T 0013/82 (Beschwerdebegründung) 03-03-1983
Download und weitere Informationen:
1. Enthält ein Beschwerdeschreiben keine Ausführungen, die sich als Beschwerdebegründung werten lassen, so ist die Beschwerde unzulässig, wenn nicht innerhalb der in Art. 108 Satz 3 genannten Frist eine schriftliche Begründung beim EPA eingeht.
2. Eine Wiedereinsetzung kann unter den in der Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer J 05/80 vom 7. Juli 1981 (Amtsbl. EPA 1981 S. 343) genannten Voraussetzungen gerechtfertigt sein, wenn ein Fehlverhalten einer Hilfsperson vorliegt. Notwendig ist dabei jedoch, dass ein Tatbestand, der ein solches Fehlverhalten als Ursache des Versäumnisses zumindest als wahrscheinlich erscheinen läßt, schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht wird.
3. Ist eine Beschwerde allein deswegen als unzulässig zu verwerfen, weil die Beschwerdebegründung nicht rechtzeitig eingereicht wurde, so wird die Beschwerdegebühr nicht zurückgezahlt.
Wiedereinsetzung - notwendige Darlegungen
Beschwerdegebühr - keine Rückzahlung bei verspäteter Begründung
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 17. Juli 1981, mit der die Anmeldung Nr. 79 10 1992.0 (Veröffentlichungsnr. 0 007 429) zurückgewiesen wurde. Die Entscheidung wurde am Tage ihres Erlasses durch Einschreiben mit Rückschein an die Anmelderin abgesandt. Die Anmelderin legte die Beschwerde mit Schreiben vom 28. August 1981, eingegangen am 31. August 1981, ein und zahlte die Beschwerdegebühr am 9. September 1981. Das Beschwerdeschreiben enthält keinerlei Ausführungen, die als Beschwerdebegründung gewertet werden könnten, sondern vielmehr die Ankündigung: "Die Beschwerdebegründung wird nachgereicht".
II. Die Beschwerdebegründung vom 3. Februar 1982 ging erst am 11. Februar 1982 ein, nachdem die Anmelderin durch Telefonanruf des EPA vom 21. Januar 1982 auf das Fehlen der Beschwerdebegründung aufmerksam gemacht worden war. In der Beschwerdebegründung wurde die Auffassung vertreten, daß das EPÜ für den Fall der Nichteinreichung einer Beschwerdebegründung keine Sanktion vorsehe. Hilfsweise wurde unter Zahlung der Gebühr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
III. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wurde vorgetragen, daß bei Einlegung der Beschwerde ausdrücklich und nachdrücklich an eine zuverlässige Hilfskraft die Weisung gegeben worden sei, die Akte rechtzeitig zur Fertigung der Beschwerdebegründung wieder vorzulegen. Diese Wiedervorlage sei nicht erfolgt. Es sei unerklärlich, wie dies angesichts der im Betrieb geübten dreifachen Fristenüberwachung möglich gewesen sei. Diese erfolge durch zentral verwahrte Fristenkarte, dezentral beim einzelnen Sekretariat verwahrtes Doppel dieser Karte und Eintragung im Fristenkalender der Hilfskraft. Der Geschehensablauf, der zu dem Versäumnis geführt habe, sei nicht mehr zu ermitteln. Es werde vermutet, daß die Hilfskraft die Eintragung in ihrem Kalender vergessen habe. Nach Rückfrage des Berichterstatters über den Gebrauch des Fristensystems wurde ergänzt, daß die Hilfskraft wahrscheinlich "die Fristenkarte schon nach Einlegung der Beschwerde als erledigt zurückgegeben habe". Die Kammer wies in einem weiteren Schreiben darauf hin, daß bei diesem Sachvortrag das geschilderte Überwachungssystem (Karteikarten wie Kalender) offensichtlich nicht benutzt worden sei. Die Anmelderin versicherte erneut, daß der Hilfskraft die notwendige Anweisung ausdrücklich gegeben worden, im übrigen aber der Geschehensablauf nicht mehr nachvollziehbar sei.
1. Die Zulässigkeit der Beschwerde hängt davon ab, ob dem hilfsweise gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung stattgegeben wird. Entgegen der Auffassung der Anmelderin hält das EPÜ im Falle der Versäumung dieser in Artikel 108 Satz 3 vorgesehenen Frist sehr wohl eine Sanktion bereit, nämlich die Verwerfung der Beschwerde als unzulässig. Dies ergibt sich aus der eindeutigen Bezugnahme in Regel 65(1) auf Artikel 108 EPÜ. Diese Regel macht in drei sprachlichen Varianten ("maßgebenden Fristen - the relevant time limit - de l'un ou l'autre des délais") deutlich, daß die Versäumung sowohl der in Artikel 108 Satz 1 wie der in Satz 3 genannten Frist zur "Verwerfung der Beschwerde als unzulässig" führt. Dieses Ergebnis wurde zwar auf der Münchner Diplomatischen Konferenz von einer Delegation in seiner Wünschbarkeit in Frage gestellt (Berichte S. 53 Rd. Nr. 460-466). Drei Delegationen haben sich aber für dieses Ergebnis ausgesprochen und der Konferenz die ihr vorliegenden Texte von Artikel 108 (damals 107) und Regel 65 (damals 66) in diesem Sinne interpretiert. Die Konferenz hat dieser Interpretation des Übereinkommens nicht widersprochen. Da das Beschwerdeschreiben selbst keine Ausführungen enthält, die sich als Beschwerdebegründung werten lassen, kommt es auf die Entscheidung über den hilfsweise gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung an.
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung erfüllt die formalen Voraussetzungen von Artikel 122(2) und (3) EPÜ.
3. Der Antrag wäre nur begründet, wenn nach vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen die Anmelderin alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt zur Wahrung der Frist beachet hätte. Dabei würde ihr ein Fehlverhalten einer Hilfsperson unter den in der Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer J 05/80 vom 7. Juli 1981 (ABl. EPA 1981, 343) genannten Voraussetzungen nicht angelastet. Dies setzt jedoch voraus, daß überhaupt ein Tatbestand schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht wird, der ein Fehlverhalten einer Hilfsperson als Ursache des Versäumnisses zumindest als wahrscheinlich erscheinen läßt. Die Möglichkeit allein eines Fehlverhaltens der Hilfsperson genügt zur Entlastung des Anmelders nicht. Die Kammer ist, wie sie der Anmelderin mitgeteilt hat, aufgrund der Sachschilderung zu der Auffassung gekommen, daß die vorgesehenen Mittel des Fristüberwachungssystems (Karteikarten wie Kalender) überhaupt nicht gebraucht worden sind. Daher erscheint der Kammer die Wahrscheinlichkeit, daß ein Weisungsfehler vorliegt, nicht geringer als die Möglichkeit, daß ein Ausführungsfehler, d. h. ein Fehlverhalten der Hilfskraft, gegeben ist. Da die Hilfskraft überhaupt keines der Vormerkungsmittel benutzt hat, spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen Weisungsfehler. Es fehlt daher ein schlüssiger und glaubhaft gemachter Sachvortrag, aufgrund dessen die Kammer davon ausgehen könnte, daß die Anmelderin alle zur Fristwahrung erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. Daher kann dem Wiedereinsetzungsantrag nicht stattgegeben werden.
4. Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist im vorliegenden Fall von der Anmelderin nicht beantragt. Dessenungeachtet kann sie von Amts wegen geprüft werden, was sich aus Regel 67 und Artikel 114(1) EPÜ ergibt (vgl. auch J 07/80 in ABl. EPA 1982, 391).
5. Da die Beschwerde ausschließlich deswegen als unzulässig verworfen werden muß, weil die Beschwerdebegründung nicht rechtzeitig einging, stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen ist. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob bei Versäumnis eines der beiden anderen Zeiterfordernisse (Beschwerdeeinlegung - Gebührenzahlung) die Beschwerdegebühr zurückgezahlt werden kann (s. hierzu J 21/80 in ABl. EPA 180, 101; J 16/82 vom 2. März 1983, in ABl. EPA 7/1983, 262; T 41/82 in ABl. EPA 1982, 256).
6. Unabhängig davon, daß nach den genannten Entscheidungen bei verspäteter Gebührenzahlung (möglicherweise auch bei rechtzeitiger Zahlung, aber verspäteter Beschwerdeeinlegung die Rückzahlbarkeit der Gebühr bejaht werden kann, gilt dies nicht, wenn die Unzulässigkeit der Beschwerde allein auf der Verspätung der Beschwerdebegründung beruht. Dies mag zunächst als unbillig erscheinen, zumal im vorliegenden Fal kein Zweifel daran besteht, daß die Anmelderin die Beschwerde nicht nur rein vorsorglich eingelegt hat. Sie war vielmehr bereits bei Beschwerdeeinlegung entschlossen, ein Beschwerdeverfahren durchzuführen. Die Unterlassung der Beschwerdebegründung war ein echtes, wenn auch nicht nach dem Maßstab von Artikel 122(1) EPÜ entschuldbares Versäumnis.
7. Das System der sog. "getrennten Fristen" für Beschwerdeeinlegung und Begründung wurde auf der Münchner Diplomatischen Konferenz noch einmal eingehend erörtert (vgl. Berichte S. 53, Nr. 447-466). Dabei hat eine Delegation (Rd.-Nr. 465) ausdrücklich gesagt, daß ihres Erachtens im Falle einer verspäteten Beschwerdebegründung die Beschwerdegebühr nicht zurückgezahlt werden dürfe. Dieser Meinung ist zuzustimmen. Dies aber nicht, weil sie die Schlußfolgerung einer Delegation aus der vorangegangenen Konferenzverhandlung war. Vielmehr deswegen, weil sie dem System der "getrennten Fristen" nach der Konzeption der Konferenz entspricht. Durch dieses System soll lediglich, wie die zitierten Verhandlungen zeigen, mehr Frist für eine gute Begründung gegeben werden. Verhindert werden sollte dabei aber, daß die Beschwerde rein vorsorglich eingelegt, deren Endgültigkeit dann von der Abgabe oder Nichtabgabe der Begründung abhängig bleibt und bei Nichtabgabe die Rückzahlung der Gebühr beansprucht wird. Solches war im vorliegenden Fall, wie gesagt, nicht die Absicht der Anmelderin. Dennoch kann ihr Fall von dem Fall einer rein vorsorglich fristwahrenden Beschwerdeeinlegung nicht grundsätzlich unterschieden werden (s. hierzu auch T 41/82 in Abl. EPA 1982, 256). Dem System der getrennten Frisen entsprechend kann daher bei Nichtabgabe oder Verspätung der Beschwerdebegründung die Beschwerdegebühr nicht zurückgezahlt werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Abgabe der Beschwerdebegründung wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.