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T 0997/17 01-10-2020
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Verfahren zum Ermitteln von Fehllagerungen von Arzneimittelpackungen
Mündliche Verhandlung - Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät eingereichtes Dokument - zugelassen (nein)
I. Die Einsprechende hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 2 631 201 form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.
II. Mit dem Einspruch war das Patent in gesamtem Umfang unter Geltendmachung der Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und b) EPÜ (mangelnde Ausführbarkeit) angegriffen worden.
III. Mit Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2007 vom 20. November 2019 zur Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen wäre.
IV. Die Patentinhaberin nahm mit Schriftsatz vom 20. März 2020 inhaltlich zur vorgenannten Mitteilung der Kammer Stellung.
V. Die Einsprechende teilte mit Schriftsatz vom 22. Juli 2020 mit, nicht bei der anberaumten mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten zu sein, ohne sich dabei weiter zur Sache zu äußern.
VI. Am 1. Oktober 2020 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer unter Anwendung von Artikel 15 (3) VOBK 2020 und Regel 115 (2) EPÜ in Abwesenheit der Einsprechenden statt, in der die Sach- und Rechtslage mit der Patentinhaberin erörtert wurde. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen. Die Entscheidung wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet.
VII. Die Antragslage zum Ende der mündlichen Verhandlung stellte sich wie folgt dar.
Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte gemäß dem im schriftlichen Verfahren gestellten Antrag
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2 631 201.
Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte, unter Rücknahme ihres Antrags auf Verwerfung der Beschwerde als unzulässig,
die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise, bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß dem erneut mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag.
VIII. In der vorliegenden Entscheidung sind die folgenden, aus dem Einspruchsverfahren bekannten Dokumente genannt:
A1: Broschüre "Formation à l'utilisation du Robomat®"
A1bis : Guide de l'utilisateur - MEDIMAT® (155 Seiten)
A2: EP 2 620 391 A1
A4: Auszug der Website "sensorpart.com"
A5: JP H 06 24528
A5 Trad: Englische Übersetzung von A5
B1: Broschüre "Chargeur Automatique"
C1: Broschüre "Robot Caïman"
C2: Rechnung - 2000 Broschüren "Robot Caïman".
Ergänzend wird auf das folgende, seitens der Einsprechenden erstmals im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 31. Januar 2019 eingereichte Dokument Bezug genommen:
D1: "Procès verbal de constat".
IX. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) lautet in der Merkmalsgliederung entsprechend Punkt I.11 der angefochtenen Entscheidung wie folgt:
A. Verfahren zum Erkennen von Fehllagerungen von Arzneimittelpackungen in einer Apothekenkommissioniervorrichtung mit
B. zumindest einer Regalreihe mit jeweils
C. einer Mehrzahl von sich in einer horizontalen Richtung (X-Achse) erstreckenden Regalböden (11) und
D. einer Mehrzahl von sich in einer vertikalen Richtung ersteckenden Regalwänden (12),
E. wobei die Regalböden (11) und die Regalwände (12) eine Mehrzahl von Regalfächern (15) bilden,
F. zumindest einem vor der Regalreihe horizontal und vertikal verfahrbaren Bediengerät (20),
G. wobei das Bediengerät (20) eine Greifvorrichtung (22) zum Ein- und/oder Auslagern von Arzneimittelpackungen (29 - 34) auf die bzw. von den Regalböden (11)
H. sowie einen Sensor (23) umfasst,
I. und einer mit dem Bediengerät (20) gekoppelten Steuereinrichtung (40),
J. wobei zum Erkennen von Fehllagerungen Regalfächer (15) mit möglichen Fehllagerungen von Arzneimittelpackungen (29 - 34) ermittelt werden,
K. das Bediengerät (20) an eine vorgegebene Regalposition bei einem ermittelten Regalfach (15) verfahren wird,
L1. mit dem Bediengerät (20) bei eingeschaltetem Sensor (23) ein ermitteltes Regalfach in horizontaler Richtung (X-Achse) abgefahren und
L2. mit dem Sensor (23) die Einlagerungstiefe bei verschiedenen X-Positionen ermittelt wird,
M. auf der Basis der ermittelten Einlagerungstiefen ein virtuelles Istabbild eines ermittelten Regalfaches (15) erstellt wird,
N. das erstellte Istabbild (ABI) mit einem Sollabbild (ABS) des Regalfaches (15) verglichen wird, und
O. Abweichungen zwischen dem Sollabbild und dem Istabbild ausgewertet werden.
X. Eine Wiedergabe des Wortlauts des unabhängigen Anspruchs des Hilfsantrags ist nicht erforderlich, weil die Entscheidung zum Hauptantrag ergeht.
XI. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Die Patentinhaberin erklärte während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, dass im Hinblick auf das Ergebnis der vorliegenden Entscheidung keine Notwendigkeit bestünde, ihr Vorbringen im Schriftsatz vom 20. März 2020 in der vorliegenden Entscheidung zu diskutieren, sondern sich die Kammer in der Entscheidung auf die in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2007 erörterten Aspekte und Einschränkungen beschränken könnte.
1. Revidierte Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) - Übergangsbestimmungen
Das vorliegende Verfahren unterliegt der revidierten Fassung der Verfahrensordnung, die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist (Artikel 24 und 25 (1) VOBK 2020), mit Ausnahme von Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020, anstelle dessen Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin anwendbar sind (Artikel 25 (2) VOBK 2020).
2. Rechtliches Gehör
Die ordnungsgemäß geladene beschwerdeführende Einsprechende nahm nicht an der mündlichen Verhandlung teil. Ihr schriftsätzliches Vorbringen wurde berücksichtigt (Artikel 15 (3) VOBK 2020).
3. Zulassung des Dokuments D1 ins Verfahren
Das Dokument D1 wurde seitens der Einsprechenden ohne eine rechtfertigende Begründung für dessen Einreichung zum ersten Mal nach Einreichung ihrer Beschwerdebegründung eingereicht.
Daher sieht die Kammer keinen Grund, in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 dieses verspätet eingereichte Dokument ins Verfahren zuzulassen.
Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer, die den Parteien mit Mitteilung vom 20. November 2019 mitgeteilt wurde, siehe Punkt 5.2. Diese vorläufige Feststellung wurde von der Einsprechenden weder kommentiert noch bestritten und wird von der Kammer nach nochmaliger Erwägung aller entscheidungserheblichen Aspekte bestätigt.
4. Zulassung des Dokuments A1 als Stand der Technik im Verfahren
Die Einsprechende bringt vor, dass das Dokument A1 entgegen der Feststellung der angefochtenen Entscheidung als Stand der Technik ins Verfahren zuzulassen sei. Dokument A1 bezeichne eine Version Expert V2.0 FR vom 5. August 2005 und werde beim Apotheker hinterlegt, wenn ein Robomat® installiert sei. Dabei sei Dokument A1 sehr ähnlich zum Dokument A1bis, dessen Veröffentlichungsdatum im Februar 2010 vom Apotheker bestätigt wurde. Daher sei davon auszugehen, dass das Dokument A1 vor dem Anmeldetag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei.
Die Kammer schließt sich dieser Darstellung der Einsprechenden aus den unter Punkt 13.1 der angefochtenen Entscheidung genannten Gründen nicht an. Der Ausdruck "Version EXPERT V2.0 FR du 5 AOUT 2005" deutet nicht zweifelfrei auf ein Veröffentlichungsdatum hin. Zudem ist eine Veröffentlichung nicht eindeutig bewiesen, da die Ausdrücke "Utilisateur expert" und "réalisé à partir de la documentation officielle" in A1 auf Seite 1/51 angegeben sind. Dies weist darauf hin, dass das Dokument A1 lediglich für ein spezielles Publikum in einem geheimhaltungsbedürftigen Kontext bestimmt ist. Ferner enthält das Dokument A1bis keinen Bezug auf A1, wodurch ein Veröffentlichungsdatum von A1 bewiesen werden könnte.
Mangels eines bewiesenen Veröffentlichungsdatums vor dem Anmeldetag des Streitpatents ist das Dokument A1 somit nicht als Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ im Verfahren zu berücksichtigen.
Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer, die den Parteien mit Mitteilung vom 20. November 2019 unter Punkt 6 mitgeteilt wurde. Diese vorläufige Feststellung wurde von der Einsprechenden weder kommentiert noch bestritten und wird von der Kammer nach nochmaliger Erwägung aller entscheidungserheblichen Aspekte bestätigt.
5. Hauptantrag (Patent wie erteilt)- Ausführbarkeit - Artikel 100 b) EPÜ
5.1 Messung der Einlagerungstiefe
Die Einsprechende argumentiert, dass es für den Fachmann nicht deutlich offenbart sei, wie der Sensor die Messung der Einlagerungstiefe durchführe, wenn mehrere Packungen bzw. Packungsreihen in einem Regalfach zusammen gelagert werden.
Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt und folgt den begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung unter Punkt 14.1 der Entscheidungsgründe, dass der Fachmann in den Absätzen [0019] und [0041] bis [0044] des Streitpatents konkrete Anweisungen erhält, wie die Messung der Einlagerungstiefe mittels Sensor bei mehreren Packungen bzw. Packungsreihen in einem Regalfach erfolgt.
Beispielsweise wird dem Fachmann in Absatz [0044] des Streitpatents ein Weg zur Ausführung des Schrittes und der Anzahl der Messung in einem Ausführungsbeispiel eindeutig aufgezeigt, indem bei einem vollständigen Abfahren des Sensors vor dem Regalfach in X-Richtung in Abhängigkeit von der Breite und Art der eingelagerten Arzneimittelpackungen pro Millimeter jeweils eine Messung durchgeführt werden kann. Dass diese punktuelle Messung pro Millimeter ein sehr genau beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung ist, räumt die Einsprechende im Übrigen selbst ein (siehe Beschwerdebegründung, unter Punkt 3.1, zweiter Absatz).
5.2 Vergleich Istabbild mit Sollabbild
Die Einsprechende bringt vor, dass der Schritt des Vergleichs zwischen Sollabbild und Istabbild nicht deutlich und vollständig im Streitpatent offenbart sei. Eine Packung könne beispielsweise derart falsch positioniert sein, dass die gemessene Einlagerungstiefe der Tiefe des Sollabbildes entspreche. In solch einem Fall werde die Fehllagerung der Arzneimittelpackung nicht detektiert.
Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt und folgt den begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung unter Punkt 14.2 der Entscheidungsgründe, dass diese Argumentation eine funktionale Fehlerfreiheit des beanspruchten Verfahrens und nicht eine angebliche mangelnde Offenbarung betrifft.
In der Tat vermittelt das Streitpatent beispielsweise in Absatz [0044] sowie den Figuren eine für den Fachmann ohne Weiteres nachvollziehbare Lehre zum beanspruchten Verfahren anhand eines Ausführungsbeispiels, wobei der Sensor vor dem Regalfach entlanggefahren wird und Messungen durchgeführt werden, um Fehllagerungen zu ermitteln. Dabei ist auch erklärt, dass das erstellte Istabbild mit dem Sollabbild des Regalfaches verglichen wird, so dass dem Fachmann zumindest ein Weg zur Ausführung der beanspruchten Lehre nach Anspruch 1 eindeutig aufgezeigt wird.
5.3 Ermittlung der Einlagerungstiefe mittels Kamera
Die Einsprechende argumentiert, dass das Streitpatent keine Anweisungen enthalte, wie die Einlagerungstiefe mittels der in Absatz [0019] des Streitpatents angegebenen Kamera bestimmt werden könne.
Die Kammer stellt fest, dass die Einsprechende diesen Einwand betreffend mangelnde Ausführbarkeit während des Einspruchsverfahrens zu keinem Zeitpunkt vorgebracht hat, und zwar weder in ihrer Einspruchsschrift noch in ihrem Schriftsatz vom 5. Januar 2017 oder in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung. Dieser Einwand war somit nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung und stellt daher eine neue Argumentationslinie dar, die zum ersten Mal im Beschwerdeverfahren eingeführt wurde. Die Zulassung dieser Argumentationslinie ins Verfahren unterliegt somit den Bestimmungen von Artikel 12 (4) VOBK 2007.
Angesichts der Tatsache, dass die Einsprechende keinen Grund angegeben hat, warum diese Argumentationslinie nicht bereits während des Einspruchsverfahrens vorgebracht wurde, sieht die Kammer keine Veranlassung, in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007, diese neue Argumentationslinie ins Verfahren zuzulassen.
5.4 Folglich offenbart das Streitpatent die beanspruchte Lehre gemäß erteiltem Anspruch 1 so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
5.5 Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer, die den Parteien mit Mitteilung vom 20. November 2019 unter Punkt 7 mitgeteilt wurde. Diese vorläufige Feststellung wurde von der Einsprechenden weder kommentiert noch bestritten und wird von der Kammer nach nochmaliger Erwägung aller entscheidungserheblichen Aspekte bestätigt.
6. Hauptantrag - Neuheit - Artikel 100 a) EPÜ
Die im Folgenden verwendete Merkmalsgliederung entspricht derjenigen, die unter Punkt I.11 der angefochtenen Entscheidung angegeben ist.
6.1 Neuheit gegenüber Dokument A1bis
Die Einsprechende bestreitet die begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung, dass Dokument A1bis die Merkmale J, L1, L2, M, N und O von Anspruch 1 nicht offenbart.
6.1.1 Merkmal J
Die Kammer folgt der Argumentation der Einsprechenden, dass A1bis auf Seite 95 das Merkmal J beschreibt. Die Anweisungen und Abbildungen auf dieser Seite von A1bis geben an, dass ein Regalfach mit einer möglichen Fehllagerung, d.h. einer möglichen fehlenden Packung (Seite 95 "boîte manquante"), ermittelt wird (siehe Abbildung). Mit einer Kamera kann ein Bereich der Kommissioniervorrichtung untersucht werden, in dem die mögliche Fehllagerung erkannt wurde.
Das Merkmal J ist demnach aus A1bis bekannt.
6.1.2 Merkmal L (L1 und L2)
Die Einsprechende argumentiert, dass das Merkmal L1 auf Basis von Seite 77 von A1bis beschrieben sei, wonach "...la pince se dirige vers chaque rayon et contrôle avec laser et ultrason toutes les boîtes stockées." Zudem sei in den graphischen Darstellungen der Regale, wie in den Figuren von A1bis, die horizontale Achse dargestellt. Daraus sei ersichtlich, dass der Greifer, der Laser und Ultraschall umfasse und sich entlang einer Abszissenachse bewege, das Regal horizontal abtaste. Das Foto auf Seite 140, das die Konfiguration des MEDIMAT®-Moduls darstelle, zeige Verschiebeachsen in vertikaler und horizontaler Richtung. Darüber hinaus beschreibe A1bis auf Seite 97 unter Punkt 5, dass bei einem Fehler "U" einer unbekannten Packung der Greifer verfahren werde, so dass eine Verschiebung in einer horizontalen Richtung (X-Achse) offenbart werde. Hinsichtlich Merkmal L2 zeige A1bis auf den Seiten 95, 39 und 81, dass die Packungen hintereinander gelagert werden könnten, wobei in Zusammenschau mit der auf Seite 77 beschriebenen Bestandspflege mit Laser und Ultraschall das Ermitteln der Einlagerungstiefe erforderlich sei.
Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt und schließt sich der Meinung der Patentinhaberin an.
Dokument Albis betrifft ein Verfahren zum Inventarisieren von Arzneimittelpackungen in einer Apothekenkommissioniervorrichtung. Anhand gespeicherter Positionsdaten zu den einzelnen Arzneimittelpackungen ist bekannt, welche Arzneimittelpackung an welchem Ablageplatz innerhalb der Vorrichtung angeordnet ist. Die theoretisch bekannte Belegung der Kommissioniervorrichtung wird überprüft, also geprüft wird, inwiefern bei einem Ablageplatz, an welchem die Kommissioniervorrichtung eine Arzneimittelpackung erwartet, auch eine Arzneimittelpackung gelagert ist. Zum Ermitteln, ob eine an einem Lagerplatz erwartete Packung vorhanden ist oder nicht wird nach Seite 77 von A1bis eine Bewegung des Greifers ("la pince") mit Laser und Ultraschall zu jedem Regal ausgeführt. Dabei erfolgt zwar ein Abtasten des Regals mittels Laser. Allerdings ist eine Bewegung des Greifers mit Laser und Ultraschall in horizontaler Richtung und eine Ermittlung der Einlagerungstiefe mittels Laser und Ultraschall oder sogar Kamera, wie von der Einsprechenden vorgetragen, bei verschiedenen X-Positionen in A1bis an keiner Stelle explizit offenbart. Denn nach A1bis ist nicht eindeutig beschrieben, in welcher Richtung das Abtasten ausgeführt wird und ob Laser und Ultraschall dabei die Einlagerungstiefe oder etwa eine binäre Information des Vorhandenseins einer Packung oder nicht ermitteln.
Somit fehlt in A1bis die Offenbarung des Merkmals L von Anspruch 1.
6.1.3 Merkmale M bis O
Die Einsprechende argumentiert, dass durch die Abtastung eine graphische Abbildung des Lagers erreicht werde. Diese graphische Abbildung, wie beispielsweise auf Seite 89 von A1bis beschrieben, zeige die Ist-Lagerungstiefe, die mit einer Soll-Lagerungstiefe verglichen werde. Hierbei ermögliche die graphische Abbildung die Visualisierung der tatsächlichen Abbildung anhand der ermittelten Einlagerungstiefen, der theoretischen Abbildung und der Unterschiede zwischen den beiden Abbildungen, die ausgewertet werden.
Die Kammer schließt sich dieser Argumentation nicht an. Gemäß Merkmal M von Anspruch 1 wird auf der Basis der ermittelten Einlagerungstiefen ein virtuelles Istabbild eines ermittelten Regalfaches erstellt.
In Anbetracht der obigen Auffassung der Kammer zu Merkmal L, dass nach A1bis mit dem Sensor keine Einlagerungstiefe bei verschiedenen X-Positionen ermittelt wird, kann Dokument Albis das Merkmal M bis O bereits nicht offenbaren. Zudem ist in A1bis an keiner Stelle eindeutig beschrieben, dass ein Vergleich zwischen einer Ist- und einer Soll-Lagerungstiefe durchgeführt oder Abweichungen zwischen diesen ausgewertet werden.
6.1.4 Folglich offenbart A1bis die Merkmale L bis O des erteilten Anspruchs 1 nicht, so dass der Gegenstand des Anspruch 1 neu gegenüber A1bis ist.
6.2 Neuheit gegenüber Dokument B1
Die Einsprechende argumentiert, das der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 durch das Dokument B1 neuheitsschädlich getroffen sei. Dabei sei die Einspruchsabteilung der Auffassung, dass B1 die Merkmale A bis I des Anspruchs 1 offenbare. Ferner impliziere der nach B1 eingesetzte Telemetrie-Laser die Messung von Entfernungen, so dass sich die Verfahrenschritte L bis O unmittelbar aus B1 ergäben.
Die Kammer ist von der Argumentation nicht überzeugt und teilt die begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung unter Punkt 16.2 der Entscheidungsgründe.
Zunächst ist festzustellen, dass, entgegen der Meinung der Einsprechenden, in der angefochtenen Entscheidung keine Feststellung der Einspruchsabteilung zu finden ist, dass B1 die Merkmale A bis I des Anspruchs 1 offenbare. Ferner führt die in B1 gezeigte Vorrichtung eine Bestandsaufnahme durch, wobei B1 jedoch nicht beschreibt wie diese durchgeführt wird. Daher offenbart Dokument Bl zumindest weder implizit noch explizit, dass ein virtuelles Istabbild eines ermittelten Regalfaches erstellt wird (Merkmal M), und das erstellte Istabbild mit einem Sollabbild des Regalfaches verglichen wird (Merkmal N).
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu gegenüber Dokument B1.
6.3 Neuheit gegenüber Dokument C1
Die Einsprechende argumentiert, das der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 durch das Dokument C1 neuheitsschädlich getroffen sei. Der Caïman-Roboter nach C1 sehe vor, die Produkte hintereinander in Regalen zu lagern. Durch eine Inventarisierung des Bestands könne überprüft werden, ob der tatsächliche Bestand dem theoretischen Bestand entspreche. Infolgedessen bestehe eine Kontrolle von Fehllagerungen, insbesondere hinsichtlich einer fehlenden oder überschüssigen Packung. Die Verfahrensschritte A bis K seien in C1 offenbart. Zudem werde in C1 offensichtlich ein On-Board-Laser-Telemetriesystem zur Inventarisierung wie nach B1 eingesetzt, das auf Basis der Messung von Entfernungen arbeite und die Position der Packungen in einem Regal bestimme, wobei insbesondere die Verfahrenschritte L bis O implizit nach C1 vorhanden seien.
Die Kammer ist von der Argumentation nicht überzeugt und teilt die begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung unter Punkt 16.3 der Entscheidungsgründe. Dokument C1 betrifft zwar einen Roboter zum Beladen eines Schachtsystems mit Arzneimittelpackungen. Allerdings ist in C1 nicht beschrieben, dass ein Telemetrie-Laser einsetzt wird. Somit sind zumindest die Merkmale M und N von Anspruch 1 in C1 weder implizit noch explizit offenbart.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu gegenüber Dokument C1.
6.4 Neuheit gegenüber Dokument A2
Die Einsprechende bestreitet, dass Dokument A2 die Merkmale J, L1, L2 und M bis O von Anspruch 1 nicht offenbart.
Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden hierzu nicht überzeugt und schließt sich der Meinung der Patentinhaberin wie folgt an.
Dokument A2 betrifft ein Verfahren zum Auslagern von Arzneimittelpackungen. Dazu wird ein Bediengerät (20) zu einer vorgegebenen Regalposition verfahren, bei welcher die auszulagernde Arzneimittelpackung (30) gelagert ist. Sodann wird mit einer Greifvorrichtung (22) die auszulagernde Arzneimittelpackung auf dem der Regalposition zugehörigen Regalboden (11) in Richtung einer Auflage (21) bewegt und geprüft, ob die Arzneimittelpackung vollständig auf die Auflage bewegt wurde. Eine solche Überprüfung soll erfolgen, da eine Durchbiegung eines Regalbodens aufgrund des Gewichts der Arzneimittelpackungen auftreten kann, so dass dieser tiefer angeordnet ist als dies bei der Positionierung der Greifvorrichtung vor dem Regalfach angenommen wird. Für den Fall nach Figur 4, dass die Arzneimittelpackung nicht vollständig auf die Auflage bewegt ist, wird mit dem Sensor eine seitliche Kante der nicht auf die Auflage gezogenen Arzneimittelpackung ermittelt, und zwar indem das Regalbediengerät samt Sensor solange in X-Richtung verschoben wird, bis eine plötzliche Signaländerung aufgrund des Erreichens der Kante der Arzneimittelpackung detektiert wird (siehe Figur 4). Sobald die Kante der Arzneimittelpackung erreicht ist, wird der Sensor noch geringfügig in X-Richtung bewegt, und sodann in Y-Richtung nach unten bewegt, um die tatsächliche Oberkante des Regalbodens zu ermitteln. Dass hierbei eine Einlagerungstiefe bestimmt werden kann, ist in A2 jedoch nicht beschrieben, insbesondere weil bei der Messung nach Figur 4 die Arzneimittelpackung an der Stirnseite bzw. -fläche der Auflage 21 anliegt (siehe Figur 1c).
Entgegen der Argumentation der Einsprechenden ist festzustellen, dass A2 nicht das Auffinden einer Fehllagerung einer in einem Regalfach eingelagerten Arzneimittelpackung beschreibt (siehe Merkmal J). Vielmehr wird nach A2 das Ergebnis eines Verschiebevorgangs von einem Regalfach auf die Auflage des Bediengerätes überprüft, wobei auch kein Istabbild eines Regalfaches mit möglicher Fehllagerung erstellt und mit einem Sollabbild verglichen wird.
Somit offenbart A2 keines der Merkmale J, L1, L2 und M bis O von Anspruch 1.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu gegenüber Dokument A2 (Artikel 100 (a) und 54 (3) EPÜ).
6.5 Neuheit gegenüber Dokument A3
Insofern die Einsprechende in ihrer Beschwerdebegründung einen Einwand mangelnder Neuheit gegenüber der Offenbarung des Dokumentes A3 angibt, jedoch weder für dessen späte Geltendmachung rechtfertigende Gründe angibt noch diesen in der Sache substantiiert weiter begründet, wird dieser Einwand nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 in Verbindung mit Artikel 12 (3) VOBK 2020, der im Wesentlichen Artikel 12 (2) VOBK 2007 entspricht, nicht im Verfahren berücksichtigt.
6.6 Der Einspruchsgrund mangelnder Neuheit nach Artikel 100 a) EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung nicht entgegen.
6.7 Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer, die den Parteien mit Mitteilung vom 20. November 2019 unter Punkt 8 mitgeteilt wurde. Diese vorläufige Feststellung wurde von der Einsprechenden weder kommentiert noch bestritten und wird von der Kammer nach nochmaliger Erwägung aller entscheidungserheblicher Aspekte bestätigt.
7. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit - Artikel 100 a) EPÜ
7.1 Die Einsprechende bestreitet die Feststellung der angefochtenen Entscheidung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ausgehend von A1bis als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen oder in Kombination mit der Lehre von A5 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
7.1.1 A1bis in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen
Die Einsprechende argumentiert, dass ausgehend von A1bis das technische Problem darin bestehe, ein genaueres Fehlerkennungsverfahren bereitzustellen. Dass zu diesem Zweck Laserabstandssensoren üblich sind, wisse der Fachmann bereits aus Absatz [0014] des Streitpatents. Dieses Wissen des Fachmanns werde auch durch das Dokument A4 belegt, das das Vorhandensein eines Laserabstandssensors angebe. Wenn der Fachmann den Laserabstandssensor zur Messung der Einlagerungstiefe in der Vorrichtung nach A1bis platzierte, wäre das beanspruchte Verfahren bereits von der Vorrichtung nach A1bis implementiert und der Fachmann hätte nur die Verarbeitung der vom Laser empfangenen Informationen anzupassen.
Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt.
Wie oben unter Punkt 6.1 ausgeführt, unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von A1bis durch seine Merkmale L bis O.
Der mit den Unterscheidungsmerkmalen verbundene technische Effekt liegt darin, Fehllagerungen von Arzneimittelpackungen in einer Apothekenkommissioniervorrichtung zu erkennen.
Die entsprechende objektive technische Aufgabe kann somit darin gesehen werden, ein Verfahren zum Ermitteln und von Arzneimittelpackungen in einer Apothekenkommissioniervorrichtung bereitzustellen (siehe Streitpatent Absatz [0009]).
Dem Streitpatent ist zwar zu entnehmen, dass der Einsatz von Laserabstandssensoren bei Apothekenkommissioniervorrichtungen bekannt ist (siehe Absatz [0014]). Diese Tatsache oder Dokument A4 gibt dem Fachmann allerdings keinerlei Hinweis darauf, das Verfahren gemäß Anspruch 1 zu führen, beispielsweise die Einlagerungstiefe zu messen, aus dieser ein Istabbild zu erstellen und dieses mit einem Sollabbild zu vergleichen, um die zugrundeliegende Aufgabe zu lösen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher ausgehend von A1bis in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen, wie beispielsweise durch A4 belegt, nicht nahegelegt.
7.1.2 A1bis in Kombination mit A5
Die Einsprechende vertritt die Meinung, dass der Fachmann die Messung einer Einlagerungstiefe nach A5 (Figur 1, Bezugnahme "L") in das System der A1bis aufnehme. Damit werde eine verbesserte Fehlererkennung erreicht.
Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt und folgt den begründeten Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung unter Punkt 17.2.2 der Gründe, dass A5 kein Verfahren zum Erkennen von Fehllagerungen von Arzneimittelpackungen beschreibt.
Dokument A5 betrifft eine Vorrichtung zum Beladen von schräg angeordneten Lagerschächten. Nach A5 wird eine Messung durchgeführt, um einen freien Platz ("size of free space", Absatz [0004] in A5 Trad) für einen Artikel zu finden. Dabei gibt A5 keinen Hinweis auf zumindest die Merkmale M bis O von Anspruch 1.
Die Kombination der Lehren von A1bis und A5 kann daher dem Fachmann den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nahelegen.
7.2 Weiterhin erhebt die Einsprechende Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit von Anspruch 1
- ausgehend von A1bis als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit der Lehre des Dokuments B1 sowie
- ausgehend von A5 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit der Lehre von A1bis
zum ersten Mal im Beschwerdeverfahren.
Angesichts der Tatsache, dass diese beiden Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit seitens der Einsprechenden ohne rechtfertigende Begründung für deren Einreichung erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgebracht wurden, sieht die Kammer keinen Grund, in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 diese verspäteten Einwände in das Verfahren zuzulassen.
7.3 Die Kammer ist daher der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 eine erfinderische Tätigkeit aufweist. Der Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung nicht entgegen.
7.4 Dies entspricht der vorläufigen Auffassung der Kammer, die den Parteien mit Mitteilung vom 20. November 2019 unter Punkt 9 mitgeteilt wurde. Diese vorläufige Feststellung wurde von der Einsprechenden weder kommentiert noch bestritten und wird von der Kammer nach nochmaliger Erwägung aller entscheidungserheblicher Aspekte bestätigt.
8. Im Ergebnis begründet keiner der seitens der Einsprechenden erhobenen Einwände, soweit diese substantiiert wurden, in überzeugender Weise die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung und steht auch nicht der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.