T 1973/19 14-12-2022
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Klebeband, insbesondere doppelseitiges Klebeband, und dessen Verwendung zum Bekleben unpolarer Oberflächen
certoplast Technische Klebebänder GmbH
BASF SE
Änderungen - zulässig (ja)
Zurückverweisung - (ja)
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2 818 527 widerrufen wurde.
II. Ansprüche 1 und 10 der ursprünglichen Anmeldung lauteten wie folgt:
"1. Klebeband (1), insbesondere doppelseitiges Klebeband (1), mit einem aus Kunststoff bestehenden Träger (2), der mindestens auf einer Seite mit einer selbstklebenden Klebeschicht (3) versehen ist, die aus einem druckempfindlichen Haftkleber besteht, der als Hauptbestandteil ein UV-vernetzbares Acrylat enthält, dadurch gekennzeichnet, dass der druckempfindliche Haftkleber pulverförmiges nanoskaliges Siliciumdioxid enthalt, wobei der aus Kunststoff bestehende Träger (2) als Folie ausgeführt ist."
"10. Klebeband (1) nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1, bei dem der aus Kunststoff bestehende Träger (2) als Folie ausgeführt ist, insbesondere Klebeband (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass der druckempfindliche Kleber mit klebrigmachenden Harzen, wie Pinen-, Inden- und/oder Kolophoniumharzen, deren disproportionierten, hydrierten, polymerisierten, veresterten Derivaten und/oder Salzen und/oder Terpen- und/oder Terpenphenolharzen und/oder aliphatischen, aromatischen, alkylaromatischen Kohlenwasserstoff-harzen, insbesondere mit einem oder mehreren C5 bis C9-Kohlenwasserstoffharz(en), modifiziert ist."
III. In der angefochtenen Entscheidung befand die Einspruchsabteilung unter anderem, dass der zu diesem Zeitpunkt geltende Hauptantrag (welcher mit Schriftsatz vom 22. Februar 2018 eingereicht wurde) die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ nicht erfülle.
IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung mit.
V. Mit Schreiben vom 10. November 2022 reichte die Beschwerdeführerin einen Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 4 ein.
VI. Die mündliche Verhandlung fand am 14. Dezember 2022 als Videokonferenz in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und der Einsprechenden 1 und 2 (Beschwerdegegnerinnen 1 und 2) statt.
VII. Die Endanträge der Parteien lauteten wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 bis 4, alle eingereicht mit Schreiben vom 10. November 2022.
Die Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 beantragten die Zurückweisung der Beschwerde. Zudem beantragten sie, die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, sofern der Hauptantrag oder einer der Hilfsanträge als mit Artikel 123 (2) EPÜ vereinbar angesehen werde.
VIII. Anspruch 1 des Hauptantrags lautete wie folgt
(im Vergleich zum Anspruch 1 der ursprünglichen Anmeldung, Streichungen werden in [deleted: durchgestrichen] und Hinzufügungen in fett gekennzeichnet):
"1. Klebeband (1), insbesondere doppelseitiges Klebeband (1), mit einem aus Kunststoff bestehenden Träger (2), der mindestens auf einer Seite mit einer selbstklebenden Klebeschicht (3) versehen ist, die aus einem druckempfindlichen Haftkleber besteht,
[deleted: der als Hauptbestandteil ein UV-vernetzbares Acrylat enthält,]
[deleted: dadurch gekennzeichnet, dass ]wobei der druckempfindliche Haftkleber pulverförmiges nanoskaliges Siliciumdioxid enthält[deleted: ,] und wobei der aus Kunststoff bestehende Träger (2) als Folie ausgeführt ist,
wobei der druckempfindliche Haftkleber ein vernetztes Polyacrylat aus einem lösungsmittelfreien UV-vernetzbaren Acrylat mit einpolymerisiertem Fotoinitiator als Hauptbestandteil für eine Vernetzungsreaktion enthält, wobei der Gehalt an in das lösungsmittelfreie UV-vernetzbare Acrylat dispergiertem Siliciumdioxid - bezogen auf das UV-vernetzbare Acrylat - im Bereich von 1 phr bis 20 phr liegt und wobei der Kleberauftrag der selbstklebenden Klebeschicht (3) im Bereich van 20 g/m**(2) bis 100 g/m**(2) liegt."
IX. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
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a) Die im Anspruch 1 des Hauptantrags durchgeführten Änderungen stellen keinen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ dar.
b) Solle der Hauptantrag für zulässig unter Artikel 123 (2) EPÜ angesehen werden, sei es angemessen, die Angelegenheit an die Erstinstanz zurückzuverweisen.
X. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht direkt und unmittelbar aus der ursprünglichen Anmeldung zu entnehmen (Artikel 123 (2) EPÜ).
b) Solle der Hauptantrag für zulässig unter Artikel 123 (2) EPÜ angesehen werden, solle die Angelegenheit an die Erstinstanz zurückverwiesen werden.
Hauptantrag
1. Es blieb unbestritten, dass der Anspruch 1 des geltenden Hauptantrags dem Anspruch 1 des in der angefochtenen Entscheidung behandelten Hauptantrags entspricht, mit dem Unterschied, dass er in einteiliger Form (anstatt der zweiteiligen Form) abgefasst ist (Bescheid der Kammer: Abschnitt 5).
2. Artikel 123 (2) EPÜ
2.1 Die Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 wandten ein, der Entscheidung der Einspruchsabteilung folgend, dass der Anspruch 1 des Hauptantrags nicht direkt und unmittelbar aus der ursprünglichen Anmeldung zu entnehmen sei.
2.2 Wie in der Entscheidung G 2/10 (ABl. EPA 2012, 376) dargelegt (siehe insbesondere die Punkte 4.5.1, 4.5.2 und 4.5.4 der Entscheidungsgründe), ist für die Frage, ob eine Änderung gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstößt, zu prüfen, ob die durchgeführte Änderung dazu führt, dass die Fachperson neue technische Informationen erhält, die sie der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen würde. Ob die Fachperson neue Informationen erhält, hängt davon ab, wie sie den geänderten Anspruch verstehen würde und ob sie unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens diesen Gegenstand als zumindest implizit, aber direkt und unmittelbar, in der Anmeldung offenbart ansehen würde.
2.3 Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich von dem ursprünglichen Anspruch 1 unter anderem durch die Anwesenheit folgende Merkmalskombinationen:
a) "wobei der druckempfindliche Haftkleber ein vernetztes Polyacrylat aus einem lösungsmittelfreien UV-vernetzbaren Acrylat mit einpolymerisiertem Fotoinitiator als Hauptbestandteil für eine Vernetzungsreaktion enthält"; und
b) "wobei der Gehalt an in das lösungsmittelfreie UV-vernetzbare Acrylat dispergiertem Siliciumdioxid - bezogen auf das UV-vernetzbare Acrylat - im Bereich von 1 phr bis 20 phr liegt".
Die Beschwerdegegnerinnen wandten ein, dass sowohl die jeweiligen Merkmalskombinationen a) und b) einzeln betrachtet als auch ihre Kombination die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ nicht erfüllen.
2.4 Merkmalskombination a)
2.4.1 Was die Basis für die Merkmalskombination a) betrifft, berief sich die Beschwerdeführerin auf die Passagen auf Seite 7, zweiter bis vierter Absatz, Seite 8 (ganz), Seite 9, dritter Absatz, Seite 10, zweiter Absatz und Seite 14, ab dem zweiten Absatz, der ursprünglichen Anmeldung (siehe z.B. Beschwerdebegründung: überbrückender Absatz der Seiten 4 und 5).
2.4.2 Nach Auffassung der Kammer ist der Passage auf Seite 10, zweiter Absatz, der ursprünglichen Anmeldung zu entnehmen, dass die vorliegende Erfindung die Verwendung von lösungsmittelfreien UV-vernetzbaren Acrylaten, insbesondere für die Vorbereitung des druckempfindlichen Haftklebers gemäß dem ursprünglichen Anspruch 1, betrifft. Zwar ist diese Passage der ursprünglichen Anmeldung primär auf Ausführungsformen gerichtet, die kein Siliciumdioxid beinhalten, wie von der Beschwerdegegnerin 1 dargelegt (Beschwerdeerwiderung: Seite 7, Abschnitt 6.b), jedoch ist aus dem Wortlaut "wird auch..." ersichtlich, dass der dort beschriebene Haftkleber die vorliegende Erfindung, also gemäß ursprünglichem Anspruch 1 (d.h. für Haftkleber beinhaltend Siliciumdioxid), betrifft. Diese Schlussfolgerung wird ferner dadurch bestätigt, dass i) auf Seite 7, letzter Absatz auch angegeben wird, dass die erfindungsgemäßen UV-vernetzbaren Acrylatklebstoffe "lösungsmittelfrei" sind, und dass ii) die einzigen in der ursprünglichen Anmeldung offenbarten Ausführungsformen des UV-vernetzbaren Acrylats die "acResin®" sind (Seite 8; Seite 9, letzter Absatz; Beispiele auf Seite 16), welche als "lösungsmittelfrei" anzusehen sind (Seite 8, Zeile 1, "Derartige ...; Seite 8, Zeile 5, "Im Vergleich mit lösungsmittelhaltigen ..."; Seite 14, letzter Absatz, "Beide Produkte weisen ... von mehr als 99 Masseprozent auf"). Da der zweite Absatz auf Seite 10 der ursprünglichen Anmeldung explizit auch auf UV-vernetzbares Acrylat enthaltend einen einpolymerisierten Fotoinitiator gerichtet ist (siehe bevorzugte Ausführungsform "insbesondere mit ..."), liefert diese Passage auch eine direkte Basis für die Änderung "mit einpolymerisiertem Fotoinitiator". Dass der Haftkleber ein vernetztes Polyacrylat enthält, ergibt sich ferner aus der gesamten ursprünglichen Anmeldung, da es offensichtlich ist, dass die eingesetzten Polyacrylate durch UV-Strahlung vernetzt werden sollen (Seite 9, letzter Absatz; Seite 10, vorletzter Absatz; Seite 14, zweiter Absatz; Beispiele).
2.4.3 Diese Analyse - die den Parteien im Bescheid der Kammer, Abschnitt 6.4.2, mitgeteilt wurde - wird dadurch bestätigt, dass die Beschwerdegegnerin 1 während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer anerkannte, dass der zweite Absatz auf Seite 10 der ursprünglichen Anmeldung eine Basis für die Kombination folgender Merkmale biete:
- ein lösungsmittelfreies UV-vernetzbares Acrylat mit
- einpolymerisiertem Fotoinitiator als Hauptbestandteil.
In diesem Zusammenhang bestritt die Beschwerdegegnerin 1 während der mündlichen Verhandlung lediglich, dass die ursprüngliche Anmeldung eine gültige Basis für die Kombination dieser Merkmale mit dem zusätzlichen Merkmal bezüglich der Anwesenheit von (dispergiertem) Siliciumdioxid wie im geltenden Anspruch 1 enthalte. Dieser Einwand wird in Abschnitt 2.6.2 unten behandelt.
2.4.4 Somit beinhaltet die ursprüngliche Anmeldung eine gültige Basis für die o.a. Merkmalskombination a).
2.5 Merkmalskombination b)
2.5.1 Die Ansicht der Einspruchsabteilung, dass die o.g. Merkmalskombination b) ein Product-by-Process-Merkmal darstelle (angefochtene Entscheidung: Seite 6, zweiter Absatz), ist unbestritten. Auch die Kammer stimmt dem zu. Dies bedeutet, dass bei der Herstellung des druckempfindlichen Haftklebers das Siliciumdioxid in das lösungsmittelfreie UV-vernetzbare Acrylat dispergiert, d.h. fein verteilt, werden soll.
2.5.2 In diesem Zusammenhang gibt es in Bezug auf die vorliegende Erfindung lediglich auf Seite 7, zweiter Absatz der ursprünglichen Anmeldung eine mit der Dispersion von Siliciumdioxid zusammenhängende Offenbarung. Dort wird angegeben, dass hydrophiles Siliciumdioxid "... - was für die Erfindung von Bedeutung ist - in dem als druckempfindlicher Haftkleber eingesetzten, nichtwässrigen UV-vernetzbaren Acrylat problemlos dispergiert werden" kann (Hervorhebung durch die Kammer). Diesbezüglich weist die Angabe "was für die Erfindung von Bedeutung ist" darauf hin, dass diese Eigenschaft für die Erfindung relevant ist, d.h. dass Siliciumdioxid dementsprechend dispergiert werden soll. Zwar ist dort die Rede von "nichtwässrigem" UV-vernetzbarem Acrylat, was nicht mit "lösungsmittelfreiem" UV-vernetzbarem Acrylat gleichzusetzen ist. Jedoch ist dieser Satz nach Auffassung der Kammer so zu verstehen, dass er für solche Acrylate, die erfindungsgemäß als UV-vernetzbare Acrylate eingesetzt werden, d.h. insbesondere für die in obigen Absatz 2.4.2 erläuterten lösungsmittelfreien UV-vernetzbaren Acrylate mit einpolymerisiertem Fotoinitiator, gilt. Dass diese Schlussfolgerung auch für hydrophobes Siliciumdioxid zutrifft, ist ferner aus dem ersten Satz des dritten Absatzes auf Seite 7 ersichtlich.
2.5.3 Die Beschwerdegegnerin 2 machte geltend, dass diese Analyse nicht in ausreichendem Maße das gemäß der Entscheidung G 2/10 erforderliche Fachwissen und Verständnis der im vorliegenden Fall maßgeblichen Fachperson berücksichtige. Diesbezüglich wisse die Fachperson, dass lösungsmittelfreie UV-vernetzbare Acrylatklebstoffe in der Regel zunächst als Lösungen in nichtwässrigen organischen Lösungsmitteln hergestellt werden, von denen das organische Lösungsmittel anschließend entfernt/abdestilliert werde. Demnach verstehe die Fachperson den zweiten Absatz auf Seite 7 der ursprünglichen Anmeldung so, dass das Siliciumdioxid problemlos in eine nichtwässrige Lösung in organischem Lösungsmittel dispergiert werden könne und vor der Anwendung das organische Lösungsmittel zu entfernen sei, um aus dem nichtwässrigen, lösemittelhaltigen Klebstoff den lösungsmittelfreien Klebstoff zu erhalten. Deshalb sei aus der ursprünglichen Anmeldung nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass die Erfindung darin bestehen solle, dass das Siliciumdioxid ausschließlich und unmittelbar in lösungsmittelfreies UV-vernetzbares Acrylat dispergiert werden solle.
Jedoch ist die Kammer der Auffassung, dass keine der ursprünglichen Dokumente - weder die Ansprüche, noch die Beschreibung einschließlich der Beispiele - eine Offenbarung bezüglich der Verwendung eines Lösungsmittels bei der Herstellung eines Siliciumdioxid enthaltenden Haftklebers enthalten. Im Gegenteil wird z.B. auf Seite 7, vierter Absatz angegeben, "Was die Klebstoffbeschichtung betrifft, so werden erfindungsgemäß losungsmittelfreie UV-vernetzbare Acrylatklebstoffe als druckempfindliche Haftklebstoffe eingesetzt" (Hervorhebung durch die Kammer). Ferner wird auf Seite 8, Zeilen 1-4 offenbart, dass die in der ursprünglichen Anmeldung beschriebenen UV-vernetzbaren Acrylate bei Temperaturen von 120 °C auf herkömmlichen Hotmelt-Coatern verarbeitet werden, die zusätzlich mit UV-Lampen ausgestattet sind, wobei keine speziellen Trocknungsanlagen erforderlich sind. Darüber hinaus werden in den Beispielen ausschließlich lösungsmittelfreie UV-vernetzbare Acrylate und Siliciumdioxid als (End)Produkt (die kommerziell erhältlichen Acrylate AcResin®250 oder AcResin®250: siehe Tabelle 3 und 7a-b) offenbart. Ein Herstellungsverfahren eines Polyacrylats, wobei ein nichtwässriges organisches Lösungsmittel eingesetzt wird, wird jedoch nicht beschrieben. Somit ist der ursprünglichen Anmeldung nicht zu entnehmen, dass die Dispersion des Siliciumdioxids in einem Lösungsmittel durchzuführen ist, wobei dieses Lösungsmittel anschließend entfernt wird, wie von der Beschwerdegegnerin 2 dargelegt. Aus diesen Gründen sind die Argumente der Beschwerdegegnerin 2 nicht überzeugend.
2.5.4 Angesichts des Vorstehenden kann sich die Kammer der Ansicht der Einspruchsabteilung, dass es in der ursprünglichen Anmeldung keine gültige Basis für das Product-by-Process-Merkmal "[wobei der Gehalt] an in das lösungsmittelfreie UV-vernetzbare Acrylat dispergiertem Siliciumdioxid" gebe (angefochtene Entscheidung: Seite 6, zweiter Absatz bis Seite 7, erster Absatz), nicht anschließen.
2.5.5 Somit ergibt sich die o.a. Merkmalskombination b) implizit, jedoch direkt und unmittelbar, aus der ursprünglichen Anmeldung.
2.6 Kombination von a) und b)
2.6.1 Es ist aus der oben dargelegten Analyse ersichtlich, dass sich die Merkmalskombinationen a) und b) aus Passagen der ursprünglichen Anmeldung ergeben, welche sehr allgemein formuliert sind. Somit ist die Kammer der Auffassung, dass der Fachmann verstehen würde, dass diese Passagen auf jede Ausführungsform der ursprünglichen Anmeldung anwendbar sind, insbesondere auf den Gegenstand des ursprünglichen Anspruchs 1.
2.6.2 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer bestritt die Beschwerdegegnerin 1, dass die ursprüngliche Anmeldung eine gültige Basis für die Kombination der im Abschnitt 2.4.3 angegebene Merkmale mit dem zusätzlichen Merkmal bezüglich der Anwesenheit von (dispergiertem) Siliciumdioxid, wie im geltenden Anspruch 1, biete. Die Beschwerdeführerin 1 machte diesbezüglich geltend, dass die ursprüngliche Anmeldung zwei getrennte Ausführungsformen eines Haftklebers enthalte, nämlich entweder mit oder ohne Siliciumdioxid. Während der zweite Absatz auf Seite 7 der ursprünglichen Anmeldung offensichtlich die eine Ausführungsform (mit Siliciumdioxid) betreffe, sei der zweite Absatz auf Seite 10 auf die andere Ausführungsform (ohne Siliciumdioxid) gerichtet. Eine Kombination dieser beiden Passagen entspreche daher nicht dem Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldung. Diese Ansicht werde ferner durch den ursprünglichen Anspruch 10 gestützt.
2.6.3 Die Kammer teilt diese Ansicht jedoch nicht.
a) Zwar werden in der ursprünglichen Anmeldung unterschiedliche Ausführungsformen für den Haftkleber beschrieben, nämlich entweder mit Siliciumdioxid (möglicherweise ohne Harz), oder mit Harz (möglicherweise ohne Siliciumdioxid) oder mit Siliciumdioxid und Harz. Dies ergibt sich aus den folgenden Passagen der ursprünglichen Anmeldung:
- dem Wortlaut des ursprünglichen Anspruchs 10, als auch aus
- Seite 4, dritter Absatz bis Seite 7, dritter Absatz (Siliciumdioxid); Seite 9, dritter Absatz (Siliciumdioxid und Harz); Seite 10, zweiter Absatz (Harz, jedoch mit Bezug auf die Ausführungsform Siliciumdioxid was das Acrylat betrifft: siehe Abschnitt 2.4 oben), und
- den Beispielen (Tabelle 3: mit Siliciumdioxid, ohne Harz; Tabelle 5: mit Harz, ohne Siliciumdioxid; Tabelle 7a-b: mit Siliciumdioxid und Harz).
Jedoch ist aus den ursprünglichen Dokumenten, insbesondere aus den oben angegebenen Passagen, ersichtlich, dass die gleichen Acrylate für alle Ausführungsformen beschrieben werden, d. h. es werden keine unterschiedlichen Arten von Acrylaten für die Haftkleber mit Siliciumdioxid oder mit Harz offenbart. Deshalb kann nicht geschlossen werden, dass die Ausführungsformen mit oder ohne Siliciumdioxid das Acrylat betreffend in der ursprünglichen Anmeldung als unterschiedliche Ausführungsformen dargestellt werden.
b) Den ursprünglichen Anspruch 10 betreffend, machte die Beschwerdegegnerin 1 gelten, dass dieser Anspruch entweder das pulverförmige nanoskalige Siliciumdioxid als Bestandteil des druckempfindlichen Haftklebers ausschließe oder keine Basis für das Merkmal, dass der Haftkleber "ein vernetztes Acrylat aus einem lösungsmittelfrei UV-vernetzbaren Acrylat mit einpolymerisiertem Fotoinitiator als Hauptbestandteil", enthalte (Beschwerdeerwiderung: Seite 7, Abschnitt 6 b)).
Jedoch ist dieses Argument nicht zutreffend, da die von der Kammer berücksichtigte Basis für die durchgeführten Änderungen nicht der ursprüngliche Anspruch 10 sondern der zweite Absatz auf Seite 10 der ursprünglichen Anmeldung ist. Hinsichtlich des ursprünglichen Anspruchs 10 wird lediglich angemerkt, dass dessen Wortlaut sowohl mit dem Gegenstand des zweiten Absatzes der Seite 10 der ursprünglichen Anmeldung als auch mit der gesamten ursprünglichen Anmeldung kompatibel ist/nicht in Widerspruch steht.
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass
der kennzeichnende Teil des unabhängigen Anspruchs 1 die Anwesenheit von Siliciumdioxid betrifft. Ferner sind die vom Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 bis 6 auf unterschiedliche Ausführungsformen des Siliciumdioxids gerichtet. Somit ist die Kammer davon überzeugt, dass die Angabe im ursprünglichen Anspruch 10 "insbesondere Klebeband (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 9" unmittelbar auf die Kombination des im Anspruch 1 definierten Haftklebers (welcher als Hauptbestandteil ein UV-vernetzbares Acrylat enthält) mit Siliciumdioxid hinweist. Eine andere Interpretation dieses Merkmals des ursprünglichen Anspruchs 10, insbesondere eine Interpretation, die den kennzeichnenden Teil des ursprünglichen Anspruchs 1 (betreffend die Anwesenheit von Siliciumdioxid) ausschließen würde, hält die Kammer für unlogisch und würde daher von der Fachperson nicht vertreten werden.
c) Aus diesen Gründen wird das Argument der Beschwerdegegnerin 1, dass die Passagen der Seite 10, zweiter Absatz und der Seite 7, zweiter bis vierter Absatz nicht in Kombination gelesen werden können, zurückgewiesen.
2.6.4 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer machte die Beschwerdegegnerin 1 geltend, dass die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ verletzt seien, da der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 in Hinsicht auf die ursprüngliche Anmeldung neu sei.
Jedoch ist die Kammer aus den oben angegeben Gründen zum Schluss gekommen, dass die von der Beschwerdegegnerinnen vorgebrachten Argumente nicht zeigen, dass der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sich aus der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung von der Fachperson unter Heranziehung seines allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig nicht zu entnehmen wäre. Daher ist das Argument der Beschwerdegegnerin 1 nicht überzeugend.
2.6.5 Angesichts des Vorstehenden teilt die Kammer ferner die Meinung der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin 2, dass in der ursprünglichen Anmeldung keine gültige Basis für eine Kombination der Merkmale (i) losungsmittelfrei, (ii) einpolymerisierter Fotoinitiator und (iii) dispergiertes Siliciumdioxid zu finden sei (angefochtene Entscheidung: Seite 6, zweiter Absatz; Seite 7, zweiter und dritter Absatz; Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin 2: Seite 2, erster Absatz), nicht.
2.7 Aus diesen Gründen erfüllt der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
3. Zurückverweisung
Die angefochtene Entscheidung betraf hauptsächlich die Vereinbarkeit der zu diesem Zeitpunkt geltenden Anträgen mit Artikel 123 (2) EPÜ. Die Einspruchsabteilung hat sich jedoch mit den erhobenen Einwänden nach Artikel 54 EPÜ und Artikel 56 EPÜ in der Entscheidung nicht befasst. Da die Kammer zu dem Schluss gekommen ist, dass die Einwände unter Artikel 123 (2) EPÜ nicht erfolgreich sind, liegen im vorliegenden Fall besondere Gründe im Sinne von Artikel 11 VOBK 2020 vor, die die Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung rechtfertigen (Artikel 111 (1) EPÜ), wie von den Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 beantragt. Dieses Vorgehen wurde auch von der Beschwerdeführerin als "angemessen" angesehen (vgl. Schriftsatz vom 10. November 2022: Seite 9, Abschnitt IV).| |
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.