T 0876/16 30-04-2020
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Verfahren zur Herstellung eines Rotationssymmetrischen Hohlkörpers aus einer faserverstärkten Kunststoffarmierung und einer mit PVE modifizierten PTFE-Auskleidung
Entscheidung im schriftlichen Verfahren
Erfinderische Tätigkeit (nein)
Kostenverteilung - (nein)
I. Die Einsprechende hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 857 259 (nachfolgend als "das Patent" bezeichnet) zurückzuweisen, Beschwerde eingelegt.
II. Von den von der Einspruchsabteilung berücksichtigten Druckschriften sind folgende für die Beschwerde besonders relevant:
D1: DE 29 35 295
D2: DE 102 03 123 C1
D6: Internet-Fachartikel (www.cav.de):
"Vor Korrosion geschützt", datiert auf
den 13. März 2002
Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin zusammen mit der Beschwerdebegründung noch folgende Dokumente eingereicht:
D10: Broschüre "Sicherheit & Wirtschaftlichkeit
TFM Modified PTFE" der Firma 3M, datiert auf
"01/2015"
D11: E-Mail von Frau Fee Pitsch der Firma 3M an
Herrn Augustin Goetz der Firma Steuler,
datiert auf den 2. Juni 2016
D12: Sicherheitsdatenblatt PFA der Firma DuPont,
datiert auf den 1. September 2004
D13: Technisches Datenblatt AGRU PFA der Firma agru,
datiert auf den 17. März 2016
D14: Internet-Auszug "Fluoropolymer Comparison -
Typical Properties", datiert auf
den 20. September 2011
D15: Auszug aus dem Römpp Lexikon Chemie, Zehnte
Auflage (1997)
Zusammen mit der Beschwerdeerwiderung (Schreiben vom 28. Oktober 2016) hat die Beschwerdegegnerin ein "Datenblatt zu PTFE" eingereicht und als Dokument "D16" bezeichnet.
Mit Schreiben vom 7. Januar 2020 hat die Beschwerdeführerin noch einen Artikel von M. Schlipf "Weniger Deformation und verbessertes Rückstellungsvermögen. Neue PTFE-Generation für den chemischen Armaturen- und Apparatebau", Verfahrenstechnik, 3/99, eingereicht. Er wird im Folgenden als Druckschrift D17 bezeichnet.
III. Die Beteiligten, die beide hilfsweise einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hatten, wurden mit einer Ladung gemäß Regel 115 (1) EPÜ vom 9. April 2019 zu einer mündlichen Verhandlung am 9. März 2020 geladen.
IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) vom 10. September 2019 teilte die Kammer ihre vorläufige und sie in ihrer Entscheidung nicht bindende Auffassung hinsichtlich sachlicher oder rechtlicher Fragen des Beschwerdefalles den Beteiligten mit.
V. In einem Schreiben vom 7. Januar 2020 nahm die Beschwerdeführerin zu der vorläufigen Meinung der Kammer inhaltlich Stellung.
VI. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) teilte in einem Schreiben vom 4. Februar 2020 der Kammer mit, dass sie Deutsch als Sprache in der Verhandlung verwenden würde und dass keine Simultanübersetzung benötigt werde. Mit einem weiteren Schreiben vom 7. Februar 2020, eingegangen beim EPA am selben Tag per Telefax, teilte die Beschwerdegegnerin mit, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde. In beiden Schreiben wurde inhaltlich nicht Stellung genommen.
VII. Die Geschäftsstellenbeamtin der Kammer kontaktierte mehrfach telefonisch die Kanzlei des Vertreters der Beschwerdegegnerin und hinterließ für den Vertreter am 5. März 2020 die Nachricht, dass die Kammer die im Schreiben vom 7. Februar 2020 abgegebene Erklärung, nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, als eine Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung verstehe. In einem weiteren Telefonat desselben Tages teilte der Vertreter der Beschwerdegegnerin der Geschäftsstellenbeamtin mit, dass die Beschwerdegegnerin den Antrag auf mündliche Verhandlung nur dann zurücknehme, wenn die Gegenseite dies auch täte. Der Vertreter wurde gebeten, dies schriftlich zu bestätigen, und er sagte zu, dies zu tun. Eine entsprechende schriftliche Bestätigung wurde seitens der Beschwerdegegnerin nicht eingereicht.
VIII. Am 6. März 2020 wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 9. März 2020 aufgehoben und die Beteiligten wurden am selben Tag vorab per Faxschreiben darüber informiert. Laut Sendebericht wurde dieses Faxschreiben am Freitag, den 6. März 2020, um 14.52 dem Vertreter der Beschwerdeführerin zugesandt.
IX. Der Vertreter der Beschwerdeführerin erschien am 9. März 2020 in Haar.
X. In einem Schreiben vom 9. März 2020 beantragte die Beschwerdeführerin, dass die Kosten, die ihr durch die Vorbereitung der für den 9. März 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung seitens ihres Vertreters und durch seine Anreise nach Haar entstanden sind, der Beschwerdegegnerin gemäß Regel 88 EPÜ auferlegt werden.
XI. In einer Mitteilung vom 31. März 2020 teilte die Kammer den Beteiligten unter Angaben von Gründen ihre vorläufige Meinung mit, dass eine Kostenentscheidung nach Artikel 104 (1) EPÜ zugunsten der Beschwerdeführerin nicht gerechtfertigt zu sein scheine. Sie wies in diesem Zusammenhang u.a. darauf hin, dass sie das Vorgehen des Vertreters der Beschwerdegegnerin, der trotz gegenteiliger Zusage keine schriftliche Bestätigung seiner am Telefon getätigten Aussagen eingereicht habe, als Verletzung der Höflichkeitspflicht gemäß Artikel 6 der epi-Richtlinien für die Berufsausübung (ABl. EPA 2020, Zusatzpublikation 1, Seite 129) betrachte. Die Kammer gab den Beteiligten die Gelegenheit, innerhalb einer Frist von einem Monat ab Zustellung der Mitteilung zu der vorläufigen Meinung der Kammer Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführerin wurde darüber hinaus aufgefordert, innerhalb dieser Frist der Kammer mitzuteilen, ob ihr Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung auch für den Fall gelte, dass angesichts der dargelegten vorläufigen Auffassung der Kammer ihrem Antrag auf Kostenverteilung nicht stattgegeben werden könne. Die Kammer wies darauf hin, dass im Fall einer mündlichen Verhandlung der Antrag auf Kostenverteilung der einzige Diskussionspunkt sein würde.
XII. Mit Schreiben vom 27. April 2020 nahm die Beschwerdegegnerin ihren Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung zurück und nahm zu der Mitteilung der Kammer vom 31. März 2020 inhaltlich Stellung.
XIII. Mit Schreiben vom 27. April 2020 teilte die Beschwerdeführerin der Kammer mit, dass ihr hilfsweise gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung sich nur auf die Frage des Widerrufs des mit Einspruch angegriffenen Patents beziehe und nicht auf die Frage der Kostenverteilung.
XIV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen (siehe die Beschwerdeschrift vom 8. April 2016). Des Weiteren beantragte sie eine Kostenverteilung gemäß Regel 88 EPÜ zu ihren Gunsten.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (siehe die Beschwerdeerwiderung vom 28. Oktober 2016). Des Weiteren beantragte sie, den Antrag der Beschwerdeführerin auf Kostenauferlegung gemäß Regel 88 EPÜ zurückzuweisen.
XV. Anspruch 1 des Patents lautet wie folgt (die von der Kammer verwendete Merkmalskennzeichnung ist in eckigen Klammern angegeben):
"[1] Verfahren zur Herstellung eines rotationssymmetrischen Hohlkörpers, aufweisend eine PTFE-Auskleidung (1) und eine Armierung aus Kunststoff (2), aufweisend die folgenden Schritte:
a) [2] Bereitstellung eines rotationssymmetrischen Hohlkörpers aus einem PTFE;
b) [3] Aufbringen eines Schmelzklebstoff-Materials auf den rotationssymmetrischen Hohlkörper;
c) [4] Aufbringen mindestens einer Schicht aus einem textilem Faserprodukt (3,4) auf den so hergestellten lockeren Verbund aus PTFE-Hohlkörper und Schmelzklebstoff, wobei [5] das textile Faserprodukt (3,4) in Form eines textilen Schlauches oder einer textilen Wickelschicht auf den Verbund aus PTFE-Hohlkörper und Schmelzklebstoff aufgebracht wird, wobei [6] die Fasern aus Kohlenstoff-, Glas-, Bor-, oder Aramidfasern, bzw. Gemische bzw. Verbünde derselben bestehen und
d) [7] Erwärmen des so hergestellten Vorprodukts dergestalt, dass mit Hilfe des Schmelzklebstoffs eine Verbindung zwischen der PTFE-Auskleidung und dem textilem [sic] Faserprodukt hergestellt wird, wobei [8] das Vorprodukt bis zu einer Temperatur im Bereich der Kristallit-Schmelztemperatur von PTFE oberhalb von 300 °C erwärmt wird;
dadurch gekennzeichnet,
- dass [9] der rotationssymmetrische Hohlkörper aus einem mit weniger als 1% Perfluorpropylvinylether (PPVE) modifizierten PTFE besteht;
- dass [10] das Schmelzklebstoff-Material einen perfluorierten Kunststoff wie PFA, PFA-M oder FEP enthält;[sic]"
XVI. Im Hinblick auf den Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift D1 hat die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung folgendermaßen begründet (siehe Punkt 5.2 der angefochtenen Entscheidung):
"D1 als nächstliegender Stand der Technik:
[5.2.1] Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von der Offenbarung der D1 darin, dass
der Hohlkörper aus einem mit weniger als 1% Perfluorpropylvinylether (PPVE) modifzierten PTFE besteht, dass
das PTFE mit PPVE modifiziert ist, und dass
das Vorprodukt bis zu einer Temperatur im Bereich der Kristallit-Schmelztemperatur von PTFE oberhalb von 300 °C erwärmt wird.
[5.2.2] Die objektive technische Aufgabe kann, wie von der Einsprechenden formuliert, darin gesehen werden, ein alternatives Verfahren zur Herstellung eines rotationssymmetrischen Hohlkörpers anzugeben.
...
[5.2.4] Der Fachmann wird durch das Dokument D6 nicht dazu veranlasst, die objektive technische Aufgabe auf naheliegende Weise durch die Unterscheidungsmerkmale zu lösen: Das Dokument D6 ist auf das Auskleiden von Behältern und Kolonnen mit Folien und Laminaten aus PTFE gerichtet (Abschnitt "Auskleidung", erster Satz). D6 offenbart ein mit PPVE modifiziertes PTFE (Abschnitt "Modifiziertes Polymer", erster Satz) mit weniger als 1% Perfluorpropylvinylether (PPVE) (Abschnitt "Modifiziertes Polymer", dritter Satz). Selbst wenn man die Auskleidungen aus Folien und Laminaten in D6 als Hohlkörper gemäß Anspruch 1 ansehen würde, offenbart D6 lediglich eine Lose-Hemd-Auskleidung oder eine Verklebung (Abschnitt "Auskleidung", zweiter Satz). Diese beiden Auskleidungsverfahren umfassen weder explizit noch implizit eine Erwärmung bis zu einer Temperatur im Bereich der Kristallit-Schmelztemperatur von PTFE oberhalb von 300 °C. Daher offenbart selbst eine Kombination der D1 und der D6 nicht alle Merkmale von Anspruch 1. ..."
XVII. Die Beteiligten haben im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
a) Beschwerdeführerin (Einsprechende)
Erfinderische Tätigkeit
Die Druckschrift D1 offenbare Verbundrohre, also rotationssymmetrische Hohlkörper, und deren Herstellung. Es sei nicht zutreffend, dass die Druckschrift D1 keine modifizierten PTFE offenbare. Wenn zugunsten der Patentinhaberin unterstellt würde, dass in dem nächstliegenden Stand der Technik nicht modifiziertes PTFE verwendet worden sei, ergebe sich das beanspruchte Verfahren dennoch in naheliegender Art und Weise aus einer Kombination der Druckschriften D1 und D6.
Von der Einspruchsabteilung sei die Aufgabe ausgehend von D1 als die Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zur Herstellung eines rotationssymmetrischen Hohlkörpers formuliert worden.
Ein solches Verfahren könne beispielsweise bequem durchzuführen sein. Das könne dann der Fall sein, wenn die Innenauskleidung von rotationssymmetrischen Hohlkörpern, wie sie beispielsweise in Kolonnen häufig vorkomme, besser bearbeitet, und insbesondere besser verschweißt werden könne. Für den Chemieanlagenbau sei auch von Wichtigkeit, dass die Innenliner eine einheitliche Innenauskleidung möglichst ohne irgendwelche Fehlstellen aufwiesen, um dadurch die Beständigkeit gegenüber aggressiven Chemikalien zu erreichen.
Die Literaturstelle D6 biete dem Fachmann die gewünschte Alternative durch einen Hinweis auf eine derartige Alternative. Unter der Überschrift "Vor Korrosion geschützt" heiße es in dem zweiten Absatz, dass für die Auskleidung von Behältern und Kolonnen, also beispielsweise auch Rohren, in der Vergangenheit hauptsächlich PFA und FEP eingesetzt worden seien. Als Hauptvorteil von PFA und FEP gegenüber PTFE sei deren Verschweißbarkeit angesehen worden. Der Nachteil des herkömmlichen PTFE werde durch die Modifizierung von PTFE entkräftet. Überdies zeige das modifizierte PTFE gegenüber PFA geringere Permeationswerte.
Dieser Absatz stelle daher für den verständigen Durchschnittsfachmann einen klaren Hinweis dar, der ihm die Lösung für eine bessere Handhabbarkeit des ausgekleideten Rohres gebe. Unter der Überschrift "Modifiziertes Polymer" werde ein Produkt vorgestellt, nämlich das modifizierte PTFE, bei dem in die lineare Kette des PTFE-Polymers zusätzlich PPVE in einem Anteil von weniger als 1 % eingebracht werde.
Der Fachmann erhalte in diesem Absatz auch eine in chemischer Hinsicht nachvollziehbare Begründung für den geringen Anteil an Modifier. In dem zitierten Absatz heiße es nämlich: "Da der Modifier eine mögliche Schwachstelle für einen chemischen Angriff ist, bietet das modifizierte PTFE eine bessere Beständigkeit."
Den beiden Absätzen entnehme der Fachmann daher, dass ein mit weniger als 1 % PPVE modifiziertes PTFE einerseits eine bessere Beständigkeit und andererseits eine verbesserte Handhabbarkeit (überlegene Verschweißbarkeit) aufweise. Für den Fachmann sei es daher naheliegend, ausgehend von der Druckschrift D1 modifiziertes PPVE, wie in der Druckschrift D6 beschrieben, einzusetzen.
Auch die Druckschrift D17 belege, dass dem Fachmann die Vorteile von mit PPVE modifiziertem PTFE bekannt waren. Dort werde insbesondere auf die im vorliegenden Fall hochrelevante bessere Schweißfähigkeit hingewiesen.
In der Druckschrift D1 seien darüber hinaus Temperaturen von oberhalb von 300°C klar offenbart. Eine Temperatur von 320°C sei explizit erwähnt (siehe Seite 17, Zeile von unten).
Kostenverteilung
Im vorliegenden Fall sei aus der vorläufigen Auffassung der Kammer erkennbar gewesen, dass sie im Hinblick auf Artikel 56 EPÜ voraussichtlich zugunsten der Beschwerdeführerin entscheiden würde und das Patent widerrufen würde. Der Vertreter der Beschwerdegegnerin habe mit Schriftsatz vom 7. Januar 2020, der der Beschwerdeführerin mit Mitteilung vom 18. Februar 2020 übermittelt worden sei, die Kammer dahingehend informiert, dass die Beschwerdegegnerin an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde. Von der Geschäftsstelle der Beschwerdekammer sei offensichtlich versucht worden zu klären, ob dies als Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung auszulegen sei. Das sei aber offensichtlich vom Vertreter der Beschwerdegegnerin gegenüber der Geschäftsstelle verneint worden. In einer derartigen Situation habe die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung nicht zurücknehmen können, weil die vorläufige Auffassung der Kammer nicht bindend sei und es nicht habe ausgeschlossen werden können, dass eventuell die Kammer zu einer anderen Auffassung gelange. Die Absetzung der mündlichen Verhandlung (Mitteilung der Kammer vom 9. März 2020) habe den Vertreter der Beschwerdeführerin erst erreicht, als er bereits am Gebäude der Beschwerdekammer in Haar angekommen sei. Durch die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung und die Anreise sei ein Aufwand entstanden, der der Beschwerdegegnerin in Rechnung gestellt werden müsse und der ohne Weiteres vermeidbar gewesen wäre.
b) Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin)
Erfinderische Tätigkeit
Die Ausführungen der Einspruchsabteilung seien in vollem Umfang zutreffend.
Der Hauptanspruch des Streitpatents unterscheide sich von der Lehre der Druckschrift Dl durch die Merkmale 8 und 9.
Die objektive technische Aufgabe bestehe darin, ein alternatives Verfahren zur Herstellung eines rotationssymmetrischen Hohlkörpers anzugeben.
Bezüglich der Argumentation der Einsprechenden sei Folgendes festzustellen:
- Die Druckschrift D6 offenbare, dass das PTFE mit PPVE modifiziert sei.
- Es sei zweifelhaft, ob die Druckschrift D6 das Unterscheidungsmerkmal a) offenbare. Zwar sei als Modifiergehalt für PTFE "weniger als 1%" angegeben, allerdings nicht in Bezug auf einen Hohlkörper, sondern für "Auskleidungen aus Folien und Laminaten". Diese Auskleidungen würden lose in den auszukleidenden Behälter gehängt oder dort eingeklebt.
- Das Merkmal 8 sei in der Druckschrift D6 nicht offenbart.
Die erfindungsgemäße Lösung werde dem Fachmann ausgehend von der Druckschrift Dl deshalb in der Druckschrift D6 schon formal nicht nahegelegt, denn wesentliche Merkmale fehlten sowohl in der Druckschrift Dl als auch in der Druckschrift D6.
Aber auch zur Lösung der Aufgabe trage D6 nichts bei. Die genannte Aufgabe betreffe ein alternatives Verfahren zur Herstellung von Hohlkörpern, ähnlich denjenigen, die aus der Druckschrift Dl bekannt seien. Dabei handele es sich um "nahtlose laminierte Rohre" (siehe den Titel oder die Beschreibung auf Seite 5 unten). Die Druckschrift D6 beschreibe hingegen im letzten Absatz, dass Behälter und Kolonnen mit Auskleidungen versehen werden könnten, die "aus Folien oder Laminaten" "lose ... eingebracht oder fest verklebt" werden könnten, sowie: "Bei der fest verbundfesten Auskleidung werden Platten aus modifiziertem PTFE fest eingeklebt."
Ein Fachmann, der auf die Suche nach einer Alternative zu dem Verfahren zur Herstellung von nahtlos laminierten Rohren gemäß Dl gehe, würde deshalb die Druckschrift D6 nicht ernsthaft in Betracht ziehen, denn dort werde ein Material vorgeschlagen, das unter anderem in Form von Platten vorliegen könne und deshalb gerade nicht nahtlos verarbeitet werde.
Eine Indizwirkung für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit habe auch der große zeitliche Abstand zwischen dem nächstkommenden Stand der Technik gemäß der Druckschrift Dl (Anmeldetag 31. August 1979) und dem Patent (Anmeldetag 12. Mal 2007) von mehr als 25 Jahren. In dieser Zeit habe es keine über die Technik der Druckschrift Dl wesentlich hinausgehenden Entwicklungen bei Verfahren zur Herstellung von PTFE-ausgekleideten Rohren gegeben. Man müsse anerkennen, dass es erst mit der technischen Lehre des Patents einen deutlichen Fortschritt gegeben habe.
Kostenverteilung
Wegen des Verstoßes gegen die Höflichkeitsregeln des epi werde um Entschuldigung gebeten. Die schriftliche Bestätigung des Telefonats vom 5. März 2020 sei aufgrund eines Missverständnisses nicht abgesandt worden. Unmittelbar nach diesem Telefonat habe ihr Vertreter einer Mitarbeiterin mündlich den Auftrag gegeben, die Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung schriftlich zu bestätigen. Die Mitarbeiterin habe den Auftrag an eine Kollegin weitergegeben, da sie zu der fraglichen Zeit ausgelastet gewesen sei. Die Kollegin habe dann am Freitag die Bestätigung in Bearbeitung genommen, etwa gleichzeitig sei aber das Telefax des EPA mit der Terminsaufhebung bekommen. Daraufhin habe die Kollegin angenommen, dass die Angelegenheit erledigt sei. Es seien wegen der kurzen Zeit zwischen dem Anruf der Geschäftsstelle und dem Verhandlungstermin keine Fristen oder Wiedervorlagen notiert worden.
Hinsichtlich des Antrags der Beschwerdeführerin auf Kostenverteilung sei festzustellen, dass die Mitteilung der Kammer nicht so verstanden worden sei, dass ohne weitere Diskussion im Sinne der Beschwerdeführerin entschieden werden würde. Da die Beschwerdeführerin auch einen Hilfsantrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gestellt habe, der auch nicht zurückgenommen worden sei, habe die Beschwerdegegnerin davon ausgehen müssen, dass eine mündliche Verhandlung auch dann stattfinden müsste, wenn sie auf eine Teilnahme daran verzichte und den betreffen Antrag einseitig zurücknehmen würde. Eine Kostenauferlegung für eine stattgefundene mündliche Verhandlung sei aber nur dann geboten, wenn eine solche Verhandlung aufgrund einer klaren und eindeutigen vorläufigen Einschätzung der Kammer obsolet sei und nur deshalb stattfinden müsse, weil ein entsprechender Antrag gestellt worden sei. Eine solche unmissverständliche vorläufige Einschätzung habe aber hier nicht vorgelegen. Die Beschwerdeführerin sei offenbar ebenfalls bereits am 6. März 2020 per Telefax über die Aufhebung des Verhandlungstermins informiert worden. Wenn ihr Vertreter dennoch am 9. März 2020 zum Verhandlungsort angereist sei, scheine auf Seiten des Vertreters ein Organisationsmangel vorzuliegen, den die Beschwerdegegnerin nicht zu vertreten habe.
1. Anzuwendendes Recht
Die Anmeldung, auf deren Grundlage das Patent erteilt wurde, wurde am 12. Mai 2007 eingereicht. Deshalb ist im vorliegenden Fall in Anwendung von Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (Sonderausgabe Nr. 1, ABl. EPA 2007, 196) und des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (Sonderausgabe Nr. 1, ABl. EPA 2007, 197) der Artikel 56 EPÜ 1973 anzuwenden.
Die revidierte Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020, ABl. EPA 2019, A63) ist gemäß Artikel 24 (1) VOBK 2020 am 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Die Frage, inwieweit im vorliegenden Fall die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der Fassung von 2007 (VOBK 2007, siehe ABl. EPA 2007, 536 und EPÜ 16. Auflage, Juni 2016, Seiten 601 bis 629) weiter anzuwenden ist, bestimmt sich nach den in Artikel 25 VOBK 2020 festgelegten Übergangsbestimmungen.
2. Entscheidung im schriftlichen Verfahren
Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020, der gemäß Artikel 25 (1) VOBK 2020 vorliegend anzuwenden ist.
Die Beschwerdesache ist auf der Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des vorliegenden schriftlichen Vorbringens der Beteiligten unter Wahrung deren Rechte gemäß Artikel 113 und 116 EPÜ entscheidungsreif. Die Beschwerdegegnerin hat ihren Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen. Der von der Beschwerdeführerin hilfsweise gestellte und sich nur auf die Frage des Widerrufs des mit Einspruch angegriffenen Patents beziehende Antrag auf mündliche Verhandlung kommt angesichts der Stattgabe ihrer Beschwerde nicht zum Tragen.
3. Anspruchsauslegung
3.1 Der Anspruch 1 des Patents enthält das Merkmal "bis zu
einer Temperatur im Bereich der Kristallit-
Schmelztemperatur von PTFE oberhalb von 300 °C".
Die Schwierigkeit bei der Auslegung dieses Merkmals besteht darin, dass im Prinzip zwei Temperaturbereiche erwähnt sind (nämlich "bis zu einer Temperatur im Bereich der Kristallit-Schmelztemperatur von PTFE" und "oberhalb von 300 °C") und sich die Frage stellt, wie sie sich zueinander verhalten. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Schmelztemperatur von unmodifiziertem PTFE bei etwa 327°C liegt und nach bestem Wissen der Kammer auch die mit weniger als 1% PPVE modifizierten Formen Schmelztemperaturen in diesem Bereich aufweisen.
Es gibt keinen Anlass, die beiden Bereiche als Alternativen aufzufassen.
Der Ausdruck "im Bereich" ist unbestimmt und definiert somit keinen genauen Temperaturbereich. Absatz [0022] des Patents liefert auch keine genauere Bestimmung dessen, was genau gemeint ist.
Der Fachmann hätte das Merkmal so verstanden, dass der beanspruchte Temperaturbereich der Bereich oberhalb von 300°C ist und dass der erstgenannte Bereich nur zur technischen Erläuterung dient. Dementsprechend ist das Merkmal zu verstehen im Sinne von "oberhalb von 300 °C und somit im Bereich der Kristallit-Schmelztemperatur von PTFE".
3.2 Der Anspruch 1 des Patents enthält das weitere Merkmal "mit weniger als 1% Perfluorpropylvinylether (PPVE) modifiziertes PTFE".
Nach Auffassung der Kammer hätte der Fachmann den Anspruchswortlaut so gedeutet, dass der Wert von 0% PPVE nicht erfasst wird. Wäre ein beliebig - also möglicherweise ohne PPVE - modifiziertes PTFE gemeint, wäre das Merkmal 9 anders formuliert worden (z.B. "... aus einem modifizierten PTFE").
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Ausgangspunkt
Die Kammer wählt die Druckschrift D1 als Ausgangspunkt zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit.
Diese Druckschrift beschäftigt sich mit der Herstellung eines nahtlosen, verstärkten Rohres aus thermoplastischen Polymeren für den Gebrauch mit korrosiven Materialien.
4.2 Unterschiede
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass sich der Anspruch 1 durch die Merkmale 8 und 9 von der Offenbarung der Druckschrift D1 unterscheide (siehe Punkt 4.2.4 der angefochtenen Entscheidung).
4.3 Modifizierung von PTFE mit PPVE (Merkmal 9)
In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdeführerin auf folgende Passage der Druckschrift D1 hingewiesen:
"Beispiele für diese Copolymeren sind Copolymere von Chlortrifluoräthylen und Tetrafluoräthylen (TFE) mit Fluorolefinen, wie Hexafluorpropylen, oder mit Perfluoralkylvinyläthermonomeren, wie Perfluorpropyl- oder Perfluoräthylvinyläther, oder mit nicht-fluorhaltigen Monomeren, wie Alkenen, z.B. Äthylen, einschliesslich der binären Tetrafluoräthylen/Äthylen-Polymeren und (entsprechenden) Terpolymeren." (Seite 9, Zeilen 19 bis 26; Hervorhebungen durch die Kammer)
Die Einspruchsabteilung hat dazu Folgendes ausgeführt:
"Um zu einem Copolymer von Tetrafluoräthylen mit Perfluorpropylvinyläther zu gelangen, müsste sich der Fachmann in dieser Passage der D1 im Rahmen einer ersten Listenauswahl für das Tetrafluoräthylen als Fluorolefin entscheiden. Danach müsste er sich im Rahmen einer zweiten Listenauswahl für Perfluoralkylvinyläthermonomere statt Hexafluorpropylen entscheiden. Schließlich müsste er im Rahmen einer dritten Listenauswahl Perfluorpropylvinyläther statt dem ebenfalls angeführten Perfluoräthylvinyläther auswählen. Der Fachmann müsste also in der D1 eine Auswahl aus drei Listen einer gewissen Länge treffen, um die beanspruchte spezifische Merkmalskombination "mit PPVE modifiziertes PTFE" zu erhalten. Daher verleiht die daraus resultierende Merkmalskombination Neuheit ("Richtlinien",
G-VI, 8. i)).
Die Kammer kann sich letzterer Aussage nicht anschließen. Die genannte Offenbarungsstelle der Druckschrift D1 enthält keine einzige Liste im Sinne der Rechtsprechung, aus der auszuwählen wäre. Die Rechtsprechung zur Auswahl aus (langen) Listen ist daher nicht anwendbar. TFE-PPVE-Copolymere sind eindeutig und unzweifelhaft offenbart.
4.4 Modifier-Gehalt von weniger als 1% (Merkmal 9)
Die Kammer hat bereits dargelegt, dass sie das Merkmal 9 so auslegt, dass ein Verfahren zur Herstellung eines Hohlkörpers aus PTFE mit einem Modifier-Gehalt von 0% nicht vom Anspruch erfasst wird (siehe oben, Punkt 3.2).
Die Beschwerdeführerin hat eine implizite Offenbarung geltend gemacht. Sie verweist zum einen auf ihren Vortrag vom 29. Oktober 2015, dem zufolge "man gemäß ASTM D 4894-07 modifiziertes PTFE auch als PTFE bezeichnen kann, sofern sein Modifier-Gehalt 1 % nicht übersteigt". Die Kammer kann nicht erkennen, wie diese Feststellung dazu führt, dass von einer impliziten Obergrenze für den Gehalt an Modifier in der Druckschrift D1 gesprochen werden kann.
Somit ist das Merkmal 9 in der Druckschrift D1 nicht vollständig offenbart.
4.5 Merkmal 8
Merkmal 8 verlangt, dass das Vorprodukt bis zu einer Temperatur im Bereich der Kristallit-Schmelztemperatur von PTFE oberhalb von 300°C erwärmt wird.
In diesem Zusammenhang hat die Einspruchsabteilung folgende Feststellung getroffen:
"Hinsichtlich der Erwärmung des Vorprodukts verwies die Einsprechende in D1 auf den zweiten Absatz der Seite 15 und auf den zweiten Absatz der Seite 17. Die Sichtweise der Einsprechenden kann nicht geteilt werden, da auf Seite 15 lediglich eine Temperatur von 250 bis 300 °C offenbart wird. Auf Seite 17 wird zwar eine Temperatur des vorgeheizten Ofens von 320 °C offenbart, diese führt jedoch explizit nur zu einer Erhitzung des Rohrgebildes auf 300 °C ("lässt es sich innerhalb von etwa 30 Minuten auf 300 °C erhitzen"). Eine Erwärmung des Vorprodukts bis zu einer Temperatur oberhalb von 300 °C wird somit nicht in der D1 offenbart."
Die Beschwerdeführerin machte erneut geltend, dass eine Temperatur von 320°C explizit offenbart sei. Die Kammer konnte diesem Vortrag nicht folgen, denn es handelt sich dabei um die Temperatur des Ofens und nicht des PTFE-Rohrs. Wie von der Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt wurde, ist für Letzteres nur eine Temperatur von 300°C offenbart.
Die Beschwerdeführerin verwies auch auf die Druckschrift D12, die für ein TFE-PAVE-Copolymer (siehe Abschnitt 2) eine Schmelztemperatur von 290 bis 310°C angibt (siehe Abschnitt 9). Es ist für die Kammer nicht erkenntlich, inwiefern diese Offenbarung zum Schluss führen soll, dass die Druckschrift D1 eine Erwärmung des Vorprodukts auf eine Temperatur oberhalb von 300°C lehrt.
Die Kammer ist daher zum Schluss gelangt, dass das Merkmal 8 in der Druckschrift D1 nicht offenbart ist.
Der Gegenstand von Anspruch 1 ist also neu gegenüber der Offenbarung der Druckschrift D1, da Letztere nicht offenbart:
- dass das Vorprodukt bis zu einer Temperatur im Bereich der Kristallit-Schmelztemperatur von PTFE oberhalb von 300°C erwärmt wird (Merkmal 8); und
- dass der rotationssymmetrische Hohlkörper aus einem mit weniger als 1% Perfluorpropylvinylether (PPVE)
modifizierten PTFE besteht (Merkmal 9).
4.6 Objektive technische Aufgabe
4.6.1 Wirkung von Merkmal 8
Das erste Unterscheidungsmerkmal wird in Absatz [0022] des Patents beschrieben. Dort ist offenbart, dass seine Wirkung darin besteht, dass eine Verbindung zwischen dem textilen Faserprodukt und dem PTFE zustande kommt. Allerdings wird diese Wirkung auch in der Druckschrift D1 erreicht, wo das erhitzte und somit erweichte Polymermaterial durch die Lücken der Textilmaterial-Hülse gepresst und das Rohr anschließend abgekühlt wird (siehe Anspruch 1). Da die geforderte Temperatur oberhalb 300°C nur geringfügig oberhalb der von der Druckschrift D1 offenbarten Temperatur von 300°C liegen kann, scheint es nicht möglich, von einer signifikanten technischen Wirkung (im Sinne einer verbesserten Durchdringung des Faserprodukts mit PTFE o. ä.) zu sprechen.
4.6.2 Wirkung von Merkmal 9
Das Patent beschreibt keinen Vorteil eines Modifier-Gehalts von weniger als 1% sondern beschränkt sich auf die Feststellung: "Der Modifier-Anteil beträgt bei modifiziertem PTFE weniger als 1%, während er bei PFA über 5% betragen kann."
4.6.3 Zusammenschau
Die Einspruchsabteilung hat die von den Unterscheidungsmerkmalen gelöste Aufgabe darin gesehen, ein alternatives Verfahren zur Herstellung eines rotationssymmetrischen Hohlkörpers anzugeben. Die Beschwerdegegnerin hat sich diese Formulierung der objektiven technischen Aufgabe zu eigen gemacht. In Ermangelung einer überzeugenderen Formulierung folgt die Kammer diesem Vortrag.
Alternative Verfahren sind dem Fachmann bekannt. Ihm ist insbesondere bekannt, dass die im Vergleich zu Perfluoralkoxy-Polymeren (PFA) und Tetrafluorethylen-Hexafluorpropylen-Copolymeren (FEP) relativ geringe Verschweißbarkeit von PTFE mittels eines geringen Anteils des Modifiers PPVE verbessert wird. Dies geht zum Beispiel aus den Druckschriften D6 und D17 hervor. Angesichts dieses Wissens liegt die Wahl eines derart modifizierten PTFE aber nahe und kann somit keine erfinderische Tätigkeit begründen.
4.7 Ergebnis
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Patents beruht somit nicht auf erfinderischen Überlegungen. Das Patent ist somit allein schon deshalb zu widerrufen. Dem Antrag der Beschwerdeführerin kann daher stattgegeben werden.
Angesichts dieses Ergebnisses erübrigt es sich, auf die anderen Argumente der Beschwerdeführerin betreffend den Mangel der erfinderischen Tätigkeit sowie auf die anderen von ihr vorgetragenen Einspruchsgründe einzugehen.
5. Kostenverteilung
Es wurde ein Antrag seitens der Beschwerdeführerin im Sinne von Artikel 16 (1) VOBK 2020, der gemäß Artikel 25 (1) VOBK 2020 vorliegend anwendbar ist, gestellt und die Kammer kann vorbehaltlich des Artikels 104 (1) EPÜ anordnen, dass die Beschwerde-gegnerin ganz oder teilweise die von der Beschwerde-führerin geltend gemachten Kosten zu tragen hat.
Daher stellt sich die Frage, ob möglicherweise eine anderweitige Kostenverteilung wegen der Aufhebung des Termins für die mündliche Verhandlung im vorliegenden Fall aus Gründen der Billigkeit und der Kausalität gerechtfertigt sein könnte.
5.1 Grundsätzlich gilt nach Artikel 104 (1) EPÜ, dass im Einspruchsverfahren jeder Beteiligte die ihm entstandenen Kosten selbst zu tragen hat. Ein Abweichen von diesem Grundsatz (d.h. eine - ggf. auch teilweise - Auferlegung der Kosten auf eine andere Verfahrensbeteiligte) kann nur gerechtfertigt sein, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine anderweitige Kostenauferlegung billig erscheinen lassen. Diese Umstände können sich aus einem missbräuchlichen oder leichtfertigen Verhalten des anderen Beteiligten ergeben. In der Vorgehensweise der Beschwerdegegnerin kann die Kammer jedoch kein missbräuchliches oder leichtfertiges Verhalten und damit keine Verletzung einer prozessualen Sorgfaltspflicht, die für die Entstehung der Kosten kausal gewesen ist, erkennen. Die Beschwerdegegnerin hat etwa vier Monate nach Erhalt der Mitteilung der Kammer und etwa einen Monat nach Erhalt des Schreibens der Beschwerdeführerin vom 7. Januar 2020 mitgeteilt, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde. Der Zeitpunkt, an dem die Beschwerdegegnerin ihre Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, ist auf jeden Fall angemessen, da ihr zugebilligt werden muss, die Erfolgsaussichten ihrer Anträge unter anderem im Hinblick auf die Ausführungen im Ladungsbescheid und auf die Stellungnahme der Gegenseite zu überprüfen und zu bewerten und über ihr weiteres Vorgehen im Verfahren zu entscheiden. Außerdem hat sie ihre Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht kurzfristig, sondern etwa einen Monat vor dem anberaumten Termin mitgeteilt.
5.2 Die Kammer ist im Übrigen der Auffassung, dass die Erklärung der Beschwerdegegnerin, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde, nicht zwingend und unmittelbar zur Folge haben muss, dass die mündliche Verhandlung nicht stattfinden wird, selbst wenn diese Erklärung von der Kammer als Rücknahme des hilfsweise gestellten Antrags auf mündliche Verhandlung verstanden wird. Vielmehr hängt dann die Frage, ob die mündliche Verhandlung abgehalten wird, von den Umständen des Einzelfalls ab. Wenn z.B. wie im vorliegenden Fall auch die Beschwerdeführerin einen Antrag auf mündliche Verhandlung hilfsweise gestellt hat, so muss die Kammer sich im Vorfeld eine Meinung darüber bilden, ob sie unter Berücksichtigung des schriftlichen Vorbringens der Beteiligten, dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Widderruf des Patents stattgeben kann, oder ob es aus ihrer Sicht noch Fragen gibt, die in der mündlichen Verhandlung mit der Beschwerdeführerin zu erörtern sind. Dies gilt auch dann, wenn aus der vorläufigen Meinung der Kammer, die in der vor der mündlichen Verhandlung ergangenen Mitteilung dargelegt wurde, erkennbar ist, dass die Kammer voraussichtlich zugunsten der Beschwerdeführerin entscheiden würde und nur von der Beschwerdeführerin inhaltlich dazu Stellung genommen wurde. Dies bedeutet, dass die Beteiligten bis zum Zeitpunkt der Aufhebung des anberaumten Termins für die mündliche Verhandlung nicht davon ausgehen konnten, dass die mündliche Verhandlung nicht stattfinden würde.
5.3 Den Vertretern der Beteiligten wurde am Nachmittag
des 6. März 2020 per Faxschreiben von der Geschäftsstelle der Kammer vorab mitgeteilt, dass der anberaumte Termin für die mündliche Verhandlung am 9. März 2020 aufgehoben wurde. Dies mag sehr kurzfristig gewesen sein, aber aus Sicht der Kammer dennoch rechtzeitig genug, um den Vertreter der Beschwerdeführerin, der Mitglied in einer Kanzlei in München ist, noch rechtzeitig vor seiner geplanten Anreise nach Haar zu informieren. Die Tatsache, dass die Kanzlei ihren Vertreter nicht rechtzeitig von der Aufhebung der mündlichen Verhandlung informierte, kann nicht der Gegenseite zur Last gelegt werden.
5.4 Die Kammer betrachtet das Vorgehen des Vertreters der Beschwerdegegnerin, der trotz gegenteiliger Zusage keine schriftliche Bestätigung seiner am Telefon getätigten Aussagen eingereicht hat, als Verletzung der Höflichkeitspflicht gemäß Artikel 6 der epi-Richtlinien für die Berufsausübung. Dessen ungeachtet kann auch dieses Verhalten keine Kostenentscheidung nach Artikel 104 (1) EPÜ rechtfertigen.
5.5 Aus den oben genannten Gründen ist die Kammer der Ansicht, dass eine Kostenentscheidung nach Artikel 104 (1) EPÜ zugunsten der Beschwerdeführerin nicht gerechtfertigt ist. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Kostenverteilung ist daher zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
3. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Kostenverteilung wird zurückgewiesen.