T 2403/17 27-05-2021
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BREMSBACKE UND VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINER BREMSBACKE
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Mit der am 1. September 2017 zur Post gegebenen Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, dass das Patent nach dem damals gültigen Hilfsantrag 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
II. Gegen diese Entscheidung legte die Einsprechende Beschwerde ein.
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
IV. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, oder hilfsweise, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß dem am 22. Mai 2018 eingereichten Hilfsantrag.
V. Eine mündliche Verhandlung fand am 27. Mai 2021 vor der Kammer statt.
VI. Folgende Dokumente sind für diese Entscheidung relevant:
D2: DE 197 40 597 B4
D4: DE 10 2004 038 804 A1
VII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"M1 Bremsbacke, mit einem Belagträger (4) mit einer Oberseite (4.1) und einem Reibbelag (6),
M2 welcher mittels wenigstens einem Bolzen (10) an dem Belagträger (4) festgelegt ist,
M3 wobei der Bolzen (10) ein vom Belagträger (4) separates Teil darstellt,
M4 wobei der Belagträger (4) aus einem ersten Material besteht und der wenigstens eine Bolzen (10) aus einem zweiten Material, wobei das zweite Material weicher ist als das erste Material, und
M5 wobei der Reibbelag (6) bis zu einer Verschleißgrenze (12) abnutzbar ist,
M6 wobei der Bolzen (10) bis unterhalb der Verschleißgrenze (12) in den Reibbelag (6) hineinragt, sodass der wenigstens eine Bolzen (10) zumindest bei nicht vollständig abgenutztem Reibbelag (6) unterhalb einer Reibfläche (6.1) des Reibbelags (6) bleibt, dadurch gekennzeichnet, dass
M7 der Belagträger (4) wenigstens eine Durchgangsausnehmung (14) zur Aufnahme des wenigstens einen Bolzens (10) aufweist, die eine geringere lichte Weite aufweist als der wenigstens eine Bolzen (10),
M8 und dass der wenigstens eine Bolzen (10) von der dem Reibbelag (6) abgewandten Oberseite (4.1) der Belagträgerplatte aus unter Verformung des Bolzens (10) in den Belagträger (4) eingepresst ist,
M9 wobei der Bolzen (10) vor dem Einpressen ein Übermaß gegenüber der Durchgangsausnehmung (14) aufweist, so dass sich der Bolzen (10) beim Einpressen derart verformt, dass er in dem Belagträger form- und kraftschlüssig festgelegt ist."
Die Merkmalsgliederung wurde von der Kammer in fett eingefügt.
VIII. Die Beschwerdeführerin trug im Wesentlichen Folgendes vor:
a) Klarheit
Das Merkmal M5 sei unklar, weil die Verschleißgrenze ein willkürlich ausgewählter Wert sei.
Außerdem sei der Bolzen nicht Teil des beanspruchten Gegenstandes. Damit seien alle Merkmale unklar, die den Ausdruck "Bolzen" enthalten.
Der Anspruch sei demzufolge in seiner Gesamtheit unklar.
b) Neuheit
D2 offenbare in Figuren 1 und 2 eine Bremsbacke:
i) Figur 1
In Figur 1 sei eine Bremsbacke offenbart, die einen Belagträger 1 und einen Reibbelag 2 aufweist. Der Reibbelag sei mittels einer Senkkopfschraube festgelegt. Der Belagträger sei aus Titan (Absatz [0012]) und die Schraube aus Messing (Absatz [0015]) hergestellt. Damit seien die Merkmale M1 - M5 bekannt.
Merkmale M6 und M7 gingen aus der Figur 1 hervor. Wegen des Kopfes sei die Schraube von der Oberseite in den Belagträger eingepresst (Merkmal M8).
Bezüglich Figur 1 sei der Bolzen durch Einschrauben verformt. Daher sei Merkmal M9 ebenfalls aus D2 bekannt.
Damit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber dem Ausführungsbeispiel von Figur 1 von D2 nicht neu.
ii) Figur 2
Ähnlich zur Figur 1 offenbare Figur 2 Merkmale M1 - M5 des Oberbegriffs des Anspruchs 1. Der apfelförmige Nietkörper weise eindeutig eine größere Lichtweite als die Durchgangsausnehmung in dem Belagträger auf. Der Nietkörper sei darüber hinaus verformt. Ob die Verformung beim Einpressen oder danach stattfinde, sei ein Verfahrensmerkmal, das nicht geeignet sei, einen Gegenstand vom Stand der Technik abzugrenzen.
Damit seien alle Merkmale des Anspruchs 1 ebenfalls aus Figur 2 von D2 bekannt.
c) Erfinderische Tätigkeit
D2 sei als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten. Die zu lösende Aufgabe sei eine Bremsbacke zu schaffen, die kostengünstig hergestellt werden könne.
D4 beschäftige sich mit dieser Aufgabe und lege nahe, eine Verbindung zwischen Reibbelag und Trägerplatte mittels Passstiften zu schaffen. Absätze [0013] - [0016] beschrieben eine Presspassung.
Bezüglich der Richtung des Einspressens des Bolzens gebe es nur zwei Möglichkeiten. Der Fachmann brauche nicht erfinderisch tätig zu sein, um eine von diesen auszuwählen.
Die Belastung der Reibbeläge von Bremsen und Kupplungen sei vergleichbar. In beiden Fällen sei der Reibbelag einer Scherkraft ausgesetzt.
Damit gelange der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1.
IX. Die Beschwerdegegnerin trug im Wesentlichen Folgendes vor:
a) Klarheit
Der Bolzen sei eindeutig als Bestandteil der Bremsbacke im Merkmal M2 definiert.
Merkmal M5 sei im erteilten Anspruch enthalten und sei damit nicht in Bezug auf die Klarheit zu prüfen.
Merkmal M9 definiere einen Gegenstand. Die im Anspruch erwähnten Verfahrensschritte seien eindeutig im beanspruchten Gegenstand zu erkennen.
Damit sei der Anspruch 1 klar.
b) Neuheit
Figuren 1 und 2 der D2 offenbarten keinen Bolzen. In Figur 1 sei eine Senkkopfschraube und in Figur 2 sei ein Niet dargestellt.
Das Gewinde der Senkkopfschraube habe einen kleineren Durchmesser als die Bohrung im Belagträger, damit die Schraube durch diese Bohrung in die Einsatzmutter eingeschraubt werden kann. Merkmale M7 - M9 seien somit nicht aus D2 bekannt.
Auch sei Merkmal M7 nicht aus D2, Figur 2 bekannt, weil Nieten üblicherweise kleiner als das Loch ausgebildet seien. Die Befestigung sei nicht durch eine Presspassung wie beansprucht erzeugt, sondern durch eine Klemmverbindung.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher neu.
c) Erfinderische Tätigkeit
Ausgehend von D2 würde der Fachmann D4 nicht berücksichtigen, weil D4 ein anderes technisches Gebiet, nämlich Kupplungsreibbeläge, betreffe.
Außerdem offenbare D4 das Merkmal M8 nicht, da nach Absätzen [0016] - [0019] die Pressstifte zuerst im Reibbelag eingepresst und dann von der Unterseite in den Träger angebracht werden. D4 lehre somit gegen die Erfindung. Durch die Kombination der Lehre von D2 und D4 würde der Fachmann folglich nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe damit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Klarheit
Anspruch 1 betrifft eine Bremsbacke mit einem Belagträger und einem Reibbelag (Merkmal M1). Der Reibbelag ist mittels wenigstens einem Bolzen an dem Belagträger festgelegt (Merkmal M2). Damit ist der Bolzen eindeutig Teil des beanspruchten Gegenstands.
Die Beschwerdeführerin erhob Einwände bezüglich des Merkmals M5. Dieses Merkmal war im erteilten Anspruch vorhanden und die angeblichen Klarheitseinwände sind nicht durch die während des Einspruchsverfahrens vorgenommenen Änderungen verursacht worden. Damit sind sie gemäß G 3/14 nicht zu prüfen.
Weiterhin ist laut der Beschwerdeführerin das Merkmal M9 nicht klar. Durch die Formulierung "vor dem Einpressen" sei der Bolzen im nicht eingesetzten Zustand beschrieben, so dass Merkmal M9 einem Verfahrensmerkmal entspreche, das in einem Vorrichtungsanspruch zu einer Unklarheit führe.
Es stimmt, dass durch die Definition einer Vorrichtung durch Verfahrensmerkmale eine Unklarheit entstehen kann, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, II.A.7.1. Im vorliegenden Fall haben diese Merkmale allerdings eindeutige Auswirkungen auf die beanspruchte Bremsbacke, die durch Untersuchungen feststellbar sind. Der Fachmann ist daher in der Lage, eine erfindungsgemäße Bremsbacke von einer des Standes der Technik zu unterscheiden. Dass der Bolzen ein Übermaß vor dem Einpressen aufweist, ist nämlich durch die daraus resultierende Presspassung feststellbar.
Damit ist der Anspruch 1 klar (Artikel 84 EPÜ).
2. Neuheit
D2 offenbart in den Figuren 1 und 2 eine Bremsbacke mit einem Reibbelag (Merkmal M1).
2.1 Im Beispiel nach Figur 1 ist die Verbindung durch eine Senkkopfschraube mit einer Einsatzmutter (siehe Absatz [0025]) hergestellt. Da der Kopf der Schaube ein Übermaß besitzt, ist die Schraube eindeutig von der Oberseite der Trägerplatte eingeführt worden (vgl. Merkmal M8). Jedoch ist der Bolzen eingeschraubt und nicht eingepresst wie vom Merkmal M8 verlangt, siehe Absatz [0025]. Weiterhin ist der Bolzen nicht - wie vom Merkmal M9 verlangt - derart verformt, dass er in dem Belagträger form- und kraftschlüssig festliegt, weil die Verbindung mit der Mutter und nicht durch eine Presspassung zwischen Bolzen und Trägerplatte mit der Trägerplatte besteht.
2.2 In Figur 2 ist die Verbindung durch ein Senkkopfniet realisiert. In diesem Ausführungsbeispiel ist der Nietkörper apfelförmig ausgebildet (Absatz [0027]). Das Niet ist ebenfalls von der Oberseite der Trägerplatte eingeführt (Merkmal M8). Die Verformung des Nietkörpers findet jedoch nicht beim Einpressen statt, wie von Merkmal M9 gefordert. Die Apfelform zeigt, dass das Niet nach Einführung in das Loch von der entgegengesetzten Seite aus geschlagen wird.
2.3 Damit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu gegenüber den Ausführungsbeispielen nach Figuren 1 und 2.
3. Erfinderische Tätigkeit
D2 ist unstreitig als nächstliegender Stand der Technik anzusehen.
Die Bremsbacke nach Anspruch 1 unterscheidet sich von dieser bekannten Bremsbacke zumindest durch Merkmal M9.
Die zu lösende Aufgabe besteht darin, eine Bremsbacke zu schaffen, die einfach herstellbar ist (siehe Patent, Absatz [0020]).
Der Fachmann würde ähnliche Fachbereiche, z.B. Reibbeläge für Kupplungen, berücksichtigen, um diese Aufgabe zu lösen. In dieser Hinsicht sind Kupplungsreibbeläge ähnlichen Belastungen ausgesetzt, d.h. der Reibbelag wird an einer rotierenden Scheibe gepresst und ist Scherkräften ausgesetzt. Der Fachmann würde daher D4 in Betracht ziehen. Außerdem beschäftigt sich D4 mit der gleichen Aufgabe, siehe D4, Absatz [0012].
D4 offenbart einen Reibbelag für Kupplungen, bei dem die Passstifte zuerst in Bohrungen im Reibbelag eingesteckt werden (siehe Absatz [0031]), und der Reibbelag anschließend zusammen mit den Passstiften von der Reibbelagseite an die Trägerplatte angebracht wird. Somit werden die Passstifte - im Sinne des Anspruchs - von der Unterseite der Trägerplatte eingepresst. Somit offenbart D4 das Merkmal M8 nicht, so dass die Übertragung der Lehre der D4 auf die Bremsbacke der D2 nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen würde.
Es mag sein, dass der Fachmann nur zwei Möglichkeiten hat, den Bolzen in die Trägerplatte einzupressen, nämlich von oben oder von unten. Jedoch müsste er, um zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen, die Lehre von D4 grundsätzlich abändern, wozu er keinen Anlass hat.
4. Es stimmt auch, dass D2 die anspruchsgemäße Möglichkeit, das Verbindungsteil von der Oberseite einzupressen, bereits offenbart. Diese ist jedoch mit der Lehre der D4 inkompatibel.
Damit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.