T 0718/19 (Waschmitteltabs mit Reliefstruktur/Dalli-Werke) 23-09-2022
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WASCH- ODER REINIGUNGSMITTELFORMKÖRPER MIT EINFÄRBBARER RELIEFSTRUKTUR
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Änderung
Erfinderische Tätigkeit - nicht funktionale Änderung
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2 053 120 in geänderter Form auf Basis des zweiten Hilfsantrags aufrecht zu erhalten.
Anspruch 1 wie aufrecht erhalten hat den folgenden Wortlaut:
"1. Wasch- oder Reinigungsmittelformkörper aus verdichteter Wasch- bzw. Reinigungsmittelzusammensetzung, enthaltend Gerüststoffe sowie ein oder mehrere weitere Inhaltsstoffe von Wasch- bzw. Reinigungsmitteln, dadurch gekennzeichnet, dass der Formkörper auf seiner Oberseite eine Erhebung aufweist, wobei die Erhebung eine exponierte planare Fläche umfasst und nicht allseitig an den Rand des Formkörpers reicht, wobei die Höhe der Erhebung 0,2 bis 10 mm beträgt.".
II. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin neue Dokumente
D7 bis D9 ein und brachte vor, der Gegenstand des erstinstanzlich aufrechterhaltenen Anspruchs 1 sei nicht erfinderisch ausgehend von D4 (WO 01/07244 A1), unter Berücksichtigung von D7 und D9 bzw. von D8 und D9.
III. Mit der Beschwerdeerwiderung reichte die Beschwerdegegnerin fünf Hilfsanträge ein.
IV. In der Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK 2020 führte die Kammer aus, dass der Gegenstand des aufrecht erhaltenen Anspruchs 1 (Hauptantrag) nicht erfinderisch gegenüber D4 alleine sei. Gleiches gelte für Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 und 2.
V. Nach dem Erhalt dieser Mitteilung teilte die Beschwerdegegnerin mit, dass das Patent in allen Ländern durch Nichtzahlung der Jahresgebühren fallengelassen worden sei.
VI. Mit Schriftsatz vom 10. März 2022 beantragte die Beschwerdeführerin die Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens gemäß Regel 84(1) EPÜ.
VII. Am 23. September 2022 fand die mündliche Verhandlung - ohne Teilnahme der Beschwerdegegnerin - vor der Kammer statt. Die abschließenden Anträge der Parteien waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte schriftlich, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent im Umfang eines der Hilfsanträge 1-5 aufrecht zu erhalten.
1. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
1.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 ist aus den folgenden Gründen nicht erfinderisch ausgehend von D4.
1.2 Die Erfindung ist auf verdichtete Wasch- bzw. Reinigungstabletten gerichtet, die an ihrer Oberfläche eine reliefartige Erhebung, insbesondere in Form von Buchstaben oder Logos, aufweisen (Absatz 0001, 0008).
1.3 D4, das ebenfalls verdichtete Reinigungstabletten mit Oberflächenstrukturen in Form von Zeichen oder Schriftzügen offenbart (Anspruch 10, 11, Seite 4, erster Absatz), stellt somit den nächstliegenden Stand der Technik dar.
1.3.1 Konkret offenbart D4 ein Verfahren zur Herstellung von Formkörpern aus verdichteter Wasch- bzw. Reinigungsmittelzusammensetzung (Anspruch 10, 11), enthaltend Gerüststoffe sowie ein oder mehrere weitere Inhaltsstoffe von Wasch- bzw. Reinigungsmitteln (Anspruch 14). Dabei lehrt D4, die Oberflächen der zur Verpressung der Tabletten verwendeten Tablettierstempel mit einer Oberflächenstruktur zu versehen, um Materialanhaftungen zu vermeiden (Seite 2). Der die Seiten 3 und 4 überbrückende Absatz lehrt dann, dass das Vorsehen einer solchen Mikro-Oberflächenstruktur insbesondere bei nicht planen Pressflächen vorteilhaft ist, wobei als Beispiel hierfür unter anderem Pressflächen genannt werden, die eingefräste Oberflächenstrukturen in Form von Zeichen oder Schriftzügen aufweisen. D4 offenbart nicht explizit, zu welchem Zweck diese Oberflächenstrukturen auf den Pressflächen eingefräst werden, aber der fachkundige Leser erkennt sofort, dass durch eine solche Fräsung entsprechend gekennzeichnete Tabletten erhalten werden sollen, die eine zu der Fräsung komplementäre Oberflächenstruktur in Form eines Zeichens oder eines Schriftzuges aufweisen und somit durch diese Zeichen oder Schriftzüge gekennzeichnet sind.
1.3.2 Angaben zur Höhe der so erzeugten Erhebungen macht D4 keine. Weiter offenbart D4 nicht, dass die Erhebungen exponierte planare Flächen aufweisen bzw. dass die Erhebung nicht allseitig an den Rand der Tablette reicht.
1.4 Das Streitpatent stellt sich die Aufgabe, eine Möglichkeit zu finden, Wasch- oder Reinigungsformkörper mit einer Kennzeichnung aus Buchstaben oder Logos zu versehen, die insbesondere für sehschwache Verbraucher leicht zu erkennen und leicht zu ertasten ist (Absatz [0008], [0010]).
1.5 Als Lösung für diese Aufgabe schlägt das Patent unter anderem vor, die aus D4 bekannte Erhebung auf der Oberfläche des Formkörpers so auszugestalten, dass diese eine Höhe von 0,2 bis 10 mm aufweist. Experimentelle Daten, die nachweisen würden, dass in diesem Bereich die Erkennbarkeit besonders gut ausgeprägt ist, liegen nicht vor, aber die Kammer geht dennoch zugunsten der Patentinhaberin davon aus, dass eine Erhebung mit einer Höhe im beanspruchten Bereich gut erkennbar ist und somit die im Streitpatent genannte Aufgabe löst. Es besteht somit kein Grund, die o.g. Aufgabe umzuformulieren. Aus den folgenden Gründen ist die in Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung für die Fachperson jedoch naheliegend.
1.6 Wie oben erwähnt, offenbart D4 bereits Reinigungsformkörper, die durch eine Erhebung in Form von Zeichen oder Schriftzügen gekennzeichnet sind, aber lässt die Form und Größe der Erhebung offen und überlässt es somit der Fachperson, geeignete Dimensionen auszuwählen. Vor die Aufgabe gestellt, die Zeichen oder Schriftzüge so zu gestalten, dass sie leicht erkennbar und insbesondere ertastbar sind, würde die Fachperson eine geeignete Mindesthöhe vorsehen, denn es wäre technisch unsinnig, durch gefräste Pressflächen reliefartige Schriftzüge oder Zeichen zu erzeugen, die so niedrig sind, dass sie nicht oder nur schlecht erkennbar sind.
Nimmt man zugunsten der Patentinhaberin an, dass eine gute Erkennbarkeit bereits ab einer Hohe von 0,2 mm gegeben ist, was in Anbetracht der üblicherweise grobkörnigen Struktur von Waschmitteltabs zumindest zweifelhaft ist, so ist das Vorsehen einer solchen Mindesthöhe ausgehend von D4 aus den oben angegebenen Gründen für die Fachperson naheliegend. Was die im Anspruch definierte Obergrenze von 10 mm Höhe angeht, so würde der Fachmann in Anbetracht der üblichen Dimensionen eines Wasch- oder Spülmitteltabs einen Wert von mehr als 10 mm schon aus rein praktischen Erwagungen nicht in Betracht ziehen.
Das Vorsehen einer Erhebungshöhe zwischen 0,2 und 10 mm ist somit naheliegend für die Fachperson.
1.7 Die weiteren Unterscheidungsmerkmale (siehe Punkt 1.3.2) scheinen zur Lösung der o.g. Aufgabe nichts beizutragen. Insbesondere ist auch kein technisches Zusammenwirken mit dem Merkmal Erhebungshöhe gezeigt. Es ist weiter nicht plausibel, geschweige denn nachgewiesen, dass eine Erhebung nach Anspruch 1, die eine (ganz oder teilweise) planare Oberflache aufweist, besser erkennbar ist als eine Erhebung, die zum Beispiel eine konvexe oder konkave Oberfläche aufweist. Das Gleiche gilt für das Erfordernis, dass die Erhebung nicht allseitig an den Rand des Formkörpers reicht. In beiden Fallen scheint es sich letztendlich um Designmaßnahmen zu handeln, die zur Lösung der Aufgabe, die Erkennbarkeit zu verbessern oder sicherzustellen, nicht beitragen. Derartige Maßnahmen können jedoch eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen.
1.8 Der Hauptantrag ist somit nicht gewährbar (Artikel 56 EPÜ).
2. Hilfsantrag 1
Anspruch 1 dieses Antrags ist, gestützt auf den ursprünglich eingereichten Anspruch 5, dahingehend eingeschränkt, dass die exponierte planare Fläche ihrer formmäßigen Ausgestaltung nach eine Kennzeichnung erkennen lässt.
Diese neu aufgenommene Einschränkung kann jedoch den beanspruchten Gegenstand nicht von der Offenbarung von D4 abgrenzen, denn dieser Stand der Technik lehrt bereits, Formkörper durch Erhebungen in Form von Schriftzügen oder Zeichen zu kennzeichnen.
Somit beruht Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags aus den gleichen Gründen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, wie oben zum Hauptantrag ausgeführt.
3. Hilfsantrag 2
Anspruch 1 wurde im Vergleich zum ersten Hilfsantrag zusätzlich durch das Merkmal des ursprünglich eingereichten Anspruches 4 dahingehend eingeschränkt, dass das Volumen der Erhebung 1/300 bis 1/3 des gesamten Formkörpervolumens ausmacht.
Auch dieses Merkmal kann eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen. Es wurde nicht vorgetragen, geschweige denn nachgewiesen, dass das Merkmal einen technischen Effekt bewirkt, sei es alleine oder in Kombination mit anderen Merkmalen. Ohne einen solchen Effekt scheint der beanspruchte Bereich, der darüber hinaus sehr breit ist, willkürlich gewählt zu sein. Dazu kommt, dass das Volumen der Erhebung durch ihre Höhe und ihre flächenmäßige Ausdehnung bestimmt wird. Die Kammer hat bereits ausgeführt, dass sie es vor dem Hintergrund der zu lösenden Aufgabe für naheliegend hält, die Erhebung mit einer gewissen Mindesthöhe auszuführen und was die flächenförmige Ausdehnung der Erhebung angeht, scheint diese maßgeblich davon abzuhängen, was die Erhebung darstellt, d.h. welche Form das darzustellende Logo hat. Somit handelt es sich auch hier letztlich um eine Designmaßnahme, oder zumindest eine technisch willkürliche Maßnahme, die eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen kann.
4. Hilfsantrag 3
Anspruch 1 entspricht demjenigen des Hauptantrags, wobei der Bereich für die Höhe der Erhebung eingeschränkt wurde, gestützt auf den im ursprünglich eingereichten Anspruch 3 offenbarten engeren Bereich von 0,8-5 mm.
Besondere Effekte wurden auch für diesen engeren Bereich nicht genannt. Geht man zugunsten der Patentinhaberin davon aus, dass die Erkennbarkeit der Erhebung in diesem engeren Bereich besonders ausgeprägt ist, so ist der Gegenstand des Anspruchs dennoch naheliegend und zwar aus den gleichen Gründen, wie zum Hauptantrag ausgeführt: D4 macht zur Höhe bzw. zur Form der Erhebungen in Form eines Logos oder Schriftzugs keine Angaben und überlässt es somit der Fachperson, geeignete Dimensionen auszuwählen. Dabei ist es naheliegend, Dimensionen und Formen zu wählen, die leicht erkennbar sind, denn zu diesem Zweck werden Logos oder Schriftzüge auf Waschmitteltabs aufgebracht.
Somit mangelt es dem Gegenstand von Anspruch 1 des dritten Hilfsantrags an einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
5. Hilfsantrag 4
Anspruch 1 dieses Antrags entspricht demjenigen von Hilfsantrag 3, wobei der Anspruch zusätzlich analog zu Hilfsantrag 1 eingeschränkt ist. Dieser Antrag ist aus den gleichen Gründen nicht erfinderisch wie für Hilfsantrag 3 ausgeführt, denn das in Hilfsantrag 1 neu aufgenommene Merkmal kann den beanspruchten Gegenstand im Sinne von Artikel 56 EPÜ nicht von D4 abgrenzen, siehe Punkt 2. oben.
6. Hilfsantrag 5
Anspruch 1 dieses Antrags entspricht demjenigen von Hilfsantrag 4, wobei der Anspruch zusätzlich durch das in Hilfsantrag 2 aufgenommene Merkmal eingeschränkt ist. Dieser Antrag ist aus den gleichen Gründen nicht erfinderisch wie zu Hilfsantrag 2 ausgeführt, siehe Punkt 3. oben und somit unter Artikel 56 EPÜ nicht gewährbar.
7. D7-D9
In Anbetracht der Tatsache, dass diese Dokumente in den Entscheidungsgründen nicht verwendet werden, muss über den Antrag der Beschwerdegegnerin auf Nichtzulassung nicht entschieden werden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.