T 2917/18 20-05-2022
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System zur induktiven Energie-Übertragung an einen Verbraucher
Beschwerdebegründung - vollständiger Sachvortrag eines Beteiligten
Beschwerdebegründung - Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 3 (nein)
Ausreichende Offenbarung - Hilfsantrag 4 (nein)
Spät eingereichte Tatsachen - Hilfsantrag 5 hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja)
Ankündigung nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen - keine Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher das europäische Patent Nr. 2 700 140 widerrufen worden ist.
Die Einspruchsabteilung war zu der Auffassung gelangt, dass Anspruch 1 des erteilten Patents, sowie der Hilfsanträge 1 und 3 Artikel 123 (2) EPÜ verletzt und dass Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 und 4 nicht ausführbar im Sinne des Artikels 83 EPÜ ist.
II. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent unverändert aufrecht zu erhalten, hilfsweise die Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung gemäß eines ihrer während des Einspruchsverfahrens eingereichten Hilfsanträge, insbesondere des Hilfsantrags 4, oder des mit Schreiben vom 21. Dezember 2018 eingereichten Hilfsantrags 5 aufrecht zu erhalten.
III. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Im Einzelnen beantragte sie, die Beschwerde lediglich hinsichtlich des Hilfsantrags 4 als ausreichend substantiiert anzusehen und den Hilfsantrag 5 nicht zum Verfahren zuzulassen. Weiterhin beantragte sie eine Zurückverweisung an die erste Instanz, sollte Neuheit und erfinderische Tätigkeit diskutiert werden.
IV. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 20. Mai 2022 beigefügten Mitteilung teilte die Kammer den Parteien mit, dass nach ihrer vorläufigen Meinung die Beschwerde hinsichtlich des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 3 nicht ausreichend substantiiert worden ist, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 nicht ausreichend offenbart im Sinne des Artikels 83 EPÜ ist, sowie dass der Hilfsantrag 5 nicht zuzulassen ist.
V. Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2022 erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie an der mündlichen Verhandlung am 20. Mai 2022 nicht teilnehmen werde.
VI. Die Beschwerdeführerin hat ihren Antrag auf mündliche Verhandlung nicht zurückgezogen. Daher fand die mündliche Verhandlung am 20. Mai 2022 in Abwesenheit der Beschwerdeführerin statt. Die mündliche Verhandlung wurde als Videokonferenz durchgeführt.
VII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 lautet folgendermaßen:
"System zur induktiven Energie-Übertragung an einen Verbraucher,
wobei das System den Verbraucher und ein Primärleitersystem (2) enthält,
wobei der Verbraucher eine Sekundärwicklung aufweist, die an das Primärleitersystem (2) induktiv gekoppelt ist,
wobei der Verbraucher eine Wicklungsanordnung aufweist, welche eine erste Teilwicklung (51) und zumindest eine weitere Teilwicklung (50) aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass
die erste Teilwicklung (51) in einem Raumbereich angeordnet ist, in welchem ein vom Primärleitersystem erzeugtes Wechselmagnetfeld im Wesentlichen entgegengesetzt gerichtet ist zum vom Primärleitersystem erzeugten Wechselmagnetfeld in demjenigen Raumbereich, in welchem die weitere Teilwicklung (50) angeordnet ist,
wobei [sic]erste und die weitere beziehungsweise die weiteren Teilwicklungen jeweils eine derartige Wicklungszahl, einen derartigen Wicklungssinn und eine derartige umwickelte Fläche aufweisen, dass die in der ersten und in der weiteren beziehungsweise den weiteren Teilwicklungen (50, 52) von dem im Bereich der Wicklungsanordnung homogenen Wechselmagnetfeld induzierten Spannungen entgegengesetzt gleich groß sind,
wobei das Primärleitersystem langgestreckt verlegt ist, wobei der Verbraucher als Fahrzeug ausgeführt ist und entlang dem Primärleitersystem (2) verfahrbar ist,
wobei die Wicklungsanordnung in der das Primärleitersystem (2) enthaltenden Ebene angeordnet ist oder in einer zu dieser Ebene parallel angeordneten Ebene,
wobei jeder Teilwicklung eine Transmitter-Schaltung zugeordnet ist, wobei zumindest zwei Transmitter-Schaltungen Signale mit zueinander entgegengesetzter Phase einspeisen, also mit 180° Phasenverschiebung."
VIII. Angesichts der Auffassung der Kammer, dass die Beschwerde hinsichtlich des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge 1 bis 3 nicht ausreichend substantiiert ist und dass der Hilfsantrag 5 nicht zuzulassen ist, erübrigt sich eine Widergabe des Anspruchswortlauts dieser Anträge.
IX. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 3 seien ausreichend substantiiert da die Argumente zum Hilfsantrag 4 offensichtlich auch für diese Anträge gelten würden. Ein separater Vortrag zum Hauptantrag und zu den Hilfsanträgen 1 bis 3 hätte nur zu Wiederholungen in der Beschwerdebegründung geführt.
Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 sei auch ausreichend offenbart im Sinne des Artikels 83 EPÜ. Je kleiner die Spulen seien, desto homogener sei das Feld im Bereich der Spule. Bei infinitesimal kleinen Spulen liege Homogenität im mathematisch korrekten Sinn vor. In ingenieur-praktischem Verständnis bedeute "infinitesimal" für den Fachmann "sehr klein, aber mit einer nicht verschwindenden Fläche". Da der Anspruch nur Homogenität im umwickelten Bereich fordere, wisse der Fachmann daher, dass er praktische Homogenität durch eine kleine Dimensionierung der Spule realisieren könne. Diese sei sowohl für Daten-, als auch Energieübertragungen verwendbar. Zudem sei nach dem Patent, beispielsweise auf Seite 6, Zeile 17 der Beschreibung, die Homogenität lediglich als im Wesentlichen homogen zu verstehen. Unter Berücksichtigung der Seite 5, Zeile 13 der Beschreibung sei sogar eine Streichung von "homogen" möglich. Die Kammer merkt in diesem Zusammenhang an, dass sich die von der Beschwerdeführerin genannten Textstellen nicht auf das Patent beziehen, sondern auf das Druckexemplar.
Die Beschwerdeführerin hat zudem schriftlich vorgetragen, dass sie zur Auslegung des Begriffs "homogen" ausreichend vorgetragen und die in der Beschwerdebegründung zum Hilfsantrag 4 genannten Argumente deutlich gemacht habe. Es sei offensichtlich, dass diese Argumente auch für die anderen Anträge gelten und hätte nur zu Wiederholungen geführt. Im Übrigen gehe sie davon aus, dass die Kammer jedenfalls ihren in der angefochtenen Entscheidung wiedergegebenen Vortrag berücksichtige.
Zur Zulässigkeit des Hilfsantrags 5 hat sich die Beschwerdeführerin nicht geäußert. Sie hat auch nicht auf den Antrag der Beschwerdegegnerin reagiert, diesen Hilfsantrag mangels Substantiierung nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen.
X. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 3 seien nicht ausreichend substantiiert und daher nicht zuzulassen. Die Beschwerdebegründung enthalte keinen Vortrag zum Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 3.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 erfülle das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ nicht. Es sei für den Fachmann nicht nacharbeitbar, wie er ein im physikalischen Sinn homogenes Magnetfeld mit der beanspruchten Vorrichtung erreichen sollte. Es sei technisch nicht möglich, die Spulen beliebig klein auszugestalten, da diese den technischen Randbedingungen des beanspruchten Systems genügen müssten. Außerdem löschten sich die in Anspruch 1 definierten gegenphasigen Signale gegenseitig aus, sodass kein Signal mehr übertragen werden könne. Das Patent enthalte keine Informationen darüber, wie dieses Problem zu lösen sei.
Der Hilfsantrag 5 sei ebenfalls nicht ausreichend substantiiert und folglich nicht zuzulassen.
1. Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 3 - Artikel 12 (2) und (4) VOBK 2007
Die Beschwerdegegnerin bestreitet, dass die Beschwerde hinsichtlich des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 3 ausreichend substantiiert worden ist.
Die Kammer schließt sich der Beschwerdegegnerin an. Zum Hauptantrag und zu den Hilfsanträgen enthält die Beschwerdebegründung keinerlei Vortrag. Sogar die Argumente zu Hilfsantrag 4 in der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin sind noch durch das Adjektiv "insbesondere" als optional dargestellt. Ein Verweis auf Vorbringen in der ersten Instanz erfüllt nicht die Voraussetzungen von Regel 99 (2) EPÜ und Artikel 12 (2) VOBK 2007 (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, V.A.2.6.4 a)). Ebenso wenig sind die in der angefochtenen Entscheidung angegebenen Argumente der Beschwerdeführerin geeignet, den substantiierten Vortrag in der Beschwerdebegründung zu ersetzen.
Die Kammer ist daher zu der Auffassung gelangt, dass der Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1 bis 3 im Sinne von Artikel 12 (2) VOBK 2007 nicht ausreichend substantiiert sind. Daher hat die Kammer ihr Ermessen unter Artikel 12 (4) VOBK 2007 dahingehend ausgeübt, den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 3 unberücksichtigt zu lassen.
2. Hilfsantrag 4 - Regel 99 EPÜ
Die Frage, ob der Hilfsantrag 4 ausreichend substantiiert worden ist, kann angesichts der Schlussfolgerung der Kammer, dass der Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt und dieser Antrag daher nicht gewährbar ist, dahinstehen.
3. Hilfsantrag 4 - Artikel 83 EPÜ
Die Kammer schließt sich der Beschwerdegegnerin und der Begründung der angefochtenen Entscheidung dahingehend an, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 nicht ausreichend offenbart im Sinne des Artikels 83 EPÜ ist.
Ein homogenes Magnetfeld ist in der Physik eindeutig definiert als ein Magnetfeld, dessen Feldstärke nicht vom Ort abhängt, d.h. innerhalb dessen die Feldstärke gleichgroß und gleichgerichtet ist. Dies ist bei dem patentgemäßen System zur induktiven Energieübertragung augenscheinlich nicht der Fall. Auch enthält das Patent keinerlei Angaben darüber, dass unter einem homogenen Magnetfeld im Sinne des Patents abweichend von der allgemein bekannten Definition etwas Anderes zu verstehen wäre.
Die Argumente der Beschwerdeführerin auf den Seiten 2 bis 4 der Beschwerdebegründung vermochten die Kammer nicht zu überzeugen. Einerseits können die Spulen, wie bereits von der Einspruchsabteilung festgestellt und von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, nicht beliebig klein sein, da dadurch eine Signal- und Energieübertragung nicht mehr gewährleistet werden könnte. Andererseits enthält Anspruch 1 keinerlei geometrische Definitionen, aus denen sich eine eventuelle Homogenität des Magnetfelds im Bereich der Wicklungsanordnung zweifelsfrei ergeben könnte. Die mangelnde Definition der geometrischen Anordnung war von der Einspruchsabteilung in den Punkten 34 und 35 der angefochtenen Entscheidung im Zusammenhang mit Artikel 83 EPÜ auch beanstandet worden. Die Beschwerdeführerin hat sich hierzu jedoch nicht geäußert.
Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 definiert nicht einmal eine parallele Anordnung zweier Primärleiter, die von entgegengesetzt gerichteten Strömen durchflossen werden, wodurch zumindest im Bereich zwischen den Primärleitern das Magnetfeld als teilweise homogen betrachtet werden könnte. Das Primärleitersystem des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 ist folglich in keiner Weise festgelegt, sodass es theoretisch beliebige Magnetfelder erzeugen kann. Für die Kammer ist daher nicht nachvollziehbar, wie eine Anordnung von Teilwicklungen aussehen könnte, die der im Anspruch 1 geforderten Homogenität genügen würde.
Eine Streichung des Adjektivs "homogen" ist weder aufgrund der Textstelle auf Seite 6, Zeile 17 der Beschreibung, noch jener auf Seite 5, Zeile 13 gerechtfertigt. Laut der Gesamtoffenbarung des Patents ist für den Fachmann klar, dass zwei Spulen mit gleicher Windungszahl, übereinstimmender Fläche und entgegengesetztem Wicklungssinn nur dann eine Spannung von Null ergeben werden, wenn das Feld überall homogen ist.
Zu den Argumenten der Beschwerdegegnerin zu den zusätzlichen Merkmalen des Hilfsantrags 4 betreffend die Transmitterschaltungen, welche mit zueinander entgegengesetzter Phase einspeisen, hat sich die Beschwerdeführerin in keiner Weise geäußert. Die von der Beschwerdegegnerin unter Punkt 3.1 ihrer Erwiderung auf die Beschwerde vorgetragenen Argumente sind für die Kammer schlüssig. In Ermangelung eines Gegenarguments der Beschwerdeführerin ist für die Kammer nicht ersichtlich, warum diese Argumente der Beschwerdegegnerin nicht zutreffend sein sollten. Die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung zitierte Textstelle auf Seite 7, Zeilen 5 bis 13 der Beschreibung enthält keinerlei Information, warum das Argument der Beschwerdegegnerin, gegenphasige Signale im gleichen Funkkanal löschten sich gegenseitig aus, nicht zutreffend sein sollte.
Folglich ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 angegebene Erfindung nicht ausreichend offenbart im Sinne des Artikels 83 EPÜ und in Konsequenz der Hilfsantrag 4 nicht gewährbar ist.
4. Hilfsantrag 5 - Artikel 12 (4) VOBK 2007
Die Beschwerdegegnerin beantragte den Hilfsantrag 5 nicht zuzulassen, da er nicht ausreichend substantiiert sei. Die Kammer schließt sich der Beschwerdegegnerin an. Seitens der Beschwerdeführerin liegt keinerlei Vortrag dahingehend vor, warum der Hilfsantrag 5 die in der angefochtenen Entscheidung angegebenen Einwände überwinden sollte. Daher erfüllt der Hilfsantrag 5 nicht die Erfordernisse des Artikels 12 (2) VOBK 2007 und ist folglich gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen.
Darüber hinaus wäre der Hilfsantrag 5 auch gemäß Artikel 12 (4) VOBK vom Verfahren auszuschließen. Zu Hilfsantrag 5 wurde weder vorgetragen, noch ist ersichtlich, warum die Beschwerdeführerin daran gehindert gewesen sein könnte, den Hilfsantrag 5 bereits im erstinstanzlichen Verfahren zu stellen.
5. Schlussfolgerung
Da kein gewährbarer Antrag der Beschwerdeführerin vorliegt, gibt die Kammer dem Antrag der Beschwerdegegnerin statt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.