T 0337/18 (Pepperl + Fuchs / Optischer Sensor) 24-10-2022
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Optischer Sensor
Änderungen - Hauptantrag, Hilfsanträge B1, B2
Änderungen - unzulässige Erweiterung (ja)
Änderung nach Ladung - Hilfsanträge B3, B4, B5
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
I. Gegen das Patent wurde Einspruch eingelegt, gestützt auf den Einspruchsgrund nach Artikel 100(a) EPÜ.
II. Die Einspruchsabteilung entschied, das Patent zu widerrufen. Der Hauptantrag (das Patent wie erteilt) sei wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar (Artikel 100(a) und 56 EPÜ), während die Hilfsanträge 1 - 4 wegen zusätzlichem Sachverhalt (Artikel 123(2) EPÜ) und mangelnder Klarheit (Artikel 84 EPÜ) nicht gewährbar seien.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte sie, die Entscheidung aufzuheben und das Patent auf Grundlage des mit der Beschwerdebegründung neu eingereichten Hauptantrags oder des Hilfsantrags Bl oder B2 aufrecht zu erhalten.
IV. Die Einsprechende beantragte als Beschwerdegegnerin, der Beschwerde nicht stattzugeben und damit die angefochtene Entscheidung zu bestätigen. Gegen sämtliche, mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge wurden Einwände unter Artikel 123(2), 83, 84 und 56 EPÜ erhoben.
V. Beide Parteien beantragten hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
VI. In einer mit Ladung zur mündlichen Verhandlung ergangenen Mitteilung unterrichtete die Beschwerdekammer die Parteien von ihrer vorläufigen Meinung. Danach enthalte das Merkmal, wonach "die Welle an der Oberseite des Antriebs ausmündet" im Anspruch 1 des Hauptantrags und beider Hilfsanträge zusätzlichen Sachverhalt. Die anderen, von der Einsprechenden vorgebrachten Einwände seien nicht überzeugend.
VII. Im weiteren Verlauf des Verfahrens nahm die Einsprechende ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.
VIII. Die Inhaberin reichte neue Hilfsanträge B3, B4 und B5 ein, bei denen im Unterschied zum Hauptantrag und den Hilfsanträgen B1 und B2 jeweils das von der Beschwerdekammer als problematisch erachtete Merkmal gegen eine detailliertere Definition der Ausmündung der Welle ausgetauscht wurde.
IX. Die mündliche Verhandlung fand in Abwesenheit der Einsprechenden statt. Während der Verhandlung zog die Inhaberin die bisherigen Hilfsanträge B3, B4 und B5 zurück, und ersetzte sie durch neue Hilfsanträge B3, B4 und B5.
X. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet (Referenzzeichen entfernt):
Optischer Sensor zur Erfassung von Objekten innerhalb eines Überwachungsbereichs,
mit einer innerhalb eines Gehäuses angeordneten, um eine Drehachse drehbaren Sende-/Empfangseinheit, umfassend einen Sendelichtstrahlen emittierenden Sender und einen Empfangslichtstrahlen empfangenden Empfänger,
wobei die Sende-/Empfangseinheit Bestandteil eines rotierenden Messkopfes ist, der innerhalb des ortsfest angeordneten Gehäuses angeordnet ist,
und wobei der Messkopf auf einer entlang der Drehachse verlaufenden Welle gelagert ist, die mittels eines Antriebs in eine Drehbewegung versetzt wird,
wobei die Welle an der Oberseite des Antriebs ausmündet,
wobei durch die Drehbewegung der Sende-/Empfangseinheit die Sendelichtstrahlen periodisch innerhalb des Überwachungsbereichs geführt sind,
und wobei die Sendelichtstrahlen und die Empfangslichtstrahlen durch ein Fenster des Gehäuses geführt sind,
wobei das Fenster ein optisches Mittel zur Strahlformung der Sendelichtstrahlen und Empfangslichtstrahlen bildet,
dadurch gekennzeichnet,
dass der Sender so im Gehäuse angeordnet ist, dass die Sendelichtstrahlen etwas nach unten geneigt angeordnet sind, so dass keine Rückreflektionen der Sendelichtstrahlen innerhalb des Gehäuses in den Empfänger auftreten,
dass das Fenster die Funktion eines strahlformenden Elements für die Sendelichtstrahlen derart aufweist,
dass diese durch eine geeignete Formgebung des Fensters in diesem Bereich so abgelenkt werden,
dass diese im Überwachungsbereich senkrecht zur Drehachse verlaufen,
und dass der optische Sensor eine redundante Signalauswertung aufweist.
XI. Anspruch 1 des Hilfsantrags B1 (eingereicht mit der Beschwerdebegründung) unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass das erste Merkmal des Kennzeichens definiert, dass (Referenzzeichen entfernt)
... dem Empfänger eine Empfangsoptik vorgeordnet ist, wobei die Empfangsoptik mit ihrer optischen Achse etwas nach unten geneigt angeordnet ist, ...
XII. Anspruch 1 des Hilfsantrags B2 (eingereicht mit der Beschwerdebegründung) unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags B1 dadurch, dass vor dem letzten Merkmal der redundanten Signalauswertung zusätzlich definiert wird (Referenzzeichen entfernt),
..., dass der Sender axial versetzt zu dem Empfänger und der diesem zugeordneten Empfangsoptik ist...
XIII. Anspruch 1 der Hilfsanträge B3, B4 und B5 (eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer) unterscheidet sich vom jeweiligen Anspruch 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge B1 und B2 dadurch, dass jeweils das Merkmal "wobei die Welle an der Oberseite des Antriebs ausmündet" ersatzlos gestrichen wurde.
XIV. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Parteien, und nur diese, finden sich in den Entscheidungsgründen.
Hauptantrag - Änderungen
1. Laut der Einsprechenden (Einspruchserwiderung, Punkt 2.1.1) habe das Merkmal "wobei die Welle an der Oberseite des Antriebs ausmündet" keine Basis in der ursprünglichen Anmeldung. Die Beschreibung enthalte überhaupt keine Textstelle, die sich mit diesem Merkmal befasse. Die Figur 1 zeige schematisch lediglich ein Element, das die Welle repräsentieren solle, das sich oberhalb eines Elements befinde, das den Antrieb repräsentieren solle. Details des Bereichs zwischen Welle und Antrieb könnten der Figur nicht entnommen werden.
2. Die Patentinhaberin ist der Auffassung, dass die Figur 1 sehr wohl die Ausmündung der Welle an der Oberseite des Antriebs zeige. Weder in der Figur noch in der Beschreibung sei von Zwischenstücken, wie etwa einem zwischengeschalteten Getriebe, die Rede. Deshalb ergebe sich aus der Figur 1 eindeutig die Lehre, dass die Welle direkt an der Oberseite des Antriebs ausmünde, aus der Oberseite also herauskomme und keinen Abstand zur Oberseite habe. Nichts anderes werde durch Anspruch 1 definiert.
3. Das Argument der Patentinhaberin überzeugt nicht. Die ursprüngliche Anmeldung spricht einzig auf Seite 10, Zeilen 21 - 23 von dem Antrieb. Die Fachperson lernt aus diesem Absatz, dass die Welle vom Antrieb in eine Drehbewegung versetzt wird. Sie ist also mit dem Antrieb gekoppelt. Wie die Kopplung realisiert werden soll, bleibt dabei offen. Es bleibt also auch offen, ob die Welle über ein Zwischenstück mit dem Antrieb gekoppelt ist, beispielsweise über eine aus dem Antrieb herausragende Achse und ein zusätzliches Getriebe, oder ob die Oberseite des Antriebs eine Kopplung enthält, oder ob die Welle innerhalb des Antriebs angetrieben wird und die Oberfläche durchdringt. Figur 1 schränkt diese Information nicht weiter ein. Die Figur zeigt schematisch die erfindungsrelevanten Elemente und deren grobe Lage zueinander. Es handelt sich jedoch nicht um eine vollständige, technische Darstellung des optischen Sensors. Beispielsweise ist die notwendigerweise vorhandene Verbindung zwischen dem Messkopf und der Welle in Figur 1 nicht gezeigt. Ebensowenig ist eine Verbindung des Antriebs zum Gehäuse gezeigt. Genauso wenig kann also davon ausgegangen werden, dass eine für die Erfindung scheinbar unwesentliche Kopplung zwischen Welle und Antrieb in der Figur gezeigt ist.
4. Das Merkmal, nachdem die Welle an der Oberseite des Antriebs der Welle ausmündet, bedeutet nach allgemeinem Verständnis des Begriffs "ausmünden", dass die Welle entweder die Oberfläche berührt, und somit in sie übergeht, oder dass sie durch die Oberfläche aus dem Inneren des Antriebs herauskommt. Das ist auch das Verständnis der Patentinhaberin. Ein solches Ausmünden ist jedoch eine Information, die in der ursprünglichen Anmeldung nicht enthalten ist, weil letztere überhaupt keine Information über die Art der Kopplung enthält.
5. Es folgt, dass der Hauptantrag nicht gewährbar ist, weil der Gegenstand des Anspruchs 1 über den Gegenstand der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht (Artikel 123(2) EPÜ).
Hilfsanträge B1, B2 - Änderungen
6. Anspruch 1 eines jeden der Hilfsanträge B1 und B2 enthält, genau wie Anspruch 1 des Hauptantrags, das Merkmal "wobei die Welle an der Oberseite des Antriebs ausmündet".
7. Die Hilfsanträge B1 und B2 sind deshalb aus dem gleichen Grund nicht gewährbar wie der Hauptantrag (Artikel 123(2) EPÜ).
8. Die Patentinhaberin hat hier lediglich auf ihre Argumentation zum Hauptantrag verwiesen.
Hilfsanträge B3, B4, B5 - Zulassung
9. Die Hilfsanträge B3, B4 und B5 wurden während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereicht. Ihre Zulassung unterliegt damit den Vorschriften des Artikels 13(2) VOBK 2020. Diese Vorschrift verlangt stichhaltige Gründe dafür, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, um eine Zulassung überhaupt in Betracht zu ziehen.
10. Die Patentinhaberin räumt zwar ein, dass das Argument des zusätzlichen Sachverhalts im Zusammenhang mit der Ausmündung der Welle bereits in der Einspruchserwiderung erhoben wurde. Sie gibt jedoch zu bedenken, dass die genaue Begründung erstmalig von der Beschwerdekammer während der mündlichen Verhandlung dargelegt worden sei. Die Patentinhaberin habe also erst während der Verhandlung erstmalig verstehen können, dass das Problem an dem Ausdruck "ausmünden" liege. Ein früheres Einreichen der Hilfsanträge B3 - B5 sei deshalb nicht möglich gewesen. Es lägen damit außergewöhnliche Umstände vor, die dazu führten, dass die Hilfsanträge B3 - B5 erst während der mündlichen Verhandlung hätten eingereicht werden können. Die in den genannten Hilfsanträgen vorgenommene Änderung liege in der Streichung des problematischen Merkmals. Dadurch würde das einzig vorhandene Problem in den Ansprüchen gelöst, ohne dass dadurch der Gegenstand des erteilten Anspruchs erweitert würde. Im Hinblick auf die positive Haltung der Kammer zu den weiteren, durch die Einsprechende erhobenen Einwände, seien die Ansprüche der Hilfsanträge B3 - B5 somit klar gewährbar.
11. Eine unterschiedlich formulierte Begründung desselben Einwands ist jedoch kein stichhaltiger Grund für eine Zulassung zu einem solch späten Verfahrensstadium. Der in der Beschwerdeerwiderung unter Punkt 2.1.1 durch die Einsprechende erhobene Einwand ist klar verständlich. Auch der Patentinhaberin war bewusst, dass die ursprüngliche Beschreibung weder eine Oberseite des Antriebs offenbart noch ein Ausmünden der Welle. Die Problematik, Merkmale aus einer schematischen Zeichnung zu entnehmen, müssen der Patentinhaberin ebenfalls bewusst gewesen sein, insbesondere, weil die Einsprechende explizit darauf hinweist. Die Patentinhaberin hätte also die Hilfsanträge B3 - B5 bereits unmittelbar nach Kenntnisnahme der Einspruchserwiderung einreichen können, ohne darauf zu warten, mit welchen Worten die Kammer diesen Einwand formuliert.
12. Es lagen demnach zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine außergewöhnlichen Umstände vor, die eine Berücksichtigung der Hilfsanträge B3 - B5 hätten rechtfertigen können.
13. In Ermangelung außergewöhnlicher Umstände bleiben die Hilfsanträge B3, B4 und B5 unberücksichtigt (Artikel 13(2) VOBK 2020).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.