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T 0909/19 15-01-2021
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Spritzgusswerkzeug und Prägestock zum Einsatz bei der Herstellung von Wasserzeichenpapier
I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die am 7. November 2018 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 15001636.8 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen worden ist.
II. Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand der Ansprüche 1, 2, 7, 8 des ihr vorliegenden Hauptantrags, d.h. der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung, nicht erfinderisch sei gegenüber der Offenbarung der Druckschriften D5 und D3 oder D5 und D4.
III. Auf eine Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der Fassung von 2020 (VOBK 2020) hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 22. April 2020 einen geänderten Hilfsantrag eingereicht.
IV. Die Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 15. Januar 2021 auf Antrag der Beschwerdeführerin als Videokonferenz statt.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines europäischen Patents auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 10 wie ursprünglich eingereicht (Hauptantrag), hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 5 gemäß dem Hilfsantrag, eingereicht mit Schreiben vom 22. April 2020.
VI. In der angefochtenen Entscheidung und im Beschwerdeverfahren wurde auf folgende Druckschriften Bezug genommen:
D3: Gebhardt A.: "Rapid Tooling - Der schnelle Weg zum Spritzgießwerkzeug", Kunststoffe, Carl Hanser Verlag, München, Bd. 88, Nr. 11, November 1998, Seiten 1992 bis 1994, 1996, 1998 und 2000, XP000906260, ISSN: 0023-5563
D4: US 2003/0206820 A1
D5: WO 2014/040706 A1
VII. Die vier unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags lauten wie folgt (die von der Kammer verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern angegeben):
"1. [M1] Spritzgusswerkzeug zur Erzeugung eines Wasserzeicheneinsatzes mit einem hochauflösenden, mehrstufigen Spritzgussrelief, [M2] wobei das Spritzgusswerkzeug eine Spritzgusskavität enthält, in die zur Erzeugung des Wasserzeichensatzes Kunststoff einspritzbar ist und die mit einem hochauflösenden, mehrstufigen Wasserzeichenrelief in Form des invertierten Spritzgussreliefs versehen ist, und [M3] wobei das Spritzgusswerkzeug einschließlich der Spritzgusskavität und des hochauflösenden, mehrstufigen Wasserzeichenreliefs durch ein additives Fertigungsverfahren als Schichtenfolge einer Mehrzahl fest miteinander verbundener Materialschichten gebildet ist."
"2. Prägestock zur Erzeugung einer hochauflösenden, mehrstufigen Siebprägung in einem Entwässerungssieb für die Herstellung von Wasserzeichenpapier, wobei der Prägestock mit einem hochauflösenden, mehrstufigen Wasserzeichenrelief in Form der invertierten Siebprägung versehen ist, und wobei der Prägestock einschließlich des hochauflösenden, mehrstufigen Wasserzeichenreliefs durch ein additives Fertigungsverfahren als Schichtenfolge einer Mehrzahl fest miteinander verbundener Materialschichten gebildet ist."
"7. Verfahren zum Herstellen eines Spritzgusswerkzeugs nach einem der Ansprüche 1, 3 bis 6, bei dem das Spritzgusswerkzeug einschließlich der Spritzgusskavität und des hochauflösenden, mehrstufigen Wasserzeichenreliefs durch ein additives Fertigungsverfahren im Schichtbauverfahren gebildet wird."
"8. Verfahren zum Herstellen eines Prägestocks nach einem der Ansprüche 2 bis 6, bei dem der Prägestock einschließlich des hochauflösenden, mehrstufigen Wasserzeichenreliefs durch ein additives Fertigungsverfahren im Schichtbauverfahren gebildet wird."
VIII. Die Beschwerdeführerin argumentiert im Wesentlichen wie folgt:
Von dem aus der Druckschrift D5 bekannten Spritzgusswerkzeug unterscheide sich der Gegenstand des Anspruchs 1 durch das Merkmal M3.
Ausgehend von der Druckschrift D5 ergebe sich die Aufgabenstellung, ein geeignetes Verfahren zur Herstellung des aus der Druckschrift D5 bekannten Spritzgusswerkzeugs zu finden. Es gehe darum, Spritzgusswerkzeuge mit additiven Fertigungsverfahren ohne Qualitätsverluste (erforderliche Genauigkeit, Dichtigkeit, Stabilität der Werkzeuge) herzustellen.
Die Offenbarung der Druckschrift D3 führe den Fachmann von der Erfindung weg, da in dem von der Prüfungsabteilung zitierten Abschnitt hauptsächlich Nachteile erwähnt werden, und da in der Druckschrift D3 kein spezielles additives Fertigungsverfahren als geeignet empfohlen werde. Aus Seite 1992, rechte Spalte, fünfter Absatz ziehe der Fachmann die Erkenntnis, dass keines der Verfahren für den vorliegenden Zweck empfohlen werde. Somit hätte der Fachmann keine ausreichende Erfolgserwartung, um eines der Verfahren der Druckschrift D3 für die Herstellung der Spritzgusswerkzeuge der Druckschrift D5 einzusetzen. Die beiden kommerzialisierten Verfahren der Druckschrift D3 würden zudem aufwendige Nachbearbeitungsschritte erfordern (siehe Seite 1993, linke Spalte, Zeilen 6-8).
Selbst wenn der Fachmann die Lehre der Druckschrift D3 heranzöge, würde er nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen. Vielmehr würde der Fachmann die Stereolithographie (SL) auswählen, die als das bezüglich Toleranzen und Oberflächengüte genaueste Rapid Prototyping-Verfahren genannt werde (siehe Seite 1993, mittlere Spalte, zweiter Absatz). Hierbei würde er allerdings die indirekte Anwendung wählen, da auf Seite 1993, rechte Spalte, zweiter Absatz ausgeführt werde, dass die mechanischen-technologischen Eigenschaften der SL-Werkstoffe in den meisten Fällen nicht die Anforderungen an den direkten Einsatz im Spritzgießprozess erfüllten.
Das Verfahren des Lasersinters, das in der Druckschrift D3 in Zusammenhang mit filigranen Formen (siehe Seite 1996, rechte Spalte, vorletzter Absatz) erwähnt werde, würde der Fachmann ebenso wenig für den vorliegenden Fall auswählen, da in der Druckschrift D3 explizit darauf hingewiesen werde, dass die Festigkeit für den Spritzgusseinsatz nicht ausreichend sei (siehe Seite 1996, rechte Spalte, mittlerer Absatz).
Auch durch die Lehre aus der Druckschrift D4 würde der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nahegelegt. Die Druckschrift D4 beschäftige sich grundsätzlich mit dem Einsatz additiver Fertigungsverfahren bei der Herstellung von netzförmigen Artikeln (siehe Absatz [0001]) und von Artikeln mit komplexen internen und externen Konturen wie Wärmetauschern und Turbinenflügeln (siehe Absatz [0030]). Die Herstellung von Spritzgusswerkzeugen sei nicht erwähnt. In den von der Prüfungsabteilung zitierten Passagen (siehe Absätze [0095] bis [0130]) werde konkret die Herstellung von metallischen Strukturen direkt aus einem CAD-Solidmodell beschrieben. Der besondere Vorteil sei die Variation der Materialzusammensetzung innerhalb einer einzigen Struktur, welche bei Spritzgusswerkzeugen weder erforderlich noch üblich sei. Der Fachmann hätte daher keine Veranlassung, den geschichteten Aufbau der Druckschrift D4 bei den Spritzgusswerkzeugen der Druckschrift D5 einzusetzen.
Die Argumentation zum Gegenstand des Anspruchs 1 sei ebenso auf den Prägestock nach Anspruch 2 und die Herstellungsverfahren nach den Ansprüchen 7 und 8 anwendbar. Somit beruhe der Gegenstand der Ansprüche nach dem Hauptantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Erfinderische Tätigkeit
1.1 Nächstliegender Stand der Technik
Die Prüfungsabteilung ist in der angefochtenen Entscheidung bei der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit von der Druckschrift D5 als nächstkommendem Stand der Technik ausgegangen. Auch die Beschwerdeführerin hat in ihrem Beschwerdevorbringen diesen Ausgangspunkt gewählt. Die Kammer teilt die Auffassung, dass von dem im Prüfungsverfahren ermittelten Stand der Technik die Druckschrift D5 die größte Übereinstimmung mit dem Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 aufweist. Sie stellt daher den vielversprechendsten Ausgangspunkt für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit dar. Von dem aus der Druckschrift D5 bekannten Spritzgusswerkzeug unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 durch das Merkmal M3. Dies wird von der Beschwerdeführerin nicht bestritten.
1.2 Objektiv gelöste technische Aufgabe
In der Druckschrift D5 findet sich kein Hinweis auf ein Fertigungsverfahren. Die Herstellung des offenbarten Spritzgusswerkzeugs wird also offengelassen. Ausgehend von der Druckschrift D5 ergibt sich die von der Beschwerdeführerin formulierte Aufgabenstellung, ein geeignetes Verfahren zur Herstellung des aus der Druckschrift D5 bekannten Spritzgusswerkzeugs zu finden.
1.3 Naheliegen der Lösung
1.3.1 Kombination mit der Druckschrift D3
Bei der Druckschrift D3 handelt es sich um einen Übersichtsartikel zu Rapid Tooling aus dem Jahr 1998, in dem verschiedene direkte und indirekte Verfahren vorgestellt und hinsichtlich ihrer Einsatzmöglichkeiten sowie Vor- und Nachteile diskutiert werden. Bereits der Titel der Druckschrift D3 "Rapid Tooling - Der schnelle Weg zum Spritzgießwerkzeug" gibt dem Fachmann eine Anregung, diese Entgegenhaltung bei der Suche nach Lösungen für die oben genannte Aufgabe zu konsultieren.
Zu klären ist, ob er aus der Druckschrift D3 einen Hinweis darauf bekommt, die darin diskutierten additiven Fertigungsverfahren zur Bildung einer Schichtenfolge einer Mehrzahl fest miteinander verbundener Materialschichten auch für ein Spritzgusswerkzeug einschließlich der Spritzgusskavität und des hochauflösenden, mehrstufigen Wasserzeichenreliefs einzusetzen.
Auf Grund der Tatsache, dass es bei Spritzgusswerkzeugen zur Erzeugung eines Wasserzeicheneinsatzes mit einem hochauflösenden, mehrstufigen Spritzgussrelief auf hohe Genauigkeiten ankommt, würde der Fachmann als additives Fertigungsverfahren die Stereolithographie auswählen, die in der Druckschrift D3 als das bezüglich Toleranzen und Oberflächengüte genauestes Rapid Prototyping-Verfahren dargestellt wird (siehe Seite 1993, mittlere Spalte, zweiter Absatz). Allerdings erfährt er auf Seite 1993, rechte Spalte, vorletzter Absatz, dass die mechanisch-technologischen Eigenschaften der Stereolithographie-Werkstoffe in den meisten Fällen nicht die Anforderungen an den direkten Einsatz im Spritzgießprozess erfüllen. Deshalb wird dort zur indirekten Anwendung der Stereolithographie geraten, nämlich das Spritzgusswerkzeug durch Abformen von Stereolithographie-Modellen herzustellen. Letzteres fällt jedoch nicht unter den Anspruch 1, demzufolge das Spritzgusswerkzeug einschließlich der Spritzgusskavität und des Wasserzeichenreliefs durch ein additives Fertigungsverfahren als Schichtenfolge einer Mehrzahl fest ineinander verbundener Materialschichten gebildet ist, das Werkzeug also direkt und nicht mittels Abformung eines Rapid Prototyping-Modells hergestellt wird.
Neben der Stereolitohographie wird in der Druckschrift D3 noch das Lasersintern aufgeführt, mit dem vergleichsweise filigrane Strukturen bis zu einem Millimeter Wanddicke realisiert werden können und bei dem mit einem feineren Pulver Details von 0,5 mm dargestellt werden können (siehe Seite 1996, rechte Spalte, vorletzter Absatz). Diese Größenordnung würde der erforderlichen Genauigkeit von Wasserzeicheneinsätzen entsprechen, denn in der Beschreibung sind in Absatz [0046] Randbreiten von 0,6 mm und weniger erwähnt, und auch die Reliefhöhe liegt entsprechend Absatz [0016] vorzugsweise zwischen 1 mm und 2 mm. Allerdings ist gemäß der Druckschrift D3 (siehe Seite 1996, rechte Spalte, mittlerer Absatz) die durch das Lasersintern erreichbare Festigkeit nicht ausreichend für den Spritzgusseinsatz.
Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass der Fachmann entsprechend der Lehre der Druckschrift D3 die indirekte Stereolithographie für die Herstellung des Spritzgusswerkzeuges auswählen würde. Damit führt diese Entgegenhaltung den Fachmann weg von dem vorliegenden Anspruch 1, der darauf gerichtet ist, dass das Spritzgusswerkzeug einschließlich der Spritzgusskavität und des Wasserzeichenreliefs durch ein additives Fertigungsverfahren als Schichtenfolge einer Mehrzahl fest ineinander verbundener Materialschichten gebildet ist. Eine Kombination der Druckschriften D5 und D3 kann den Gegenstand von Anspruch 1 daher nicht nahelegen.
1.3.2 Kombination mit der Druckschrift D4
Die Druckschrift D4 beschäftigt sich mit der Herstellung komplexer Strukturen, von netzförmigen Artikeln und von Artikeln aus Metall, die außergewöhnliche Materialeigenschaften und Formstabilität aufweisen (siehe Absatz [0001]). Hierbei geht es vor allem um eingebettete Strukturen, die Kombination verschiedener Materialien (siehe Absatz [0022]), um thermische Leitfähigkeit (siehe Absatz [0027]) und Wärmeübertragung (siehe Absatz [0028]). Als Beispiele hierfür werden in Absatz [0030] vor allem Wärmetauscher und Turbinenflügel erwähnt.
In den von der Prüfungsabteilung zitierten Passagen (siehe Absätze [0095] bis [0130]) werden die Materialeigenschaften und die Formstabilität thematisiert, insbesondere verschiedene Materialzusammensetzungen innerhalb einer Struktur, um so unterschiedliche Materialeigenschaften zu erzielen. Spritzgusswerkzeuge werden in diesem Abschnitt nicht erwähnt.
Bei den in der Druckschrift D4 in einem anderen Kontext offenbarten Spritzgusswerkzeugen für Kunststoff (siehe Figuren 17 und 26b, Absätze [0167], [0172], [0186]) geht es um Werkzeugeinsätze bzw. -teile, die ein effizientes Kühlen des Spritzgusswerkzeugs ermöglichen (siehe Absätze [0167], [0173]). Da derartige Werkzeugeinsätze bzw. -teile zum Kühlen des Spritzgusswerkzeugs in der vorliegenden Anmeldung keine Rolle spielen und das Augenmerk der Erfindung vielmehr auf der Abformgenauigkeit liegt, hätte der Fachmann ausgehend von der Druckschrift D5 keine Veranlassung gehabt, die Druckschrift D4 zu Rate zu ziehen, um ein geeignetes Verfahren zur Herstellung eines Spritzgusswerkzeug einschließlich der Spritzgusskavität und des hochauflösenden, mehrstufigen Wasserzeichenreliefs zu finden. Deshalb kann auch eine Kombination der Druckschriften D5 und D4 den Gegenstand von Anspruch 1 nicht nahelegen.
1.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit im Hinblick auf den der Kammer vorliegenden Stand der Technik nicht nahegelegt (Artikel 56 EPÜ). Dies gilt analog für den Gegenstand der Ansprüche 2, 7 und 8.
2. Aus diesen Gründen ist die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der Unterlagen gemäß dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin zu erteilen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:
Beschreibung:
Seiten 1 bis 6, 8 bis 12 und 14 bis 16, eingereicht mit Schreiben vom 22. April 2020;
Seiten 7 und 13, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2021;
Ansprüche:
Nr. 1 bis 10, wie ursprünglich eingereicht;
Zeichnungen:
Figuren 1 bis 5, wie ursprünglich eingereicht.