T 1267/20 04-05-2023
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MESSVERFAHREN FÜR EINE OBERFLÄCHENVERMESSENDE MESSMASCHINE
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hilfsantrag (nein)
Zurückverweisung - besondere Gründe für Zurückverweisung (ja)
I. Sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende haben gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 2553386 in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, Beschwerde eingelegt.
II. Mit dem Einspruch war das Patent in gesamtem Umfang im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 (1) und 56 EPÜ sowie auf Artikel 100 b) EPÜ angegriffen worden.
III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem ersten Hilfsantrag das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügten.
IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens mit.
V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 4. Mai 2023 statt.
VI. Die Patentinhaberin beantragte als Hauptantrag die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung, d. h. die Zurückweisung des Einspruchs. Als ersten Hilfsantrag beantragte sie die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden, d. h. die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung. Weiter hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage der Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen II bis VIII, eingereicht mit Schreiben vom 3. Dezember 2020. Für den Fall, dass die Kammer das Dokument E14 in das Beschwerdeverfahren zulassen sollte, beantragte die Beschwerdeführerin weiter hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage der Ansprüche gemäß den zusätzlichen Hilfsanträgen 1a bis 8a, eingereicht mit Schreiben vom 29. März 2023.
VII. Die Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Für den Fall, dass die Kammer beabsichtige, Dokument E14 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen, beantragte sie außerdem, zwei im Schreiben vom 10. März 2023 formulierte Fragen (sinngemäß) der Großen Beschwerdekammer zur Entscheidung gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ vorzulegen.
VIII. Die vorliegende Entscheidung nimmt Bezug auf die folgenden, aus dem erstinstanzlichen Verfahren bereits bekannten Dokumente:
E1: US 6,957,496 B2,
E14: EP 2 092 269 B1.
1.1 Die Eingaben der Patentinhaberin werden mit P1 bis P3 bezeichnet:
P1: Beschwerdebegründung, eingereicht mit Schreiben vom 17. Juli 2020,
P2: Beschwerdeerwiderung, eingereicht mit Schreiben vom 3. Dezember 2020,
P3: Schreiben vom 29. März 2023.
Die Eingaben der Einsprechenden werden mit O1 bis O5 bezeichnet:
O1: Beschwerdebegründung, eingereicht mit Schreiben vom 16. Juli 2020,
O2: Beschwerdeerwiderung, eingereicht mit Schreiben vom 5. November 2020,
O3: Schreiben vom 15. April 2021,
O4: Schreiben vom 10. März 2023,
O5: Schreiben vom 5. April 2023.
IX. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet (die aus der angefochtenen Entscheidung bekannte Nummerierung 1.1 bis 1.10 der Merkmale des Anspruchs 1 wird übernommen und dem eigentlichen Wortlaut der jeweiligen Merkmale des Anspruchs 1 vorangestellt):
1.1 "Messverfahren für eine oberflächenvermessende Messmaschine, insbesondere eine Koordinatenmessmaschine (1), mit
1.2 - einer Basis (4),
1.3 - einer Messkomponente (6) zur Herstellung und Aufrechterhaltung einer kontaktierenden oder kontaktlosen, insbesondere optischen Messverbindung zu einer zu vermessenden Oberfläche,
1.3a wobei die Messkomponente (6) mit der Basis (4) durch wenigstens ein Verbindungselement (10) verbunden ist,
1.4 - wenigstens einem Drehgeber (9, 9'), der die Rotation des wenigstens einen Verbindungselements (10) gegenüber einer Aufnahme (11) erfasst und jeweils einen Codeträger (12, 12') und eine Sensoranordnung (13, 13') aufweist, wobei Codeträger und Sensoranordnung um eine definierte Drehachse (DA) als einem ersten Freiheitsgrad gegeneinander rotierbar sind,
und mit einem
1.5 · Erzeugen einer von der dreidimensionalen Lage des Codeträgers (12, 12') relativ zur Sensoranordnung (13, 13') abhängigen Code-Projektion auf der Sensoranordnung (13, 13') und Erfassen mindestens eines Teiles der Code-Projektion,
1.6 · Ermitteln einer auf die definierte Drehachse (DA) bezogenen Drehlage des Codeträgers (12, 12') anhand der Code-Projektion,
1.7 · Bestimmen der aktuellen Messposition der Messkomponente (6) relativ zur Basis (4) unter Verwendung der Drehlage des wenigstens einen Drehgebers (9, 9'),
dadurch gekennzeichnet, dass
1.8 für den wenigstens einen Drehgeber (9, 9') anhand der Code-Projektion ein Lagewert für mindestens einen weiteren Freiheitsgrad des Codeträgers (12, 12') relativ zur Sensoranordnung (13, 13') ermittelt
1.9 und beim Bestimmen der aktuellen Messposition berücksichtigt wird,
1.10 wobei aus dem Lagewert eine dem mindestens einen weiteren Freiheitsgrad des Codeträgers (12, 12') entsprechende relative Lage des Verbindungselementes (10) gegenüber der Aufnahme (11) und/oder die Deformation des Verbindungselementes (10) als Form- und/oder Grössenänderung bestimmt werden".
Hilfsantrag 1
Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das Ersetzen der Merkmale 1.8 und 1.9 durch die folgenden Merkmale 1.8a und 1.9a:
1.8a "für den wenigstens einen Drehgeber (9, 9') anhand der Code-Projektion ein Lagewert für mindestens einen weiteren Freiheitsgrad des Codeträgers (12, 12') relativ zur Sensoranordnung (13, 13') explizit bestimmt wird,
1.9a und als zusätzliche Messstellungs-Messgrösse beim Berechnen der aktuellen Messposition berücksichtigt wird".
1. Hauptantrag - Neuheit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht neu im Hinblick auf das Dokument E1 (Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit dem Artikel 54 (1) EPÜ).
1.1 Im schriftlichen Verfahren wurde von der Patentinhaberin nicht bestritten, dass die Merkmale 1.1 bis 1.4, 1.6, 1.7 und 1.10 in E1 offenbart sind (P1, Seite 6, vorletzter Absatz).
In der mündlichen Verhandlung trug die Patentinhaberin ausschließlich Argumente hinsichtlich der Neuheit der Merkmale 1.8 und 1.9 vor.
1.2 Die Kammer ist der Meinung, dass E1 auch die Merkmale 1.5, 1.8 und 1.9 offenbart:
1.2.1 Merkmal 1.5:
Wie von der Einsprechenden vorgetragen, ist "[e]ine Projektion, die unabhängig von einer räumlichen Lage des Trägers des projizierten Inhalts und ausschließlich abhängig von dessen Drehlage ist, (...) physikalisch unmöglich" (O2, Seite 2, erster Absatz). Der in E1, Spalte 10, Zeilen 47 bis 59, offenbarte Encoder-Lesekopf weist eine optische Scheibe (Codeträger) mit einem Muster (Code) auf, welches auf eine Sensoranordnung projiziert wird (Code-Projektion), wobei das auf der Sensoranordnung projizierte Muster inhärent von der dreidimensionalen Lage der optischen Scheibe abhängt. Beispielsweise bewirkt eine Verkippung oder eine transversale Verschiebung der optischen Scheibe automatisch eine entsprechende Veränderung des projizierten Musters. Da "[e]ine Code-Projektion (...) immer abhängig von der dreidimensionalen Lage eines zur Projektion verwendeten Codeträgers" ist (O2, Seite 2, vierter und fünfter Absatz), ist das Merkmal 1.5 nicht neu gegenüber E1.
1.2.2 Merkmale 1.8 und 1.9
E1 offenbart ein Ausführungsbeispiel mit zwei Leseköpfen oder Drehgebern (Figur 19; Spalte 11, Zeile 65 bis Spalte 12, Zeile 17; Spalte 15, Zeilen 22 bis 26). Jeder einzelne Lesekopf erzeugt einen Winkelmesswert. Die eigentliche Messposition ergibt sich aus dem Mittelwert der beiden einzelnen Winkelmesswerte (Spalte 15, Zeilen 22 bis 24). Die Verwendung von zwei Leseköpfen, die Mittelung deren Messwerte und die daraus resultierende Fehlerbeseitigung führen zu einer weniger fehleranfälligen und genaueren Messung der Messposition (Spalte 12, Zeilen 5 bis 7).
Darüber hinaus werden die beiden Leseköpfe benutzt, um äußere, überbelastende Kräfte auf ein bestimmtes Gelenk zu messen (Spalte 15, Zeilen 17 bis 22). Diese Kraft der Verformung wird durch Messung der Differenz zwischen den Messwerten der beiden Leseköpfe ermittelt (Spalte 15, Zeilen 24 bis 26).
Wie von der Einsprechenden während der mündlichen Verhandlung vorgetragen, bedeuten ungleiche Messwerte der jeweiligen Leseköpfe, dass der Codeträger und die Sensoranordnung eines Lesekopfs nicht rein um die definierte Drehachse als einem ersten Freiheitsgrad rotieren, sondern dass die Position des Codeträgers sich relativ zur Sensoranordnung in einem weiteren Freiheitsgrad des Codeträgers verschoben hat, beispielsweise durch einen lateralen Versatz oder eine Verkippung. Anders ausgedrückt entspricht die Ermittlung einer Differenz zwischen den Messwerten der beiden Leseköpfe der Ermittlung eines Lagewerts des Codeträgers relativ zur Sensoranordnung "für mindestens einen weiteren Freiheitsgrad", wie im Merkmal 1.8 definiert.
Wie die Einsprechende in der mündlichen Verhandlung weiter ausgeführt hat, bezieht sich der Absatz in Spalte 15, Zeilen 33 bis 47 auch auf das Ausführungsbeispiel der Messvorrichtung mit nur zwei Leseköpfen oder Drehgebern, siehe die Passage "either the use of two read heads or ..." in Spalte 15, Zeile 34. In diesem Ausführungsbeispiel wird die Information hinsichtlich der Kraft der Verformung, ermittelt durch Messung der Differenz zwischen den Messwerten der beiden Leseköpfe, verwendet, um die Abmessung des Arms in Echtzeit zu verändern und dadurch die Messgenauigkeit zu verbessern (Spalte 15, Zeilen 36 bis 40). Beispielsweise kann eine Verformung der Kugellager eine Längenänderung des Gelenkarms bewirken. Durch Messung dieser Verformung durch die beiden Leseköpfe wird die Längenänderung des Arms in der Messsoftware des Koordinatenmessgeräts berücksichtigt und dann als Korrektur zur Verbesserung der endgültigen Messgenauigkeit des Arms verwendet. Dies entspricht dem Merkmal 1.9.
1.3 Argumente der Patentinhaberin für die Neuheit
1.3.1 Die Patentinhaberin bestreitet, dass E1 die Ermittlung eines Lagewerts des Codeträgers für einen weiteren Freiheitsgrad offenbare (Merkmal 1.8). Gemäß der Patentinhaberin offenbare E1, Spalte 15, Zeilen 24 bis 26, lediglich Messungen von Deformationskräften, welche "beispielsweise mittels einer Vorab-Kalibrierung der Encoder bereitgestellt werden" (P1, Seite 8, vorletzter Absatz). Dies zeige, dass "ein Lagewert, d.h. ein Wert, der die räumliche Lage des Codeträgers angibt, für eine derartige Kraftbestimmung wie in E1 beschrieben überhaupt nicht erforderlich ist". Die in E1 erwähnten Messungen von Deformationskräften seien daher keine Messungen von Positionen oder Lagewerten.
Die Kammer ist nicht überzeugt von diesen Argumenten. Ein Codeträger eines Lesekopfs oder Encoders ist um eine definierte Drehachse rotierbar. In Abwesenheit jeglicher Deformationen in den Gelenkarmen und Kugellagern rotiert der Codeträger ausschließlich um diese Drehachse, wobei die beiden Leseköpfe in E1 den gleichen Winkel messen und die in E1, Spalte 15, Zeilen 24 bis 26, beschriebene Messung der Differenz der Winkelmesswerte gleich null ist. Der gemessene Rotationswinkel um diese Drehachse entspricht einem Lagewert in einem ersten Freiheitsgrad. Wie von der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung vorgetragen (siehe auch z. B. O2, Seite 7, zweiter und dritter Absatz), wird im Falle einer Deformation, beispielsweise einer Exzentrizität, eine "Differenz der Encodermesswerte gemessen". Diese Differenz entspricht einem Exzentrizitätswert des Codeträgers und somit einem Lagewert des Codeträgers für einen weiteren Freiheitsgrad (Merkmal 1.8).
1.3.2 Hinsichtlich des relevanten Ausführungsbeispiels von E1, in dem die Deformationskraft durch die zwei Leseköpfe gemessen wird, argumentiert die Patentinhaberin, dass "die angebliche Belegstelle sich auf die Ausführungsform mit zusätzlichen Sensoren bezieht ('sensors and read heads', Sp. 15,m Z.43)" (P2, Seite 8, vierter Absatz).
Die Kammer kann dieses Argument der Patentinhaberin nicht nachvollziehen. Wie in E1, Spalte 15, Zeilen 33 bis 36, beschrieben, offenbart E1 zwei getrennte Ausführungsbeispiele, nämlich ein erstes Ausführungsbeispiel mit zwei Leseköpfen und ein zweites Ausführungsbeispiel mit einem Lesekopf und einem oder mehreren weiteren Sensoren (S1 bis S5). Da E1 an mehreren Stellen offenbart, dass die Deformationskraft anhand von zwei Leseköpfen gemessen wird (siehe Spalte 15, Zeilen 24 bis 26; Anspruch 5), ist der Ausdruck "using the sensors and read heads" (in Spalte 15, Zeilen 42 bis 47) so auszulegen, dass damit nicht nur ein Ausführungsbeispiel mit Leseköpfen und weiteren Sensoren, sondern auch das Ausführungsbeispiel mit nur zwei Leseköpfen ohne weitere Sensoren gemeint ist.
1.3.3 Gemäß Patentinhaberin fordert das Merkmal 1.9, "dass die aktuelle Messposition anhand der Drehlage bestimmt wird und dabei der Lagewert berücksichtigt wird" (P1, Seite 9, vierter Absatz). Während der mündlichen Verhandlung trug die Patentinhaberin vor, dass die Information über die Deformationskraft in E1 nicht zur Bestimmung der aktuellen Messposition berücksichtigt, sondern anders benutzt wird, nämlich zur manuellen Veränderung der Länge des Gelenkarms. Aufgrund der neuen Länge des Gelenkarms würde eine bessere Präzision erreicht werden. In der Beschwerdebegründung (P1, Punkt IV.3, Seiten 9 und 10) sowie in der Beschwerdeerwiderung (P2, Seite 4, letzter Absatz, bis Seite 8, vierter Absatz) erklärt die Patentinhaberin, dass die Messung der Deformationskraft in E1 "als Aufforderung zur Veränderung der Messstellung erzeugt [wird], mit dem Zweck die Messung in einer neuen, unterschiedlichen Messstellung durchzuführen, für welche eine neue, andere oder keine Information über die Deformation vorliegt" (P1, Seite 10, dritter Absatz). Dadurch würde eine Information über die Deformation in E1 "nie für die aktuelle Messstellung verwendet" (P1, Seite 10, dritter Absatz; P2, Seite 5, erster Absatz).
Die Kammer erkennt keine Offenbarungsstelle in E1, wonach eine konkrete, physikalische "Veränderung der Messstellung" in dem Messverfahren von E1 erfolgen soll. Die Kammer folgt den Erklärungen der Einsprechenden, wonach der Absatz in E1, Spalte 15, Zeilen 33 bis 47, so zu verstehen sei, "dass eine deformationsbedingte Kinematikkorrektur durch Berücksichtigen gemessener Längenänderungen in der Messsoftware stattfindet" (O1, Seite 7, fünfter Absatz; Hervorhebung im Original). Darauffolgend wird die eigentliche Messwertbestimmung aufgrund der Kinematikkorrektur mit einer verbesserten Genauigkeit durchgeführt. Des Weiteren kann die Auslegung der Patentinhaberin, wonach auch eine (manuelle) physikalische Längenänderung des Gelenkarms "in Echtzeit" im Sinne von E1, Spalte 15, Zeile 39, stattfände, nicht nachvollzogen werden. Denn der Begriff "Echtzeit" ist so auszulegen, dass damit Längenänderungen, wie in Spalte 15, Zeile 45 gelehrt, "nur auf computergestützter Ebene möglich" sind (O1, Seite 8, fünfter Absatz). Wie weiter von der Einsprechenden vorgetragen, wird "[d]urch diese Berücksichtigung der Deformation bzw. des Zusatzlagewerts in der Messsoftware [...] die Messposition präzise bestimmt" (O1, Seite 7, vierter Absatz). Dies entspricht dem Merkmal 1.9.
1.3.4 Hieraus folgt, dass die Gegenargumente der Patentinhaberin für die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 die Kammer nicht überzeugen.
2. Erster Hilfsantrag - Klarheit
Anspruch 1 ist aufgrund der geänderten Merkmale 1.8a und 1.9a nicht klar (Artikel 84 EPÜ).
2.1 Zulassung der Klarheitseinwände in das Verfahren
2.1.1 Mit Schreiben vom 15. April 2021 erhob die Einsprechende erstmals im Beschwerdeverfahren Klarheitseinwände gegen die Formulierungen "explizite Wertbestimmung" und "zusätzliche" Messstellungs-Messgrösse" in den Merkmalen 1.8a und 1.9a (O3, Seite 10). Dabei verwies sie auf ihren Schriftsatz vom 1. November 2019 aus dem erstinstanzlichen Verfahren.
2.1.2 Die Patentinhaberin beantragte während der mündlichen Verhandlung, diese Klarheitseinwände wegen Verspätung nicht in das Verfahren zuzulassen. Insbesondere heiße es in der angefochtenen Entscheidung, Punkt 19.2, dass die Einsprechende keine Einwände gemäß Artikel 84 EPÜ gehabt habe.
2.1.3 Nachdem der Gegenstand des Anspruchs 1 des damaligen Hauptantrags von der Einspruchsabteilung als von E1 vorweggenommen angesehen wurde, entschied die Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des damaligen ersten Hilfsantrags allein aufgrund der beiden hinzugefügten Begriffe "explizit bestimmt" und "zusätzliche Messstellungs-Messgrösse" neu und erfinderisch gegenüber dem Stand der Technik sei. Dies bedeutet, dass diese hinzugefügten Begriffe ausschlaggebend waren für die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, ein Patent auf Grundlage des vorliegenden ersten Hilfsantrags aufrecht zu erhalten, und dass daher diese beiden Begriffe aus Sicht der Einspruchsabteilung zumindest eine klare und einschränkende Wirkung entfalten mussten. Die Kammer hatte jedoch Zweifel an der Klarheit der beiden Begriffe. Des Weiteren ist zu bemerken, dass diesbezügliche Klarheitseinwände (teilweise im Rahmen der Neuheitsdiskussion) während des erstinstanzlichen Verfahrens zwischen den Parteien und der Einspruchsabteilung im Zusammenhang mit dem ursprünglichen ersten Hilfsantrag als auch dem neuen ersten Hilfsantrag der Patentinhaberin bereits diskutiert wurden (siehe Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Punkte 18 und 21). Die Kammer übt daher ihr Ermessen gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2020 dahingehend aus, die Einwände gegen die Klarheit der beiden hinzugefügten Formulierungen in den Merkmalen 1.8a und 1.9a in das Verfahren zuzulassen.
2.2 Merkmal 1.8a
Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, ist der in Merkmal 1.8a verwendete Begriff "explizit bestimmt" unklar, da er keine klare einschränkende Wirkung auf den beanspruchten Gegenstand hat.
Das Argument der Patentinhaberin, dass eine explizite Bestimmung eine Abgrenzung zu einer impliziten Bestimmung definiere, kann die Kammer insbesondere in dem konkreten Zusammenhang des vorliegenden Anspruchs 1 nicht nachvollziehen. Die Patentinhaberin argumentierte weiterhin, dass gemäß Merkmal 1.8a der Lagewert des Codeträgers explizit als solches vorhanden sein muss und es nicht ausreiche, dass der Lagewert implizit in einer Berechnung verwendet wird. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass die implizite Verwendung des Lagewerts in einer Berechnung ohnehin nicht als Bestimmung des Lagewerts angesehen werden kann. Sie schließt sich daher der Meinung der Einsprechenden an, dass der nach dem Messverfahren des Anspruchs 1 bestimmte Lagewert des Codeträgers grundsätzlich explizit bestimmt wird. Die Kammer kann keinen Unterschied zwischen einer expliziten und impliziten Bestimmung des Lagewerts des Codeträgers erkennen.
2.3 Merkmal 1.9a
Die Bedeutung des Worts "Messstellung" in dem Begriff "Messstellungs-Messgrösse" des Merkmals 1.9a ist unklar. Da das Wort "Messstellung" kein üblicher Begriff auf dem Fachgebiet der Messverfahren für eine oberflächenvermessende Messmaschine ist, ist dessen technische Bedeutung dem Fachmann nicht geläufig. Daher ist unklar, welche Einschränkung anhand der Änderung im Merkmal 1.9a definiert werden soll.
Die Patentinhaberin erklärte während der mündlichen Verhandlung, dass das Wort "Messstellung" lediglich namensgebend für die zusätzliche Messgröße des Lagewerts des Codeträgers sei. Des Weiteren verwies die Patentinhaberin auf die Beschreibung des Patents, um den Sinn des Worts zu verdeutlichen.
Die Kammer ist von den Argumenten der Patentinhaberin nicht überzeugt. Wenn das Wort "Messstellung" nur namensgebend ist, ist unklar, welche Einschränkung der in Merkmal 1.9a hinzugefügte Begriff "als zusätzliche Messstellungs-Messgrösse" hat. Ob die Beschreibung des Patents den Begriff "als zusätzliche Messstellungs-Messgrösse" tatsächlich klarstellt, kann dahingestellt bleiben, denn der Anspruch muss aus sich heraus klar sein.
3. Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
3.1 Da Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags unklar ist, muss die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden.
3.2 Wie von der Einsprechenden angemerkt, erscheint Anspruch 1 mehrerer der vorliegenden Hilfsanträge aus denselben Gründen unklar wie Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags.
Die Patentinhaberin hat am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer ihre Absicht angedeutet, die Klarheitseinwände durch Änderungen des Anspruchs 1 zu beheben. Da die Klarheitseinwände der Einsprechenden verspätet in das Beschwerdeverfahren eingereicht und erst in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer in das Verfahren zugelassen wurden, soll der Patentinhaberin die Möglichkeit gegeben werden, geänderte Ansprüche einzureichen, um diese Klarheitseinwände zu beheben.
3.3 Die erstmalige Beurteilung der Klarheit und Patentfähigkeit des beanspruchten Gegenstands durch die Kammer von eventuell neu einzureichenden geänderten Ansprüchen ist nicht vereinbar mit dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens der gerichtlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung. Die Kammer beschließt daher, von ihrem Ermessen nach Artikel 111 (1) Satz 2 Alt. 2 EPÜ und Artikel 11 VOBK 2020 Gebrauch zu machen und die Sache zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.