T 0011/82 (Steuerschaltung) 15-04-1983
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1. Eine europäische Patentanmeldung muß den Erfordernissen der Ausführungsordnung genügen. Ist dies nach Ansicht der Prüfungsabteilung nicht der Fall, so hat diese die Anmeldung zurückzuweisen.
2. Der in der englischen Fassung der Regel 27(1)(c) und d) EPÜ verwendete Ausdruck "background art" hat dieselbe Bedeutung wie der gebräuchlichere Ausdruck "prior art".
3. Werden nach der Erstellung des europäischen Recherchenberichts oder auf einen Bescheid der Prüfungsabteilung hin geänderte Ansprüche eingereicht, müssen auch in der Beschreibung entsprechende Änderungen vorgenommen werden, um sicherzustellen, daß die geänderten Ansprüche von der Beschreibung gestützt werden. Die geänderte Beschreibung ist ein Schriftstück, das eine Unterlage der europäischen Patentanmeldung ersetzt; daher findet Regel 27 EPÜ auch auf sie uneingeschränkt Anwendung.
4. Regel 27 EPÜ erkennt an, daß die Öffentlichkeit in der Lage sein muß, die Erfindung und deren etwaige vorteilhafte Wirkungen ohne weiteres aus der Beschreibung zu verstehen.
5. Die bloße Aufnahme eines Hinweises auf den Stand der Technik in die Beschreibung kann billigerweise nicht als unzulässige Erweiterung des Gegenstands im Sinne des Artikels 123(2) EPÜ ausgelegt werden. Auch verstößt die Aufnahme von Angaben über die Vorteile der Erfindung gegenüber dem Stand der Technik nicht zwangsläufig gegen den genannten Artikel. Ob ein Verstoß vorliegt, hängt von der verwendeten Formulierung und den Umständen des Einzelfalls ab.
6. Geht die Beschwerdekammer in ihren Bescheiden auf Sachverhalte, die der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung zur Sprache gebracht hat, nicht ein, so bedeutet dies nicht, daß sie das Vorbringen des Beschwerdeführers zu diesen Sachverhalten für richtig hält.
Amtsübung der Beschwerdekammern
Bescheide
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 78 300 585.3 wurde am 2. November 1978 im Namen der Beschwerdeführerin eingereicht. Die Anmeldung wurde am 30. Mai 1979 unter der Nummer 0 002 116 veröffentlicht und hat eine "Steuerschaltung für Gleichstrommotoren z. B. von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen" zum Gegenstand.
II. Nach Erhalt des europäischen Recherchenberichts änderten die Vertreter der Beschwerdeführerin die Ansprüche der Anmeldung und reichten neue Anspruchsseiten 1 und 3 ein. Weitere geänderte Ansprüche wurden später auf einen Bescheid der Prüfungsabteilung hin eingereicht.
III. In ihrem Bescheid vom 7. Mai 1980 führte die Prüfungsabteilung aus, daß die Erfindung zwar als nach Artikel 52 EPÜ patentfähig erscheine, die Beschwerdeführerin aber unter anderem den relevanten Stand der Technik, der in einer im europäischen Recherchenbericht genannten veröffentlichten französischen Patentanmeldung offenbart worden ist, und die vorteilhaften Wirkungen der Erfindung gegenüber dem sich aus der französischen Patentanmeldung ergebenden Stand der Technik gemäß Regel 27(1) EPÜ in der Beschreibung angeben müsse.
IV. In ihrer schriftlichen Erwiderung auf diesen Bescheid vom 2. Oktober 1980 lehnten es die Vertreter der Beschwerdeführerin ab, der Aufforderung der Prüfungsabteilung nachzukommen. Sie wiesen darauf hin, daß die Beschreibung bereits einen Hinweis auf den Stand der Technik, soweit er nach dem Wissen der Anmelderin zum Verständnis der Erfindung erforderlich sei, und die vorteilhaften Wirkungen der Erfindung gegenüber dem Stand der Technik enthalte. Sie machten ferner geltend, daß eine Änderung der Beschreibung durch Aufnahme einer Bezugnahme auf die französische Patentanmeldung, die in der Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht enthalten sei, eine Erweiterung darstelle, die nach Artikel 123(2) EPÜ verboten sei. Es sei keineswegs sicher, daß Artikel 123(2) EPÜ von einem nationalen Gericht nicht dahingehend ausgelegt werde, daß diese Änderung unzulässig sei; daher lehne es die Beschwerdeführerin ab, die Rechtsgültigkeit ihres europäischen Patents aufs Spiel zu setzen.
V. In einem weiteren Bescheid vom 5. Dezember 1980 äußerte die Prüfungsabteilung die Ansicht, die Beschwerdeführerin gehe fehl in der Annahme, daß die Hinzufügung von Bezugnahmen auf den (nächstliegenden) Stand der Technik eine unzulässige Änderung im Sinne des Artikels 123(2) EPÜ darstelle. Sie verwies dabei auf die Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, C-VI, 5.3. Die Prüfungsabteilung fügte hinzu, die Angabe des Stands der Technik sei unzulänglich; so sei unter anderem die französische Patentanmeldung ausgesprochen relevant und müsse "angegeben" werden; die in der Beschreibung der Beschwerdeführerin genannten vorteilhaften Wirkungen könnten sich genau auf die Schaltungsanordnung in Abbildung 1 der französischen Druckschrift beziehen. Wenn diese Einwände nicht ausgeräumt würden, läge ein hinreichender Grund für die Zurückweisung der Anmeldung vor.
VI. Die Vertreter der Beschwerdeführerin erwiderten mit Schreiben vom 30. Januar 1981, daß es sich bei der Angabe von Fundstellen, aus denen sich der Stand der Technik ergebe, um eine Kann- und nicht eine Mußbestimmung handle (vgl. R. 27(1)c) EPÜ). Dieser Absatz der Regel verpflichte nicht dazu, die Beschreibung jedes Mal umzuschreiben, wenn noch ein Schriftstück aus dem Stand der Technik ermittelt werde. Auch sei es nicht sinnvoll, auf Schriftstücke, die bereits im Recherchenbericht erwähnt seien, noch einmal einzugehen. Ferner sei es unnötig, die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik abzugrenzen, weil die Prüfungsabteilung bereits festgestellt habe, daß die beanspruchte Erfindung gegenüber dem Stand der Technik patentwürdig sei. Aus dem Sachverhalt ergebe sich eindeutig, daß sich die Erfindung technisch von dem unterscheide, was im Stand der Technik beschrieben sei, und daß alle weiteren Ausführungen über die vorteilhaften Wirkungen der Erfindung gegenüber dem Stand der Technik eindeutig "neue Sachverhalte" darstellen würden, die in den Unterlagen in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht enthalten seien. Die Erfordernisse der Regel 27(1)d) EPÜ seien durch die vorliegende Beschreibung hinreichend erfüllt.
VII. Am 20. Mai 1981 traf die Prüfungsabteilung die angefochtene Entscheidung mit der Begründung, daß die europäische Patentanmeldung Regel 27 EPÜ in zweifacher Hinsicht nicht entspreche: Erstens sei in der Beschreibung entgegen Regel 27(1)c) EPÜ der bisherige Stand der Technik nicht angegeben. Die Behauptung (in dem Schreiben der Vertreter der Beschwerdeführerin vom 2. Oktober 1980), der Stand der Technik sei in der Beschreibung bereits hinreichend angegeben, könne nicht akzeptiert werden. Selbst wenn man davon ausgehe, daß der Stand der Technik angegeben sei, müsse diese Angabe dennoch erweitert werden, damit die Erfindung dem Stand der Technik gegenüber richtig abgegrenzt werden könne. In der Beschreibung müsse deutlich angegeben werden, inwiefern sich die Erfindung von der in der französischen Druckschrift beschriebenen Vorrichtung unterscheide. Ferner werde das Vorbringen, daß Regel 27(1)c) EPÜ nur auf die ursprünglich eingereichten Unterlagen anzuwenden sei, als mit Regel 36(1) EPÜ unvereinbar zurückgewiesen. Zweitens stimme die Beschreibung entgegen dem Erfordernis der Regel 27(1)d) EPÜ in allen wesentlichen Punkten nicht mit den Ansprüchen überein; eine Übereinstimmung sei aber auch nach den Artikeln 69 und 84 EPÜ erforderlich. Die Prüfungsabteilung sei daher der Ansicht, daß auch ein weiterer Schriftwechsel mit der Beschwerdeführerin zu keiner befriedigenden Änderung der Anmeldung führen würde, da es die Beschwerdeführerin bereits zweimal abgelehnt habe, die Einwände der Prüfungsabteilung auszuräumen. Die europäische Patentanmeldung werde daher gemäß Artikel 97 EPÜ zurückgewiesen.
VIII. Die Vertreter der Beschwerdeführerin legten am 8. Juli 1981 gegen die Entscheidung Beschwerde ein; sie verlangten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung oder hilfsweise eine Änderung der Entscheidung in dem Sinne, daß die europäische Patentanmeldung noch geändert werden könne, um die beanstandeten Mängel in der Anmeldung zu beheben. Die Beschwerdegebühr wurde fristgerecht entrichtet.
IX. Am 14. September 1981 wurde die Beschwerdebegründung fristgerecht eingereicht. Die Vertreter der Beschwerdeführerin machten dabei folgendes geltend:
1. Die Anmeldung entspreche soweit wie nötig den Erfordernissen des EPÜ und der Ausführungsordnung.
2. Die Prüfungsabteilung habe Regel 27 EPÜ falsch ausgelegt.
3. Die angefochtene Entscheidung sei übertrieben bürokratisch, da sie die Anmeldung aus einem Grund zurückweise, der für deren Auslegung oder Gültigkeit unerheblich sei. Es wurde unter anderem folgendes behauptet:
a) Nach dem Übereinkommen und der Ausführungsordnung sei ein Hinweis auf die französische Druckschrift nicht erforderlich; selbst wenn er erforderlich wäre, stelle es eine zu große Härte dar, die Anmeldung nur deshalb zurückzuweisen, weil die Beschreibung eine Angabe nicht enthalte, die der Fachmann zur Ausführung der Erfindung ohnehin nicht benötige.
b) Regel 27 EPÜ dürfe von der Prüfungsabteilung nicht dazu mißbraucht werden, eine Anmeldung zurückzuweisen, nur weil sie ihrer Ansicht nach eine Fundstelle im Stand der Technik nicht hinreichend angebe, die ihr nun einmal für die Gewährbarkeit der Ansprüche relevant erscheine.
c) Regel 27(1)c) EPÜ sei eine zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung an den Anmelder gerichtete Aufforderung, einen ihm bekannten Stand der Technik anzugeben, den er als für Dritte nützlich ansehe, die sich für die Erfindung interessierten oder sie sachlich prüfen wollten. Durch eine solche Angabe ließen sich unter Umständen unnötige Beschreibungen vermeiden. Die Regel habe ferner den Zweck, die Erstellung des Recherchenberichts und die Sachprüfung dadurch zu erleichtern, daß der Anmelder den ihm bekannten Stand der Technik angebe. Dies sei jedoch nicht mehr erforderlich, wenn der Recherchenbericht schon erstellt und die Erfindung sachlich geprüft worden sei.
d) Da in Regel 27(1)c) EPÜ nur dem Wunsch Ausdruck gegeben werde, der Anmelder möge Fundstellen angeben, aus denen sich der Stand der Technik ergebe, könne das Fehlen einer Fundstelle nicht als Begründung für die Zurückweisung einer europäischen Patentanmeldung dienen.
e) Regel 27(1)d) EPÜ mache das Vorliegen vorteilhafter Wirkungen nicht zu einer Voraussetzung für die Patentierbarkeit.
f) Die Prüfungsabteilung habe die Regel 27(1)d) EPÜ fälschlicherweise dahingehend ausgelegt, daß angegeben werden müsse, welche Vorteile durch die "erfinderische Tätigkeit" erzielt würden (d. h. inwieweit sich die Kombination von Merkmalen in den Ansprüchen in nicht naheliegender Weise vom bekannten Stand der Technik unterscheide).
g) Artikel 123(2) EPÜ, der die Erweiterung einer Anmeldung durch Änderungen verbiete, und Artikel 138 EPÜ, der darin einen Grund für die Nichtigerklärung des europäischen Patents sehe, würden die Weigerung der Beschwerdeführerin rechtfertigen, die Gültigkeit ihres europäischen Patents durch eine Änderung ihrer Anmeldung aufs Spiel zu setzen.
h) Nach dem vorliegenden Sachverhalt, aus dem hervorgehe, daß sich Anspruch 1 auf Merkmale beziehe, die sowohl in der vorliegenden Erfindung als auch in der französischen Druckschrift vorkämen, sei die Angabe der französischen Druckschrift nicht erforderlich. Insbesondere sei in der angefochtenen Entscheidung nicht auf die Argumente der Vertreter der Beschwerdeführerin (in deren Schreiben vom 30. Januar 1981) eingegangen worden, daß die französische Druckschrift nicht so relevant sei, wie die Prüfungsabteilung angenommen habe.
i) Die Erwähnung einer bestimmten Fundstelle aus dem Stand der Technik könne irreführend sein, da die in der Recherche ermittelten Dokumente nicht immer die relevantesten seien.
j) Die Auffassung der Prüfungsabteilung, die Beschreibung stimme nicht mit den Ansprüchen überein, gehe teils von unerheblichen, teils von falschen Gesichtspunkten aus. In einem Punkt sei überdies ein Einwand erhoben worden, der der Beschwerdeführerin vorher nicht zur Kenntnis gebracht worden sei.
k) Werde das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Bedeutung der Regel 27 EPÜ von der Beschwerdekammer nicht akzeptiert, dann müsse die Beschwerdeführerin die Möglichkeit erhalten, entsprechende Änderungen vorzunehmen.
X. Die Technische Beschwerdekammer forderte die Vertreter der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 30. April 1982 auf, zu bestimmten Rechtsfragen, die sich auf die Argumente zu der Beschwerde beziehen, Stellung zu nehmen, und wies auf andere Sachverhalte hin, die zu gegebener Zeit eine weitere Änderung der Beschreibung und der Ansprüche erforderlich machen könnten.
XI. Die Vertreter der Beschwerdeführerin legten mit Schreiben vom 24. Juni 1982 entsprechende Argumente vor.
XII. Die Technische Beschwerdekammer forderte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 8. November 1982 zu einer weiteren Stellungnahme auf; die Erwiderung der Vertreter der Beschwerdeführerin erfolgte am 6. Januar 1983.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Die Prüfungsabteilung hat die europäische Patentanmeldung der Beschwerdeführerin aufgrund von Artikel 97(1) EPÜ zurückgewiesen, in dem es heißt: Ist die Prüfungsabteilung der Auffassung, daß die europäische Patentanmeldung oder die Erfindung, die sie zum Gegenstand hat, den Erfordernissen dieses Übereinkommens nicht genügt, so weist sie die europäische Patentanmeldung zurück, sofern in diesem Übereinkommen nicht eine andere Rechtsfolge vorgeschrieben ist.
3. Im vorliegenden Fall geht es weder um die Frage, ob im Übereinkommen eine andere Rechtsfolge vorgesehen ist, noch darum, ob die Erfindung, auf die sich die Anmeldung bezieht, den Erfordernissen des Übereinkommens genügt. Die Prüfungsabteilung ist zu der Auffassung gelangt, daß die Anmeldung den Erfordernissen des Übereinkommens nicht genügt, weil sie den Erfordernissen der Regel 27(1)c) und d) EPÜ nicht entspricht.
4. Eine europäische Patentanmeldung muß den in der Ausführungsordnung vorgeschriebenen Erfordernissen genügen (vgl. Art. 78(3) EPÜ). Ist dies nach Auffassung der Prüfungsabteilung nicht der Fall, so ist diese nach Artikel 97(1) EPÜ verpflichtet, die Anmeldung zurückzuweisen.
5. Die europäische Patentanmeldung muß nach Artikel 78(1)b) EPÜ eine Beschreibung der Erfindung und nach Artikel 78(1)c) EPÜ einen oder mehrere Patentansprüche enthalten. Wie die Prüfungsabteilung in der angefochtenen Entscheidung richtig festgestellt hat, ist die Beziehung zwischen der Beschreibung und den Ansprüchen insofern wichtig, als die Beschreibung unter anderem zur Auslegung der Ansprüche herangezogen wird (Art. 69(1) EPÜ) und die Ansprüche von der Beschreibung gestützt sein müssen (Art. 84 EPÜ). Das Protokoll über die Auslegung des Artikels 69 EPÜ unterstreicht die Bedeutung der Beschreibung für die Bestimmung des Schutzbereichs eines europäischen Patents. Entsprechend dem erklärten Grundsatz, daß sich ein gerechter Schutz für den Patentinhaber und ein vertretbares Maß an Rechtssicherheit für Dritte die Waage halten müssen, muß das Europäische Patentamt deshalb dafür Sorge tragen, daß die Anmelder unter anderem die Erfordernisse der Regel 27 EPÜ ordnungsgemäß erfüllen.
6. Regel 27 EPÜ, in der es um den Inhalt der Beschreibung geht, ist Bestandteil des Übereinkommens (vgl. Art. 164(1) EPÜ); alle darin enthaltenen Mußvorschriften könnten also von Rechts wegen nur im Falle mangelnder Übereinstimmung zwischen den Vorschriften des Übereinkommens und denen der Ausführungsordnung außer acht gelassen werden (vgl. Art. 164(2) EPÜ).
7. Regel 27(1)c) EPÜ sieht vor, daß in der Beschreibung "der bisherige Stand der Technik anzugeben" ist, "soweit er nach der Kenntnis des Anmelders für das Verständnis der Erfindung, die Erstellung des europäischen Recherchenberichts und die Prüfung als nützlich angesehen werden kann; es sollen auch die Fundstellen angegeben werden, aus denen sich dieser Stand der Technik ergibt".
8. Die Prüfungsabteilung hat die Auffassung der Vertreter der Beschwerdeführerin, daß die Angabe von Fundstellen dem Anmelder freigestellt sei und nicht zwingend vorgeschrieben werde, in der angefochtenen Entscheidung keineswegs bestritten. Sie hat jedoch darauf hingewiesen, daß die Beschreibung nach Regel 27(1)c) EPÜ den Stand der Technik angeben müsse und daß es sich hierbei nicht um eine Kannbestimmung handle.
9. Angesichts der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente erscheint es wünschenswert, daß sich die Kammer zu bestimmten Aspekten der Auslegung der Regel 27(1)c) und d) EPÜ äußert.
10. Im allgemeinen [englischen] Sprachgebrauch bedeutet "to indicate" "to point out" oder "to make known". "To cite" bedeutet "to mention as example" oder "to quote (passage, book, author) in support of a position" (vgl. The Concise Oxford English Dictionary, 6. Auflage). Diese allgemeinen Bedeutungen scheinen der Kammer auch im Hinblick auf die Regel 27(1)c) EPÜ zuzutreffen. In der deutschen und der französischen Fassung und in der rechtsgeschichtlichen Entwicklung der Regel deutet nichts darauf hin, daß diesen Ausdrücken eine andere Bedeutung gegeben werden sollte. Die Regel kann daher ganz allgemein (vorbehaltlich der nachstehenden Ausnahmen) wie folgt umformuliert werden: Ein Anmelder muß den ihm bekannten Stand der Technik angeben oder mitteilen (vgl. Nr. 17), indem er die Fundstellen angibt oder zitiert, aus denen sich dieser Stand der Technik ergibt.
11. Die Prüfungsabteilung war deshalb der Auffassung, daß die Beschwerdeführerin dazu verpflichtet sei, in der Beschreibung darauf hinzuweisen, daß im Stand der Technik eine Steuerschaltung für einen Gleichstrommotor mit bestimmten technischen Merkmalen (nämlich den in der französischen Druckschrift angegebenen) vorgeschlagen werde.
12. Zwar wurde in der Mitteilung der Prüfungsabteilung vom 5. Dezember 1980 (s. Nr. V) verlangt, daß die französische Druckschrift "angegeben" werden sollte, da die Anmeldung andernfalls zurückgewiesen werden könnte. Die Vertreter der Beschwerdeführerin lehnten diese Forderung jedoch in ihrem Schreiben von 30. Januar 1981 ab; die Forderung erscheint dann auch in der angefochtenen Entscheidung nicht mehr.
13. Es ist daher folgendes festzustellen: Die Argumente der Beschwerdeführerin, die sich auf die angebliche Forderung nach einem "ausdrücklichen Hinweis" auf die französische Druckschrift (Beschwerdebegründung, Abs. 7) beziehen, treffen im Rahmen dieser Beschwerde nicht zu; auch ihr Vorbringen, die Angabe von Vorveröffentlichungen werde von der Regel nicht vorgeschrieben (Beschwerdebegründung, Abs. 8) und könne nicht als Grund für die Zurückweisung einer europäischen Patentanmeldung herangezogen werden (Beschwerdebegründung, Abs. 11), ist hier nicht relevant. Wären diese Argumente auch nur in einigen Punkten stichhaltig, so dürften sie sich umfassend damit beantworten lassen, daß in Regel 27(1)c) EPÜ eine Aufforderung zur Angabe von Fundstellen ergeht, der nach dem erkennbaren Willen der Urheber des Übereinkommens Folge zu leisten ist, es sei denn, daß dies im Einzelfall nicht möglich oder offensichtlich nicht der beste Weg zur Angabe des Stands der Technik ist.
14. Die Vertreter der Beschwerdeführerin haben geltend gemacht, daß es inkonsequent sei, eine Druckschrift, die die Prüfungsabteilung als für die Erfindung höchst bedeutsam erachte, als "background art" zu betrachten. Sie behaupten, diese Druckschrift sei "foreground" und nicht "background" (Beschwerdebegründung, Abs. 23).
15. Worauf dieses Argument abzielt, ist nicht klar; es muß jedoch als Argument zurückgewiesen werden. Der in der englischen Fassung der Regel verwendete Begriff "background art" darf nicht als Gegensatz zu "foreground art" gesehen werden. Die französische Fassung der Regel spricht vom "état de la technique antérieure" und die deutsche Fassung vom "bisherigen Stand der Technik". Aus dem Zusammenhang der Regel 27(1)c) und d) EPÜ sowie aus der entsprechenden deutschen und französischen Fassung und auch aus der Definition des "state of the art" in Artikel 54(2) EPÜ ergibt sich, daß "background art" dieselbe Bedeutung zukommt wie dem gängigeren Ausdruck "prior art". Im vorliegenden Fall ist es unnötig, auf diesen Punkt weiter einzugehen, weil sich die Vertreter der Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 6. Januar 1983 bereit erklärt haben, den Inhalt der französischen Druckschrift für die Zwecke des Beschwerdeverfahrens als Stand der Technik zu akzeptieren.
16. Das Argument, Regel 27(1)c) EPÜ gelte nur für die Beschreibung in der eingereichten Fassung, muß ebenfalls zurückgewiesen werden. Die Prüfungsabteilung war zu Recht der Auffassung, daß dies mit Regel 36(1) EPÜ nicht vereinbar sei; diese Regel schreibt vor, daß Regel 27 EPÜ auf Schriftstücke anzuwenden ist, die Unterlagen der europäischen Patentanmeldung ersetzen. Wenn wie im vorliegenden Fall auf den europäischen Recherchenbericht oder auf einen Bescheid der Prüfungsabteilung hin geänderte Ansprüche eingreicht werden, müssen auch entsprechende Änderungen in der Beschreibung vorgenommen werden, um unter anderem sicherzustellen, daß die geänderten Ansprüche gemäß Artikel 84 EPÜ von der Beschreibung gestützt werden. Die geänderte Beschreibung ist ein Schriftstück, das eine Unterlage der europäischen Patentanmeldung ersetzt, so daß Regel 27 EPÜ gemäß Regel 36(1) EPÜ auch auf sie uneingeschränkt anzuwenden ist. Das in dem Schreiben vom 6. Januar 1983 vorgebrachte Argument, Regel 36 EPÜ beziehe sich eindeutig und ausschließlich auf die Formate und Randabmessungen der Ersatzdokumente und dergleichen wird durch den Wortlaut dieser Regel und den der anderen darin genannten Regeln widerlegt und muß daher zurückgewiesen werden.
17. Es wird ferner geltend gemacht, daß nur der Stand der Technik, der dem Anmelder zum Zeitpunkt der Einreichung bekannt sei, für die Zwecke der Regel 27(1)c) EPÜ angegeben werden müsse. Es wird behauptet, daß es nach Erstellung des europäischen Recherchenberichts und nach Abschluß der Prüfung nicht mehr sinnvoll sei, den Stand der Technik anzugeben. Diese Betrachtungsweise ist jedoch zu eng, da in der Regel 27(1)c) und d) EPÜ vom "bisherigen Stand der Technik..., soweit er... für das Verständnis der Erfindung... als nützlich angesehen werden kann" und von der Angabe "vorteilhafter Wirkungen der Erfindung unter Bezugnahme auf den bisherigen Stand der Technik" die Rede ist. Daß die Öffentlichkeit in der Lage sein muß, die Erfindung und deren etwaige vorteilhafte Wirkungen ohne weiteres aus der Beschreibung zu verstehen, wird in der genannten Regel anerkannt.
18. Die Kammer kann die Ausführungen der Vertreter der Beschwerdeführerin zur Regel 27(1)d) EPÜ ebensowenig akzeptieren wie deren Ausführungen zur Regel 27(1)c) EPÜ. Die Regel 27(1)d) EPÜ ist bereits in der Sache T 26/81 (ABl. EPA 1982, 211) von einer Technischen Beschwerdekammer als eindeutig verbindlich anerkannt worden. Im vorliegenden Fall ist die Beschwerdeführerin verpflichtet, die Beschreibung so zu ändern, daß sie die in den geänderten Ansprüchen beanspruchte Erfindung so offenbart, daß die technische Aufgabe und ihre Lösung verstanden werden können. Das Argument der Vertreter der Beschwerdeführerin, daß von ihnen nicht verlangt werden könne, in der Beschreibung neben der Erfindung auch auf die erfinderische Tätigkeit einzugehen, entbindet sie nicht von der Verpflichtung, die Erfordernisse der Regel 27(1)d) EPÜ zu erfüllen.
19. Regel 27(2) EPÜ sieht, soweit sie für den vorliegenden Fall rechtserheblich ist, vor, daß die Beschreibung unter anderem in der in der Regel 27(1)c) und d) EPÜ angegebenen Art und Weise einzureichen ist, sofern nicht "wegen der Art der Erfindung" eine abweichende Form zu einem besseren Verständnis oder zu einer knapperen Darstellung führen würde. Die Kammer hatte der Beschwerdeführerin über ihre Vertreter Gelegenheit gegeben, zur Unterstützung ihres Vorbringens nach Regel 27(2) EPÜ Argumente einzureichen; dies ist jedoch nicht geschehen. Die Kammer, die den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt hat (vgl. Art. 114(1) EPÜ), kann in der Regel 27(2) EPÜ keinen Rechtfertigungsgrund für die Weigerung der Beschwerdeführerin sehen, der Aufforderung der Prüfungsabteilung nachzukommen und einen Hinweis auf den Inhalt der französischen Druckschrift entsprechend Regel 27(1)c) EPÜ in die Beschreibung aufzunehmen.
20. Es wird behauptet, eine Änderung der Beschreibung durch Aufnahme eines Hinweises auf die französische Druckschrift oder deren Inhalt oder durch die Angabe vorteilhafter Wirkungen der beanspruchten Erfindung gegenüber der in der französischen Druckschrift beschriebenen Erfindung wäre eine unzulässige Erweiterung des Gegenstands im Sinne des Artikels 123(2) EPÜ. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, bestehe die große Gefahr, daß ein nationales Gericht eines benannten Vertragsstaates das europäische Patent der Beschwerdeführerin nach Artikel 138(1) EPÜ wegen Verstoßes gegen Artikel 123(2) EPÜ für unheilbar nichtig erkläre. Die Kammer kann nach der derzeitigen Sachlage keine dieser beiden Behauptungen akzeptieren.
21. Artikel 123(2) EPÜ sieht vor, daß eine europäische Patentanmeldung nicht in der Weise geändert werden darf, daß ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Dabei wird [in der englischen Fassung] der Ausdruck "subject matter" und nicht "matter" verwendet. Die entsprechenden Ausdrücke in der deutschen und französischen Fassung lauten "ihr Gegenstand" bzw. "son objet". In Artikel 84 EPÜ, der [in seiner englischen Fassung] vorschreibt, daß die Patentansprüche "the matter for which protection is sought" angeben müssen, werden in den beiden anderen Fassungen ebenfalls die Worte "Gegenstand" und "objet" in ähnlichem Zusammenhang gebraucht.
22. Die Worte "subject matter", "Gegenstand" (einer europäischen Patentanmeldung) bzw. "objet" (d'une demande de brevet européen) lassen sich im Sinne des Artikels 123(2) EPÜ keinesfalls so auslegen, daß die bloße Hinzufügung eines Hinweises auf den Stand der Technik in einer Beschreibung einer europäischen Patentanmeldung einen Verstoß gegen diesen Artikel darstellt. Auch verstößt die Aufnahme von Angaben über die Vorteile der Erfindung gegenüber diesem Stand der Technik nicht zwangsläufig gegen diesen Artikel. Ob ein Verstoß vortiegt, hängt eindeutig von der verwendeten Formulierung und den Umständen des Einzelfalls ab.
23. Wird durch die Formulierung der Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, ausdrücklich oder stillschweigend erweitert, dann besteht die Gefahr, daß das erteilte Patent nach Artikel 138(1)c) EPÜ aufgrund des Rechts eines Vertragsstaats für dessen Hoheitsgebiet für nichtig erklärt wird. Das Risiko wird natürlich durch Artikel 138(2) EPÜ gemindert; dieser Artikel sieht vor, daß die Nichtigkeit durch eine "entsprechende Beschränkung" des europäischen Patents erklärt wird, wenn die Nichtigkeitsgründe nur einen Teil des Patents betreffen. Es kann hier jedoch nicht weiter auf diesen Punkt eingegangen werden, weil die Beschwerdeführerin bisher keine Änderung ihrer Beschreibung vorgeschlagen hat.
24. Nach Auffassung der Kammer ist zur Sachlage erstens zu sagen, daß die Prüfungsabteilung die Bedeutung der angeführten französischen Druckschrift als Stand der Technik unter gebührender Berücksichtigung der von den Vertretern der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 30. Januar 1981 vorgelegten Argumente richtig eingeschätzt hat (vgl. angefochtene Entscheidung, S. 3).
25. Zweitens ist die Prüfungsabteilung unter gebührender Berücksichtigung des entsprechenden Vorbringens in dem genannten Schreiben (vgl. angefochtene Entscheidung, S. 4) zu Recht zu der Auffassung gelangt, daß die unveränderte Beschreibung in allen wesentlichen Punkten nicht mit den geänderten Ansprüchen übereinstimmt. Offensichtlich besteht eine Diskrepanz zwischen der Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung (insbesondere S. 1) und dem geänderten Anspruch 1, der einen anderen Stand der Technik als die Beschreibung erkennen läßt. Nach Ansicht der Kammer ist es nach der Sachlage dieses Falles eindeutig erforderlich, die Beschreibung so zu ändern, daß sie gemäß Artikel 84 EPÜ die geänderten Ansprüche stützt. Zu diesem Zweck muß die geänderte Beschreibung Regel 27 EPÜ genügen.
26. Nach der Sachlage muß sich die Kammer der in der Entscheidung der Prüfungsabteilung geäußerten Auffassung anschließen, daß die europäische Patentanmeldung in den beiden angegebenen Punkten der Regel 27 EPÜ nicht entspricht. Die Prüfungsabteilung hat insofern falsch gehandelt, als sie es versäumt hat, vor ihrer Entscheidung die Anpassung der Beschreibung an den geänderten Anspruch 15 zu verlangen; dieser Fehler läßt sich jedoch dadurch beheben, daß der Beschwerdeführerin nunmehr Gelegenheit zu einer entsprechenden Änderung gegeben wird.
27. Die Beschwerdeführerin war jedoch berechtigt, die Auffassung der Prüfungsabteilung zu Rechtsfragen anzufechten, die bis dahin noch von keiner Beschwerdekammer in vollem Umfang geprüft worden waren; es entspricht daher der Billigkeit, den vorliegenden Fall an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen, damit die Beschwerdeführerin Gelegenheit erhält, Änderungen zur Beschreibung nachzureichen und so die von der Kammer in dieser Entscheidung gemachten Auflagen zu erfüllen. Die angefochtene Entscheidung wird insoweit geändert.
28. Im letzten Schreiben der Vertreter der Beschwerdeführerin zum vorliegenden Fall wird abschließend aus dem Umstand, daß einige in der Beschwerdebegründung genannte Punkte in den Bescheiden der Beschwerdekammer nicht erwähnt sind, die Schlußfolgerung gezogen, die Kammer habe das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu diesen Fragen für richtig erachtet. Diese Schlußfolgerung ist unzulässig. Die Übung der Beschwerdekammern (siehe auch Art. 12 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern) geht dahin, die Beteiligten vor der Entscheidungsfindung schriftlich auf Fragen hinzuweisen, die nach Ansicht der Kammer erläutert, eingehender behandelt oder nochmals überdacht werden sollten.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 20. Mai 1981 wird hiermit wie folgt geändert: Die europäische Patentanmeldung wird nicht aus den in der Entscheidung der Prüfungsabteilung genannten Gründen nach Artikel 97(1) EPÜ zurückgewiesen, wenn die Anmelderin Änderungen zur Beschreibung einreicht, die die Einwände in Teil II der obengenannten Entscheidung innerhalb der von der Prüfungsabteilung gesetzten Frist zu deren Zufriedenheit ausräumen.
2. Die europäische Patentanmeldung wird zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.