T 2464/19 22-06-2022
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VORRICHTUNG ZUM AUSBRINGEN VON FLÜSSIGEN UND/ODER FESTEN WIRKSTOFFEN UND VERFAHREN ZUR STEUERUNG EINER SOLCHEN VORRICHTUNG
Amazonen-Werke
H. Dreyer GmbH & Co. KG
Herbert Dammann GmbH
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Patentansprüche - Stützung durch die Beschreibung (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Kombination bekannter Merkmale
I. Die Beschwerden der Einsprechenden 1 und der Patentinhaberin richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
In dieser hat die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass
- der Gegenstand des Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (wie erteilt) nicht neu sei;
- der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe;
- Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 klar sei;
- der Gegenstand des Anspruchs 1 und das Verfahren des Anspruchs 12 gemäß Hilfsantrag 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruhten.
Ferner hat die Einspruchsabteilung die nach Einspruchsfrist eingereichten Dokumente D30/D30' zum Verfahren zugelassen.
II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer vorläufig die Befunde der Einspruchsabteilung hinsichtlich Neuheit des Hauptantrags, Klarheit und ausreichender Offenbarungsgrundlage für den Hilfsantrag 1 bestätigt, jedoch das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit für den Hilfsantrag 1 bezweifelt.
III. Am 22. Juni 2022 fand eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit beider Parteien statt, zu der die ordnungsgemäß geladene verfahrensbeteiligte Einsprechende 2 nicht erschien. Gemäß Regel 115(2) EPÜ und Artikel 15(3) VOBK wurde die Verhandlung ohne sie fortgesetzt.
Während der mündlichen Verhandlung zog die Patentinhaberin ihren bisherigen Hauptantrag auf Zurückweisung des Einspruchs zurück.
IV. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin beantragt nunmehr die Aufrechterhaltung des Europäischen Patents im Umfang des Hilfsantrags 1 (Patent in der durch die Einspruchsabteilung als gewährbar angesehenen Fassung), hilfsweise das Streitpatent beschränkt aufrecht zu erhalten auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 2 - 5, 5a, 5b, 7 - 11, 11a, 11b, 12, 12a, 12b, weiter hilfsweise gemäß einem der Hilfsanträge aus den entsprechenden Sätzen von Hilfsanträgen 1_I - 12b_I und 1_II - 12b_II, die bereits in erster Instanz vor der Einspruchsabteilung gestellt wurden.
Die Beschwerdeführerin-Einsprechende 1 beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den vollständigen Widerruf des Patents.
Die verfahrensbeteiligte Einsprechende 2 hat sich im Beschwerdeverfahren weder in der Sache geäußert, noch Anträge gestellt.
Die ursprünglich beschwerdeführende Einsprechende 3 hatte ihren Einspruch bereits am 5. Oktober 2021 zurückgenommen.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 (von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltene Fassung) hat folgenden Wortlaut (zusätzliche Merkmale im Vergleich zur erteilten Fassung in kursiv):
"Vorrichtung (01) zum Ausbringen von flüssigen Wirkstoffen, umfassend:
- ein Trägerfahrzeug (10),
- mindestens ein zumindest um eine Drehachse (20) schwenkbar angeordnetes Gestänge (02, 21, 22), wobei die Drehachse (20) eine parallel zu einer Längsachse des Trägerfahrzeugs verlaufende Drehachse ist, wobei das Gestänge (02, 21,22) ein Spritzgestänge ist, mit beidseits des Trägerfahrzeugs abstehenden Auslegern sowie an diesem angeordneten, mit einem Speicher für mindestens einen flüssigen Wirkstoff verbundenen und/oder verbindbaren Ausbringungsmitteln,
- mindestens eine Sensoranordnung (25, 26) zur Erfassung einer Drehgeschwindigkeit (w) und/oder Beschleunigung des Gestänges (02, 21, 22) um die Drehachse (20) in Bezug auf eine Referenzebene,
- mindestens eine Sensoranordnung zur Erfassung einer Drehlage (alphal, d_alpha1) des Gestänges (02, 21,22) um die Drehachse (20) in Bezug auf die Referenzebene,
- eine Ausgangssignale (alphaO) der Sensoranordnungen zu Steuerungssignalen verarbeitende Regelungseinrichtung,
- zumindest einen in Abhängigkeit von Steuerungssignalen der Regelungseinrichtung die momentane Drehlage (alphaO) des Gestänges (02, 21,22) um die Drehachse (20) beeinflussenden Aktor (03),
wobei die Regelungseinrichtung zur Bestimmung einer Drehlage (alphaO) des Gestänges (02, 21,22) um die Drehachse (20) in Bezug auf eine Anfangsausrichtung:
- durch zeitliche Integration der Drehgeschwindigkeit (w) zumindest eine Drehlage(alpha2) des Gestänges (02, 21, 22) in Bezug auf die Referenzebene berechnet."
Anspruch 12 des Hilfsantrags 1 betrifft ein "Verfahren zur Steuerung einer Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 11".
VI. Nachfolgend wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D1: EP 2 042 276 B1
D8: US 2011/0282554 A1
D26: WO 2010/121713 A1
D30: JP 2008-29261
D30' Übersetzung von D30
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin-Einsprechenden 1 lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ist nicht klar. Er enthält eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung, weil das Merkmal des Fusionierens der beiden von den Sensoranordnungen jeweils ermittelten Daten nicht aufgenommen wurde, Artikel 123(2) EPÜ.
Sein Gegenstand ist ausgehend von der in Fig. 5 der D1 gezeigten Feldspritze unter Berücksichtigung von Fachwissen sowie in Kombination mit der Offenbarung der D30 und der D26, aber auch ausgehend von D8 in Kombination mit diesen Dokumenten nahegelegt, Artikel 56 EPÜ.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hilfsantrag 1 genügt den Erfordernissen des EPÜ, wie von der Einspruchsabteilung bereits bestätigt wurde.
1. Das Patent und sein technischer Hintergrund
Das Patent befasst sich mit Spritzgestängen zur Ausbringung von Düngemitteln.
Diese weisen zwei relativ lange Ausleger quer zur Längsrichtung des Zugfahrzeugs auf, an das sie gekoppelt sind. An den Auslegern ist eine Vielzahl von Spritzdüsen angeordnet, die möglichst einen bestimmten vorgegebenen Abstand zum Boden einhalten sollen, auch bei Bodenunebenheiten oder unterschiedlichen Bodenhöhen bzw. Böschungswinkeln entlang der Ausleger sowie bei Schwankungen des Zugfahrzeugs. Deshalb sind die Ausleger um eine Drehachse in Fahrzeuglängsrichtung schwenkbar angeordnet und werden entsprechend nachgesteuert. Als Aufgabe der Erfindung wird in Absatz [0017] des Patents angegeben, eine möglichst exakte Nachführung der Ausleger zur Beibehaltung ihrer Abstände gegenüber der Bodenoberfläche bereitzustellen.
2. Hilfsantrag 1 - Unzulässige Erweiterung
2.1 Auf Seite 6, dritter Absatz der veröffentlichten internationalen Anmeldung (im folgenden WO-Schrift) ist die zu lösende Aufgabe als Entwicklung einer "Vorrichtung zum Ausbringen von flüssigen und/oder festen Wirkstoffen mit einem Trägerfahrzeug und mindestens einem zumindest um eine vorzugsweise parallel zu einer Längsachse des Trägerfahrzeugs verlaufende Drehachse schwenkbar angeordnetem Gestänge mit beidseits des Trägerfahrzeugs abstehenden Auslegern, wie beispielsweise eine Feldspritze" definiert. Von den in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 hinzugefügten Merkmalen sind in dieser Passage lediglich "Spritzgestänge" und am Trägerfahrzeug "angeordnete[n], mit einem Speicher für mindestens einen flüssigen Wirkstoff verbundene[n] und/oder verbindbare[n] Ausbringungsmittel[n]" nicht erwähnt. Wie die Kammer jedoch bereits in Abschnitt 6.1 ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK für die als "Feldspritze" bezeichnete Vorrichtung der D1 festgestellt hat, ist bei einer solchen "das Vorhandensein der beanspruchten Ausleger des Spritzgestänges, der daran angeordneten Ausbringungsmittel[n] sowie des mit diesen verbundenen Speichers zur Aufnahme flüssiger Wirkstoffe impliziert".
Die im dritten Absatz auf Seite 6 der WO-Schrift solchermaßen definierte Aufgabe wird ausweislich des folgenden Absatzes "durch die Merkmale der unabhängigen Ansprüche gelöst". Der ursprüngliche Vorrichtungsanspruch 1, der somit bereits bevorzugt auf eine typische Feldspritze mit Trägerfahrzeug und Spritzgestänge gerichtet sein sollte, enthält wie Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 keinen Fusionierungsschritt.
Nach Ansicht der Kammer bilden deshalb schon der dritte und vierte Absatz auf Seite 6 der WO-Schrift eine eigenständige Offenbarungsgrundlage im Sinne des "Gold-Standards" für die im ursprünglichen und erteilten Anspruch 1, auf den dort explizit Bezug genommen wird, vorgenommenen Änderungen.
2.2 Daher kommt es letztlich nicht mehr darauf an, dass die in Anspruch 1 hinzugefügten Merkmale des Spritzgestänges auch auf Seite 7, Zeilen 1 - 6 der WO-Schrift wörtlich im Zusammenhang sowohl mit den anderen Anspruchsmerkmalen, als auch mit einem weiteren "Fusionierungsmerkmal" (letzter Spiegelstrich auf Seite 7) offenbart sind.
Dort bzw. beginnend auf Seite 6, Zeile 30 der WO-Schrift wird eine Vorrichtung als "ein erster Gegenstand der Erfindung" beschrieben. Auch wenn später auf Seite 16, Zeile 18 ein Verfahren als "ein zweiter Gegenstand der Erfindung" folgt, bedeutet das noch nicht, dass diese Vorrichtung nicht nur einen (ersten), sondern den (ersten) im Sinne von den eigentlichen (ersten) Erfindungsgegenstand darstellt.
Dieser erste Erfindungsgegenstand umfasst ausdrücklich optionale Merkmale, wie besagtes Spritzgestänge sowie Hydraulikzylinder als Aktoren (Seite 7, Zeilen 16/17), die entsprechend nicht im ursprünglichen Anspruch 1 auftauchen. Ebenso sieht die Kammer die in den Zeilen 29 - 34 beschriebene Fusion der unterschiedlich ermittelten Drehlagen-Werte als ein solches optionales Merkmal, das vorgesehen werden kann, wenn die im vorhergehenden Abschnitt als nachteilige Nebenwirkung der Integration von Winkelgeschwindigkeit und -beschleunigung dargestellte Winkeldrift vermieden werden soll.
Diese unterschiedlichen Optionen sind weder gemeinsam in einem zusammenhängenden Abschnitt offenbart, noch besteht zwischen ihnen ein technischer Zusammenhang: Ein Spritzgestänge kann z.B. durchaus auch durch elektrische Stellmotoren betätigt werden, und Winkeldrift ist als Sensorphänomen weder abhängig vom Einsatzzweck des mit Sensoren bestückten Gestänges, noch von der Art der auf das Gestänge einwirkenden Aktoren. Daher begründet die Auswahl einer der auf Seite 7 für einen ersten Erfindungsgegenstand mit den Merkmalen des Anspruchs 1 angegebenen Optionen keine sachliche Notwendigkeit, die übrigen optionalen Merkmale dann ebenfalls zu übernehmen bzw. vorzusehen. Mit anderen Worten steht keines der optionalen Merkmale in engem, geschweige denn untrennbarem strukturellen und/oder funktionalen Zusammenhang mit den jeweils anderen, siehe RSBK II.E.1.9.
Aus diesen Gründen führt die "isolierte" Aufnahme der Merkmale "Spritzgestänge" in den ursprünglichen Anspruch 1 selbst gegenüber der Offenbarung des ersten Erfindungsgegenstands auf Seite 7 der WO-Schrift zu keiner unzulässige Zwischenverallgemeinerung.
2.3 Somit ist Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nicht in der Weise geändert worden, dass sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, Artikel 123(2) EPÜ.
3. Hilfsantrag 1 - Artikel 84 EPÜ
3.1 Zur Frage der Klarheit bzw. erforderlichen Stützung durch die Beschreibung von Anspruch 1 hat die Kammer in Abschnitt 5 ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK wie folgt Stellung genommen:
"Absatz [0020] der Patentschrift entspricht der oben beschriebenen Seite 7 der WO-Schrift. Dort wird nicht "der", sondern "ein" Gegenstand der Erfindung erläutert, der gegenüber dem Anspruchsgegenstand mehr Merkmale bzw. Schritte aufweist.
Die Kammer kann derzeit hierin keine mangelnde Stützung des Anspruchs 1 durch die Beschreibung im Sinne von Artikel 84 EPÜ erkennen.
Hätte der erteilte Anspruch 1 nicht alle wesentlichen Merkmale der Erfindung enthalten, hätte ein solcher Klarheitsmangel im Erteilungsverfahren gerügt und ggf. behoben werden können, z.B. wenn die "Fusionierung" als wesentlich angesehen worden wäre.
Ein derartiger Klarheitseinwand kann jedoch im Einspruchsverfahren nicht mehr erhoben werden, weil die angeblich mangelnde Klarheit offensichtlich nicht durch die Hinzufügung einschränkender Merkmale des Spritzgestänges in Anspruch 1 verursacht wurde, und darüber hinaus keinen Einspruchsgrund darstellt, G3/14.
Die Kammer kann derzeit keinen Klarheitsmangel erkennen, der durch die Änderungen in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag eingeführt worden wäre, Artikel 84 EPÜ."
3.2 Da sich die Beschwerdeführerin-Einsprechende 1 zu dieser vorläufigen Meinung nicht geäußert und in der mündlichen Verhandlung lediglich auf ihr diesbezügliches schriftliches Vorbringen verwiesen hat, sieht die Kammer keinen Grund, von ihr abzuweichen.
Entsprechend ist sie nach wie vor der Ansicht, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ genügt.
4. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1
4.1 D1 hat landwirtschaftliche Maschinen zum Gegenstand, die jeweils ein Fahrzeug und ein an dieses über eine Hubvorrichtung gekoppeltes Anbaugerät umfassen, Absatz [0001]. Im Ausführungsbeispiel der Fig. 5 ist das Fahrzeug als selbstfahrende Feldspritze 312, das Anbaugerät als um zwei Drehachsen (y und x, in Fahrzeug-Quer- und -Längsrichtung) schwenkbares Spritzgestänge 330 ausgebildet, Absätze [0015], [0032].
Wie oben in Punkt 2.1 angedeutet, ist für einen Fachmann bei einer Feldspritze das Vorhandensein der beanspruchten Ausleger des Spritzgestänges, der daran angeordneten Ausbringungsmittel sowie des mit diesen verbundenen Speichers zur Aufnahme flüssiger Wirkstoffe impliziert. Dabei sieht die Kammer den Fachmann als einen Ingenieur mit besonderen Kenntnissen im Bereich der Fahrzeugdynamik landwirtschaftlicher Maschinen und deren Regelung an.
Zur Erfassung einer Beschleunigung des Gestänges um eine Fahrzeuglängsachse in Bezug auf eine Referenzebene ist gemäß D1 eine Sensoranordnung mit drei Beschleunigungssensoren 34 am Spritzgestänge 330, 32 am Parallelogrammgestänge 314 und 35 an der Feldspritze 312 vorgesehen, siehe Fig. 5. Die erfassten Drehbeschleunigungen werden an eine Regelungseinrichtung ("Steuereinheit") 38 übermittelt, die daraus eine "Position" des Gestänges bestimmt bzw. eine "relative Winkelmessung in einer auswählbaren Bezugsebene des Fahrzeugs (x-z oder y-z Ebene)" durchführt, Absatz [0007], Zeilen 78- 40, Absatz [0018], Zeilen 41 - 14, Absatz [0032], Fig. 2, 5. Eine solche Position entspricht der beanspruchten "Drehlage" und kann aus relativen Beschleunigungswerten eigentlich nur durch deren zeitliche Integration gewonnen werden. Zumindest scheint dies der Kammer die offensichtliche Vorgehensweise für den Fachmann zu sein.
Entsprechend den von der Regelungseinrichtung generierten Steuersignalen verschwenken Aktoren, wie die Hydraulikzylinder 24, 28, das Gestänge, Absatz [0022], Zeilen 3 - 9, Absatz [0032], Fig. 5.
4.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich also unstreitig dadurch von der aus D1 bekannten Vorrichtung, dass eine Sensoranordnung zur Erfassung einer Drehlage des Gestänges um die Drehachse in Bezug auf die Referenzebene, mithin eines Neigungswinkels, vorgesehen ist.
4.3 In D1 wird zwar versucht, die Positionserkennung des Spritzgestänges dadurch zu verbessern, dass alle translatorischen und rotatorischen Fehler der Beschleunigungssensoren 32, 34 am Anbaugerät mittels ggf. sogar redundanter Referenzmessungen am Zugfahrzeug durch einen Beschleunigungssensor 35 und ein Gyroskop 36 kompensiert werden, siehe Absatz [0026], Zeilen 46 - 56. Dadurch wird jedoch nicht das Problem der sog. Winkeldrift bei den Beschleunigungssensoren entschärft. Dabei potenzieren sich mögliche Messfehler aufgrund der nötigen zweifachen Integration im daraus erhaltenen Neigungswinkel-Ergebnis (siehe Absätze [0021], [0022] des Patents).
Da ein Sensor, der den Neigungswinkel "direkt" misst, davon nicht betroffen ist, kann er herangezogen werden, um die mit den Beschleunigungssensoren erhaltenen Werte einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen und sie gegebenenfalls zu korrigieren oder auch nur durch entsprechende Drehlagensensor-Werte zu ersetzen.
Auf Grundlage von Absatz [0017] des Patents kann daher die zu lösende Aufgabe darin gesehen werden, die Genauigkeit der in D1 für das Spritzgestänge ermittelten Drehlagenwerte um die Fahrzeuglängsachse zu verbessern, um auch bei unebenen Böden und/oder wankendem Trägerfahrzeug einen vorgegebenen Abstand seiner Ausleger zum Boden möglichst genau einhalten zu können.
4.4 Eine Drehlage um die Fahrzeuglängsachse oder in der "y-z Ebene" wird von allen Ausführungsbeispielen der D1 tatsächlich nur für das Spritzgestänge 330 der Fig. 5 mittelbar über den Sensors 34 erfasst. Es ist deshalb bereits fraglich, ob ein Fachmann die Auspflanzvorrichtung der D30 überhaupt zur Lösung der Aufgabe in Betracht ziehen würde. Allerdings geht es auch in D30 grundsätzlich darum, die Genauigkeit bei einer Wanksteuerung einer landwirtschaftlichen Arbeitsmaschine zu erhöhen, siehe Absätze [0001], [0002], so dass zumindest bezüglich der zu lösenden Aufgabe gewisse Gemeinsamkeiten bestehen.
Bei näherer Betrachtung scheinen die in D30/D30' vorgeschlagenen Lösungen aber nicht ohne weiteres für die Feldspritze aus D1 geeignet bzw. auf diese übertragbar zu sein oder zumindest nicht der beanspruchten Lösung zu entsprechen.
4.5 Ein Schwerpunkt der Lehre der D1 liegt darin, sowohl Abstands-, als auch Neigungs-, als auch Geschwindigkeitssensoren durch geschützt anzubringende Beschleunigungssensoren zu ersetzen, Absätze [0002], Spalte 2, [0005] - [0007].
Laut D30', Absatz [0025], Fig. 1, 5 benötigt die Regelungseinrichtung 28 jedoch Daten eines bodengeführten Abstandssensors SF 26 mit Potentiometer 27, um eine Höhe der Auspflanzvorrichtung 5 über der Feldoberfläche T konstant zu halten. Nun verfügt das Spritzgestänge 330 der D1 nicht nur über keine Planierschwebekörper 26 oder andere bodengeführte Komponenten, die einen solchen Abstandssensor aufnehmen könnten - ein Abstandssensor mit Potentiometer zählt gerade zu den gemäß D1 dezidiert zu vermeidenden Bauteilen, noch dazu, wenn er aufgrund seiner Anordnung am Boden systembedingt Beschädigungen ausgesetzt ist, Absatz [0002], Spalte 2.
Aus diesem Grund wird ein Fachmann deshalb nicht davon ausgehen, dass die Wanksteuerung aus D30 eine für die Feldspritze der D1 relevante und ohne weiteres auf diese übertragbare Lösung darstellt.
4.6 D30 geht von einer Auspflanzvorrichtung aus, die mit einem Winkelsensor 61 ausgestattet ist und die zur Verbesserung dessen Messgenauigkeit zunächst einen Winkelgeschwindigkeitssensor 62 enthält, Absatz [0003]. Der Winkelsensor 61 arbeitet nämlich bei raschen Neigungen der Auspflanzvorrichtung unzuverlässig, weshalb seine Hochfrequenzkomponente herausgefiltert wird (in 63), und durch die eines zusätzlichen Winkelgeschwindigkeitssensors 62 (?2)ersetzt wird, Absatz [0033], Fig. 6. Dies entspricht zwar einer beanspruchten Ermittlung (und sogar Fusionierung) von zuvor separat erfassten Drehwinkel- und Drehratenwerten, kann aber nichts zur Erhöhung der Messgenauigkeit der Beschleunigungssensoren aus D1 beitragen. Für deren Problem der Winkeldrift, die auch bei dem Winkelgeschwindigkeitssensor 62 der D30 auftritt, wird dort eine ganz andere Lösung vorgeschlagen, nämlich eine Korrektur des Nullpunktwerts, Absätze [0004] - [0006].
4.7 Zusammenfassend ist es daher weder naheliegend, ausgehend von der Feldspritze mit Spritzgestänge nach D1 das Dokument D30 zur Lösung der Aufgabe "Verbesserung der Messgenauigkeit" heranzuziehen, noch würde der dort zu diesem Zweck offenbarte, auf Beschleunigungssensoren anwendbare Vorschlag zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen.
4.8 Eine andere notorisch bekannte technische Wirkung eines zusätzlichen Sensors ist die Bereitstellung einer Redundanz im Falle des Ausfalls eines bereits vorhandenen Sensors.
Die daraus ableitbare objektive technische Aufgabe ließe sich ohne Lösungsanteile als "Erhöhung der Zuverlässigkeit der Sensoranordnung aus D1" formulieren.
Die Bereitstellung eines redundanten Sensors erachtet die Kammer zwar als eine triviale Maßnahme zur Lösung dieser Aufgabe. Im Falle der D1 wäre die offensichtliche Wahl für diesen redundanten Sensor aber ein Beschleunigungssensor, der weder die laut Absatz [0002] zu vermeidenden Nachteile aufweist, noch eine Änderung des Regelungsalgorithmus erfordert, sondern "nahtlos" die Funktion eines fehlerhaften identischen Sensors übernehmen kann.
Somit führt ausgehend von D1 auch die Berücksichtigung von Fachwissen nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1.
4.9 D26 betrifft unter anderem auch landwirtschaftliche Geräte, allerdings mit frontalem Arbeitsarm und ausschließlich um zur Fahrzeugquerachse parallelen Drehachsen, Seite 1, Zeilen 13 - 18, Seite 5, Zeilen 13 - 15, Fig. 1, 2. Entsprechend beziehen sich die in D26 ermittelten Drehlagen oder Neigungswinkel ? sämtlich auf Fahrzeugquerachsen (y). Auf eine Ermittlung eines Roll- oder Wankwinkels Phi bezüglich der Längsachse (x) kann explizit verzichtet werden bzw. wird dieser als vernachlässigbar herausgerechnet (Seite 6, letzter Absatz, Seite 8, Zeile 19).
Daher mag die Lehre der D26 durchaus für den in D1, Fig. 1 gezeigten und in den Absätzen [0026], [0027] beschriebenen landwirtschaftlichen Schlepper 12 von Bedeutung sein, dessen Schaufel 30 und Schwinge 22 über ein Parallelgestänge mit Hydraulikzylindern 24, 28 offensichtlich ebenfalls nur in der Lage sind, um Fahrzeugquerachsen zu schwenken, nicht jedoch Wankbewegungen um die Fahrzeuglängsachse auszugleichen (siehe auch Fig. 2). Obwohl die Aussage in Spalte 4, Zeilen 3 - 10 der D1, dass die Schaufel stets horizontal zur Bodenoberfläche geführt wird, dahingehend verstanden werden könnte, findet sich kein Hinweis in D1 darauf, wie eine dazu notwendige, hypothetische Drehung der Schaufel um eine Achse parallel zur Fahrzeuglängsachse für einen Frontlader mit Parallelgestänge mechanisch-kinematisch umzusetzen wäre.
Im Umkehrschluss ist die Lehre der D26 für die Feldspritze aus Fig. 5 der D1 mit ihrer Wankproblematik um die Fahrzeuglängsachse (x) bzw. in der y-z Ebene aus den obigen Gründen gerade nicht von offensichtlicher Bedeutung. Zwar ist in der allgemeinen Beschreibung der Erfindung in Absatz [0007], Zeilen 22 - 27 der D1 von einer relativen "Winkelmessung in einer auswählbaren Bezugsebene des Fahrzeugs (x-z oder y-z Ebene)" die Rede. Den von der Beschwerdeführerin-Einsprechenden 1 aufgezeigten Weg vom einzigen tatsächlich in der y-z Ebene schwenkbaren Beispiel der Feldspritze in Fig. 5 über die vermeintliche Gleichsetzung beider Schwenkebenen in dieser Aussage zu einer Transformation der Eulerwinkel in den Gleichungen der D26 von der x-z Ebene (Fig. 1 und Neigungswinkel ?) in die y-z Ebene (Rollwinkel ?), um die solchermaßen abgewandelte Lehre der D26 schließlich wieder auf die Feldspritze der D1 anwenden zu können, erachtet die Kammer jedoch mehr als rückschauend konstruiert denn als naheliegend.
4.10 Aus den vorstehenden Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 ausgehend von der Feldspritze der D1 im Lichte des angezogenen Standes der Technik auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
Gleiches gilt für das weiter eingeschränkte Verfahren zur Steuerung einer Vorrichtung nach Anspruch 1 gemäß Anspruch 12 des Hilfsantrags 1.
5. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D8
5.1 D8 hat ein an einem Trägerfahrzeug befestigtes Spritzgestänge zum Gegenstand, dessen Ausleger 111, 112 unabhängig voneinander um jeweils eine Drehachse in Längsrichtung (x) verschwenkbar sowie mit einer Vielzahl von Ultraschall-Abstandssensoren versehen sind, siehe Zusammenfassung (abstract), Absätze [0001], [0004], [0044], [0046]. Im Gegensatz zur Feldspritze der D1 weist die Vorrichtung nach D8 also keine der beanspruchten Sensorenanordnungen auf. Wie die Beschwerdeführerin-Einsprechende 1 auf Seite 16, zweiter Absatz ihrer Beschwerdebegründung anführt, sprechen aber trotzdem grundsätzlich die gleichen Gründe wie bei der Feldspritze aus D1 dafür, dass ein Fachmann den Gegenstand des Anspruchs 1 durch eine Kombination mit D30 oder D26 in naheliegender Weise erhalten würde - oder dann eben auch dagegen, wie oben in Punkt 4 dargelegt.
5.2 Hinzu kommt, dass bei der Stabilitätsregelung der D8 augrund der unabhängig voneinander schwenkenden Ausleger eine besondere Schwierigkeit darin besteht, dass eine Neigungsänderung des einen zu einer unerwünschten Ausgleichsbewegung des jeweils anderen führt, die kompensiert werden muss, siehe Absätze [0006], [0049].
In D26 ist der Baggerarm zwar auch mehrteilig, aber in vergleichsweise kurze Segmente unterteilt (Fig. 2), in D30 sind die Ausleger nur gemeinsam verschwenkbar, weshalb keine der dort vorgeschlagenen Sensoranordnungen und Regelungen dazu ausgebildet ist, der besonderen Gestaltung und der damit verbundenen Problematik des Spritzgestänges nach D8 Rechnung zu tragen.
Ein Fachmann würde darum von vorneherein davon absehen, D26 oder D30 heranzuziehen, um jeweils vorgegebene Abstände der beiden Ausleger der D8 zum Boden unabhängig voneinander genauer einhalten zu können.
5.3 Somit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 und das Verfahren nach Anspruch 12 gemäß Hilfsantrag 1 auch ausgehend von D8 auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
6. Ergebnis
Wie von der Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt wurde, genügt das Patent in der Fassung des Hilfsantrags 1 den Erfordernissen der Artikel 123(2), 84 und 56 EPÜ hinsichtlich ursprünglicher Offenbarung, Klarheit, Stützung durch die Beschreibung und erfindersicher Tätigkeit.
Die gegen die entsprechende Entscheidung der Einspruchsabteilung auf Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung des Hilfsantrags 1 gerichteten Beschwerden der Einsprechenden 1 und der Patentinhaberin sind deshalb zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.