T 1965/19 08-11-2022
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Vorrichtung zur Handhabung von Wertscheinen mit modularem Aufbau
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Aufgabe und Lösung
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 14 164 406 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) zurückzuweisen.
II. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) beantragt, die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 12. Februar 2019 aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:
Beschreibung:|Seiten 1 bis 16, eingereicht am 26. Oktober 2022; |
Ansprüche: |1 bis 6, eingereicht am 26. September 2022, damals als Hilfsantrag 4;|
Figuren: |1/6 bis 6/6, wie ursprünglich eingereicht. |
III. Auf folgende Dokumente wird Bezug genommen:
D1 =|US 5 970 888 A |
D2 =|US 6 726 101 B1 |
D3 =|WO 2013/098556 A1|
D4 =|US 8 573 479 B1|
IV. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
[Merkmalsbezeichnungen (A), (B), ... wurden von der Kammer eingeführt]
(A) Vorrichtung zur Handhabung von Wertscheinen, mit einem ersten Funktionsmodul (12 bis 20, 106) und einem zweiten Funktionsmodul (12 bis 20, 106),
(B) wobei das erste Funktionsmodul (12 bis 20, 106) ein erstes Gehäuse aufweist,
(C) wobei das erste und das zweite Funktionsmodul (12 bis 20, 106) mechanisch und/oder elektrisch miteinander verbindbar sind,
(D) wobei das erste Funktionsmodul (12 bis 20, 106) einen ersten Sensor zur Ermittlung von Beschädigungen des ersten Gehäuses umfasst, dadurch gekennzeichnet, (E) dass das zweite Funktionsmodul (12 bis 20, 106) ein von dem ersten Gehäuse getrenntes zweites Gehäuse aufweist,
(F) dass das zweite Funktionsmodul (12 bis 20, 106) einen zweiten Sensor zur Ermittlung von Beschädigungen des zweiten Gehäuses umfasst,
(G) und dass die Vorrichtung (10, 100, 102) kein die Funktionsmodule (12 bis 20, 106) umgebendes Gesamtgehäuse aufweist.
(H) dass die Vorrichtung (10, 100, 102) mindestens ein drittes Funktionsmodul (12 bis 20, 106) umfasst, wobei das dritte Funktionsmodul (12 bis 20, 106) ein von dem ersten und zweiten Gehäuse getrenntes drittes Gehäuse aufweist,
(I) dass in dem montierten Zustand das erste und das dritte Gehäuse keine sich gegenseitig berührende Kontaktflächen haben.
(J) dass das dritte Funktionsmodul (12 bis 20, 106) einen dritten Sensor zur Ermittlung von Beschädigungen des dritten Gehäuses umfasst,
(K) dass der erste Sensor, der zweite Sensor und/oder der dritte Sensor jeweils einen Sensor zum Ermitteln eines Durchbohrens des jeweiligen Gehäuses umfassen
(L) und dass die Vorrichtung (10, 100, 102) eine Adapterplatte (104) aufweist, an der das erste, das zweite und das dritte Funktionsmodul (12 bis 20, 106) befestigt sind.
V. Die Argumentation der Beschwerdeführerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
a) D4 offenbare keine separaten Gehäuse und nur einen einzigen Sensor, der um das Display gewickelt sei;
b) der Sensor in D4 befinde sich also nicht am Gehäuse selbst und detektiere nicht das Durchbohren;
c) der integrale Aufbau in D4 mit einem Gesamtgehäuse lehre genau das Gegenteil der Erfindung, die hingegen eine Adapterplatte als Grundplatte vorschlage, worauf modular die einzelnen Module aufgebaut seien;
d) der modulare Aufbau ermögliche auch, dass einfach ein Kontakt zu den Sensoren hergestellt werden könne.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die beanspruchte Erfindung
2.1 Die Anmeldung betrifft eine Vorrichtung (Geldautomaten) zur Handhabung von Geldscheinen. Geldautomaten bestehen aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Baueinheiten (Modulen), z.B. Kartenlesern, Bildschirmen, Tastaturen und Computern. Diese einzelnen Module sind alle in ein gemeinsames Gehäuse eingebaut, welches die Baueinheiten vor unautorisierten Zugriffen schützen soll. Die einzelnen Baueinheiten sind hierbei für sich alleine genommen nicht geschützt.
2.2 Nachteilig an solchen bekannten Geldautomaten ist, dass für jede Bauform entsprechend unterschiedliche Gehäuse und zum Teil auch entsprechend angepasste Bauelemente verwendet werden müssen. Ferner ermöglicht ein komplexes Gesamtgehäuse für den ganzen Geldautomaten keine vollständige Überwachung dieses Gehäuses vor Beschädigungen, insbesondere vor jeglichem Durchdringen der Hülle ("Durchbohren").
2.3 Es ist zwar bekannt, die Beschädigung einzelner Wände von Geldkassetten zu erkennen, jedoch ist es aufgrund der Vielzahl von verbauten Elementen und deren Verbindungen unmöglich, bekannte Geldautomaten vollständig über solche Systeme zu schützen.(Beschreibung, Seiten 1 und 2)
2.4 Die Erfindung schlägt ein modulares Gehäuse vor mit jeweils einem Sensor in jeder Gehäusekammer, von denen mindestens einer zum Detektieren des Durchdringens der Hülle geeignet ist, wobei die Funktionsmodule auf einer Adapterplatte 104 angeordnet sind, so dass die einzelnen Funktionsmodule modular an der Adapterplatte befestigt werden können.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK Anmeldung
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Änderungen
Durch Löschen einiger abhängiger Ansprüche wurden die Einwände der Kammer unter Artikel 123(2) EPÜ im Ladungsbescheid ausgeräumt. Die Ansprüche erfüllen zudem die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ.
3.2 Nächstliegender Stand der Technik
D4 wurde von der Prüfungsabteilung als nächstliegender Stand der Technik verwendet. D4 betrifft einen Geldautomaten mit mindestens drei Modulen. D4 hat im Vergleich zu D1 bis D3 die meisten Merkmale mit der vorliegenden Anmeldung gemeinsam, insbesondere einen Sensor, der externe Angriffe detektieren kann. Auch die Beschwerdeführerin verwendet in ihrer Beschwerdebegründung D4 als Ausgangspunkt für den Nachweis, dass der beanspruchte Gegenstand aus ihrer Sicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
3.3 Relevante Offenbarung von Dokument D4
3.3.1 D4 offenbart einen Bankautomaten mit mehreren Gehäusen, die jeweils eine Gehäusekammer (Fig. 53, 624 und 627) umschließen. Die Gehäusekammern beherbergen verschiedene Geräte-Module, wie z.B. das Display 608 und das Eingabegerät 622. Das Display-Modul ist umwickelt mit elektrischen Sensor-Drähten 618/620 (Fig. 52). Wenn bei Aufbruch einer der Drähte durchtrennt wird, wird die Verbindung mit der Datenbank unterbrochen und es werden automatisch alle sensiblen Daten gelöscht (Spalte 65, Zeilen 25 bis 45). Ferner kann ein Alarm ausgelöst werden.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIKFORMEL/TABELLE/GRAPHIKD4
3.3.2 Obwohl die Gehäusekammern Außenwände haben, die für beide Kammern einstückig sind, kann jede Kammer als Gehäuse für eines oder mehrere Module betrachtet werden. Kammer 627 ist das Gehäuse für das Display (hier "Modul 1"). Gehäusekammer ("chest" = Kasten) 624 ist das Gehäuse für das Eingabe-Modul 622 ("Modul 2").
3.3.3 D4 offenbart ferner in Fig. 48 "Cash dispender" Modul 566 (hier "Modul 3"), das an das Modul, welches das Eingabe-Tastenfeld 548 und das Kartenlesegerät (556, 558) enthält, angrenzt. Es ist offensichtlich, dass das Modul 550-560 der "chest portion 624" entspricht, also dem "Modul 2" (das "secure input device 622" von Fig. 53 entspricht dem "Consumer Keypad 548" in Fig. 48). Das "Consumer display" in Fig. 48 entspricht dem Display 608 ("Modul 1") aus Fig. 53.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
D4, die Bezeichnungen Modul 1 bis 3 sind von der Kammer hinzugefügt
3.3.4 D4 offenbart allerdings ein Gesamtgehäuse und gibt keinerlei Hinweise auf eine Adapterplatte. D4 offenbart auch nur einen Sensor 618/620 am Display 608 im Modul 1, nicht aber zum Ermitteln eines Durchbohrens des Gehäuses und keine entsprechenden Sensoren für die Module 2 und 3.
3.4 Unterschied
D4 offenbart folglich nicht:
a) Sensoren in den Modulen 2 und 3 (Merkmale (F) und (J));
b) dass die Sensoren ein Durchbohren der Wand ermitteln (Merkmal (K));
c) eine Adapterplatte, auf die Module 1 bis 3 montiert sind (Merkmal (L)).
3.5 Effekt
Diese Unterscheidungsmerkmale haben laut Beschwerdeführerin den Effekt, dass die Vorrichtung modular aufgebaut werden kann und trotzdem gegen Manipulation gesichert ist, wobei aber kein die Funktionsmodule aufnehmendes gesichertes Gehäuse erforderlich ist.
3.6 Aufgabe
3.6.1 Die Beschwerdeführerin schlägt vor, die Aufgabe zu formulieren als "eine modular aufgebaute Vorrichtung zur Handhabung von Wertscheinen anzugeben, bei der Manipulationen sicher detektiert werden können".
3.6.2 Die Kammer schließt sich dieser Aufgabenstellung an.
3.7 Nicht-Naheliegen der Lösung
ad a) und b)
3.7.1 Der Fachmann könnte durch D4 die Anregung bekommen, nicht nur Modul 1 mit Sensoren vor unerlaubtem Zugang zu schützen, sondern auch die Module 2 und 3 mit solchen Sensoren auszustatten. D4 lehrt für Modul 1 allerdings nur das Schützen der Bauteile (z.B. Display 608) innerhalb der Gehäuseteile mit einem Sensor (618, 620) und allgemein eine Kontrolle, ob ein Zugangsversuch zum Inneren des Gehäuses gemacht wird (Spalte 65, Zeile 32ff: "operative to sense an effort to access the interior area of the housing").
3.7.2 Die vorgeschlagene Überwachungslösung mit den Sensordrähten 618/620 um das Display 608 erlaubt jedoch nicht die Überwachung, ob die Wände durchbohrt werden. Dafür wären spezielle Sensoren an der Gehäusewand nötig (die Anmeldung schlägt Piezosensoren, Körperschallsensoren, elektrisch leitende Folien oder elektrisch leitende Textilien vor, siehe z. B. Seite 4, letzter Absatz). Da in D4 schon eine funktionierende Überwachung mit Sensordrähten um das Display vorgeschlagen wird, würde der Fachmann, wenn überhaupt, eine ähnliche Lösung auch für die Module 2 und 3 implementieren. Der Fachmann erhält jedoch durch D4 keinerlei Hinweis darauf, entweder den Sensor 618/620 so zu modifizieren, dass Durchbohren ermittelt werden kann oder entsprechende zusätzliche Spezial-Sensoren an den Gehäusewänden zu installieren, um ein Durchbohren zu detektieren. Zudem ist das Display 608 ein "Touch Screen", dessen Manipulation durch die Sensoren 618/620 verhindert werden soll. Die Sensoren haben somit eine ganz andere Aufgabe als das Ermitteln eines Durchbohrens.
ad c)
3.7.3 Der Fachmann hätte keinerlei Veranlassung im Ausführungsbeispiel von D4 die übereinander gestapelten Module 1 bis 3 auf ein und derselben Adapterplatte
zu montieren. Der vertikale Aufbau in D4 lehrt genau das Gegenteil davon. Zudem sind in D4 alle Module in einem Gesamtgehäuse untergebracht und nur durch Zwischendecken getrennt. Dies lehrt genau das Gegenteil von einem modularen Aufbau einzelner separater Gehäusemodule ohne ein Gesamtgehäuse.
3.7.4 Keines der Dokumente D1 bis D3 lehrt einen modularen Aufbau auf einer Adapterplatte oder einen Durchbohr-Sensor. D1 lehrt als Aufbruchschutz nur einen Bewegungssensor. D2 erwähnt nur einen Sensor zur Feststellung, ob eine Geldkassette sicher verschlossen ist. D3 erwähnt allgemein nur einen Sensor zur Erkennung von Manipulationen am Gehäuse. Folglich kann keines der Dokumente D1 bis D3 dem Fachmann einen nützlichen zusätzlichen Hinweis bieten, um die oben genannte objektive technische Aufgabe durch Implementierung der Merkmale a) bis c) in die Vorrichtung von D4 zu lösen.
4. Zusammenfassung
Die Kammer ist daher der Auffassung, dass unter Berücksichtigung des verfügbaren Stands der Technik die Vorrichtung nach Anspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht.
Ansprüche 2 bis 6 sind von Anspruch 1 abhängig. Alle Ansprüche erfüllen die Erfordernisse des EPÜ. Die Kammer hat zudem festgestellt, dass die Beschreibung an die Ansprüche angepasst und der relevante Stand der Technik diskutiert wurde.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:
Beschreibung:|Seiten 1 bis 16, eingereicht am 26. Oktober 2022; |
Ansprüche: |1 bis 6, eingereicht am 26. September 2022 als Hilfsantrag 4;|
Figuren: |1/6 bis 6/6, wie ursprünglich eingereicht. |