T 2985/18 (Verfahren zum Betreiben eines autonomen Flurförderfahrzeugs/KUKA) 11-10-2022
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VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINES AUTONOMEN FLURFÖRDERFAHRZEUGS
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag, Hilfsantrag 2 (nein)
Spät eingereichter Hilfsantrag 2 - berücksichtigt (ja)
Spät eingereichte Hilfsanträge 1 und 3 bis 6
Spät eingereichte Hilfsanträge - berücksichitgt (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent 2 550 227 zurückzuweisen.
II. Darin erhebt die Beschwerdeführerin - wie schon im Einspruchsverfahren - lediglich Einwände, die die Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Patents gegenüber P1 (K.O. Arras et al., "Real-time Obstacle Avoidance for Polygonal Robots with a Reduced Dynamic Window", Proceedings of the 2002 IEEE International Conference on Robotics Automation, S. 3050-3055) in Frage stellen.
III. Die Beschwerdeführerin beantragt den Widerruf des Patents unter Aufhebung und Abänderung der angefochtenen Entscheidung.
IV. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte in ihrer Beschwerdeerwiderung die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents gemäß einem der gleichzeitig überreichten Hilfsanträge 1 bis 6.
V. In einer mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung ergangenen Mitteilung äußerte die Kammer unter anderem die vorläufige Meinung, dass Anspruch 1 des Patents zwar neu, aber nicht erfinderisch gegenüber P1 sei und dass die Kammer beabsichtige, die Hilfsanträge nicht zu berücksichtigen.
VI. Während der mündlichen Verhandlung änderte die Patentinhaberin die Reihenfolge ihrer Hilfsanträge dahingehend, dass Hilfsantrag 6 zunächst zu behandeln sei, gefolgt von den Hilfsanträgen 2 bis 5 und Hilfsantrag 1.
Die Beschwerdeführerin sprach sich gegen die Berücksichtigung sämtlicher Hilfsanträge aus.
VII. Anspruch 1 des Patents (Hauptantrag) lautet:
Verfahren zum Betreiben eines autonomen Flurförder-fahrzeugs, aufweisend folgende Verfahrensschritte:
- mittels einer Messvorrichtung (6) eines autonomen Flurförderfahrzeugs (1) Ermitteln, ob aufgrund der aktuellen Bewegung des Flurförderfahrzeugs (1) dieses potenziell mit wenigstens einem Hindernis (7) zusammenstößt,
- Ermitteln derjenigen Stellen (14) des Flurförderfahrzeugs (1), mit dem das Hindernis (7) potenziell zusammenstößt,
- Ermitteln des jeweiligen bewegungsabhängigen Abstands (d) zwischen dem Hindernis (7) und der Stelle (14) des Flurförderfahrzeugs (1) und
- Berechnen einer Maximalgeschwindigkeit für die aktuelle Bewegung des Flurförderfahrzeugs (1) aufgrund des ermittelten Abstands (d), sodass aufgrund eines möglichen Bremsens des Flurförderfahrzeugs (1) dieses zuverlässig vor dem Hindernis (7) zum Stehen kommt.
VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 fügt am Ende von Anspruch 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:
, und automatisches Einstellen der Maximalgeschwindigkeit in den drei Freiheitsgraden des Flurförderfahrzeugs (1), so dass dieses rechtzeitig vor dem Hindernis anhalten kann, ohne mit dem Hindernis zusammen zu stoßen, wobei gleichzeitig die ursprüngliche Bewegungsform bis auf die Geschwindigkeit der Ausführung beibehalten wird.
IX. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 fügt am Ende von Anspruch 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:
, wobei die Kontur des Flurförderfahrzeugs mittels Kreisbogenstücken modelliert ist und die Stelle auf der modellierten Kontur liegt.
X. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 fügt am Ende von Anspruch 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:
, wobei sich das Flurförderfahrzeug (1) in einem Winkel (alpha) relativ zu seiner Orientierung längs einer geraden Linie bewegt, FORMEL/TABELLE/GRAPHIK ein Vektor ist, der die Bewegungsrichtung innerhalb des fahrzeugeigenen Koordinatensystems (9) repräsentiert, sodass die Trajektorie des Hindernisses (7) durchFORMEL/TABELLE/GRAPHIK bestimmt ist.
XI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 fügt Anspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 3 folgende zusätzliche Merkmale hinzu:
, wobei die Kontur des Flurförderfahrzeugs insbesondere mittels Geradenstücken und/oder Kreisbogenstücken modelliert ist und die Stelle auf der modellierten Kontour liegt, sich das Flurförderfahrzeug...
und
, und Positionen der potenziellen Stellen (14) gemäß folgender Regel bestimmt werden:
Ist nyx > 0, dann befindet sich die Stelle (14) potenziell auf der Vorderseite des Flurförderfahrzeugs (1), entsprechend dem ersten Geradenstück (8a),
ist nyx < 0, dann befindet sich die Stelle (14) potenziell auf der Rückseite des Flurförderfahrzeugs (1), entsprechend dem zweiten Geradenstück (8b),
ist nyy > 0, dann befindet sich die Stelle (14) potenziell auf der linken Seite des Flurförderfahrzeugs (1), entsprechend dem dritten Geradenstück (8c), und
ist nyy < 0, dann befindet sich die Stelle (14) potenziell auf der rechten Seite des Flurförderfahrzeugs (1), entsprechend dem vierten Geradenstück (8d).
XII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 fügt am Ende von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 folgende zusätzliche Merkmale hinzu:
, und wobei die Entfernung (d) zwischen der Stelle (14) und dem Hindernis (7) gemäß folgender Regel bestimmt wird:
Liegt die Stelle (14) auf dem ersten Geradenstück (8a), dann ergeben sich für die Stelle (14) die Koordinaten xc = xvor und yc = y0 + d·nyy und die Entfernung (d) als: d = (xvor - x0) / nyx,
liegt die Stelle (14) auf dem zweiten Geradenstück (8b), dann ergeben sich für die Stelle (14) die Koordinaten xc = xrück und yc = y0 + d·nyy und die Entfernung (d) als d = (xrück - x0) / nyx,
liegt die Stelle (14) auf dem dritten Geradenstück (8c), dann ergeben sich für die Stelle (14) die Koordinaten yc = ylinks und xc = x0 + d·nyx und die Entfernung (d) als d = (ylinks - y0) / nyy,
liegt die Stelle (14) auf dem vierten Geradenstück (8d), dann ergeben sich für die Stelle (14) die Koordinaten yc = yrechts und xc = x0 + d·nyx und die Entfernung (d) als d = (yrechts - y0) / nyy.
XIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 fügt am Ende von Anspruch 1 des Hauptantrags folgendes zusätzliches Merkmal hinzu:
, wobei das Flurförderfahrzeug als ein holonomes Flurförderfahrzeug ausgebildet ist.
Anspruch 1 des Hauptantrags - Neuheit und erfinderische Tätigkeit gegenüber P1
1. Sowohl das Patent wie erteilt als auch P1 beziehen sich auf Verfahren zum Betreiben eines autonomen Flurförderfahrzeugs, sodass dieses nicht mit Hindernissen zusammenstößt. P1 wird auch vom Patent als Stand der Technik zitiert (EP 2 550 227 B1, [0002]).
2. Anspruch 1 definiert ein Verfahren mit mehreren Schritten. Strittig ist nur, ob P1 den letzten Schritt des Verfahrensanspruchs 1 offenbart, nämlich das Berechnen einer Maximalgeschwindigkeit für die aktuelle Bewegung des Flurförderfahrzeugs aufgrund des ermittelten Abstands [zwischen einem Hindernis und dem Flurförderfahrzeug], sodass aufgrund eines möglichen Bremsens des Flurförderfahrzeugs dieses zuverlässig vor dem Hindernis zum Stehen kommt.
3. Eine solche Berechnung ist in P1 nicht explizit offenbart, und zwar weder in den Passagen, die sich auf die Dynamische-Fenster-Methode ("dynamic window approach") beziehen (Abschnitt 3.1, 1. Absatz, Abbildung 1), noch in denjenigen, die sich auf die Dynamische-Linie-Methode ("dynamic line approach") beziehen (Abschnitt 3.1, 2. bis 5. Absatz, und Abbildung 2).
4. Die Einsprechende trug dazu vor, dass die Fachperson die Berechnung einer maximalen Geschwindigkeit, wie in Anspruch 1 definiert, implizit aus Abschnitt 3.1, 1.°Absatz, Satz 2 in P1 mitlesen würde.
5. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Die genannte Passage offenbart explizit, dass der Algorithmus jederzeit für einen sicheren Betrieb sorgt, indem er nur Bewegungsbefehle auswählt, die es dem Fahrzeug (dort "Roboter" genannt) ermöglichen, vor einer Kollision anzuhalten.
6. Wie dieser sichere Betrieb gewährleistet werden soll, ist nicht detailliert dargestellt. Es wird in den darauffolgenden Sätzen nur beschrieben, dass die Bewegungsbefehle alle im nächsten Schritt möglichen Bewegungen umfassen, und dass ein Bewegungsbefehl zwei Parameter umfasst, nämlich eine Lineargeschwindigkeit und eine Winkelgeschwindigkeit. Für jeden Befehl wird auch der Abstand zur Kollision mit vorermittelten Hindernissen berechnet und bewertet (siehe schwarze, graue, weiße Codierung der verschiedenen Befehle in den Abbildungen 1 and 2).
7. Dass für jeden Bewegungsbefehl eine Bewertung aufgrund des jeweiligen ermittelten Abstands stattfindet, ergibt sich also eindeutig aus der Offenbarung P1.
8. Daraus folgt aber nicht zwangsläufig, dass eine Maximalgeschwindigkeit berechnet wird. Die Geschwindigkeit des Befehls und der jeweilige Abstand zur Kollision würden, z.B. anhand von Tabellen, die die Bremskraft des Fahrzeugs widerspiegeln, ausreichen, um die offenbarte Selektion von Befehlen zu implementieren, die es dem Fahrzeug ermöglichen, vor einer Kollision anzuhalten.
9. Die Einsprechende trug darüber hinaus - unter Bezugnahme auf ein Regalgassenszenario, in dem ein Ausweichen nicht möglich ist und nur die Lineargeschwindigkeit geändert werden kann - vor, dass sich in einer solchen Situation das Berechen einer Maximalgeschwindigkeit wie im Anspruch definiert eindeutig ergibt.
10. Diese Argumentation geht schon deshalb ins Leere, weil ein solches Regalgassenszenario in P1 weder erwähnt noch angedeutet wird. Wie sich der Roboter von P1 in einer solchen Situation verhalten würde, lässt sich nicht eindeutig aus P1 ableiten. Jedenfalls wird die Möglichkeit, dass sich der Roboter umdreht und zurückfährt (oder rückwärts fährt), nicht ausgeschlossen. Im Übrigen treffen die Ausführungen unter Punkt 8 oben auch für diese Situation zu. Daher würde sich das beanstandete Merkmal auch unter Zugrundelegung einer solchen Situation nicht eindeutig aus der Offenbarung von P1 ergeben.
11. Aus diesen Gründen lässt sich das Berechnen einer Maximalgeschwindigkeit, wie in Anspruch 1 definiert, nicht direkt und eindeutig aus den oben genannten Passagen von P1 ableiten.
12. Im Berechnen einer solche Maximalgeschwindigkeit ist jedoch keine erfinderische Tätigkeit zu erkennen:
13. Das Berechnen einer maximalen Geschwindigkeit aufgrund des ermittelten Abstands wäre für die Fachperson, die die Aufgabe hätte, die in P1 in Abschnitt 3.1, 1. Absatz, 2. Satz, offenbarte Sicherheitsanforderung umzusetzen, naheliegend. Ein derartiges Berechnen würde zudem den zu implementierenden Selektionsprozess vereinfachen, indem es einen direkten Vergleich der berechneten Maximalgeschwindigkeit mit der Geschwindigkeit des Befehls ermöglichen würde.
14. Die Patentinhaberin argumentiert in diesem Zusammenhang, dass P1 die Fachperson lehre, die Winkelgeschwindigkeit auszunutzen, um Hindernissen auszuweichen, statt das Fahrzeug vor diesen zum Stehen zu bringen. Zudem lehre P1, für die Dynamische-Linie-Methode ("dynamic line approach"), das Berechnen einer Maximalgeschwindigkeit, allerdings nicht anhand des Abstands zum Hindernis, sondern anhand der Krümmung des Wegs (P1, Abschnitt 3.1, 3. Absatz, Abbildung 2). Daher wäre für die Fachperson das Berechnen einer Maximalgeschwindigkeit aufgrund des Abstands zwischen einem Hindernis und dem Flurförderfahrzeug nicht naheliegend.
15. Der Patentinhaberin ist darin insoweit zuzustimmen, dass die Umsetzung der in P1 offenbarten Verfahren in den meisten Fällen dazu führen würde, dass - aufgrund der Winkelfreiheitsgrade - das Fahrzeug Hindernissen ausweicht. Ihr ist auch darin zuzustimmen, dass in der Dynamischen-Linie-Methode ("dynamic line approach") die Lineargeschwindigkeit der möglichen Befehle gleichgesetzt wird mit der Maximalgeschwindigkeit, die die Krümmung des geplanten Wegs ermöglicht (P1, Abschnitt 3.1, 3. Absatz).
16. Die Patentinhaberin übersieht dabei jedoch das in P1 auch explizit offenbarte zusätzliche Sicherheitserfordernis, das durch den Algorithmus ebenfalls implementiert werden soll, wonach dieser jederzeit für einen sicheren Betrieb sorgt, indem er nur Bewegungsbefehle auswählt, die es dem Fahrzeug ermöglichen, vor einer Kollision anzuhalten (P1, 2. Satz von Abschnitt 3.1).
17. Dieser Ansatz wird auch für die Dynamische-Linie-Methode ("dynamic line approach") gewählt, wie der in der Abbildung 2 darstellten schwarzen, grauen und weißen Farbcodierung der verschiedenen möglichen Befehle zu entnehmen ist.
18. Es wäre also für die Fachperson schon nach P1 naheliegend, eine Maximalgeschwindigkeit aufgrund des ermittelten Abstands zu berechnen, um dieses zusätzliche Sicherheitserfordernis zu implementieren.
19. Sohin käme die Fachperson ausgehend von P1 ohne erfinderische Tätigkeit auf ein Verfahren nach Anspruch 1.
20. Folglich mangelt es Anspruch 1 des Hauptantrags insgesamt an erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Berücksichtigung der Hilfsanträge
21. Erst mit der Beschwerdeerwiderung reichte die Patentinhaberin sechs Hilfsanträge ein.
22. Die Patentinhaberin argumentiert dazu, dass Art. 12(4) VOBK 2007 anzuwenden sei, nicht aber Art. 12(4) bis (6) VOBK 2020. Daher habe die Kammer keinen Ermessensspielraum und sämtliche Hilfsanträge seien zu berücksichtigen.
23. Zwar ist der Patentinhaberin darin zuzustimmen, dass gemäß Art. 25(2) VOBK 2020 auf - wie hier - vor dem Inkrafttreten der VOBK 2020 eingereichte Beschwerdeerwiderungen weiterhin Art. 12(4) VOBK 2007 anzuwenden ist; allerdings räumt auch diese Vorschrift der Kammer dahin Ermessen ein, Anträge unberücksichtigt zu lassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.
24. Das ist bei den vorliegenden Hilfsanträgen der Fall: Angriffe auf Basis des Dokuments P1 wurden bereits mit dem Einspruch vorgetragen. Die Patentinhaberin hätte schon mit der Erwiderung des Einspruchs mit Hilfsanträgen reagieren können.
25. Die Zulassung und Berücksichtigung der Hilfsanträge liegt sohin im Ermessen der Kammer.
26. Für die Ausübung dieses Ermessens sind nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern verschiedene Kriterien heranzuziehen, u.a. die Prima-facie-Eignung der Änderungen zur Beseitigung vorliegender Einwände, das Gebot der Konvergenz aufeinanderfolgender Anträge, die Komplexität der Änderungen und auch die Frage, ob sie Anlass zu neuen Einwänden geben.
Berücksichtigung der Hilfsanträge 6 und 2
27. Der zunächst zu behandelnde Hilfsantrag 6 unterscheidet sich von den anderen Hilfsanträgen, indem Merkmale auf Basis der Beschreibung hinzufügt wurden.
28. Wie von der Einsprechenden zutreffend ausgeführt, geben die Änderungen Anlass zu neuen Einwänden nach Art. 84 und 123(2) EPÜ. Zum einen sind die hinzugefügten Merkmale nicht klar, weil sie sich auf eine "Ausführung" beziehen, die im Anspruch nicht zuvor definiert wird. Zum anderen bezieht sich die entsprechende Passage der ursprünglich eingereichten Beschreibung (siehe WO 2011/117098 A1, S. 3, Zeilen 4 bis 13) auf einem bestimmten Kontext, aus der die zum Anspruch 1 hinzugefügten Merkmale nicht isoliert werden dürfen.
29. Daher muss Hilfsantrag 6 unberücksichtigt bleiben (Art. 12(4) VOBK 2007).
30. Der darauf folgende Hilfsantrag 2 basiert auf Anspruch 1 des Hauptantrags und fügt Merkmale aus dem erteilten abhängigen Anspruch 4 hinzu.
31. Dieser Antrag hätte zwar schon mit der Einspruchserwiderung vorgelegt werden können, doch hatte die Einsprechende im Einspruchs- wie auch im Beschwerdeverfahren hinreichend Gelegenheit, sich mit dessen Gegenstand zu befassen und hat davon auch Gebrauch gemacht; auch für die Kammer selbst war eine Auseinandersetzung damit ohne unangemessenen Aufwand möglich.
32. Daher war Hilfsantrag 2 zu berücksichtigen (Art. 12(4) VOBK 2007).
Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 - Neuheit und erfinderische Tätigkeit gegenüber P1
33. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von P1 durch das Berechnen einer Maximalgeschwindigkeit und dadurch, dass die Kontur des Flurförderfahrzeugs mittels Kreisbogenstücken modelliert ist, sodass die ermittelte Stelle des Flurförderfahrzeugs, an der es mit dem Hindernis potenziell zusammenstößt, auf dieser modellierten Kontur liegt.
34. P1 offenbart dagegen eine analytische Lösung für die Ermittlung der Kollisionsstelle, in der der Roboter als Rechteck modelliert ist (P1, Abschnitt 4, erster Absatz, Abbildung 5).
35. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Berechnen der Maximalgeschwindigkeit aufgrund des vorermittelten Abstands zum Hindernis und der Modellierung der Kontur des Flurförderfahrzeugs für die Ermittlung der Stelle des Fahrzeugs, an der es mit dem Hindernis potenziell zusammenstößt, ist nicht zu erkennen, auch wenn diese Stelle für die Berechnung des Abstands benutzt wird. Die Patentinhaberin hat einen solchen Zusammenhang auch nicht behauptet.
36. Daher ist der jeweilige Beitrag der einzelnen Unterschiede gegenüber P1 zur erfinderischen Tätigkeit getrennt zu bewerten.
37. Ein Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit ist im Berechnen der Maximalgeschwindigkeit aus den oben angegebenen Gründen (Punkte 13. bis 18.) nicht zu erkennen.
38. Auch in der Modellierung des Flurförderfahrzeugs mittels Kreisbogenstücken statt Geradenstücken kann keine erfinderische Tätigkeit erblickt werden, da P1 selbst auf die Benutzung von alternativen Modellen hinweist (P1, Abschnitt 4, 1. Absatz), und zwar sowohl von beliebigen polygonalen Konturen, als auch von nicht polygonalen Konturen, d.h. Konturen mit Kurven (Kreisbogenstücken). P1 erwähnt sogar explizit die Möglichkeit einer kreisförmigen Roboterkontur (P1, Abschnitt 4, 2. Absatz).
39. Daher ist auch in der Modellierung des Flurförderfahrzeugs mittels Kreisbogenstücken kein Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit zu sehen.
40. Folglich mangelt es auch Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 insgesamt an erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Berücksichtigung der Hilfsanträge 3 bis 5 und 1
41. Die Hilfsanträge 3 bis 5 auf der einen Seite und der Hilfsantrag 1 auf der anderen Seite konvergieren nicht mit Hilfsantrag 2.
42. Zudem sind die im jeweiligen Anspruch 1 dieser Anträge eingeführten Merkmale schon prima facie nicht geeignet, einen im Hinblick auf die Offenbarung von P1 erfinderischen Gegenstand zu definieren.
43. Die in den Hilfsanträgen 3 bis 5 enthaltenen Berechnungen werden sämtlich in Abschnitt 4 von P1 entweder offengelegt oder nahegelegt. Sie erscheinen zudem nur mit der Begrenzung der Kontur des Flurförderfahrzeugs auf eine rechteckige Form kompatibelin Einklang zu bringen. Daher erscheint der Gegenstand des Anspruchs 1 dieser Anträge schon prima facie weder erfinderisch noch klar.
44. Zum anderen waren holonome Fahrzeuge, wie in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 definiert, und deren Vorteile der Fachperson bekannt. Daher erscheint auch der Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 1 schon prima facie nicht erfinderisch.
45. Aus diesen Gründen waren die Hilfsanträge 3 bis 5 und 1 nicht zu berücksichtigen (Art. 12(4) VOBK 2007).
Fazit
46. Es liegt kein Anspruchsantrag vor, auf dessen Grundlage das Patent aufrechterhalten werden könnte.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.