T 0455/19 (Fokussierung eines Hörgerät-Beamformers/SIVANTOS) 12-09-2022
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Verfahren zum Fokussieren eines Hörinstruments-Beamformers
Oticon A/S
GN Hearing A/S (until 25. August 2022)
Widex A/S (until 7. März 2019)
Zulassung eines nach der Ladung eingereichten Anspruchssatzes - neuer Hauptantrag (ja): außergewöhnliche Umstände
Ausführbarkeit - (ja)
Klarheit - (ja)
Unzulässige Erweiterung - (nein)
Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
Zurückverweisung - (ja): Neuheit und erfinderische Tätigkeit noch nicht vollumfänglich geprüft
I. Die Beschwerde der Einsprechenden 1 und 3 und der Patentinhaberin richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das vorliegende europäische Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten "Hilfsantrags 3" aufrechtzuerhalten.
II. Nach Erlass einer Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 11. Mai 2022 zog die Einsprechende 1 ihren Einspruch zurück.
III. Die Patentinhaberin reichte am 9. September 2022 geänderte Hilfsanträge 1 bis 11 ein und beantragte mit einem ersten Schreiben vom Morgen des 12. September 2022 (d. h. am Tag der anberaumten mündlichen Verhandlung) die Verlegung der Verhandlung mit der Begründung, der mit dem Fall betraute Vertreter sei kurzfristig an Corona erkrankt. Eine entsprechende Bescheinigung vom 11. September 2022 wurde beigefügt.
Mit einem zweiten, späteren Schreiben vom 12. September 2022 nahm die Patentinhaberin den ursprünglichen Hauptantrag (Zurückweisung des Einspruchs) zurück und beantragte als neuen Hauptantrag, die Sache auf der Grundlage des neuen Hilfsantrags 1, eingereicht am 9. September 2022, an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, hilfsweise, die mündliche Verhandlung vor der Kammer zu verlegen.
IV. Am 12. September 2022 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, an der die Patentinhaberin nicht teilnahm (vgl. Artikel 15 (3) VOBK).
- Die Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung.
- Die Patentinhaberin hat schriftlich beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache auf der Basis des am 9. September 2022 eingereichten Hilfsantrags 1 an die Vorinstanz zurückzuverweisen, hilfsweise, die mündlichen Verhandlung zu verlegen, falls einer solchen Zurückverweisung nicht stattgegeben werden könne.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags (neuer Hilfsantrag 1 vom 9. September 2022) lautet wie folgt:
"Verfahren zum Fokussieren eines Beamformers (13) eines Hörinstruments (2, 3) umfassend die Schritte:
a) Erfassen der räumlichen Orientierung und/oder Position des Kopfs des Hörinstrument-Benutzers (1),
b) Erfassen von Bewegungen des Kopfes des Hörinstrument-Benutzers (1) durch einen Bewegungssensor (9) oder basierend auf einer räumlichen Analyse von akustischen Signalen,
c) Richtungsabhängiges Erfassen von akustischen Signalen, wenn der Hörinstrument-Benutzer (1) den Kopf in Richtung einer Quelle eines akustischen Signals (21) bewegt hat und den Kopf nicht mehr weiter bewegt,
d) Danach Anheben der Verstärkung akustischer Signale, die aus einem Fokus-Raumwinkel (alpha1, alpha2, ß) frontal vor dem Kopf des Hörinstrument-Benutzers (1), in welche Richtung der Hörinstrument-Benutzer (1) blickt, kommen, gegenüber akustischen Signalen aus anderen Raumwinkeln,
e) Danach nach und nach Fokussieren durch Verringern des Fokus-Raumwinkels (alpha2) solange, bis der Pegel akustischer Signale aus dem Fokus-Raumwinkel (alpha2) aufgrund der Verringerung des
Fokus-Raumwinkels (alpha2) abnimmt und ein minimaler Fokus-Raumwinkel (alpha2, ß) erreicht ist."
VI. Die Merkmale b) und c) von Anspruch 1 des neu eingereichten Hilfsantrags 1 unterscheiden sich von den entsprechenden Merkmalen des vorigen, bis zum 9. September 2022 gültigen Hilfsantrags 1 wie folgt (Unter- und Durchstreichung durch die Kammer):
b) "Erfassen von Bewegungen des Kopfes des
Hörinstrument-Benutzers (1) durch einen Bewegungssensor (9) oder basierend auf einer räumlichen Analyse [deleted: der] von akustischen Signalen,
c) Richtungsabhängiges Erfassen von akustischen
Signalen, wenn der Hörinstrument-Benutzer (1) den Kopf in Richtung [deleted: der] einer Quelle [deleted: des] eines akustischen Signals (21) bewegt hat und den Kopf nicht mehr weiter bewegt,"
Die übrigen Merkmale blieben unverändert.
1. Technischer Hintergrund des Patents
Das Streitpatent betrifft die Fokussierung eines Beamformers (Einrichtung zum signalspezifischen Betonen der aus einer bestimmten Richtung kommenden akustischen Signale) eines Hörgeräts. Dazu werden, sobald ein Hörgerätebenutzer seinen Kopf nicht weiter bewegt, im Wesentlichen folgende Schritte ausgeführt:
- Verstärken von akustischen Signalen, die den Hörgerätebenutzer frontal von vorne aus einem Fokusraumwinkel erreichen, und
- Verringern des Fokusraumwinkels bis der Pegel der akustischen Signale aus dem Fokusraumwinkel abnimmt.
Als Vorteile werden genannt, dass die Fokussierung automatisch gestartet wird, sobald der Benutzer seinen Kopf nicht weiter bewegt und eine Quelle "unverwandt" ansieht, so dass eine manuelle Auslösung der Fokussierung nicht mehr nötig ist (Seite 6, Zeilen 4 bis 17 der Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung).
2. Hauptantrag - Zulassung in das Verfahren
2.1 In den Merkmalen b) und c) von Anspruch 1 des neuen Hilfsantrags 1 vom 9. September 2022 wurden nur die bestimmten Artikel für die akustischen Signale und deren Quellen durch unbestimmte Artikel ersetzt (vgl. Punkt VI oben). Damit wurden diese Begriffe beim erstmaligen Auftreten mit dem unbestimmten Artikel und danach mit dem bestimmten versehen und die diesbezügliche vorliegende Unrichtigkeit ausgeräumt. Diese Unrichtigkeit hatte das Verständnis des damaligen Anspruchswortlauts allerdings nicht beeinträchtigt und wurde von der Kammer in ihrer vorläufigen Meinung auch nicht bemängelt. Ein auf diese Unrichtigkeit abzielender Einwand der mangelnden Klarheit wurde von der Einsprechenden erstmalig mit Schreiben vom 26. August 2022 erhoben.
2.2 Nach Ansicht der Kammer lagen somit hinreichend begründete "außergewöhnliche Umstände" im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 vor, die das späte Vorbringen rechtfertigten. Zudem wurde bei objektiver Interpretation von Anspruch 1 der beanspruchte Schutzgegenstand nicht verändert, so dass sich weder die Einsprechende noch die Kammer einer veränderten Sachlage gegenüber sahen.
2.3 Die Einsprechende verwies darauf, dass die späte Einreichung des neuen Hilfsantrags 1 von der Patentinhaberin damit begründet wurde, dass die mit der Änderung vorgenommene Formulierung offensichtlich die einzig richtige sei. Es sei aber keineswegs offensichtlich, dass die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge "fehlerhaft" seien. Der am 9. September 2022 eingereichte neue Hilfsantrag 1 wäre damit verspätet eingereicht und nicht in das Verfahren zuzulassen.
2.4 Ob der neue Wortlaut offensichtlich der einzig richtige war, kann dahingestellt bleiben, da die Umstände die Zulassung dieses Antrags in das Beschwerdeverfahren rechtfertigen und auch keine verfahrensökonomischen Gründe dagegen sprachen.
Die Kammer ließ daher den neuen Anspruchssatz des Hilfsantrags 1 vom 9. September 2022 (als Hauptantrag) in das Verfahren zu.
3. Hauptantrag - Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)
3.1 Die Einsprechende argumentiert, dass folgende Schritte mangels ausreichender Offenbarung von einem Fachmann nicht ausgeführt werden könnten:
- Erfassen einer Kopfbewegung in Richtung einer akustischen Quelle;
- Erfassen von Kopfbewegungen basierend auf einer räumlichen Analyse von akustischen Signalen;
- Erfassen der räumlichen Orientierung und/oder Position des Kopfes;
- Fokussieren, solange bis der Pegel akustischer Signale der akustischen Quelle abnimmt und ein minimaler Fokus-Raumwinkel erreicht ist.
3.2 Die Kammer ist aus den folgenden Gründen der Ansicht, dass die vorgenannten Schritte von einem Fachmann durchaus ausgeführt werden können:
Da eine Kopfbewegung auch eine Drehung in Richtung einer akustischen Quelle bedeuten kann, ist dem Fachmann bekannt, wie deren Erfassung mit einer direktionalen Mikrofonanordnung ggf. mit Hilfe einer Quellendetektierung zu verwirklichen ist. Gleiches gilt für die Erfassung von Kopfbewegungen durch die Analyse der akustischen Signale. Die Erfassung der Orientierung und/oder der Position durch Sensoren ist ebenso eine für einen Fachmann ohne Weiteres lösbare Aufgabe. Für einen Fachmann problemlos ausführbar ist auch die Überwachung, ob der Pegel akustischer Signale der Quelle sich zu verringern beginnt, um danach die Fokussierung zu stoppen.
Eine mangelnde Offenbarung besteht auch nicht in Bezug auf die Frage, ob die absolute Position des Kopfes erfasst wird und wie dies zu bewerkstelligen sei, da der Wortlaut von Anspruch 1 eine Erfassung der absoluten Position nicht fordert. Eine Erfassung der relativen Position des Kopfes in Bezug auf beispielsweise Signalquellen ist für den erfindungsgemäßen Zweck, d. h. die Fokussierung bei einem Bewegungsstopp auszulösen, völlig ausreichend und für einen Fachmann in der Tat realisierbar.
3.3 Anspruch 1 des Hauptantrags erfüllt somit das Erfordernis gemäß Artikel 83 EPÜ.
4. Hauptantrag - Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
Der im letzten Schreiben vom 26. August 2022 vorgebrachte Klarheitseinwand wurde mit dem neuen Hilfsantrag 1 gegenstandslos.
5. Hauptantrag - unzulässige Erweiterung (Artikel 123 (2) EPÜ)
5.1 Merkmal c): "... in Richtung einer Quelle ..."
5.1.1 Die folgende Formulierung im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 (Hervorhebungen durch die Kammer):
"Bei Erfassen des Ausbleibens von Kopfbewegungen
richtungsabhängiges Erfassen von akustischen Signalen",
wurde ersetzt durch
"Erfassen von Bewegungen des Kopfes des
Hörinstrument-Benutzers (1) durch einen Bewegungssensor (9) oder basierend auf einer räumlichen Analyse von akustischen Signalen,
Richtungsabhängiges Erfassen von akustischen
Signalen, wenn der Hörinstrument-Benutzer (1) den Kopf in Richtung einer Quelle eines akustischen Signals (21) bewegt hat, und den Kopf nicht mehr weiter bewegt".
5.1.2 Die ursprünglich eingereichten Unterlagen enthalten die folgenden Textstellen, die nach Ansicht der Kammer eine ausreichende Grundlage für die vorgenannten Änderungen bieten:
Anspruch 8:
"Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei das Verfahren nur dann durchgeführt wird, wenn vor dem Erfassen des Ausbleibens von Kopfbewegungen eine Kopfbewegung erfasst wurde."
Dies entspricht der Bedingung für das Auslösen des richtungsabhängigen Erfassens, nämlich dass der Benutzer den Kopf bewegt hat und den Kopf nicht mehr weiter bewegt.
Beschreibung, Seite 6, Zeilen 4 bis 9:
"Dadurch wird vorteilhaft die richtungsabhängige, direktionale Erfassung akustischer Signale automatisch gestartet, sobald der Benutzer in Richtung einer akustischen Quelle, beispielsweise eines Sprechers, blickt, den Kopf nicht mehr weiter bewegt und die Quelle sodann seinerseits fokussiert, d.h. unverwandt ansieht."
Damit wird die Art der das richtungsabhängige Erfassen auslösenden Bewegung beschrieben, nämlich dass sie in Richtung einer akustischen Quelle geschieht. Dies wird auch in der Beschreibung auf Seite 12, Zeilen 33 bis 36 und Seite 13, Zeilen 4 bis 8 beschrieben.
Beschreibung, Seite 11, Zeilen 17 bis 20 und 22 bis 26:
"Der Bewegungssensor 9 hat die Aufgabe, Kopfbewegungen des Hörinstruments-Benutzers zu erfassen, beispielsweise auch Rotation, und zudem ein Maß für die Weite der jeweiligen Bewegung zu ermitteln."
"Allerdings stehen andere Möglichkeiten, Kopfbewegungen zu detektieren, ebenfalls zur Verfügung, beispielsweise basierend auf einer räumlichen Analyse der akustischen Signale, oder unter Verwendung zusätzlicher alternativer
Sensor-Systeme."
Darin findet sich eine Grundlage für das Erfassen von Kopfbewegungen mittels eines Bewegungssensors oder der räumlichen Analyse von akustischen Signalen.
5.1.3 Die Einsprechende argumentiert, dass sich die oben genannte Textstelle auf Seite 11 auf ein bestimmtes Ausführungsbeispiel in Figur 3 richten würde. Dieses Ausführungsbeispiel umfasse aber laut Seite 10, Zeilen 24 bis 26 weitere wesentliche Merkmale, wie beispielsweise ein Mikrofon, einen Mischer oder dass der Bewegungssensor auch die Weite der Bewegung misst, die allerdings nicht mit aufgenommen worden wäre. Es läge somit eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor.
Die Kammer ist hingegen der Ansicht, dass die Bedingung für das "Beginnen einer richtungsabhängigen Erfassung" unabhängig von der Art wie die Erfassung im Detail durchgeführt wird und auch von anderen Komponenten des Hörinstruments ist. Es liegt somit diesbezüglich keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor.
5.1.4 Weiter wurde argumentiert, dass der Beginn des richtungsabhängigen Erfassens von akustischen Signalen laut Merkmal c) von zwei Bedingungen abhänge, nämlich
- dass der Hörinstrument-Benutzer den Kopf in Richtung einer Quelle eines akustischen Signals bewegt hat, und
- dass er den Kopf nicht mehr weiter bewegt.
Die Textstelle auf Seite 6 würde aber zumindest nicht die erste Bedingung bzw. die Erfassung, ob diese Bedingung erfüllt ist, offenbaren. Seite 6 liefere nämlich nur eine Situationsbeschreibung und das Ergebnis eines Szenarios, in dem der Benutzer die Kopfbewegung in einer Stellung beendet, in der er zu einer Quelle eines akustischen Signals blickt. Das System würde sich allerdings genauso verhalten, wenn der Benutzer sich von einer Quelle wegdrehen und in eine Richtung blicken würde, in der sich überhaupt keine Quelle befindet.
Nach Ansicht der Kammer beschreibt die Textstelle auf Seite 6 eine Wirkung ("Dadurch wird ...") des vorher auf Seite 5 beschriebenen erfindungsgemäßen Verfahrens, bei der die Bedingung, dass der Hörinstrument-Benutzer den Kopf in Richtung einer Quelle eines akustischen Signals bewegt hat, das richtungsabhängige Erfassen von akustischen Signalen auslöst, wie es in Anspruch 1 hinzugefügt wurde. Selbst wenn, arguendo, die auf Seite 5 beschriebenen Merkmale auch das richtungsabhängige Erfassen nach jedem beliebigen Stopp ermöglichen würden, verknüpft die Textstelle auf Seite 6 das "richtungsabhängige Erfassen" unstreitig an die Bewegung "in Richtung einer Quelle eines akustischen Signals". Eine explizite Erfassung, ob diese Bedingung tatsächlich erfüllt ist, ist hingegen im geänderten Anspruch 1 nicht enthalten und macht daher auch keine Grundlage in der Textstelle auf Seite 6 erforderlich.
5.1.5 Außerdem würde die Textstelle von Seite 6 als Teil der Bedingung zusätzlich erfordern, dass der Benutzer "die Quelle sodann seinerseits fokussiert, d. h. unverwandt ansieht". Dieser Teil der Bedingung fehle aber im geänderten Anspruch 1.
Nach Ansicht der Kammer beschreibt dieser Teil jedoch die Folge der Bewegung in Richtung einer Quelle, schränkt die Bedingung aber nicht weiter ein. Sein Weglassen im Rahmen der Änderung stellt somit auch keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.
5.2 Merkmal d): "... frontal vor dem Kopf ..."
5.2.1 Die folgende Formulierung im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 (Hervorhebungen durch die Kammer):
"Danach Anheben der Verstärkung akustischer Signale, die aus einem Fokus-Raumwinkel vor dem Kopf des Hörinstrument-Benutzers kommen, gegenüber akustischen Signalen aus anderen Raumwinkeln"
wurde ersetzt durch
"Danach Anheben der Verstärkung akustischer Signale, die aus einem Fokus-Raumwinkel (alpha1, alpha2, ß) frontal vor dem Kopf des Hörinstrument-Benutzers (1), in welche Richtung der Hörinstrument-Benutzer (1) blickt, kommen, gegenüber akustischen Signalen aus anderen Raumwinkeln,".
5.2.2 Die Einsprechende argumentiert, dass die von der Einspruchsabteilung genannten Textstellen auf Seite 6, Zeilen 4 bis 17; Seite 10, Zeilen 24 bis 30; Seite 12, Zeile 19ff. und Seite 13, Zeile 5ff. keine Grundlage für die Änderung böten. Die erste Textstelle würde sich nämlich auf den Schritt des richtungsabhängigen Erfassens und nicht auf den Schritt des Anhebens der Verstärkung akustischer Signale richten. Weiter würden diese Textstellen zusätzlich geeignete Toleranzen vorschreiben, deren Auslassung bei der Änderung eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstelle. Außerdem würden sich die Textstellen nur auf den "Beamformer" beziehen, aber nicht auf das Anheben der Verstärkung akustischer Signale. Das Argument, dass "vorne" unmissverständlich den "Winkel 0" bezeichnet, würde zudem nicht die vorgenannten Unzulänglichkeiten beheben.
5.2.3 Die Kammer ist von diesen Einwänden nicht überzeugt. Der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 offenbart bereits das Merkmal, dass die Verstärkung akustischer Signale, die aus einem Fokus-Raumwinkel vor dem Kopf des Hörinstrument-Benutzers kommen, gegenüber akustischen Signalen aus anderen Raumwinkeln angehoben wird. Dieses Merkmal wurde nur insoweit weiter präzisiert, dass der Fokus-Raumwinkel vor dem Kopf des Hörinstrument-Benutzers frontal vor dem Kopf liegt und der Richtung entspricht, in welche der
Hörinstrument-Benutzer blickt. Der Grundgedanke des Streitpatents ist das automatisch startende Fokussieren eines Beamformers (Seite 5, Zeilen 12 und 13 i.V.m. Seite 6, Zeilen 4 und 5). Zu der Ausrichtung dieses automatisch fokussierenden Beamformers ist mit Bezug auf die Ausführungsbeispiele ausgeführt, dass dessen "Beam" frontal nach vorne gerichtet ist (Seite 10, Zeilen 24 bis 30). Diese Konkretisierung der Richtungsangabe "von vorne" zu "frontal von vorne" lässt aber keine strukturelle oder funktionelle Beziehung mit den übrigen an der vorgenannten Stelle offenbarten Merkmalen erkennen. Somit stellt die isolierte Aufnahme dieser Einschränkung keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.
Die Lage des Fokus-Raumwinkels wird nämlich durch die Angabe "frontal vor dem Kopf" hinreichend beschrieben. Der Zusatz "in welche Richtung der
Hörinstrument-Benutzer blickt" erläutert die Richtungsangabe "frontal vor dem Kopf", ohne sie weiter einzuschränken oder zu spezifizieren. Der Zusatz "in welche Richtung der Hörinstrument-Benutzer blickt" wird mithin im Sinne einer "Blickrichtung" verwendet und schafft keinen Gegenstand, der über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht. Die Toleranzen, die auf Seite 6, Zeilen 4 bis 13 erwähnt sind, beziehen sich zudem auf die Erfassung von Kopfbewegungen und nicht das Anheben der Verstärkung der Signale aus dem Fokus-Raumwinkel, sodass deren Weglassen keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung in Bezug auf die zweite Änderung herbeiführt. Da diese Textstelle aber auch nicht als Grundlage für die erste Änderung erforderlich ist, führt das Weglassen der Toleranzen auch zu keiner unzulässigen Zwischenverallgemeinerung in Bezug auf die erste Änderung.
5.3 Merkmal e): "... Pegel akustischer Signale ..."
5.3.1 Die folgende Formulierung im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 (Hervorhebungen durch die Kammer):
"Danach nach und nach Fokussieren durch Verringern des Fokus-Raumwinkels solange, bis die Präsenz gewünschter akustischer Signale aus dem Fokus-Raumwinkel aufgrund der Verringerung des Fokus-Raumwinkels abnimmt"
wurde ersetzt durch
"Danach nach und nach Fokussieren durch Verringern des Fokus-Raumwinkels (alpha2) solange, bis der Pegel akustischer Signale aus dem Fokus-Raumwinkel (alpha2) aufgrund der Verringerung des Fokus-Raumwinkels (alpha2) abnimmt und ein minimaler Fokus-Raumwinkel (alpha2, ß) erreicht ist".
5.3.2 Die Formulierung "Präsenz gewünschter akustischer Signale aus dem Fokus-Raumwinkel" im ursprünglichen Anspruch 1 lässt zunächst offen, ob alle Signale aus dem Fokus-Raumwinkel gewünschte Signale sind oder ob die Signale aus dem Fokus-Raumwinkel auch ungewünschte enthalten können und nur die gewünschten gemeint sind. Eine Klarstellung diesbezüglich liefert allerdings die von der Einspruchsabteilung genannte Textstelle der ursprünglichen Anmeldung, in der die "Präsenz der gewünschten Signale im Fokus-Raumwinkel" mit dem "Pegel akustischer Signale aus dem Fokus-Raumwinkel" gleichgesetzt wird (Seite 5, Zeilen 26 bis 28). Es findet sich somit eine Stütze für die synonyme Verwendung der vorgenannten Signaleinschränkungen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Grundgedanken der Erfindung. Die Kammer versteht die Formulierung "gewünschte Signale aus dem Fokus-Raumwinkel" so, dass alle Signale aus dem Fokus-Raumwinkel gemeint sind. Entgegen dem Argument der Beschwerdeführerin ist auch keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dadurch entstanden, dass der Ausdruck "dadurch Erhöhen der Direktivität" nicht mit übernommen wurde, da dies als Folge der anderen Merkmale ("dadurch") beschrieben ist, die wiederum den Gegenstand nicht weiter einschränkt.
5.3.3 Laut der Einsprechenden bezeichne außerdem die vorgenannte Formulierung eindeutig eine Untergruppe der Signale aus dem Fokus-Raumwinkel. Dies ginge auch daraus hervor, dass bei der anderen Auslegung eine Verringerung des Fokus-Raumwinkels sofort dazu führen würde, dass Signale aus dem Fokus-Raumwinkel heraus fielen, die Präsenz sich verringerte und die Verringerung des Fokus-Raumwinkel sofort stoppen müsste. Dies wäre vollkommen unlogisch und entgegen dem schrittweisen Fokussieren, wie es die Formulierung "nach und nach" in Anspruch 1 vorsehe.
Die Kammer folgt dem nicht. Das beschriebene Szenario tritt bei Zugrundelegung der Kammerauslegung nämlich nur ein, wenn das Signal über den gesamten Bereich des Fokus-Raumwinkels verteilt vorliegt, so dass jede Verringerung des Fokus-Raumwinkels sofort zu einer Signalabnahme führen würde. In so einem Fall wäre aber auch der sofortige Abbruch der Fokussierung gerechtfertigt, da andernfalls ein Signalanteil herausfallen würde. In allen anderen Fällen, in denen das Signal nur aus einem Teilbereich des
Fokus-Raumwinkels eintrifft, würde die Fokussierung solange fortschreiten, bis der Fokus-Raumwinkel auf den Bereich begrenzt ist, aus dem auch tatsächlich das Signal stammt.
5.3.4 Bezüglich des Austauschs der Begriffe "Präsenz" und "Pegel" wurde argumentiert, dass laut der Beschreibung der "Pegel akustischer Signale aus dem Fokus-Raumwinkel" "eigentlich die Präsenz der gewünschten Signale im Fokus-Raumwinkel" sei (Seite 5, Zeilen 26 bis 28). Das Wort "eigentlich" würde aussagen, dass die danach folgende Beschreibung die richtige sei und die davor benutzte nicht die korrekte. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Bedeutung von "eigentlich" laut Duden "einer Sache in Wahrheit zugrunde liegend, tatsächlich, wirklich" sei.
Dazu merkt die Kammer an, dass auch eine mögliche "Aufwertung" der Formulierung "Präsenz der gewünschten Signale im Fokus-Raumwinkel" durch das Wort "eigentlich" nichts daran ändert, dass die beiden Formulierungen als Alternativen offenbart sind. Insbesondere offenbart aber die Beschreibung bereits das Fokussieren "bis der Pegel akustischer Signale aus dem Fokus-Raumwinkel ... abnimmt" im erfindungsgemäßen Kontext (Seite 5, Zeilen 15 bis 30), sodass es eigentlich dahingestellt bleiben kann, ob es für "Pegel akustischer Signale" eine vermeintlich korrektere Alternative gibt.
5.3.5 Nach Ansicht der Einsprechenden würde außerdem nach der Kammerauslegung angenommen, in einem in Fig. 4 gezeigten Szenario mit einer Quelle gewünschter akustischer Signale 21 und einer Rauschquelle 22 nur eine Verengung des Fokus-Raumwinkels bis zur Rauschquelle 22 und nicht weiter bis zur gewünschten Signalquelle 21 erfolgen, wie es aber im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 definiert sei.
Auch dieses Argument überzeugt nicht, da in dem Szenario gemäß Fig. 4 die Quellen 21 und 22 nur als akustische Quellen ohne weitere Charakterisierung bezeichnet sind (Seite 12, Zeilen 17 bis 28). Der entsprechende Absatz beschreibt zwar eine Situation, in der die Beam-Weite auf den Winkel alpha1 eingeschränkt ist, der wiederum die Quelle 21 ein- und die Quelle 22 ausschließt, sagt aber nichts dazu aus, wie die Fokussierung auf die Quelle 21 tatsächlich erfolgt ist bzw. ob die Quelle 22 bei der Fokussierung bereits vorlag oder später hinzugekommen ist.
5.3.6 Zudem argumentierte die Einsprechende, dass der Begriff "Präsenz" die Anwesenheit von etwas bezeichnen würde, also eine binäre Angabe, während "Pegel" eine nicht binäre graduelle Angabe sei, sodass beide eine unterschiedliche Bedeutung hätten und sich nicht auf Dasselbe beziehen könnten.
Nach Ansicht der Kammer bezeichnet der Begriff "Präsenz" auch ein Maß für die Wirkung, die etwas entfaltet, wie im vorliegenden Fall die Wirkung eines akustischen Signals auf einen Zuhörer. Eine derart verstandene "Präsenz" wäre mithin nicht binär, sondern graduell und damit kompatibel mit dem Begriff "Pegel".
5.3.7 Laut der Einsprechenden würde die ursprünglich eingereichte Anmeldung auch keine Grundlage dafür bieten, dass solange fokussiert wird, bis der Pegel akustischer Signale aus dem Fokus-Raumwinkel abnimmt und ein minimaler Fokus-Raumwinkel erreicht ist. Selbst unter der Annahme, dass der am Ende der erfindungsgemäßen Fokussierung erreichte
Fokus-Raumwinkel der minimale Fokus-Raumwinkel sei, würde der Fachmann erkennen, dass ein solcher minimaler Fokus-Raumwinkel immer groß genug sei, um das gewünschte akustische Signal vollständig aufzunehmen. So würde auch die Beschreibung zu Figur 8 ausführen, dass der minimale Fokus-Raumwinkel der Winkel sei, an dem der Beam voll auf die Quelle 23 fokussiert sei und eine weitere Verringerung des Fokus-Raumwinkels zu einer Verringerung des Beitrags der Quelle 23 zum Signal aus dem Beam führen würde. Der Fachmann würde also die Offenbarung so verstehen, dass der minimale
Fokus-Raumwinkel gerade vor dem Punkt erreicht wird, an dem Teile des gewünschten Signals herausfallen, und nicht danach, wenn der Fokus-Raumwinkel so weit verringert wurde, dass der Pegel akustischer Signale abnimmt. Die Beschreibung würde deswegen auch die Möglichkeit vorsehen, dass eine über diesen Punkt hinausgegangene Fokussierung rückgängig gemacht werden könne (Seite 13, Zeilen 19 und 20).
Die Kammer folgt auch diesen Argumenten nicht. Die herangezogene Textstelle auf Seite 13 spricht vielmehr davon, dass eine möglicherweise darüber hinausgegangene Fokussierung rückgängig gemacht wird, und räumt somit ein, dass die Fokussierung im Sinne der Erfindung auch ohne einen "Überschwinger" erreichbar ist. Es ist für den Fachmann auch kein Widerspruch erkennbar zwischen dem Abbruch der Fokussierung bei Signalabnahme und der vollumfänglichen Erhaltung des Signals am Ende der Fokussierung, da die detektierte Abnahme auch infinitesimal klein sein kann. Grundsätzlich ist aber bereits festzustellen, dass der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 und auch die Beschreibung auf Seite 5, Zeilen 24 bis 30 bereits offenbaren, dass solange fokussiert wird, bis die Präsenz abnimmt.
5.3.8 Zudem sei nach Ansicht der Einsprechenden der Begriff "minimaler Fokus-Raumwinkel" nicht wörtlich in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen enthalten.
Auch hier erkennt die Kammer keinen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ. Die Verringerung des
Fokus-Raumwinkels bis zu einem bestimmten Punkt führt implizit zu einem Fokus-Raumwinkel, den man als "minimal" bezeichnen kann. Der Begriff "minimaler Fokus-Raumwinkel" führt somit keine zusätzliche Abschaltbedingung ein, sondern bezeichnet nur den Fokus-Raumwinkel, der am Ende der Fokussierung erreicht wurde. Abgesehen davon offenbart die ursprünglich eingereichte Beschreibung eine "minimale Beam-Weite" am Ende der Fokussierung (Seite 14, Zeilen 6 bis 10), wobei die Beam-Weite dem Fokus-Raumwinkel entspricht (siehe dazu auch Seite 5, Zeilen 1 bis 3).
5.4 Anspruch 1 des Hauptantrags verstößt somit nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ.
6. Zurückverweisung (Artikel 111 (1) EPÜ)
Da die Kammer zum Schluss kommt, dass die Erfordernisse der Artikel 83, 84 und 123(2) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags nicht entgegenstehen (vgl. Punkte 3 bis 5 oben), wird die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung, insbesondere zur Prüfung der Erfordernisse gemäß Artikel 54 und 56 EPÜ, auf der Grundlage dieses Hauptantrags an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen (Artikel 11 VOBK 2020).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.