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T 1533/18 26-08-2021
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Rechtliches Gehör - Verletzung (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - Billigkeit (ja)
Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
Zurückverweisung - Besondere Umstände (ja)
I. Die vorliegende Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Patent EP 2 511 930 gemäß Artikel 101 (2) EPÜ, zweiter Satz zurückzuweisen.
II. Im Ladungszusatz vom 28. Juli 2017 teilte die Einspruchsabteilung den Verfahrensbeteiligten ihre vorläufige Ansicht mit. Mit Schreiben vom 11. Januar 2018 nahm die Einsprechende zu dieser vorläufigen Ansicht Stellung und teilte mit Schreiben vom 2. März 2018 mit, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen würde. Daraufhin hob die Einspruchsabteilung den Termin für die mündliche Verhandlung auf und entschied im schriftlichen Verfahren.
Die Einspruchsabteilung gelangte zu der Auffassung, dass ausgehend von jedem der Dokumente
D7 |US 3 972 016 A |
D13|DE 10 2004 028120 A1|
D17|DE 10 2007 014237 A1|
als nächstliegendem Stand der Technik der Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
III. Die schriftlichen Anträge der Beteiligten im Beschwerdeverfahren lauten wie folgt:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen,
hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent auf Grundlage der Ansprüche eines der Hilfsanträge 1 oder 2 aufrechtzuerhalten.
Beide Verfahrensbeteiligte stellten zudem hilfsweise einen Antrag auf eine mündlichen Verhandlung.
IV. Die Kammer teilte den Verfahrensbeteiligten in einer Mitteilung gemäß Regel 100 (2) EPÜ vom 28. Juni 2021 mit, dass sie die Absicht habe, die Angelegenheit aufgrund eines wesentlichen Verfahrensmangels an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit, zu den Gründen für die beabsichtigte Zurückverweisung Stellung zu nehmen und wurden gebeten mitzuteilen, ob unter der Bedingung, dass die Kammer die Angelegenheit aufgrund der in der Mitteilung dargelegten Überlegungen zurückverweise, der jeweilige Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen werde, so dass das Beschwerdeverfahren im schriftlichen Verfahren beendet werden könne.
V. Hierauf teilten beide Verfahrensbeteiligten innerhalb der in der vorgenannten Mitteilung gesetzten Frist mit, dass sie unter der Bedingung, dass die Kammer die Angelegenheit zurückverweise, ihren jeweilige Antrag auf mündliche Verhandlung zurücknehmen.
VI. Die entscheidungserheblichen Gründe der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
In der angefochtenen Entscheidung unter den Ziffern 1.4 bis 1.8, in denen der Verfahrensablauf des Einspruchverfahrens chronologisch dargestellt sei, werde der Schriftsatz der Einsprechenden vom 11. Januar 2018 nicht aufgelistet. Auch in der Entscheidungsbegründung in den Ziffern 11.1 bis 11.4 werde mit keinem Wort auf diesen Schriftsatz der Einsprechenden und/oder die darin hervorgebrachten Argumente eingegangen. Dies erwecke den Eindruck, dass der entsprechende Schriftsatz der Einsprechenden keinerlei Berücksichtigung gefunden habe.
VII. Die Beschwerdegegnerin trug keine Gründe vor, welche für die vorliegende Entscheidung, die sich nur mit dem von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Verfahrensmangel auseinandersetzt, erheblich waren.
VIII. Der Wortlaut der Ansprüche ist, auch wenn in den Entscheidungsgründen vereinzelt auf ein Anspruchmerkmal Bezug genommen wird, für die vorliegende Entscheidung unerheblich und wird daher nicht wiedergegeben.
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerde entspricht den formellen und materiellrechtlichen Erfordernissen der Artikel 106 bis 108 und der Regel 99 EPÜ. Sie ist daher zulässig.
2. Entscheidung im schriftlichen Verfahren
Die vorliegende Entscheidung kann im schriftlichen Verfahren ergehen.
Den Verfahrensbeteiligten wurde in der Mitteilung der Kammer vom 28. Juni 2021 die vorläufige Ansicht der Kammer mitgeteilt.
Die Verfahrensbeteiligten haben daraufhin ihren Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter der Bedingung zurückgezogen, dass die Kammer die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung zurückverweist. Die Entscheidung, die Angelegenheit zurückzuverweisen, konnte daher ohne mündliche Verhandlung ergehen.
3. Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin
3.1 Das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin wurde durch die angefochtene Entscheidung verletzt.
3.2 In den Punkten 2.1 und 4.2 ihrer Beschwerdebegründung trägt die Beschwerdeführerin zutreffend vor, die angefochtene Entscheidung erwecke den Eindruck, ihr Schriftsatz vom 11. Januar 2018 habe keinerlei Berücksichtigung gefunden.
3.3 Die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung setzen sich in der Tat nicht mit dem Vorbringen aus dem benannten Schriftsatz der Beschwerdeführerin auseinander. Die Einspruchsabteilung hat den Schriftsatz vom 11. Januar 2018 auch nicht in der Sachverhaltsdarstellung der angefochtenen Entscheidung gewürdigt, was dafür spricht, dass der gesamte Schriftsatz samt seines Inhalts nicht berücksichtigt wurde.
3.4 Einer der tragenden Gründe für die angefochtene Entscheidung war, dass nach Auffassung der Einspruchsabteilung der Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber Dokument D7 als nächstliegendem Stand der Technik beruhe.
Bei der Anwendung des Aufgabe-Lösung-Ansatzes ging die Einspruchsabteilung dabei in Punkt 3.2.3 der angefochtenen Entscheidung von der in der Streitanmeldung auf Seite 3, Zeilen 21 bis 24 formulierten technischen (subjektiven) Aufgabe aus.
In ihrem Schriftsatz vom 11. Januar 2018, Seite 2, letzter Absatz bis Seite 3, drittletzter Absatz trug die damalige Einsprechende Argumente vor, weshalb sich ihrer Ansicht nach diese Aufgabenformulierung nicht an den tatsächlichen Unterscheidungsmerkmalen gegenüber der Schrift D7 orientiere und erläuterte welches die tatsächliche objektive Aufgabe sei.
Die Kammer kann der angefochtenen Entscheidung keinerlei Auseinandersetzung - weder explizit noch implizit - mit diesen Argumenten entnehmen. Im oben genannten Punkt 3.2.3 der Entscheidungsgründe wird insbesondere nicht darauf eingegangen, inwiefern die durch die Unterscheidungsmerkmale verwirklichten technischen Wirkungen zur Formulierung der Aufgabe herangezogen worden sind.
3.5 Auch bei der Bewertung der Lösung der angeblichen Aufgabe gegenüber der Schrift D7 macht sich die Einspruchsabteilung in Punkt 3.2.4 der Entscheidungsgründe die Begründung der damaligen Patentinhaberin zu eigen, ohne sich mit den Gegenargumenten der damaligen Einsprechenden in ihrem Schriftsatz vom 11. Januar 2018 auf Seite 3 vorletzter Absatz bis Seite 5, vorletzter Absatz auseinanderzusetzen.
3.6 Das Vorbringen der damaligen Einsprechenden vom 11. Januar 2018 setzt sich erkennbar mit der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung vom 28. Juli 2017 und dem Schreiben der Patentinhaberin vom 4. April 2017 auseinander. Dies, sowie ein direkter Vergleich der Einspruchsbegründung mit dem oben genannten Vorbringen, zeigt, dass es sich hierbei auch nicht um eine bloße Wiederholung der Einspruchsbegründung handelt. Es kann also auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Einspruchsabteilung bereits in ihrer vorläufigen Meinung im Ladungszusatz mit den relevanten Argumenten auseinandergesetzt hätte.
3.7 Es ist der angefochtenen Entscheidung auch nicht zu entnehmen, dass die Einspruchsabteilung das Vorbringen vom 11. Januar 2018 gemäß Artikel 114 (2) EPÜ oder Regel 116 (1), zweiter Satz EPÜ, als verspätet betrachtet und daher unberücksichtigt gelassen hat. Ohnehin hätte dies eine eigenständige Begründung erfordert, die die angefochtene Entscheidung nicht enthält. Die Kammer bemerkt überdies, dass die Einspruchsabteilung in ihrer Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2017 als Zeitpunkt, bis zu dem gemäß Regel 116 EPÜ Schriftsätze und/oder Unterlagen eingereicht werden konnten, den 12. Januar 2018 angegeben hat.
3.8 Die Kammer stimmt mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern überein, nach der der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ nicht nur das Recht beinhaltet, sich zu äußern, sondern auch das Recht darauf, dass diese Äußerungen gebührend berücksichtigt werden, siehe hierzu auch Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, Neunte Auflage, Juli 2019, III.B.2.4.2 und III.K.3.4.2.
Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern handelt es sich bei der Nichtberücksichtigung dieses Grundsatzes um einen schwerwiegenden Verfahrensmangel.
3.9 Ähnlich gelagert ist der Sachverhalt auch bezüglich der Diskussion des Dokuments D13 als nächstliegendem Stand der Technik, welche einen zweiten tragenden Grund für die angefochtene Entscheidung darstellt. Hier hat die Beschwerdeführerin ebenfalls mit dem Schreiben vom 11. Januar 2018 Argumente bezüglich der Frage vorgelegt, ob D13 das Merkmal 1.1, insbesondere einen Festkontakt, offenbare. Allerdings kommt die Einspruchsabteilung in Punkt 3.3.2 der Entscheidungsgründe ohne Begründung zu dem Schluss, Merkmal 1.1 von Anspruch 1 werde nicht in D13 offenbart. Auch auf das weitere Argument, es handele sich bei den tatsächlichen Unterscheidungsmerkmalen um eine willkürliche Auswahl von Designoptionen, da durch sie keine technische Wirkung erzielt werde, geht die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidungsbegründung mit keinem Wort ein. Auch hier macht sich die Einspruchsabteilung wieder lediglich das Vorbringen der Patentinhaberin zu eigen, und zwar ohne sich mit den Gegenargumenten auseinanderzusetzen. Daher ist weder für die Beschwerdeführerin noch für die Kammer erkennbar, dass die Einspruchsabteilung das Argument der Beschwerdeführerin berücksichtigt hat.
3.10 Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, dass das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin dadurch verletzt wurde, dass ihr Vorbringen zu tragenden Entscheidungsgründen in der angefochtenen Entscheidung nicht berücksichtigt wurde.
4. Zurückverweisung
Gemäß Artikel 12 (2) VOBK 2020 ist das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens die gerichtliche Überprüfung der angefochtenen Entscheidung.
Da objektiv nicht nachzuvollziehen ist, ob die Einspruchsabteilung zentrale Argumente der Einsprechenden überhaupt berücksichtigt hat und daher auch, warum sie sie nicht für überzeugend befand, ist das oben genannte vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens für zentrale Streitfragen im vorliegenden Fall nicht erreichbar.
Dies stellt nach Auffassung der Kammer im Einklang mit dem zweiten Satz von Artikel 11 VOBK 2020 besondere Umstände dar, welche eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung rechtfertigen.
5. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Der Beschwerde wird durch die Beschwerdekammer stattgegeben, weil das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt wurde. Dieser Verstoß gegen das rechtliche Gehör stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der aus Gründen der Billigkeit regelmäßig, und auch in diesem Fall, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 103 (1) a) EPÜ in voller Höhe rechtfertigt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
3. Die Beschwerdegebühr wird in voller Höhe zurückgezahlt.