T 1299/19 13-10-2022
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Spürvorrichtung für Bodenspürungen aus dem Inneren eines Fahrzeugs und Verfahren zum Bodenspüren
Unzulässige Erweiterung (nein)
Klarheit (ja)
Zurückverweisung (ja)
I. Das europäische Patent Nr. 2 581 698 wurde mit der am 11. März 2019 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung widerrufen. Dagegen wurde von der Patentinhaberin form- und fristgerecht gemäß Artikel 108 EPÜ Beschwerde eingelegt.
II. Folgendes Dokument wird in dieser Entscheidung zitiert:
EP-A (hiermit wird die Veröffentlichung EP-A2-2 581 698 der ursprünglich eingereichten Anmeldung bezeichnet).
III. Es fand am 13. Oktober 2022 eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Feststellung, dass das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags (entspricht dem redaktionell überarbeiteten, mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag 3) oder eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1, 2, 4 oder 5 die Anforderungen von Artikel 83 EPÜ und 123(2) EPÜ erfülle, sowie die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur Diskussion von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
Die Beschwerdegegnerin nahm den auf Artikel 83 EPÜ basierenden Einspruchsgrund zurück.
Die Beschwerdeführerin nahm den im schriftlichen Verfahren gestellten Hauptantrag (Patent wie erteilt) zurück.
IV. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Spürvorrichtung für Bodenspürungen aus dem Inneren eines Fahrzeugs (1) mit einem mit dem Boden (8) in Kontakt bringbaren und an einem unteren Ende eines Rohres (31) angeordneten Spürkopf (30), der zum Verdampfen von Luft- und/oder Bodenproben einen als Heizelement ausgestalteten Verdampfer aufweist, wobei der Spürkopf (30) durch Betätigung einer Ausrichtvorrichtung (10) in einem Spürbereich über dem Boden (8) ausrichtbar ist, wobei das Rohr (31) dazu dient, durch den Spürkopf (30) verdampfte Luft- und/oder Bodenproben in das Innere des Fahrzeugs (1) zu leiten und einer Analysevorrichtung zuzuführen,
gekennzeichnet durch
eine zwischen der Ausrichtvorrichtung (10) und dem Spürkopf (30) angeordnete Höhenverstellvorrichtung (20) zur Verstellung der Höhe (H) des Spürkopfes (30) über dem Boden (8), welche unabhängig von der Ausrichtvorrichtung (10) betätigbar ist, und
einen Gelenkpunkt, um den der Spürkopf (30) schwenkbar ist, wobei der Gelenkpunkt durch die Höhenverstellvorrichtung (20) absenkbar ist."
V. Die Patentinhaberin führte aus, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (siehe insbesondere EP-A), da die im Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale beinhaltend einen "an einem unteren Ende eines Rohres angeordneten [Spürkopf]" (im Folgenden als Merkmal (i)) bezeichnet), welcher "einen als Heizelement ausgestalteten Verdampfer aufweist" (Merkmal (ii)) und "wobei das Rohr (31) dazu dient, durch den Spürkopf (30) verdampfte Luft- und/oder Bodenproben in das Innere des Fahrzeugs (1) zu leiten und einer Analysevorrichtung zuzuführen" (Merkmal (iii)) aus EP-A entnehmbar seien und keine Zwischenverallgemeinerung darstellten. Diese Merkmale seien nicht mit den weiteren in EP-A offenbarten Merkmalen (siehe z.B. den "Schacht" zur Durchführung des Rohres und dessen Abdichtung; den Faltenbalg; die Lagerung des Rohres im Fahrzeugboden; die relative Positionierung von "Rohr" und "Gelenkpunkt" bzw. das Zusammenspiel von "Rohr", "Höhenverstellvorrichtung" und "Ausrichtvorrichtung") (siehe insbesondere Absätze [0029], [0030] in EP-A) unmittelbar und unlösbar verbunden, derart dass sich durch die isolierte Aufnahme der obigen Merkmale (i) bis (iii) eine unzulässige Verallgemeinerung (Zwischenverallgemeinerung) des ursprünglich offenbarten Gegenstands ergäbe. Dies sei nicht der Fall, weil während die hinzugefügten Merkmale wesentlich für die Funktion und Anordnung des Spürkopfes und des Verdampfers seien, beträfen die weggelassenen Merkmale dagegen andere Funktionen und Aspekte der beanspruchten Vorrichtung, die nicht direkt in Relation zur Funktion und Positionierung des Spürkopfes und des Verdampfers stünden.
Aus den oben dargelegten Gründen gehe auch der Gegenstand des Verfahrensanspruchs 11 nicht über die ursprüngliche Offenbarung der Erfindung in EP-A hinaus.
VI. Die Einsprechende legte dar, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 und 11 über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehe, weil durch die isoliert aufgenommenen Merkmale (i) bis (iii) eine Verallgemeinerung, insbesondere Zwischenverallgemeinerung, des ursprünglich in EP-A offenbarten Erfindungsgegenstands resultiere. Durch die isolierte Aufnahme obiger Merkmale seien folgende, mit diesen Merkmalen unmittelbar und unlösbar verbundene Merkmale weggelassen worden: die Merkmale betreffend den "Schacht" und die flexible Abdichtung des "Rohres"; die Merkmale betreffend den "Faltenbalg" und den "Fahrzeugboden"; das Zusammenspiel von "Rohr", "Höhenverstellvorrichtung" und "Ausrichtvorrichtung"; die Merkmale betreffend das "militärische Fahrzeug". Zudem sei auch in EP-A (Absatz [0029]) lediglich ein Spürkopf mit einem Verdampfer "durch welchen Luft- oder Bodenproben in einem dampfförmigen Zustand überführt werden" offenbart, jedoch nicht sowohl Bodenproben als auch Luftproben (siehe "und/oder" Verknüpfung im Merkmal (iii)).
Aus den zum Anspruch 1 vorgetragenen entsprechenden Gründen gehe auch der Gegenstand des Verfahrensanspruchs 11 über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung (EP-A) hinaus, wobei zusätzlich auch noch anzumerken sei, dass ein Verfahren lediglich in Absätzen [0023]-[0027] sowie [0043]-[0044] in EP-A beschrieben sei, und auch nur in Verbindung mit dem "Einsaugen" von Bodenproben (Absatz [0044]).
Ferner sei der Gegenstand des Anspruchs 1 und 11 nicht klar, weil daraus nicht hervorgehe, wie Bewegungen auf das Rohr und den daran befestigten Spürkopf übertragen werden könnten. Es fehle nämlich das Merkmal, wonach die Höhenverstellvorrichtung zwischen dem Rohr und der Ausrichtvorrichtung angebunden sei.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Der in der mündlichen Verhandlung überreichte Hauptantrag wurde zum Verfahren zugelassen, da dieser mit dem Hilfsantrag 3 (eingereicht mit der Beschwerdebegründung) identisch ist, wobei lediglich Sprachfehler im Anspruch 1 korrigiert wurden. Der besagte Hilfsantrag 3 wurde als vormaliger Hilfsantrag 2 im Einspruchsverfahren eingereicht und ist auch Gegenstand der angefochtenen Entscheidung. Damit sind die Voraussetzungen von Artikel 12 (1), (2) und (3) VOBK 2020 erfüllt. Dies wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten.
3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 verstößt nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ, da er nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung (EP-A) hinausgeht.
Tatsächlich sind die im Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale beinhaltend einen "an einem unteren Ende eines Rohres angeordneten [Spürkopf]" (Merkmal (i)), welcher "einen als Heizelement ausgestalteten Verdampfer aufweist" (Merkmal (ii)) und "wobei das Rohr (31) dazu dient, durch den Spürkopf (30) verdampfte Luft-
und/oder Bodenproben in das Innere des Fahrzeugs (1)
zu leiten und einer Analysevorrichtung zuzuführen" (Merkmal (iii)) aus der Beschreibung von EP-A entnehmbar, insbesondere aus dem Absatz [0029] (siehe "der Spürkopf 30 weist einen Verdampfer auf... der Verdampfer ist nach Art eines Heizelements ausgebildet"; "wie der Fig. 3 und Fig. 4 ferner zu entnehmen, ist der Spürkopf 30 am unteren Ende eines Rohres 31 angeordnet") und aus dem Absatz [0030] ("das Rohr 31 dient dazu, durch den Spürkopf 30 verdampfte Luft- und/oder Bodenproben in das Innere des Fahrzeugs 1 zu leiten und einer nicht dargestellten Analysevorrichtung zuzuführen").
Die Trennung dieser Merkmale vom gegebenen Kontext führt nicht zu einer Erweiterung des Anmeldungsgegenstands, da die isolierten Merkmale (i) bis (iii) den ursprünglich in Anspruch 1 (siehe EP-A) offenbarten Spürkopf explizit mit umfassen und mit diesem direkt und unmittelbar verbunden sind, derart dass sie die Anordnung und die Funktionsweise des Spürkopfes in hinreichender Weise bereits vollständig definieren. Für den Fachmann geht somit aus der Offenbarung von EP-A (insbesondere aus den besagen Absätzen) klar hervor, dass diese Merkmale in einer engen Beziehung untereinander und zum Spürkopf stehen und eine Einheit bilden, während die weggelassenen Merkmale (wie z.B. der Faltenbalg, der Schacht und seine Abdichtung, die Lagerung des Rohres im Fahrzeugboden, die Anbindung der Höhenverstellvorrichtung zwischen der Ausrichtvorrichtung und dem Rohr) lediglich das Anbringen (inklusive Abdichtung) und die Lenkung der aus dem Spürkopf und dem Rohr bestehenden Einheit betreffen. Folglich bilden die weggelassenen Merkmale in funktioneller und struktureller Hinsicht einen anderen Merkmalskomplex und das Weglassen dieser Merkmale führt nicht zu einer Erweiterung der ursprünglich eingereichten Offenbarung der Erfindung gemäß EP-A.
Ferner ist in Absatz [0028] von EP-A zwar ein in den Figuren 1 und 2 dargestelltes militärisches Fahrzeug genannt, jedoch wird in Absatz [0027] in der Figurenbeschreibung allgemein ein Fahrzeug offenbart, im Einklang mit der allgemeinen Offenbarung in den Absätzen [0001] und [0002] und in Anspruch 1 von EP-A. Folglich ist klar, dass eine Verwendung des in den Figuren dargestellten Fahrzeugs auch im nicht-militärischen Bereich, z.B. im Katastrophenschutz, durchaus beabsichtigt und offenbart ist.
Auch das Merkmal "verdampfte Luft- und/oder Bodenproben" (siehe Merkmal (iii) in Anspruch 1) geht nicht über den Inhalt von EP-A hinaus. Die Offenbarung in Absatz [0029] ("der Spürkopf weist einen Verdampfer auf, durch welchen Luft- oder Bodenproben in einen dampfförmigen Zustand überführt werden. Der Verdampfer ist nach Art eines Heizelements ausgebildet") impliziert unzweifelhaft, dass chemische Substanzen und Stoffe die (als Kampf- und Schadstoffe) in Boden- oder Luftproben enthalten sind, vom Verdampfer durch das Heizelement verdampft werden können, wobei es offensichtlich egal ist, ob diese Stoffe aus Bodenproben oder aus Luftproben stammen, weil der Verdampfer gleichermaßen im Stande ist, diese Stoffe in dampfförmigen Zustand zu bringen. Folglich ist in diesem Sinne sowohl der Wortlaut "Luft- oder Bodenproben" als auch der Wortlaut "Luft- und/oder Bodenproben" richtig und angebracht.
Zuletzt wird noch festgestellt, dass aus denselben Gründen wie oben dargelegt auch die isolierte Aufnahme der besagten Merkmale (i) bis (iii) im Verfahrensanspruch 11 nicht zu einer Erweiterung des Offenbarungsgehalts von EP-A führt. Insbesondere bezieht sich der Wortlaut "der Spürkopf weist einen Verdampfer auf, durch welchen Luft- oder Bodenproben in einem dampfförmigen Zustand überführt werden. Der Verdampfer ist nach Art eines Heizelements auegebildet" (EP-A, Absatz [0029]) eindeutig auch auf einen gesteuerten Umwandlungsprozess und damit ein Verfahren, bei dem "Luft- oder Bodenproben" in einen dampfförmigen Zustand überführt werden und bei dem (entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin) nicht nur Bodenproben verdampft werden.
4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 (und des Verfahrensanspruchs 11) des Hauptantrags ist hinreichend klar und erfüllt die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ.
Die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 beinhalten klar und eindeutig, dass eine Höhenverstellvorrichtung zwischen dem Spürkopf und der Ausrichtvorrichtung angeordnet ist, und dass ein durch die Höhenverstellvorrichtung absenkbarer Gelenkpunkt vorhanden ist, um den der Spürkopf schwenkbar ist.
Damit ist auch die Struktur und Konfiguration der Spürvorrichtung klar, denn der Gelenkpunkt muss notwendig zwischen dem Spürkopf und der Höhenverstellvorrichtung angeordnet sein, und folglich muss der Spürkopf notwendigerweise über ein weiteres Strukturelement, z.B. eine Stange, einen Greifarm oder ein Gestänge mit dem Gelenkpunkt verbunden sein.
Die detaillierte Angabe dieses Strukturelements in Anspruch 1 ist offensichtlich nicht notwendig, denn seine Funktion ist ohnehin klar, weil es ja über die Anbindung am Gelenkpunkt (und hiermit indirekt an der Höhenverstellvorrichtung und der Ausrichtvorrichtung) den Spürkopf steuern und lenken bzw. verschwenken soll.
Insbesondere ist also für die Erfüllung der Anforderung der Klarheit nicht notwendig in Anspruch 1 weiter zu definieren, dass gemäß der Erfindung speziell das besagte Rohr zusätzlich (zu seiner Funktion als Zuführrohr für die zu analysierenden Proben) auch als zwischen dem Gelenkpunkt und dem Spürkopf angebrachtes Lenkübertragungsmittel dient.
Hieraus ergibt sich insgesamt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 klar ist.
5. Die Beschwerdekammer hat entschieden, die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an die erste Instanz zurückzuverweisen (Artikel 111 (1) EPÜ), insbesondere zur Diskussion der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit, weil beide Parteien dies beantragt haben und weil die Fragen der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung sind.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung
zurückverwiesen zur Fortführung des Verfahrens auf der
Grundlage des neuen Hauptantrags, wie während der
mündlichen Verhandlung eingereicht.