T 1002/92 (Warteschlangensystem) 06-07-1994
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1. Im Verfahren vor den Einspruchsabteilungen sollten verspätet vorgebrachte Tatsachen, Beweismittel und diesbezügliche Argumente, die über die gemäß Regel 55 c) EPÜ in der Einspruchsschrift zur Stützung der geltend gemachten Einspruchsgründe angegebenen "Tatsachen und Beweismittel" hinausgehen, nur in Ausnahmefällen zum Verfahren zugelassen werden, wenn prima facie triftige Gründe die Vermutung nahelegen, daß die verspätet eingereichten Unterlagen der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstehen würden.
2. Im Verfahren vor den Beschwerdekammern sollten neue Tatsachen, Beweismittel und diesbezügliche Argumente, die über die gemäß Regel 55 c) EPÜ in der Einspruchsschrift zur Stützung der geltend gemachten Einspruchsgründe angegebenen "Tatsachen und Beweismittel" hinausgehen, in pflichtgemäßer Ausübung des Ermessens der Kammer nur in ausgesprochenen Ausnahmefällen und nur dann zum Verfahren zugelassen werden, wenn die neuen Unterlagen prima facie insofern hochrelevant sind, als sie mit gutem Grund eine Änderung des Verfahrensausgangs erwarten lassen, also höchstwahrscheinlich der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstehen. Dabei sollten auch andere für den jeweiligen Fall relevante Faktoren berücksichtigt werden, insbesondere, ob - und mit welcher Begründung - der Patentinhaber den neuen Unterlagen die Zulässigkeit abspricht und inwieweit eine Zulassung zu verfahrensrechtlichen Komplikationen führen würde.
Plan oder Verfahren für eine geschäftliche Tätigkeit (verneint)
Patentfähiger Gegenstand (bejaht)
Vorgebrachte Tatsachen, Beweismittel und Argumente zu einer nicht substantiierten Vorbenutzung (nicht zugelassen)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
I. Die Beschwerdegegner sind Inhaber des europäischen Patents Nr. 0 086 199.
Anspruch 1 in der erteilten Fassung lautet wie folgt:
"1. System zur Bestimmung der Reihenfolge der Bedienung von Kunden an mehreren Servicepunkten mit einer Wartenummer-Vergabeeinheit (4) zur Vergabe einer Wartenummer an jeden Kunden, der bedient zu werden wünscht, mehreren jeweils einem Servicepunkt zugeordneten Terminals (31, 32, 33, 34) und einer Informationseinheit (2), die Signale zur Identifizierung der jeweils zu bedienenden Wartenummer und des jeweils freien Servicepunkts empfängt und diese den Kunden anzeigt, dadurch gekennzeichnet, daß das System eine Wähleinheit (5), die mit der Wartenummer-Vergabeeinheit (4) in einer Wartenummer-Vorrichtung (1) zusammenwirkt und es den Kunden ermöglicht, aus der Vielzahl der Servicepunkte einen bestimmten auszuwählen, und ein Computermittel (6) aufweist, das die Reihenfolge der vergebenen Wartenummern mit den jeweils gewählten Servicepunkten speichert, von den Terminals (31, 32, 33, 34) Signale zur Identifizierung des für die Bedienung eines Kunden gerade freien Servicepunkts empfängt, entscheidet, welche Wartenummer an dem gerade freien Servicepunkt zu bedienen ist, und an die Informationseinheit (2) Signale zur Identifizierung dieser Wartenummer und des gerade freien Servicepunkts abgibt, wobei als nächstes diejenige Wartenummer aus der gespeicherten Reihenfolge der vergebenen Wartenummern zu bedienen ist, für die kein bestimmter Servicepunkt gewählt wurde oder für die der gewählte Servicepunkt der gerade freie ist." ...
II. a) Dieses Patent hat der Beschwerdeführer unter Berufung auf die in Artikel 100 a) EPÜ genannten Einspruchsgründe angefochten und dabei insbesondere geltend gemacht, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 als Plan, Regel oder Verfahren für eine geschäftliche Tätigkeit im Sinne des Artikels 52 (2) c) EPÜ anzusehen und überdies im Hinblick auf die Artikel 54 (2) und 56 EPÜ zu beanstanden sei, da er in weiten Teilen keine Neuheit gegenüber dem durch die folgenden Beweismittel belegten Stand der Technik erkennen lasse:
D5 eidesstattliche Versicherung von Hans Alm vom 10. September 1984 und Artikel über eine offenkundige Vorbenutzung eines von der Firma Elcentralen AB entwickelten automatischen Warteschlangensystems im Regionalbüro der Sozialversicherung in Malmö/SE im Jahr 1979, im folgenden "System von Malmö" genannt, und
D6 eidesstattliche Versicherung von Lars Jarder vom 22. Dezember 1982 und Artikel über eine offenkundige Vorbenutzung eines von der Firma Bela Elektronik entwickelten automatischen Warteschlangensystems in einer Bank in Sollentuna/SE im Jahr 1981, im folgenden "System von Sollentuna" genannt.
b) Am 18. Oktober 1990, also etwa eineinhalb Jahre nach Ablauf der Einspruchsfrist, reichte der Beschwerdeführer ergänzend ein weiteres Beweismittel für den Stand der Technik ein:
D7.1 eidesstattliche Versicherung von Bernt Andersson vom 6. Juli 1990 betreffend ein von Ericsson geliefertes automatisches Telefonvermittlungssystem mit der Bezeichnung A 435/Triton, das - nach Aussage des Beschwerdeführers - am 22. Mai 1979 im Fernmeldeamt in Göteborg/SE in Betrieb genommen wurde, im folgenden "Triton-System" genannt.
III. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch zurück.
a) Sie wertete den Gegenstand des Anspruchs 1 als Geschäftseinrichtung und nicht als Beitrag zum Stand der Technik auf dem Gebiet der geschäftlichen Tätigkeiten oder der Computerprogrammierung als solchen und sah in ihm daher eine Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ; sie begründete dies im einzelnen wie folgt: ...
c) Die Einspruchsabteilung befand, das Triton-System sei vom technischen Sachverhalt her nicht hinreichend relevant, als daß es entscheidungserheblich wäre. Deswegen ließ sie das verspätet vorgelegte diesbezügliche Beweismittel (D7.1) nach Artikel 114 (2) EPÜ nicht zu.
IV. Der Beschwerdeführer legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und bestand auf der Zulassung des Beweismaterials für das Triton-System. Als Beleg für seine Behauptung, daß das Triton- Telefonvermittlungssystem dasselbe technische Gebiet wie die beanspruchte Erfindung betreffe, führte er folgende Unterlagen an:
D8 US-A-3 307 150
D9 US-A-3 969 589
D10 US-A-3 975 597
D11 US-A-4 048 452
V. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung vertrat die Kammer die vorläufige Auffassung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 als technisches System aus zusammenwirkenden technischen Bauteilen angesehen werden könne, bei dem durch die Arbeitsweise des Computermittels eine technische Aufgabe gelöst werde, und somit nach Artikel 52 (1) EPÜ patentfähig sei; die Dokumente D7.1 und D8 bis D11 dürften für die Entscheidung unerheblich sein und könnten daher nach Artikel 114 (2) EPÜ unberücksichtigt gelassen werden. Daraufhin reichte der Beschwerdeführer am 6. Juni 1994 folgende weitere Beweismittel zum Triton-System ein:
VI. Die mündliche Verhandlung fand ordnungsgemäß am 6. Juli 1994 statt. Der Beschwerdeführer (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 086 199. Die Beschwerdegegner (Patentinhaber) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung.
VII. Zur Stützung seines Antrags trug der Beschwerdeführer sinngemäß folgendes vor:
a) Anspruch 1 sei zwar als Vorrichtungsanspruch abgefaßt, habe jedoch Pläne, Regeln oder Verfahren für eine geschäftliche Tätigkeit als solche im Sinne des Artikels 52 (2) c) EPÜ zum Gegenstand. Das beanspruchte System werde nicht durch seine physikalische Struktur, sondern nur durch sehr allgemeine funktionelle Angaben definiert, die den Schritten eines solchen nicht patentfähigen Verfahrens entsprächen. Somit steuere das beanspruchte System zum Stand der Technik nicht mehr bei als das Verfahren selbst. In einem solchen Fall gelte nach der Entscheidung T 38/86 (ABl. EPA 1990, 384), daß sich ein etwaiges Patentierungsverbot für das Verfahren auch auf die Vorrichtung erstrecke.
b) Die Wähleinheit und das Computermittel gemäß Anspruch 1 finde man auch beim System von Malmö. Dort gebe ein Kunde keine Präferenz für einen Servicepunkt an, wenn er jeder der fünf Einheiten für die Vergabe der Wartenummern ein Ticket entnehme; bei Aufstellung in einer Reihe bildeten diese Einheiten eine Wartenummer- Vergabeeinheit im Sinne des Anspruchs 1. Eine einzige Wartenummer- Vergabeeinheit werde in Anspruch 1 nicht beansprucht und wäre zudem auch nicht erfinderisch, sondern etwas ganz Alltägliches. Somit offenbare das System von Malmö (D5) sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 außer denjenigen, daß als nächstes diejenige Wartenummer aus der gespeicherten Reihenfolge der vergebenen Wartenummern bedient werde, "für die kein bestimmter Servicepunkt gewählt wurde oder für die der gewählte Servicepunkt der gerade freie ist" (s. Zeilen 43 - 46 des Anspruchs 1). Die Merkmale, durch die sich der Gegenstand des Anspruchs 1 vom nächstliegenden Stand der Technik unterscheide, seien mithin dem nicht patentfähigen Verfahren für eine geschäftliche Tätigkeit zuzurechnen; zum Stand der Technik auf einem vom Patentschutz nicht ausgeschlossenen Gebiet leiste die Erfindung keinen Beitrag. Der Entscheidung T 38/86 (Leitsatz II) zufolge dürfte in diesen Fällen eine Patentierung nicht im Sinne des EPÜ sein.
c) Die meisten Merkmale im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 würden bereits durch das System von Malmö (D5) vorweggenommen, so daß Anspruch 1 der Regel 29 (1) EPÜ nicht genüge.
d) Die vorstehend unter Nummer VII b) aufgeführten Merkmale, durch die sich der Gegenstand des Anspruchs 1 vom System von Malmö (D5) unterscheide, stellten einen Warteschlangen-Algorithmus dar, der auch beim Triton-System verwendet werde, wie das Beweismittel D7.1, insbesondere Absatz 3, belege. Daher sei das Beweismittel D7.1 durchaus so relevant, daß es die Entscheidung beeinflussen könne, und hätte von der Einspruchsabteilung zum Verfahren zugelassen werden müssen. Die weiteren Beweismittel D7.2, D7.3, D14.1, D14.2 und D14.3 sollten die technische Relevanz des Triton-Systems untermauern und der Kammer die nötige Handhabe für die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung bieten.
e) Der offensichtliche, enge Zusammenhang zwischen der beanspruchten Erfindung und der Telekommunikation werde durch die Beweismittel D8 bis D11 belegt. Das Beweismaterial D13.1, D13.2 und D13.3 zeige ferner, daß sich ein Fachmann für die Bestimmung einer Abfertigungsreihenfolge auf dem Gebiet der Telekommunikation umsehen würde, wenn er eine Aufgabe zu lösen hätte, bei der es um die Bedienung von Kunden aus einer Warteschlange gehe.
VIII. Diesen Ausführungen widersprachen die Beschwerdegegner, die im wesentlichen folgendes vorbrachten:
a) Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei eine eigenständige hardwaremäßige physikalische Struktur, die einen konkreten technischen Aufbau mit einer Wartenummer-Vergabeeinheit und einer Servicepunkt-Wähleinheit, einer Computereinheit, einem Terminal an jedem Servicepunkt und einer Informationseinheit besitze. Eine solche technische Ausgestaltung des beanspruchten Systems stelle keinesfalls eine gedankliche Regel oder dergleichen dar, die nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ zudem auch nur "als solche" von der Patentierung ausgeschlossen wäre. Die in Anspruch 1 verwendeten Ausdrücke vermittelten dem Fachmann eine eindeutige konstruktive Lehre. Eine generalisierende Formulierung konstruktiver Merkmale eines räumlichen Systems - namentlich durch ihre Funktion innerhalb desselben - sei in der europäischen wie auch in der nationalen Patentpraxis üblich und ändere auch nichts am technischen Charakter der betreffenden Bauteile.
b) Das System von Malmö (D5) besitze fünf unabhängig voneinander arbeitende Wartenummer-Vergabeeinheiten, die jeweils einem Servicepunkt zugeordnet seien, so daß nach dem Prinzip "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" fünf parallele Warteschlangen gebildet würden. Beim System von Malmö entscheide sich ein Kunde also von vornherein für einen bestimmten Servicepunkt, schließe sich der entsprechenden Warteschlange an und bleibe dort, bis er bedient werde. Daher seien weder die Wähleinheit noch das Computermittel gemäß Anspruch 1 aus dem System von Malmö bekannt. Mithin leiste der Gegenstand des Anspruchs 1 einen technischen Beitrag zum Stand der Technik auf dem Gebiet der Vorrichtungen für geschäftliche Tätigkeiten.
c) Die Beschwerdegegner bestreiten überdies, daß die Merkmale des Systems von Malmö der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag der vorliegenden Erfindung zugänglich gemacht worden sind. ...
d) Sie machen ferner geltend, daß auch die technischen Merkmale des Triton-Systems, die den vom Beschwerdeführer verspätet eingereichten Beweismitteln D7.1, D7.2, D7.3, D14.1, D14.2 und D14.3 zu entnehmen sind, der Öffentlichkeit nicht vor dem Prioritätstag der vorliegenden Erfindung zugänglich gemacht wurden. Das Triton-System sei aber vor allem deswegen technisch irrelevant, weil seine Warteschlange völlig anders organisiert sei als bei der vorliegenden Erfindung. Beim Triton-System könne kein bestimmter Vermittler ausgewählt werden. Die Auswahl eines einzelnen Vermittlers für einen bestimmten eingehenden Anruf liege in den Händen einer Aufsichtsperson, die das Prioritätsmuster dem Verkehrsaufkommen anpasse. Das Beweismaterial zum Triton-System sei deswegen nicht so relevant, daß seine späte Einführung in das Verfahren gerechtfertigt wäre.
IX. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung, die Beschwerde zurückzuweisen.
1. Verhältnis zwischen den Artikeln 52 und 56 EPÜ
Wie unter Nummer VII a) und b) dargelegt, hat der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung geltend gemacht, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 als Plan, Regel oder Verfahren für eine geschäftliche Tätigkeit im Sinne des Artikels 52 (2) c) EPÜ anzusehen sei, weil die überaus allgemein gehaltenen Vorrichtungsmerkmale des Anspruchs den Schritten eines Verfahrens entsprächen, das nicht patentfähig wäre, und die betreffende Vorrichtung zum Stand der Technik nicht mehr beisteuere als das Verfahren. In diesem Zusammenhang hat der Beschwerdeführer auf die Entscheidung T 38/86 und insbesondere auf deren Leitsätze II, IV und V verwiesen.
In der mündlichen Verhandlung führte der Beschwerdeführer diese Argumentation noch weiter aus und wies darauf hin, daß das einzige durch die Vorbenutzung von Malmö nicht offenbarte Merkmal des Anspruchs 1 das in den letzten Zeilen des Anspruchs (Spalte 7, Zeilen 41 bis 46) angegebene Merkmal sei, das aber keinen technischen Charakter habe, so daß der beanspruchte Gegenstand keinen "Beitrag zum Stand der Technik auf einem vom Patentschutz nicht ausgeschlossenen Gebiet" leiste.
Nach Auffassung der Kammer zeugt diese Argumentation von einem falschen Verständnis des Verhältnisses zwischen den Artikeln 52 und 56 EPÜ. In Fällen wie diesem ist zunächst zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zu Recht behauptet, daß der Gegenstand - hier des Anspruchs 1 - keine "Erfindung" im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ verkörpert. Ist der beanspruchte Gegenstand entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers nach Artikel 52 EPÜ nicht vom Patentschutz ausgeschlossen, so stellt sich die - vom Beschwerdeführer ebenfalls aufgeworfene - weitere, unabhängige Frage, ob er denn eine erfinderische Tätigkeit aufweist.
2. Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ
2.1 Artikel 52 (2) EPÜ schließt bestimmte, unter den Buchstaben a bis d aufgezählte "Gegenstände oder Tätigkeiten als solche" von der Patentierung nach dem EPÜ aus. Ihr gemeinsames Merkmal besteht darin, daß es sich um etwas Abstraktes handelt.
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer vorgebracht, das Vorrichtungssystem gemäß Anspruch 1 stelle tatsächlich einen Plan, eine Regel oder ein Verfahren für eine geschäftliche Tätigkeit dar und falle damit unter die vom Patentschutz ausgeschlossenen Kategorien. Die Kammer kann sich dem nicht anschließen. Die beanspruchte Vorrichtung ist eindeutig technischer Natur (s. Entscheidungen T 22/85, ABl. EPA 1990, 12 und T 854/90, ABl. EPA 1993, 669) und kommt bei der Bedienung von "Kunden" zur praktischen Anwendung. Daß eine dieser praktischen Anwendungen der Vorrichtung die Bedienung von Kunden einer "Geschäftseinrichtung" betrifft, bedeutet noch nicht, daß der beanspruchte Gegenstand mit einem Verfahren für eine geschäftliche Tätigkeit an sich gleichzusetzen ist.
Daher fällt der beanspruchte Gegenstand nach Ansicht der Kammer nicht unter das Patentierungsverbot gemäß Artikel 52 (2) und (3) EPÜ.
Diese Schlußfolgerung stützt sich im einzelnen auch auf die folgenden Überlegungen:
2.2 Die Formulierung des Anspruchs 1 läßt keinen Zweifel daran, daß sich das Schutzbegehren auf ein "System zur Bestimmung der Reihenfolge der Bedienung von Kunden" und damit auf einen räumlichen Gegenstand mit den entsprechenden Eigenschaften erstreckt. In Anspruch 1 ist ausdrücklich angegeben, daß dieses System eine Wartenummer-Vergabeeinheit, eine Wähleinheit, Terminals, eine Informationseinheit und ein Computermittel umfaßt. Durch den Anspruchswortlaut wird also ein technischer Gegenstand aus mindestens fünf Bauteilen definiert, der eindeutig zur Kategorie der Vorrichtungen gehört. Jedes der fünf Bauteile wird durch seine Funktion definiert. Im vorliegenden Fall wird dieser breite Anspruch durch die offenbarten Ausführungsarten und - beispiele getragen. Es besteht allgemeines Einvernehmen darüber, daß die Charakterisierung eines Vorrichtungsteils durch seine Funktion nicht automatisch aus dem entsprechenden Anspruchsmerkmal eine Handlung macht, die ein Benutzer an diesem Vorrichtungsteil vorzunehmen hat.
2.3 Unter den in Anspruch 1 angegebenen Funktionen ist eine erste Gruppe auszumachen, die nur als inhärente Vorrichtungseigenschaften des betreffenden Systembauteils ausgelegt werden können. Diese erste Gruppe umfaßt folgende Funktionen: Die "Vergabe einer Wartenummer an jeden Kunden, der bedient zu werden wünscht" ist eine Eigenschaft der Wartenummer-Vergabeeinheit. Der "Empfang von Signalen zur Identifizierung der jeweils zu bedienenden Wartenummer und des jeweils freien Servicepunkts und deren Anzeige für die Kunden" ist ein Attribut der "Informationseinheit". Die Funktion, die es "den Kunden ermöglicht, aus mehreren Servicepunkten einen bestimmten auszuwählen", ist eine Funktion der "Wähleinheit". Die "Speicherung der Reihenfolge der vergebenen Wartenummern mit dem jeweils gewählten Servicepunkt" ist eine Hardwareeigenschaft des "Computermittels". Der "Empfang der von den Terminals kommenden Signale zur Identifizierung des für die Bedienung eines Kunden gerade freien Servicepunkts" spezifiziert die Schaltkreisverbindung zwischen den Ausgabeeinheiten der Terminals und der Eingabeeinheit des Computermittels. Die "Abgabe von Signalen zur Identifizierung der jeweiligen Wartenummer und des gerade freien Servicepunkts an die Informationseinheit" kennzeichnet die Schaltkreisverbindung zwischen der Ausgabeeinheit des Computermittels und der Eingabeeinheit der Informationseinheit. Die vorstehend genannten Funktionen entsprechen technisch nicht den Schritten eines Verfahrens; deshalb kann der Gegenstand des Anspruchs 1 als Ganzes betrachtet seinem eigentlichen Wesen nach nicht als Verfahren für eine geschäftliche Tätigkeit als solche ausgelegt werden.
2.4 Darüber hinaus enthält Anspruch 1 nur noch eine weitere Funktion. Sie beschreibt das grundlegende Arbeitsprinzip des beanspruchten Computermittels, das "entscheidet, welche Wartenummer an dem gerade freien Servicepunkt zu bedienen ist", wobei die Regel gilt, daß "als nächstes diejenige Wartenummer aus der gespeicherten Reihenfolge der vergebenen Wartenummern zu bedienen ist, für die kein bestimmter Servicepunkt gewählt wurde oder für die der gewählte Servicepunkt der gerade freie ist". Nach Ansicht der Kammer ist nur dieses Funktionsmerkmal in Anspruch 1 mehrdeutig in dem Sinne, daß es sich sowohl um einen Schritt eines Verfahrens für eine geschäftliche Tätigkeit, der durch eine gedankliche Tätigkeit ausgeführt werden kann, als auch um eine Hardwareeigenschaft des Computermittels handelt, dank deren sich das gewünschte technische Ergebnis durch den beanspruchten Gegenstand ohne menschliche Mitwirkung erzielen läßt. Die Betätigung der Wähleinheit durch einen Kunden und die Bedienung eines Terminals durch eine dafür zuständige Person sind nicht als menschliche Mitwirkung in einem Verfahren für eine geschäftliche Tätigkeit zu werten, sondern als manuelle Eingabe von Steuerungsdaten und Startsignalen in ein technisches System. Betrachtet der fachkundige Leser Anspruch 1 als Ganzes, so ist ihm klar, daß das vorstehend genannte Funktionsmerkmal kein unabhängiger Bestandteil innerhalb des gesamten Anspruchs ist, der für sich als geistiges Konzept geprüft werden könnte.
Durch die Formulierung des Anspruchs 1 wird dieses Funktionsmerkmal mit den übrigen technischen Anspruchsmerkmalen logisch untrennbar verknüpft, da es für die Erzielung des laut Beschreibung (Spalte 1, Zeilen 37 - 45) angestrebten technischen Ergebnisses unabdingbar ist. Im Rahmen der Gesamtlehre des Anspruchs 1 beschränkt sich dieses Funktionsmerkmal somit wesensmäßig auf eine Hardwareeigenschaft. Anspruch 1 ist so formuliert, daß dieses Funktionsmerkmal nach Ansicht der Kammer keinesfalls als Schritt eines nicht patentfähigen Verfahrens für eine geschäftliche Tätigkeit ausgelegt, sondern nur als Computerprogramm verstanden werden kann, nach dem die beanspruchte Hardware arbeitet.
2.5 Eine Wertung des Funktionsmerkmals als Schritt eines nicht patentfähigen Verfahrens widerspräche der technischen Gesamtlehre, die der Fachmann aus dem gesamten Anspruchswortlaut herausliest, und würde bedeuten, daß Anspruchsmerkmale losgelöst vom übrigen Wortlaut des Anspruchs ausgelegt werden. Nach Auffassung der Kammer läßt eine solche ohne Rücksicht auf den Kontext vorgenommene isolierte Auslegung das ausdrücklich beanspruchte technische Zusammenspiel zwischen den beanspruchten Merkmalen außer acht, verfälscht das offenbarte Wesen eines bestimmten Merkmals und ist daher nicht vertretbar.
2.6 Wie sich aus der vorstehenden Analyse ergibt, ist Anspruch 1 auf eine Vorrichtung gerichtet, die unter anderem Computerhardware umfaßt, die nach einem bestimmten Programm arbeitet. Das programmgesteuerte Ausgabesignal der Hardware wird zur automatischen Steuerung eines anderen Systembauteils (der Informationseinheit) eingesetzt und löst damit eine rein technische Aufgabe. In diesem Fall liegt eine Mischung technischer und nichttechnischer Elemente vor, die nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern nicht gemäß Artikel 52 (2) und (3) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen ist. Aufgrund dessen wird der Gegenstand des Anspruchs 1 als Erfindung im Sinne des Artikels 52 (2) EPÜ gewertet.
2.7 Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung hat sich der Einsprechende darauf berufen, daß gegen die prioritätsbegründende schwedische Anmeldung in Schweden Einspruch wegen mangelnder Patentfähigkeit ihres Gegenstands eingelegt worden ist und das schwedische Patentamt die Anmeldung daraufhin zurückgewiesen hat. Im Beschwerdeverfahren vor dem schwedischen Beschwerdegericht für Patentsachen wurde die Anmeldung ebenfalls zurückgewiesen. Diese Entscheidung wurde dann in einem weiteren Beschwerdeverfahren auch vom Obersten Verwaltungsgericht Schwedens bestätigt. Die Ansprüche der schwedischen Anmeldung betrafen im wesentlichen denselben Gegenstand wie diejenigen des Streitpatents. Der Zurückweisungsgrund entsprach im wesentlichen dem gegen das Streitpatent erhobenen Einwand nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ.
Obwohl sich der Einsprechende im Verfahren vor der Beschwerdekammer nicht mehr ausdrücklich auf das Schicksal der entsprechenden schwedischen Anmeldung bezogen hat, möchte die Kammer doch bei allem Respekt für die Begründung der Zurückweisungsentscheidung des schwedischen Patentamts, des Beschwerdegerichts für Patentsachen und des Obersten Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die mit dem EPÜ angestrebte Harmonisierung des Patentschutzes in den Vertragsstaaten folgendes anmerken.
Sie stellt fest, daß sowohl das schwedische Patentamt als auch das Beschwerdegericht für Patentsachen im Gegenstand der schwedischen Anmeldung eine Lösung einer nichttechnischen Aufgabe sahen und ihm daher die Patentfähigkeit absprachen. Das Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts bestätigt zwar die Zurückweisung der Anmeldung, enthält aber auch ein Minderheitsvotum.
Seit diesen Entscheidungen, die in Schweden zwischen 1983 und 1987 ergingen, wurde die Rechtsprechung der Beschwerdekammern zur Auslegung des Artikels 52 EPÜ weiterentwickelt und auch das schwedische Recht entsprechend angepaßt, wie das Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts vom 13. Juni 1990 zu einer Anmeldung der N. V. Philips Gloeilampenfabrieken zeigt. In diesem Urteil wird darauf hingewiesen, daß die frühere - zur Zeit der eingangs genannten Entscheidungen über die schwedische Voranmeldung geltende - schwedische Rechtsprechung von der Rechtsprechung des EPA abwich.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann sich die Kammer der Argumentation, mit der die schwedische Voranmeldung zurückgewiesen wurde, aus den vorstehend im einzelnen dargelegten Gründen nicht anschließen.
3. Zulässigkeit verspätet vorgebrachter Beweismittel
Wie unter den Nummern II b) und III c) dargelegt, hat der Einsprechende im Verfahren vor der Einspruchsabteilung erfolglos versucht, mehr als zwei Jahre nach der Erteilung des angefochtenen europäischen Patents noch Beweismittel für eine Vorbenutzung des Triton-Telefonsystems nachzureichen. Auch im Beschwerdeverfahren hat der Einsprechende, wie unter den Nummern IV und V erwähnt, weiter auf die Zulassung dieser und anderer Beweismittel gedrängt, die die behauptete offenkundige Vorbenutzung des Triton-Systems und seine angebliche Relevanz für die beanspruchte Erfindung belegen sollen.
Aus verfahrensrechtlicher Sicht hat daher die Kammer unter diesen Umständen anhand von zwei gesonderten Fragen über die Zulässigkeit der das Triton-System betreffenden Beweismittel zu befinden:
i) Sollte die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der die am 18. Oktober 1990 eingereichten Beweismittel für unzulässig erklärt wurden, von der Kammer aufgehoben werden?
ii) Sollten die am 18. Oktober 1990 eingereichten Beweismittel zusammen mit dem am 6. Juli 1994 vorgelegten weiteren Beweismaterial zum Beschwerdeverfahren zugelassen werden.
3.1 Anzuwendende Grundsätze
Bei der Beantwortung dieser beiden Fragen muß nach Auffassung der Kammer die gemeinsame Begründung der Entscheidung G 9/91 und der Stellungnahme G 10/91 (ABl. EPA 1993, 408 und 420) berücksichtigt werden, da dort bei der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des EPÜ auf Verfahrensgrundsätze verwiesen wird, die für die Frage der Zulässigkeit verspätet vorgebrachter Tatsachen, Beweismittel und Argumente im Einspruchsverfahren maßgeblich sind.
Artikel 99 (1) EPÜ schreibt vor, daß ein Einspruch innerhalb von neun Monaten nach der Erteilung eines europäischen Patents einzulegen und "schriftlich einzureichen und zu begründen" ist. Nach Regel 55 c) EPÜ muß die der Begründung dienende Erklärung über dreierlei Auskunft geben, nämlich
i) in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt wird, ii) auf welche Einspruchsgründe der Einspruch gestützt wird und iii) welche Tatsachen und Beweismittel zur Begründung vorgebracht werden.
In der Entscheidung G 9/91 stand die Komponente i, die erste dieser drei Komponenten der Einspruchserklärung, zur Diskussion. Sie wirft im vorliegenden Fall keine Probleme auf, da das Streitpatent in vollem Umfang angefochten wurde. Die Stellungnahme G 10/91 betraf die Komponente ii der Einspruchserklärung, da der Großen Beschwerdekammer in dieser Sache vom Präsidenten des Amts die Frage vorgelegt worden war, ob sich die Einspruchsprüfung auf die in der Einspruchserklärung vorgetragenen Einspruchsgründe beschränken sollte. Zwischen den Komponenten ii und iii besteht allerdings ein enger Zusammenhang. Die "Angabe der Tatsachen und Beweismittel" stellt nämlich klar, aus welchen rechtlichen und faktischen Gründen dem Einspruch stattgegeben werden soll. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern müssen diese rechtlichen und faktischen Gründe (d. h. die Komponente iii) zur Stützung des Einspruchs (Komponente ii) in der Einspruchsschrift so vollständig dargelegt werden, daß das gesamte Vorbringen des Einsprechenden gegen die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung sowohl für den Patentinhaber als auch für das EPA objektiv verständlich ist, wenn der Einspruch zulässig sein soll (s. beispielsweise Entscheidungen T 222/85 (ABl. EPA 1988, 128), T 550/88 (ABl. EPA 1992, 117) und T 2/89 (ABl. EPA 1991, 51)).
Die "Angabe der Tatsachen und Beweismittel" zur Stützung der vorgebrachten Einspruchsgründe wird häufig als "Substantiierung" bezeichnet.
Die Große Beschwerdekammer hat in ihrer gemeinsamen Begründung der Entscheidung G 9/91 und der Stellungnahme G 10/91 im Zusammenhang mit den ihr vorgelegten Fragen zu den Komponenten i wie auch ii die "Kernfrage" darin gesehen, ob - und inwieweit - für die Prüfung eines Einspruchs oder einer Beschwerde die vom Einsprechenden nach Maßgabe des Artikels 99 (1) und der Regel 55 c) EPÜ in der Einspruchsschrift abgegebene Erklärung bindend ist (s. Nr. 5 der Begründung). Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer "ergibt Regel 55 c) EPÜ nur dann einen Sinn, wenn ihr im Zuge der Auslegung eine Doppelfunktion zugesprochen wird, die darin besteht, daß sie zum einen (zusammen mit anderen Bestimmungen) die Zulässigkeit des Einspruchs regelt und zum anderen den rechtlichen und faktischen Rahmen festlegt, innerhalb dessen die materiellrechtliche Prüfung des Einspruchs grundsätzlich durchzuführen ist" (Hervorhebung durch die Große Beschwerdekammer).
Sie ging dann der Frage nach, ob es Ausnahmen gibt, die den "vorstehend abgesteckten grundsätzlichen Rahmen für die materiellrechtliche Prüfung des Einspruchs" durchbrechen. In bezug auf die Komponente ii der Einspruchserklärung befaßte sich die Große Beschwerdekammer in der Stellungnahme G 10/91 zunächst (unter Nr. 16) mit der Ermessensbefugnis der Einspruchsabteilungen und gelangte zu dem Schluß, daß eine Einspruchsabteilung kraft Artikel 114 EPÜ in pflichtgemäßer Ausübung ihrer Befugnisse auch einen durch die Erklärung nach Regel 55 c) EPÜ nicht abgedeckten Einspruchsgrund entweder von sich aus oder auf Veranlassung des Einsprechenden in Betracht ziehen und prüfen könne. Sie betonte jedoch, daß die Einspruchsabteilung nur dann von dem zuvor aufgestellten Grundsatz abweichen und neue Einspruchsgründe prüfen sollte, wenn prima facie "triftige Gründe dafür sprechen, daß diese Einspruchsgründe ... der Aufrechterhaltung des europäischen Patents ... entgegenstehen würden".
Anschließend ging die Große Kammer (unter Nr. 18) auf die entsprechende Ermessensbefugnis einer Beschwerdekammer ein und hob in diesem Zusammenhang darauf ab, daß es "Hauptzweck des ... Beschwerdeverfahrens" sei, "der unterlegenen Partei eine Möglichkeit zu geben, die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich anzufechten"; sie führte ferner aus, daß das Beschwerdeverfahren im Gegensatz zum administrativen erstinstanzlichen Verfahren ein verwaltungsgerichtliches Verfahren und daher weniger als das erstinstanzliche Verfahren auf Ermittlungen ausgerichtet sei. Nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer darf deshalb eine Beschwerdekammer einen neuen Einspruchsgrund nur dann gemäß Artikel 114 EPÜ in Betracht ziehen und prüfen, wenn dieser "schon dem ersten Anschein nach hochrelevant" (Hervorhebung durch die jetzige Kammer) ist und der Patentinhaber seiner Einführung in das Beschwerdeverfahren zustimmt.
3.2 Natürlich ist die Große Beschwerdekammer bei der Prüfung der Frage, ob ein weiterer, in der Einspruchsschrift nicht enthaltener Einspruchsgrund nach Ablauf der Einspruchsfrist noch zum Verfahren vor der Einspruchsabteilung oder der Beschwerdekammer zugelassen werden kann, zwangsläufig stillschweigend davon ausgegangen, daß dann zumindest auch neue "Tatsachen und Beweismittel" zu seiner Stützung vorgebracht werden. Die bloße Nennung eines neuen Einspruchsgrunds ohne Angabe entsprechender neuer Tatsachen, Beweismittel und Argumente wäre nämlich weder vor noch nach Ablauf der Einspruchsfrist zulässig.
Was nun die Zulässigkeit verspätet vorgebrachter neuer Tatsachen, Beweismittel und Argumente anbelangt, so widerspräche es der Logik, ein solches neues Vorbringen zu einem neuen Einspruchsgrund nach anderen Maßstäben zu beurteilen als ein verspätetes Vorbringen zur Stützung eines bereits in der Einspruchserklärung genannten Einspruchsgrunds.
Daraus folgt nach Auffassung der Kammer, daß die Grundsätze, die die Große Beschwerdekammer für die Zulässigkeit neuer Einspruchsgründe (Komponente ii der Einspruchserklärung gemäß Regel 55 c) EPÜ) aufgestellt hat, auch auf verspätet vorgebrachte neue "Tatsachen und Beweismittel" zur Stützung schon in der Einspruchserklärung angegebener Einspruchsgründe allgemein anwendbar sind, und zwar sowohl im Verfahren vor den Einspruchsabteilungen als auch im Verfahren vor den Beschwerdekammern.
3.3 Nach den in der Stellungnahme G 10/91 erörterten Grundsätzen sollten demnach im Verfahren vor den Einspruchsabteilungen verspätet vorgebrachte Tatsachen, Beweismittel und diesbezügliche Argumente, die über die gemäß Regel 55 c) EPÜ in der Einspruchsschrift zur Stützung der geltend gemachten Einspruchsgründe angegebenen "Tatsachen und Beweismittel" hinausgehen, von der Einspruchsabteilung nur in Ausnahmefällen zum Verfahren zugelassen werden, wenn prima facie triftige Gründe die Vermutung nahelegen, daß die verspätet eingereichten Unterlagen der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstehen würden.
Daß im Verfahren vor den Einspruchsabteilungen die Relevanz verspätet vorgebrachter neuer Tatsachen, Beweismittel und Argumente für deren ausnahmsweise Zulassung ausschlaggebend ist, ergibt sich aus dem administrativen Charakter des Einspruchsverfahrens.
3.4 Nach denselben Grundsätzen sollten im Verfahren vor den Beschwerdekammern neue Tatsachen, Beweismittel und diesbezügliche Argumente, die über die gemäß Regel 55 c) EPÜ in der Einspruchsschrift zur Stützung der geltend gemachten Einspruchsgründe angegebenen "Tatsachen und Beweismittel"hinausgehen, nur in ausgesprochenen Ausnahmefällen und nur dann zum Verfahren zugelassen werden, wenn die neuen Unterlagen prima facie insofern hochrelevant sind, als sie höchstwahrscheinlich der Aufrechterhaltung des strittigen europäischen Patents entgegenstehen. Dieses noch restriktivere und strengere Kriterium für die Zulassung verspätet vorgebrachter Tatsachen, Beweismittel und diesbezüglicher Argumente im Beschwerdeverfahren steht in vollem Einklang mit den drei bereits angesprochenen Aussagen der Stellungnahme G 10/91, wonach
(1) die in der Einspruchsschrift enthaltene Erklärung nach Regel 55 c) EPÜ den rechtlichen und faktischen Rahmen festlegen soll, innerhalb dessen die materiellrechtliche Prüfung des Einspruchs durchzuführen ist (Hervorhebung durch die Kammer);
(2) es Hauptzweck des Beschwerdeverfahrens ist, der unterlegenen Partei eine Möglichkeit zu geben, die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich anzufechten (was voraussetzt, daß sich der rechtliche und faktische Rahmen des Verfahrens nach Erlaß der erstinstanzlichen Entscheidung nicht ändert);
(3) das Beschwerdeverfahren ein verwaltungsgerichtliches Verfahren und daher weniger auf Ermittlungen ausgerichtet ist als das erstinstanzliche Verfahren.
Neben dem Kriterium der hohen Relevanz, das in ausgesprochenen Ausnahmefällen die Zulassung neuer Tatsachen, Beweismittel und diesbezüglicher Argumente zum Beschwerdeverfahren rechtfertigt, gelten für die Ausübung des Ermessens der Beschwerdekammern nach Artikel 114 EPÜ, wie die Große Beschwerdekammer ausgeführt hat, aber auch einige allgemeinere Überlegungen, die sich aus dem verwaltungsgerichtlichen Charakter des Beschwerdeverfahrens herleiten. So ist insbesondere darauf zu achten, daß in der Beschwerdephase des Einspruchsverfahrens verfahrensrechtliche Komplikationen und Unwägbarkeiten für die Patentinhaber vermieden werden, zumal ein europäisches Patent ja auch noch im Nichtigkeitsverfahren vor nationalen Gerichten angefochten werden kann.
Eingedenk dessen hat die Große Beschwerdekammer die Auffassung vertreten, daß ein neuer Einspruchsgrund im Beschwerdeverfahren nur mit Zustimmung des Patentinhabers eingeführt werden darf.
Nach Ansicht der Kammer sollte eine Beschwerdekammer, wenn sie in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 114 EPÜ darüber zu befinden hat, ob neue Tatsachen, Beweismittel und diesbezügliche Argumente zur Stützung eines schon früher vorgebrachten Einspruchsgrunds zum Beschwerdeverfahren zugelassen werden, alle für die Ausübung dieses Ermessens relevanten Faktoren, darunter insbesondere die vorstehend genannten, berücksichtigen und abwägen. Mithin sollten im Verfahren vor den Beschwerdekammern neue Tatsachen, Beweismittel und diesbezügliche Argumente, die über die gemäß Regel 55 c) EPÜ in der Einspruchsschrift anzugebenden "Tatsachen und Beweismittel" zur Stützung der geltend gemachten Einspruchsgründe hinausgehen, in pflichtgemäßer Ausübung des Ermessens der Kammer nur in ausgesprochenen Ausnahmefällen und nur dann zum Verfahren zugelassen werden, wenn die neuen Unterlagen prima facie insofern hochrelevant sind, als sie mit gutem Grund eine Änderung des Verfahrensausgangs erwarten lassen, also höchstwahrscheinlich der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstehen. Dabei sollten auch andere für den jeweiligen Fall relevante Faktoren berücksichtigt werden, so insbesondere, ob - und mit welcher Begründung - der Patentinhaber den neuen Unterlagen die Zulässigkeit abspricht und inwieweit eine Zulassung zu verfahrensrechtlichen Komplikationen führen würde.
In der Regel sind um so größere Verfahrenskomplikationen zu erwarten, je später solche neuen Unterlagen eingereicht werden.
Der Kammer ist bewußt, daß in einigen neueren Beschwerdekammerentscheidungen verspätet vorgebrachte Beweismittel und diesbezügliche Argumente ungeachtet ihrer etwaigen Relevanz für unzulässig befunden wurden. So gelangte die Kammer in der Entscheidung T 951/91 (ABl. EPA 1995, 202) zu dem Schluß, daß einem Beteiligten, der Tatsachen, Beweismittel und Argumente ohne Angabe stichhaltiger Gründe erst nach Beginn des Beschwerdeverfahrens vorlegt, die Zulassung solcher verspätet eingereichten Unterlagen ungeachtet ihrer Relevanz verweigert werden kann. Auch bei Vorliegen eines Verfahrensmißbrauchs werden verspätet eingereichte Unterlagen ungeachtet ihrer möglichen Relevanz nicht zugelassen (Entscheidungen T 534/89 (ABl. EPA 1994, 464) und T 17/91). Nach Ansicht der Kammer stehen diese Entscheidungen in Einklang mit den vorstehend dargelegten Grundsätzen.
3.5 Seit der Entscheidung T 156/84 (ABl. EPA 1988, 372) fühlt sich das EPA (sowohl in der ersten als auch in der zweiten Instanz) in der Regel verpflichtet, die Relevanz verspätet vorgebrachter Tatsachen und Beweismittel umfassend zu prüfen. Es folgt dabei der in dieser Entscheidung dargelegten Auslegung des Artikels 114 EPÜ, wonach der Grundsatz der Ermittlung von Amts wegen Vorrang vor der Befugnis des EPA hat, verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel unberücksichtigt zu lassen. Nach dieser Prüfung wird die Zulässigkeit der verspätet eingereichten Unterlagen untersucht, die in erster Linie davon abhängig gemacht wird, ob diese Unterlagen (nach Einschätzung der jeweiligen Instanz) entscheidungserheblich sind.
Was die Zulassung verspätet vorgebrachter Tatsachen, Beweismittel und diesbezüglicher Argumente im Verfahren vor den Einspruchsabteilungen anbelangt, so entspricht der vorstehend in Anlehnung an die Stellungnahme G 10/91 aufgestellte Grundsatz (s. Nr. 3.3) im großen und ganzen dem Tenor der Entscheidung T 156/84. Für die Zulassung neuer Tatsachen, Beweismittel und Argumente im Beschwerdeverfahren werden dagegen unter Nummer 3.4 in Anlehnung an die Stellungnahme G 10/91 eindeutig strengere Grundsätze aufgestellt als in der Entscheidung T 156/84.
4. Zulässigkeit der verspätet vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Argumente zum Triton-System
4.1 Wie in früheren Entscheidungen der Beschwerdekammern klargestellt wurde, muß der Einsprechende, wenn er eine Vorbenutzung als Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ oder als Teil des rechtlichen und faktischen Rahmens für die materiellrechtliche Prüfung des Einspruchs in Anspruch nehmen will, innerhalb der Einspruchsfrist in der Einspruchsschrift alle zur Ermittlung des Zeitpunkts, des Gegenstands und der Umstände der Vorbenutzung dienlichen Tatsachen angeben. Eine offenkundige Vorbenutzung ist nur dann ausreichend substantiiert, wenn konkrete Umstände angegeben sind, was wo, wann, wie und durch wen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist (s. Entscheidungen T 328/87 (ABl. EPA 1992, 701) und T 93/89 (ABl. EPA 1992, 718)). In der Einspruchsschrift müssen auch die zur Stützung des jeweiligen Einspruchsgrunds vorgebrachten Beweismittel und Argumente angegeben werden.
4.2 Im vorliegenden Fall sind in der innerhalb der Einspruchsfrist eingereichten Einspruchsschrift sowohl die Tatsachen und Beweismittel für das System von Malmö und das System von Sollentuna als auch die diesbezüglichen Argumente zur Substantiierung der angeblichen mangelnden Neuheit und mangelnden erfinderischen Tätigkeit angegeben. Die Einspruchsschrift enthält aber keine Angabe der Tatsachen, Beweismittel oder Argumente und damit auch keine Begründung im Hinblick auf das Triton-System. Diese wurden etwa eineinhalb Jahre nach Ablauf der Einspruchsfrist erstmals vorgebracht und von der Einspruchsabteilung wegen unzureichender Relevanz (s. Nrn. II b) und III c)) nicht zugelassen. Der Einsprechende hat die verspätete Vorlage dieser Unterlagen hauptsächlich mit Schwierigkeiten bei der Beschaffung dieser Tatsachen und Beweismittel erklärt. Von einem Verfahrensmißbrauch seitens des Einsprechenden kann daher im vorliegenden Fall keine Rede sein.
4.3 In bezug auf die unter Nummer 3 genannte Frage i hat die Kammer die vom Einsprechenden am 18. Oktober 1990 eingereichten Beweismittel und die Entscheidung der Einspruchsabteilung über deren Unzulässigkeit geprüft und ist zu der Überzeugung gelangt, daß diese Entscheidung von der Einspruchsabteilung in Ausübung ihres Ermessens und unter Anwendung der richtigen Grundsätze (s. Nr. 3.3) getroffen wurde und aufrechterhalten werden sollte.
4.4 Was die unter Nummer 3 angesprochene Frage ii anbelangt, so hält die Kammer die vom Einsprechenden vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Argumente zum Triton-System in ihrer Gesamtheit prima facie nicht für so hochrelevant, daß ihre Zulassung zum jetzigen Verfahren zu einem so späten Zeitpunkt des Einspruchsbeschwerdeverfahrens gerechtfertigt wäre.
Bei dieser Entscheidung hat die Kammer nicht nur dem Kriterium der Relevanz der verspätet eingereichten Unterlagen, sondern auch den Einwänden der Patentinhaber gegen ihre Zulassung und dem Umstand Rechnung getragen, daß sich die Unterlagen auf eine angebliche Vorbenutzung eines Systems beziehen. Wenn diese Unterlagen noch in diesem späten Stadium zum Beschwerdeverfahren zugelassen würden, müßte die Verhandlung dieser Frage wahrscheinlich aufgeschoben werden, um den Patentinhabern ausreichend Gelegenheit zu eigenen Nachforschungen über die angebliche Vorbenutzung des Triton-Systems zu geben. Auch müßte die Sache dann womöglich zur umfassenden Prüfung aller von beiden Beteiligten zum Triton-System vorgelegten Beweismittel an die erste Instanz zurückverwiesen werden.
4.5 Die Kammer hat sich auch davon überzeugt, daß sich die unter Nummer VIII d) wiedergegebenen Ausführungen der Beschwerdegegner zum Triton-System technisch mit der Offenbarung in Absatz 1.1 des Beweismittels D14.2 decken. Nach Abwägung aller von den Beteiligten vorgebrachten Tatsachen und Argumente erscheint es der Kammer wahrscheinlicher, daß der Kunde beim Triton-System nicht die Möglichkeit hat, durch die Anrufsignale, die über die Fernleitungen in das Warteschlangensystem eingegeben werden, aus einer Gruppe von Vermittlern einen bestimmten auszuwählen, so daß das Triton-System die anstehende Entscheidung nicht beeinflußt.
Aus den vorstehenden Gründen hat die Kammer beschlossen, keine der verspätet eingereichten Tatsachen, Beweismittel und diesbezüglichen Argumente zur behaupteten Vorbenutzung des Triton-Systems zum Verfahren zuzulassen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.