 474/04), wenn die Behauptungen einer eidesstattlichen Versicherung bestritten würden, wie vorliegend die Behauptung des Herrn Georg Rolle, das vorbenutzte Fahrzeug sei baulich unverändert gewesen. Die Zeugeneinvernahme des Herrn Rolle habe zudem die von der Einspruchsabteilung bestrittene Tatsachenbehauptung erhärten sollen, dass ein Merkmal des Sattelaufliegers auf den Fotos erkennbar und die offenkundige Vorbenutzung neuheitsschädlich sei (siehe dazu T 716/06). Die von der Einspruchsabteilung angeführten hohen Hürden für die Darlegung einer offenkundigen Vorbenutzung bildeten vorliegend nicht den Maßstab, da der Zugriff auf die Beweismittel nicht allein in der Verfügungsgewalt der Einsprechenden liege. Das in Rede stehende Fahrzeug sei bei der Schenker AG im Einsatz.
c) Das Beweismittel einer eidesstattlichen Versicherung des Herrn Georg Rolle sei von der Einspruchsabteilung ohne nähere Begründung übergangen worden. Gemäß angefochtener Entscheidung (Punkt 2.3.1) werde die angeblich offenkundige Vorbenutzung zwar "durch eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen Herr Georg Rolle gestützt", aber zwei Sätze später werde gesagt, es sei "nicht bekannt, ob das Fahrzeug .... wirklich ohne bauliche Veränderungen eingesetzt" worden sei. Obwohl gemäß angegriffener Entscheidung (Nr. 2.3.2) nicht klar sei, dass die Seitenplane gemäß Konstruktionszeichnung MB 1.3 bei dem vorbenutzten Fahrzeug tatsächlich eingesetzt gewesen sei, sei die dafür eingereichte eidesstattliche Versicherung des Herrn Reinhard Kreis auch unberücksichtigt geblieben Die Schlussfolgerung (siehe Nr. 2.3.1) der Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung nicht sicher zu sein scheine, lasse erkennen, dass die eidesstattlichen Versicherungen unberücksichtigt geblieben seien.
d) Der Angriff auf Grundlage einer Kombination der Druckschriften MB 3 und MB 8 sei in Reaktion auf die einen Monat vor der mündlichen Verhandlung (in Bezug auf die Frist zur Erwiderung auf den Einspruch verspätet) vorgelegten Hilfsanträge der Patentinhaberin erfolgt. Die Einsprechende müsse darauf mit einer entsprechenden Argumentation reagieren können, insbesondere da dem Verfahren mit Hilfsantrag 1 ein neuer Sachverhalt zugrunde lag. Die mündliche Verhandlung führte zu einer weiteren Veränderung des Sachverhalts hinsichtlich der Auslegung des Merkmals M9 des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1, wonach die Spannstange an der Plane befestigt sei. Die Nichtberücksichtigung der rechtzeitig in das Verfahren eingebrachten MB 3 verstoße gegen den Verfahrensgrundsatz der Gleichbehandlung der Parteien. Zudem sei der in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Angriff gegen die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Hilfsantrags 1 ausgehend von MB 3 keine neue Tatsache, sondern eine Würdigung dieses im Verfahren befindlichen Dokuments bzw. ein neues Argument und könne nicht nach Artikel 114 (2) EPÜ als verspätet zurückgewiesen werden (siehe dazu T 131/01, T 92/92). Auch das weitere Vorgehen der Einspruchsabteilung hierzu, d. h. die Prüfung auf prima-facie-Relevanz der Druckschrift MB 3 sei rechtsfehlerhaft. Prima facie relevant sei MB 3 schon deshalb, weil die Einspruchsabteilung sie in der vorläufigen Meinung als neuheitsschädlich für den Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 angesehen habe. Die neuen, lediglich Details in Hilfsantrag 1 hinzufügenden Merkmale des erteilten Anspruchs 2 hätten eine detaillierte Prüfung der Druckschrift MB 3 erfordert, d. h. eine vollständige Prüfung der erfinderischen Tätigkeit unter Berücksichtigung der Druckschrift MB 8.
Da die angefochtene Entscheidung erhebliche Verfahrensmängel erkennen lasse, sei eine Rückerstattung der Beschwerdegebühr gerechtfertigt. Die Verfahrensfehler seien auch für die Frage der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit des Hilfsantrags 1 relevant. Zur Vermeidung weiterer Verzögerungen des Verfahrens werde im Übrigen angeregt, die Beweisaufnahme vor der Beschwerdekammer durchzuführen.
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden:
Der Einsprechenden sei seitens der Einspruchsabteilung volles rechtliches Gehör gewährt worden.
a) Es sei nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen worden, welche Tatsachen nur im Wege der Inaugenscheinnahme hätten glaubhaft gemacht werden können und nicht durch schriftliches Vorbringen (Fotos, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten und dergleichen). Entgegen Regel 123 (2) e) EPÜ sei kein Grund glaubhaft gemacht worden, dass die Beweisaufnahme zu einem späteren Zeitpunkt erschwert oder unmöglich sei. Das Thema der Dringlichkeit sei keine Frage gewesen, denn der Zugriff auf das Fahrzeug habe vorgelegen, wie die Aufnahme der Fotos belege. Falls Gefahr bestanden hätte, dass das Fahrzeug dem Zugriff der Einsprechenden entzogen worden wäre, hätte die Einsprechende schnellstens alles dokumentieren müssen. Es seien auch nicht gemäß Regel 123 (2) c) EPÜ die Tatsachen im Einzelnen bezeichnet worden, über die Beweis erhoben werden solle. Zudem war die Inaugenscheinnahme in der Praxis nicht durchführbar, da weder die Einsprechende noch die Patentinhaberin oder die Einspruchsabteilung über den Sattelauflieger habe verfügen können. Die von der Einsprechenden in der Beschwerdebegründung angeführten Entscheidungen könnten die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht in Zweifel ziehen.
b) Die Einspruchsabteilung habe richtigerweise ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, auf eine Zeugeneinvernahme zu verzichten. Selbst wenn die Zeugen in der Zeugeneinvernahme die Sachverhalte hätten glaubhaft machen können, so hätte sich die offenkundige Vorbenutzung des als offenkundig vorbenutzt geltend gemachten Sattelaufliegers nicht ergeben. Der Gegenstand der Vorbenutzung mag zwar in der Einspruchsschrift genannt worden sein, problematisch sei aber, dass trotz des Prototypen-Vermerks auf der Zeichnung MB 1.3 das Fahrzeug gemäß dieser Zeichnung ausgerüstet gewesen sei, was der Zeuge Herr Rolle nicht hätte belegen können. Im Einspruchsschriftsatz sei kein unmittelbarer Bezug zu dem vorbenutzten Fahrzeug hergestellt und somit seien nicht alle Tatsachen zum Fahrzeug vorgetragen worden. Es wäre kein Beweis erbracht worden, dass die Seitenplane des geltend gemachten Sattelaufliegers gemäß der Konstruktionszeichnung MB 1.3 gefertigt worden sei, selbst wenn die Zeugen Herr Rolle und Herr Kreis hätten glaubhaft machen können, dass der geltend gemachte Sattelauflieger mit der ursprünglichen Seitenplane ausgestattet sei und dass im Juni 2008 die Konstruktionszeichnung MB 1.3 an Zulieferer versandt worden sei, die im Juli 2008 mit der Produktion von Seitenplanen nach MB 1.3 begonnen hätten, und dass bei Fahrzeugen mit dieser Seitenplane das Detail X gemäß MB 1.3 vorhanden gewesen sei. Es fehle der Link (trotz der Aussage in der eidesstattlichen Versicherung: "in verkauften Fahrzeugen, soweit sie mit Seitenplanen ausgestattet waren, die anhand der Konstruktionszeichnung Nr. 6090992 hergestellt wurden"), dass für das vorbenutzte Fahrzeug Planen nach der Zeichnung MB 1.3 hergestellt worden seien. Diese Lücke sei auch nicht durch die Lieferliste MB 1.16 zu schließen, da die Prototypenzeichnung unter Umständen mit einem anderen Konstruktionsstand oder einer neuen Zeichnungsnummer fortgeführt worden sei. Der Nachweis der Offenkundigkeit werde nicht entbehrlich, wenn sich das Beweismittel in der Verfügungsgewalt eines nicht beteiligten Dritten befänden. Im Falle der Entscheidung T 1364/14 seien alle Tatsachen im Einspruchsschriftsatz vorgetragen und Beweis für die strittigen Punkte angeboten worden. Vorliegend habe die Einsprechende nicht hinreichend substantiiert zur geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung vorgetragen. Die Zeugeneinvernahme sei vorliegend nicht abgelehnt worden, weil die Vorbenutzung bereits in der Einspruchsfrist hätte bewiesen werden müssen (wie in T 1364/14), sondern da der Zeuge die Vorbenutzung nicht hätte bezeugen können, da es bereits an der durch den Zeugen zu erhärtenden Tatsachenbehauptung fehlte. Es sei lediglich zu prüfen, ob die Einspruchsabteilung ihr Ermessen richtig ausgeübt habe.
c) Aus den im Zusammenhang mit der Zeugeneinvernahme diskutierten Gründen seien die eidesstattlichen Versicherungen nicht unberücksichtigt geblieben. Die darin vorgebrachten Tatsachenbehauptungen seien im Zusammenspiel mit dem weiteren Vortrag der Einsprechenden nicht ausreichend, die offenkundige Vorbenutzung zu belegen.
d) Die Kombination MB 3 mit MB 8 sei erst in der mündlichen Verhandlung und zudem erstmals gegenüber dem auf den erteilten Ansprüchen 1 und 2 beruhenden Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 geltend gemacht worden und somit verspätet. Gegen Anspruch 2 sei bis dahin lediglich die MB 6 vorgebracht worden. Hilfsantrag 1 sei einen Monat vor der mündlichen Verhandlung innerhalb der gesetzten Frist eingereicht worden, was für höhere Anforderungen an die Zulassung des verspäteten Vorbringens spreche. Zudem sei (siehe angefochtene Entscheidung) die Neuheit gegenüber MB 3 in der mündlichen Verhandlung nicht diskutiert worden. Die Einspruchsabteilung habe ihr Ermessen mithin nicht unbillig angewendet, indem sie zu dem Schluss gekommen sei, dass die Kombination MB 3 und MB 8 nur bei prima facie Relevanz ins Verfahren zuzulassen sei. Es handele sich nicht um das Vorbringen neuer Argumente, weshalb die von der Einsprechenden diskutierte Rechtsprechung unbeachtlich sei. Unter die behaupteten Tatsachen falle, aufgrund welcher Angriffe die Neuheit oder erfinderische Tätigkeit in Zweifel gezogen werde, und der Angriff MB 3 mit MB 8 sei verspätet. Die vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung zum erteilten Anspruch 1 sei im Übrigen nicht zwingend relevant für den Hilfsantrag 1.
Die Neuheit des damaligen Hauptantrags sei im Übrigen nicht mehr Gegenstand des Verfahrens, und die zusätzlichen Merkmale des Hilfsantrags 1 seien nicht in Bezug auf die behauptete Vorbenutzung vorgetragen worden, d. h. die angefochtene Entscheidung bliebe davon unberührt. Es sei kein Grund für die Zurückerstattung der Beschwerdegebühr zu erkennen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Wesentlicher Verfahrensmangel
2.1 Nach Meinung der Einspruchsabteilung fehlten der Einspruchsschrift mehrere der zum Nachweis der behaupteten öffentlichen Vorbenutzung zu klärenden Sachverhalte, mit denen Zeitpunkt und Gegenstand der Benutzung sowie die Umstände der Benutzungshandlung zu klären sind. Die durch Dokumente MB 1.1 bis 1.13 beschriebene offenkundige Vorbenutzung sei deshalb nicht ausreichend bewiesen.
Die Einspruchsabteilung benennt eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen Herr Georg Rolle als Stützung der angeblich offenkundigen Vorbenutzung, führt dann aber aus, dass Zeugen nur Tatsachenbehauptungen erhärten und nicht Sachverhalte selbst vortragen könnten. Deshalb sei nicht bekannt, ob das Fahrzeug mit der Fzg.-IdentNr. WK0S0002400121095 seit der Übernahme am 21. November 2008 wirklich ohne bauliche Veränderungen eingesetzt werde, insbesondere ob das Fahrzeug gemäß den nicht datierten Fotos MB 1.5 bis 1.13 mit der ursprünglich ausgelieferten Seitenplane ausgestattet sei. Die Ladung des Zeugen sei deshalb wenig zielführend gewesen. Die Einsprechende habe eine offenkundige Vorbenutzung lückenlos nachzuweisen. Der Gegenstand der Vorbenutzung scheine jedoch nicht sicher zu sein. Die Konstruktionszeichnung MB 1.3 sei nicht zu berücksichtigen, da sie das angeblich vorbenutzte Fahrzeug nicht darstelle (siehe Punkt 2.3.1 der Entscheidungsgründe).
Der neu angebotene Zeuge, Herr Reinhard Kreis, sei nicht geladen worden, weil nach Auffassung der Einspruchsabteilung die Einsprechende keine überzeugenden Argumente vorgebracht habe, um die Anberaumung einer Zeugeneinvernahme ausreichend zu begründen. Die Einspruchsabteilung könne zwar akzeptieren, dass das Fahrzeug mit der genannten Fzg.-IdentNr. am 21. November 2008 im Speditionsverkehr eingesetzt und damit offenkundig zugänglich gemacht worden sei. Neben den bereits angesprochenen fehlenden Hinweisen, dass das genannte Fahrzeug ohne bauliche Veränderungen eingesetzt und mit der ursprünglich ausgelieferten Seitenplane ausgestattet sei, habe die Einsprechende noch nicht nachgewiesen, dass die in der Zeichnung MB 1.3 dargestellte Seitenplane derjenigen auf dem genannten Fahrzeug entspreche. Da Zeugen nur die Tatsachenbehauptungen erhärten und nicht Sachverhalte selbst vortragen könnten, sei es wenig zielführend gewesen, den neu angebotenen Zeugen zu laden (vgl. Punkt 2.3.2 der Entscheidungsgründe).
2.2 Die Kammer kann die Sichtweise der Einspruchsabteilung nicht teilen, wie nachfolgend anhand einer Zusammenfassung des erstinstanzlichen Verfahrens dargelegt.
2.2.1 Wie im Einspruchsschriftsatz vom 19. Dezember 2013 ausgeführt (Punkte 20 bis 22), sollen die baulichen Merkmale M bis M6 eines Planenaufbaus eines Nutzfahrzeugs gemäß Oberbegriff des Anspruchs 1 wie erteilt (also eine Rahmenkonstruktion mit Eckrunge und Längsholm, eine Planeneinheit mit Längsholmverbindungsmitteln am oberen Rand sowie Eckrungenverbindungsmittel zur Verbindung mit der Eckrunge im geschlossenen Zustand) bereits aus der Übergabebestätigung MB 1.1 bekannt sein, wobei der Zeitpunkt und die Umstände der Benutzung zusätzlich durch die Zulassungsbescheinigung MB 1.2 des Fahrzeugs belegt wurden (Punkte 14 bis 16 im Einspruchsschriftsatz). Ein Aussteifungselement gemäß Merkmal M7 soll aus den Fotos MB 1.5 bis 1.13 hervorgehen(Punkte 23 bis 26 im Einspruchsschriftsatz), wobei diesbezüglich auch auf die Konstruktionszeichnung MB 1.3 verwiesen wurde (Punkt 27). Gleichzeitig wurde als Beweis dafür, dass das Fahrzeug seit dem Datum der Übergabe an die Schenker Deutschland AG ohne bauliche Veränderungen im Straßenverkehr eingesetzt wurde, Zeugeneinvernahme des Herrn Georg Rolle, Betriebsleiter bei der Schenker Deutschland AG, angeboten und zur Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Versicherung MB 1.4 des benannten Zeugen angeboten (Punkt 17). Zum Nachweis der baulichen Merkmale des offenkundig vorbenutzten Fahrzeugs wurde ferner Inaugenscheinnahme angeboten (Punkt 18).
2.2.2 Die Einspruchsabteilung schien in ihrer vorläufigen Stellungnahme vom 13. Mai 2015 (siehe Punkt 3.3.1) im Übrigen die Merkmale des Oberbegriffs - mit Ausnahme eines an einem seitlichen Ende der Planeneinheit vorgesehenen Eckrungenverbindungsmittels - dem Dokumentenkonvolut MB 1.1, 1.2 und 1.5 bis 1.13 entnehmen zu können. In Bezug auf die behauptete Vorbenutzung wurde ausgeführt (ohne dies näher zu konkretisieren), dass in der Einspruchsschrift mehrere der zu klärenden Sachverhalte fehlten und die behauptete Vorbenutzung deshalb nicht ausreichend bewiesen sei. Zeugen könnten nur Tatsachenbehauptungen erhärten und nicht selbst Sachverhalte vortragen. Insbesondere sei es nicht möglich festzustellen, ob das in den nicht datierten Fotos MB 1.5 bis 1.13 dargestellte Fahrzeug mit der ursprünglich ausgelieferten Seitenplane ausgestattet sei. Deshalb schien es nicht zielführend, den Zeugen Herrn Georg Rolle zu laden. Weiterhin sei Konstruktionszeichnung MB 1.3 nicht zu berücksichtigen, da es sich um ein Prototyp-Fahrzeug handele.
2.2.3 Die Einsprechende reagierte mit Schreiben vom 2. Juli 2015 auf den Einwand hinsichtlich des Prototypenvermerks auf der Konstruktionszeichnung MB 1.3 und bot, zusammen mit einer eidesstattlichen Versicherung MB 1.14 zur Glaubhaftmachung, den Zeugen Herrn Reinhard Kreis zum Beweis an. Dieser habe die Zeichnung MB 1.3 im Januar 2008 erstellt, die dann ab Juni 2008 an mehrere Zulieferer zur Produktion von Seitenplanen gemäß dieser Zeichnung (Beginn Juli 2008) versandt worden sei. Die Auslieferung von Planen nach MB 1.3 sollte, zusammen mit einer eidesstattlichen Versicherung des Herrn Daniel Bielohlawek MB 1.15, mit einer Liste MB 1.16 aller mit einer Plane gemäß MB 1.3 ausgestatteten Fahrzeuge belegt werden, worin auch das Fahrzeug mit der Fzg.-IdentNr. WK0S0002400121095 genannt ist.
Mit diesen ergänzend eingereichten Beweismitteln sollten nach Auffassung der Kammer Unstimmigkeiten in den eingereichten Unterlagen ausgeräumt werden, insbesondere zwischen dem nach Aussage der Einsprechenden in den Fotos MB 1.5 bis 1.13 gezeigten, bei dem zugelassenen Fahrzeug angeblich vorhandenen Aussteifungselement und der mit einem Prototypenvermerk versehenen Konstruktionszeichnung MB 1.3.
2.2.4 Die Einsprechende hat nach Auffassung der Kammer mit dem Einspruchsschriftsatz die für die Beurteilung der Vorbenutzung relevanten Tatsachen im Detail vorgetragen und auf den Hinweis der Einspruchsabteilung zu Unstimmigkeiten in den eingereichten Unterlagen durch Nachreichen von weiteren Unterlagen reagiert. Zudem wurde zur Erhärtung von Tatsachenbehauptungen (und zwar, dass das auf den Fotos dargestellte Fahrzeug mit der ursprünglich ausgelieferten Seitenplane und diese mit dem Aussteifungselement nach Konstruktionszeichnung MB 1.3 ausgestattet war) Zeugeneinvernahme angeboten (Herr Rolle, Herr Kreis). Es liegt daher ein hinreichend substantiierter Vortrag dazu vor, warum der Gegenstand der Vorbenutzung alle Merkmale des Anspruchs 1 des Patents erkennen lasse. Auch wenn es sich dabei um behauptete Tatsachen oder Sachverhalte handelt, die einer Verifizierung bedürfen, so ist diese Verifizierung auf der Grundlage der angebotenen Beweismittel durchzuführen und stellt einen Akt der Beweiswürdigung dar, mit der die Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung festgestellt wird.
2.2.5 Entgegen der Behauptung in der angefochtenen Entscheidung müssen die zu bewertenden Tatsachen nicht erst mit Hilfe der Zeugen ermittelt und erstmals in das Verfahren eingebracht werden. Der Gegenstand der Vorbenutzung ist durch das Einreichen der Fotos MB 1.5 bis 1.13, der Konstruktionszeichnung MB 1.3 sowie der Lieferliste MB 1.16 von Fahrzeugen, die mit einer Plane gemäß MB 1.3 ausgestattet waren, dargelegt. Es müsste nur noch die Behauptung überprüft werden, dass im Zeitraum von der Übergabe des Fahrzeugs gemäß MB 1.1 mit der Fzg.-IdentNr. WK0S0002400121095 und der Aufnahme der Fotos MB 1.5 bis 1.13 keine baulichen Veränderungen an dem Fahrzeug vorgenommen wurden und dass das Fahrzeug ursprünglich mit einer Plane gemäß Zeichnung MB 1.3 ausgestattet war. Hierzu sind die Zeugen benannt worden. Gerade weil die Einsprechende substantiiert vorgetragen hat, der Gegenstand der Vorbenutzung ließe alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1 erkennen, wäre es die Aufgabe der Einspruchsabteilung gewesen, die zu ihrem Nachweis angebotenen Beweise durch Vernehmung der Zeugen zu erheben.
2.2.6 Die Ablehnung der Zeugeneinvernahme hat die Einspruchsabteilung letztlich damit begründet, dass die offenkundige Vorbenutzung nicht ausreichend bewiesen sei und die Zeugen die erforderlichen Beweise nicht hätten erbringen können, nämlich dass das Fahrzeug ohne bauliche Veränderung und dass die Seitenplane gemäß MB 1.3 ausgeführt gewesen sei. Gerade dafür waren aber die Zeugen Herr Georg Rolle und Herr Reinhard Kreis angeboten. Keine Vorschrift des EPÜ verlangt, dass das zu einer behaupteten Vorbenutzung gemachte Vorbringen innerhalb der Einspruchsfrist bereits bewiesen sein muss, damit die Vorbenutzung substantiiert wird. Die Einspruchsabteilung vermengt in ihrer Argumentation betreffend das nach den Richtlinien nicht zulässige Vortragen von Sachverhalten durch Zeugen den Vortrag von Sachverhalten und deren Beweis.
Es obliegt der Einsprechenden, alle für eine behauptete Vorbenutzung relevanten Tatsachen vorzutragen und hierzu geeignete Beweismittel (gemäß Artikel 117 (1) EPÜ unter anderem Urkunden, Augenscheinsobjekte und Zeugen) anzubieten. Sollen Zeugen lediglich die zuvor bereits vorgetragenen Sachverhalte bestätigen, so werden die relevanten Sachverhalte nicht erst durch die Zeugen in das Verfahren eingebracht, sondern von diesen nur bestätigt, wodurch (Glaubwürdigkeit der Zeugen und Glaubhaftigkeit ihrer Aussage vorausgesetzt) der Beweis als erbracht gelten kann.
Dabei ist es nicht zulässig, im Rahmen einer vorweggenommenen Beweiswürdigung Mutmaßungen anzustellen, woran ein Zeuge sich wird erinnern können und woran nicht. Das Prinzip der freien Beweiswürdigung ist erst nach Erhebung der Beweismittel anwendbar und kann nicht zur Rechtfertigung verwendet werden, angebotene Beweise nicht zu erheben (vgl. T 474/04, Gründe Punkt 8 mit Verweis auf G 3/97, Gründe Punkt 5). Sofern ein vollständiger Tatsachenvortrag vorliegt, sind die zu seinem Beweis angebotenen Beweismittel daher zu erheben und können erst danach gewürdigt werden.
2.2.7 Die Einspruchsabteilung hat mit ihrer Weigerung, die Zeugen Rolle und Kreis zu laden, im Ergebnis somit willkürlich die Möglichkeit ausgeschlossen, dass die Behauptungen der Einsprechenden durch die Zeugen bestätigt werden können. Eine derartig vorweggenommene Beweiswürdigung war nicht gerechtfertigt. Die angebotenen Beweise sind zu erheben, wenn die vorgetragenen und zu Beweis gestellten Tatsachen im Falle ihrer Bestätigung die geltend gemachte (und für die Entscheidung möglicherweise relevante) Vorbenutzung tragen würden. Zwar wurde mit der angefochtenen Entscheidung der erteilte Anspruch 1 wegen mangelnder Neuheit gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik MB 6 zurückgewiesen. Es war aber nicht auszuschließen, dass die Zulassung des Beweisangebots für den Gegenstand des im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Hilfsantrags 1 relevant gewesen wäre und zu einer anderen als der tatsächlich getroffenen Entscheidung geführt hätte.
Vor diesem Hintergrund ist unerheblich, dass - wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert - die Neuheit des erteilten Anspruchs 1, die mit der behaupteten Vorbenutzung angegriffen wurde, nicht mehr Gegenstand des Verfahrens und die zusätzlichen Merkmale von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht in Bezug auf die behauptete Vorbenutzung vorgetragen wurden. Denn Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 beruht auf einer Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 2, welche im Einspruchsschriftsatz bereits wegen mangelnder Neuheit gegenüber MB 6 angegriffen wurde. Ein fehlender Angriff zur erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem erteilten Anspruch 2 unter Berücksichtigung der behaupteten Vorbenutzung war deshalb entbehrlich und kann nicht zum Nachteil der Einsprechenden ausgelegt werden.
2.2.8 Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Einspruchsabteilung mit dem Erlass der angefochtenen Entscheidung ohne Anhörung der angebotenen Zeugen Rolle und Kreis den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß den Artikeln 117 (1) EPÜ und 113 (1) EPÜ verletzt hat (vgl. T 716/06, Gründe Punkt 4). Die Ablehnungsbegründung war daher rechtswidrig. Die Entscheidung ist daher aufzuheben.
3. Ob das Verfahren vor der Einspruchsabteilung noch weitere Verfahrensmängel aufwies, wie von der Beschwerdeführerin unter Hinweis auf den abgelehnten Antrag auf Beweissicherung, die angebliche Nichtberücksichtigung von eidesstattlichen Versicherungen sowie die Nichtzulassung einer Argumentationslinie zur erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Dokumente MB 3 und MB 8 vorgetragen, kann bei dieser Sachlage dahingestellt bleiben.
4. Gleichwohl möchte die Kammer anmerken, dass die Einspruchsabteilung die Argumentation zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegenüber der Kombination MB 3 mit MB 8 fälschlicherweise als verspätet eingereichte Tatsache behandelt hat.
Zum einen scheint es bereits fraglich, ob diese Argumentation nicht eine Reaktion auf den erst einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 1 darstellt und somit nicht als verspätetes Vorbringen zu werten ist. Dann wäre auch die Anwendung des Kriteriums der prima facie Relevanz fehlerhaft (in der grundlegenden Entscheidung T 1002/92 zur prima facie Relevanz geht es um "neue Tatsachen, Beweismittel und diesbezügliche Argumente").
Zum anderen stellt dieser Einwand zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit allenfalls ein neues Argument gegenüber bereits im Verfahren befindlichen Dokumenten dar. Im Einspruchsschriftsatz wurde für den erteilten Anspruch 1 bereits mangelnde Neuheit gegenüber der Druckschrift MB 3 (siehe Punkt IV.2.2) sowie fehlende erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift MB 8 (siehe Punkt V.) geltend gemacht. Dabei wurden insbesondere eine über Spannrohre mit der Eckrunge verbindbare Seitenplane und Rollwagenelemente in MB 3 identifiziert, ebenso in MB 8 eine Eckrunge sowie Aussteifungselemente zwischen den Führungsrollen der Seitenplane. Nach Auffassung der Kammer wurde damit der wesentliche Inhalt dieser Entgegenhaltungen in Bezug auf den erteilten Anspruch 1 und auch in Bezug auf den Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 (mit den zusätzlichen Merkmalen M8 bis M10, durch die geführte Schlitten als Längsholmverbindungsmittel, eine Spannstange als Eckrungenverbindungsmittel und schließlich die Position des Aussteifungselements näher spezifiziert werden) bereits im Einspruchsschriftsatz analysiert, so dass ihr Inhalt keine neue Tatsache darstellt (vgl. auch T 131/01, Punkt 4.1). Das EPÜ unterscheidet klar zwischen einerseits "Tatsachen und Beweismitteln" und andererseits "Argumenten" (vgl. T 92/92, Punkt 2: im Vergleich der englischen Fassungen von Artikel 114 (1) EPÜ und Artikel 114 (2) EPÜ) und bietet keine Grundlage dafür, selbst verspätet vorgebrachte Argumente nicht in das Verfahren zuzulassen. Das mit Artikel 114 (2) EPÜ eingeräumte Ermessen, verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht zu berücksichtigen, ist also nicht auf Argumente anwendbar, auch wenn diese verspätet vorgebracht sind. Dies gilt gleichermaßen für nach dem in der Ladung zur mündlichen Verhandlung festgesetzten Zeitpunkt vorgebrachte neue Argumente (siehe Regel 116 EPÜ). Insbesondere kann die Kammer keine höheren Anforderungen an die Zulassung der neuen Argumentationslinie MB 3 mit MB 8 in Reaktion auf den erst einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 1 erkennen, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet.
Es kann aber vorliegend dahingestellt bleiben, ob dies als wesentlicher Verfahrensfehler zu werten ist oder lediglich als ein Bewertungsfehler bzw. eine fehlerhafte Auslegung einer Bestimmung des EPÜ.
5. Artikel 11 VOBK (Verfahrensordnung der Beschwerdekammern) sieht vor, dass eine Kammer die Angelegenheit an die erste Instanz zurückverweist, wenn das Verfahren vor der ersten Instanz wesentliche Mängel aufweist und keine besonderen Gründe dagegen sprechen.
Die Beschwerdeführerin hat zwar angeregt, die Beweisaufnahme vor der Beschwerdekammer durchzuführen, um weitere Verzögerungen des Verfahrens zu vermeiden. Die Kammer kann allerdings nicht erkennen, dass eine Weiterbehandlung ohne Zurückverweisung an die erste Instanz das Verfahren wesentlich beschleunigen würde. Denn zur Anhörung der Zeugen im Beschwerdeverfahren wäre eine Vertagung der mündlichen Verhandlung erforderlich, was auch zu einer zeitlichen Verzögerung führen würde. Aus diesem Grund hält die Kammer es für sinnvoll, in Ausübung ihrer Befugnisse gemäß Artikel 111 (1) EPÜ die Angelegenheit zur weiteren Behandlung an die erste Instanz zurückzuverweisen.
6. Da der Beschwerde stattgegeben wird und die Entscheidung der ersten Instanz an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet, hält es die Kammer gemäß Regel 103 (1) a) EPÜ für billig, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen (so auch T 1198/97, Gründe Punkt 7 und T 1101/92, Gründe Punkt 5).
Wie bereits weiter oben ausgeführt, mag die durch die Einspruchsabteilung nicht berücksichtige Vorbenutzung für den Gegenstand des im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Hilfsantrags 1 relevant sein und zu einer anderen als der tatsächlich getroffenen Entscheidung führen. Die Kammer kann deshalb dem Argument der Beschwerdegegnerin nicht folgen, dass kein Grund für die Zurückerstattung der Beschwerdegebühr zu erkennen sei.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung mit der Auflage zurückverwiesen, das Einspruchsverfahren fortzusetzen.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.