T 1764/20 05-05-2023
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KLAPPENANTRIEBSSYSTEM
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät eingereichte Tatsachen - im erstinstanzlichen Verfahren zugelassen (nein)
I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.
Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung, neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und somit die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung, oder hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage einer der Hilfsanträge 1 bis 10, im Beschwerdeverfahren erneut eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 1. April 2021.
III. Anspruch 1 des Hauptantrags, mit Merkmalsbezeichnungen der angefochtenen Entscheidung, lautet:
1 |"Klappenantriebssystem (1) für eine an einem Möbelkorpus (5) bewegbar gelagerte Klappe (4), mit: |
2 |- einer mechanischen Stelleinheit (2), welche einen mit der Klappe (4) verbindbaren Stellarm (21) und einen den Stellarm (21) beaufschlagenden Kraftspeicher (22) aufweist, |
3 |- einem an der Stelleinheit (2) befestigten Elektroantrieb (3) zum Antreiben der Klappe (4), wobei |
4 |der Elektroantrieb (3) wenigstens einen Elektromotor (31) aufweist, wobei |
5 |der Elektroantrieb (3) als ein abgeschlossener Bauteil ausgebildet ist, |
6 |sodass der Elektroantrieb (3) auch dann an der Stelleinheit (2) befestigbar ist, wenn die Stelleinheit (2) bereits am Möbelkorpus (5) montiert ist, |
7 |- einer Schnittstelle (6) zur Übertragung der Antriebskraft vom Elektroantrieb (3) auf die mechanische Stelleinheit (2), |
|dadurch gekennzeichnet, dass |
8 |die Schnittstelle (6) in Form eines durch den Elektromotor (31) antreibbaren Armes (61) gebildet ist, wobei |
9 |am Arm (61) ein Bolzen (62) befestigt ist, |
10|welcher bei der Montage des Elektroantriebes (3) an der mechanischen Stelleinheit (2) in eine Ausnehmung (63) an der mechanischen Stelleinheit (2) eingreift, sodass eine kraftübertragende Verbindung zwischen dem Elektroantrieb (3) und der mechanischen Stelleinheit (2) geschaffen wird."|
IV. Für die Entscheidungen sind die folgenden Dokumente relevant:
E1|WO 2006/099645 A1|
E2|WO 2004/100718 A1|
E3|DE 1 128 325 |
V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin kann wie folgt zusammengefasst werden.
Neuheit gegenüber E1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu, da E1 sämtliche Merkmale offenbare.
Das in den Figuren 1 bis 3 der E1 gezeigte Klappenantriebssystem weise die Merkmale 1 bis 7 auf. Die Merkmale 8 bis 10 könnten und sollten nicht als gegenständliche, sondern als funktionelle Merkmale verstanden werden. Die in den Figuren 9a bis 9e gezeigte Kupplung weise diese funktionellen Merkmale auf und werde im Klappenantriebssystem der Figuren 1 bis 3 verwendet.
Erfinderische Tätigkeit ausgehend von E1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe ausgehend vom Klappenantriebssystem der E1 in Kombination mit Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Unterscheidungsmerkmale 8 bis 10 lösten die Aufgabe, ein Klappenantriebssystem mit kostengünstigem Aufbau und geringer Verletzungsgefahr bereitzustellen. Die anspruchsgemäße Lösung sei für den Fachmann aufgrund seines Fachwissens naheliegend.
Ferner sei der Gegenstand des Anspruchs 1 auch im Hinblick auf E2 naheliegend. E2 zeigte einen Arm mit einem Bolzen, welcher eine Schnittstelle zur Übertragung der Antriebskraft eines Elektromotors auf eine mechanische Stelleinheit darstelle. Die Übertragung dieser Lehre auf das Klappenantriebssystem der E1 sei naheliegend, da das in der E2 bewegte Möbelteil nicht nur eine Schublade, sondern auch eine Tür sein könnte. Auch bei Berücksichtigung der E2 würde der Fachmann also auch in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.
VI. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden.
Neuheit gegenüber E1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu, da die Merkmale 6 und 8 bis 10 nicht in E1 offenbart seien. Die Merkmale 8 bis 10 definierten Gegenstände - und nicht bloß Funktionen - welche nicht in E1 offenbart seien. Ferner sei nicht offenbart, dass die Kupplung 40 zwischen den Kupplungselementen 41 und 42 eine trennbare Schnittstelle darstelle. Für den Fachmann sei klar, dass diese Kupplung untrennbar und gekapselt ausgebildet sei, damit sie gegen Schmutz geschützt und eine Schmierung möglich sei.
Erfinderische Tätigkeit ausgehend von E1
Ausgehend vom Klappenantriebssystem der E1 beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Fachmann werde durch sein Fachwissen nicht dazu veranlassen, das scheibenförmige Kupplungselement 41 in einem Arm umzugestalten. Dies sei eine ex-post facto Analyse. Ferner würde der Fachmann die Kupplung 40 nicht als Schnittstelle gestalten, die einen Kraftübertragung bei der Montage ermöglicht. Zweck dieser Kupplung sei es, einen Freilauf des Stellarmes relativ zum Elektromotor zu ermöglichen. Für die Montage des Elektromotors sei sie ohne Belang.
E2 offenbarte einen Antrieb, welcher eine Schublade wegstoßen und dabei vom Motor entkoppeln könne. Dies sei ein grundverschiedenes Antriebskonzept, welches der Fachmann nicht auf das Klappenantriebssystem der E1 übertragen würde.
E3 wurde im Einspruchsverfahren nicht zugelassen und sollte auch im Beschwerdeverfahren nicht zugelassen werden.
1. Neuheit gegenüber E1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ), da das Dokument E1 zumindest die Merkmale 8 bis 10 nicht offenbart.
1.1 Es ist unstreitig, dass das in den Figuren 1 bis 3 gezeigte Klappenantriebssystem die Merkmale 1 bis 5 und 7 des Anspruchs 1 aufweist.
1.2 Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, dass der Fachmann die Merkmale 8 bis 10 nicht als gegenständliche, sondern als funktionelle Merkmale verstehen würde.
Merkmal 8 definierte somit nicht einen physischen Arm, sondern einen Gegenstand, der die Funktion eines Hebelarms habe. Ein solcher funktioneller Hebelarm sei in Figur 9a am Kupplungselement 41 vorhanden (siehe nachfolgende Figur).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Dabei könne, da der Anspruch eine bestimmte Geometrie des Bolzens nicht definiere, der erhabene und in grau gekennzeichnete Kreissektor zwischen den Anschlagflächen 45 und 46, der sich über fast drei Viertel des Kreises erstreckte, als Hebelarm mit einem Bolzen angesehen werden.
Die in Merkmal 10 angesprochene Ausnehmung befinde sich am Kupplungselement 42 und erstrecke sich rechts und links vom Zapfen 44 (siehe Figur, graue Kennzeichnung).
Alternativ könnten der Zapfen 44 auf dem Kupplungselement 42 als Bolzen auf einem Hebelarm und der Bereich zwischen den Anschlagsflächen 45 und 46 auf dem Kupplungselement 42 - das heißt die am Kupplungselement 41 in der Figur nicht in grau gekennzeichneten Fläche - als Ausnehmung angesehen werden.
Ferner bildeten die Kupplungselemente 41 und 42 eine Kupplung 40, die als trennbare Schnittstelle diene und bei der Montage zusammengebaut werde. Somit seien auch die Merkmale 8 bis 10 in E1 offenbart.
1.3 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin definieren die Merkmale 8 bis 10 Gegenstände und nicht bloß Funktionen. In Merkmal 8 wird sogar explizit festgelegt, dass "die Schnittstelle in Form eines ... Armes gebildet ist".
Keines der kreisförmigen Kupplungselemente 41 und 42 weist einen gegenständlichen Arm auf, also ein längliches Objekt, das zumindest an einem Ende angelenkt ist, gemäß Merkmal 8. Ferner würde der Fachmann keines der als Kreissektoren ausgebildeten dickeren Teile der Kupplungselemente 41 oder 42 als einen Bolzen gemäß Merkmal 9 ansehen, weil im normalen technischen Sprachgebrauch unter Bolzen ein zylinderförmiges Verbindungselement verstanden wird. Zuletzt offenbart E1 weder wo die Kupplung 40 angeordnet ist, noch dass sie eine Schnittstelle zwischen Elektroantrieb und mechanischer Stelleinheit bildet, welche bei der Montage des Elektroantriebs an der mechanischen Stelleinheit eine kraftübertragende Verbindung zwischen dem Elektroantrieb und der mechanischen Stelleinheit schafft.
E1 offenbart somit die Merkmale 8 bis 10 nicht.
2. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von E1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich wie oben ausgeführt zumindest durch den Merkmalen 8 bis 10 vom Klappenantriebssystem der E1.
Die dadurch gelöste Aufgabe hat die Beschwerdeführerin darin gesehen, ein Klappenantriebssystem mit kostengünstigem Aufbau und geringer Verletzungsgefahr bereitzustellen.
2.2 E1 unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens
2.2.1 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin lege das Fachwissen dem Fachmann die anspruchsgemäße Lösung der Aufgabe nahe. Der Verzicht auf Material, um das scheibenförmige Kupplungselement 42 in einem Arm umzuwandeln sei für den Fachmann naheliegend, um Kosten zu sparen. Der Zapfen 44 stelle dann den Bolzen gemäß Merkmal 9 dar. Die kinematische Umkehr der Kupplungselemente 41 und 42 sei zur Erhöhung der Sicherheit ebenso naheliegend.
Da eine Kupplung als Trennung diene, sei es naheliegend sie als eine Schnittstelle auszubilden, die bei der Montage des Elektroantriebs an der mechanischen Stelleinheit eine kraftübertragende Verbindung zwischen Elektroantrieb und Stelleinheit schafft.
2.2.2 Es stimmt, dass der Fachmann ständig bestrebt ist, Kosten einzusparen. Jedoch hat er keinen Anlass, auf Material des scheibenförmigen Kupplungselement 42 zu verzichten, so dass aus der Scheibe ein "Arm" resultiert. Dies ist insbesondere der Fall, weil die in der E1 gezeigten Kupplung so konzipiert ist, dass die Flächen der zwei Kreisscheiben beim Drehen aneinander reiben und somit die relative Lage der beiden Wellen sicherstellen. Wenn die Kreisscheibe des Kupplungselement nicht mehr vorhanden wäre, entstünden Biegemomente, die das Risiko einer Verkantung mit sich bringen würden. Somit hätte der Fachmann - selbst unter der nicht nachgewiesenen Annahme, dass das resultierende Teil kostengünstiger sei - keinen Anlass, das Kupplungselement wie von der Beschwerdeführerin vorgeschlagen umzugestalten.
Es wäre folglich für den Fachmann nicht naheliegend, die Kupplung 40 des Klappenantriebs der E1 derart zu umzugestalten, dass sie einen Arm gemäß Merkmal 8 aufweist.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht somit schon deswegen ausgehend vom Klappenantriebssystem der E1 unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2.3 E1 unter Berücksichtigung der E2
2.3.1 Die Beschwerdeführerin trug auch vor, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei auch unter Berücksichtigung der E2 naheliegend. Dieses Dokument zeige in den Figuren 1 bis 6b ein Möbel mit einem bewegbaren Möbelteil, bei dem einen Arm 6 mit Bolzen 7 in eine Kulisse 10 eingreife. Diese Schnittstelle schaffe bei der Montage eine kraftübertragende Verbindung zwischen Elektroantrieb 3 und der mechanischen Stelleinheit. Das Möbelteil könnte nicht nur, wie im Ausführungsbeispiel, eine Schublade sein, sondern auch einer Tür. Diese sei einer Klappe ähnlich. Es sei für den Fachmann aufgrund dieser Lehre naheliegend, eine Schnittstelle gemäß den Merkmalen 8 bis 10 am Klappenantriebssystem der E1 vorzusehen.
2.3.2 E2, Figuren 1 bis 6b, offenbart eine Vorrichtung zum Öffnen einer Schublade mit einem Arm 6 und einem Bolzen 7, welcher in einer Führungsbahn 8 einer Kulisse 10 läuft. Diese "Schnittstelle" zwischen Motorantrieb 3 und der Schublade 2 wandelt die Drehbewegung des Motors in eine Linearbewegung der Schublade. Dabei wird die Schublade nach anfänglicher Beschleunigung weggestoßen und entkoppelt. Selbst wenn E2 erwähnt, dass das bewegliche Möbelteil eine Tür sein könnte (Seite 1, Absatz 1), so hat die Funktionalität dieses Mechanismus im Klappenantriebssystem der E1 keinen Nutzen. Der Fachmann hat daher keinen Anlass, die Kupplung der E2 auf das Klappenantriebssystem der E1 zu übertragen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit ausgehend vom Klappenantriebssystem der E1 auch unter Berücksichtigung der E2 nicht naheliegend.
3. Das Dokument E3 wurde von der Einspruchsabteilung nicht in das Einspruchsverfahren zugelassen.
Die Beschwerdeführerin hat nicht begründet, warum dieses Dokument im Beschwerdeverfahren zugelassen werden sollte. Die Kammer sieht dazu ebenfalls keine Veranlassung und entschied daher, Dokument E3 nicht ins Verfahren zuzulassen, Artikel 12(6) VOBK 2020.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.