Gehirn-Computer-Schnittstelle zur Steuerung digitaler Geräte durch die Kraft der Gedanken: Australische Forscher unter den Finalistinnen und Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2023
- Die Erfindung von Dr. Thomas Oxley und Dr. Nicholas Opie könnte weltweit Millionen von Menschen helfen, die an Lähmungen und anderen schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen leiden
- Im Dezember 2021 verwendete ein an amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankter Patient das Gerät, um allein mithilfe seiner Gedanken einen Tweet zu versenden
- Keine Operation am offenen Gehirn erforderlich: Die Neuroprothese wird ganz einfach durch die Blutbahnen ins Gehirn eingebracht
München, 9. Mai 2023 - Nach Angaben der Vereinten Nationen lebt fast jeder sechste Mensch auf der Welt mit einer neurologischen Erkrankung wie Alzheimer, Parkinson, Schlaganfall, Epilepsie und Migräne oder mit einer Hirnverletzung. Um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern, haben die australischen Forscher Dr. Thomas Oxley und Dr. Nicholas Opie eine Gehirn-Computer-Schnittstelle erfunden, die drahtlos Daten aus dem Gehirn überträgt, sodass schwerstgelähmte Menschen externe digitale Geräte ohne Einsatz ihrer Hände steuern und auf diese Weise über ihre Gedanken kommunizieren können. Das Gerät wird durch die Blutgefäße implantiert. Menschen, die ihre körperliche Beweglichkeit verloren haben oder nur noch sehr eingeschränkt mobil sind, können damit technische Geräte steuern. In Anerkennung seiner vielversprechenden Arbeit wurde das Forscherduo aus mehr als 600 Kandidatinnen und Kandidaten für den diesjährigen Europäischen Erfinderpreis unter die Finalisten in der Kategorie „Nicht-EPO-Länder“ gewählt.
Gerät wandelt Signale des Gehirns in Digitalausgaben um
Bei der Erfindung von Oxley und Opie, dem Synchron Switch™, der die Größe einer Büroklammer hat, handelt es sich um ein endovaskuläres Hirnimplantat. Aus den Blutgefäßen heraus kann das Gerät Gehirnsignale aufzeichnen und die Nerven, d. h. die natürlichen „Verkehrswege“ des Gehirns, stimulieren. Das Gerät wird in ein Blutgefäß im motorischen Kortex eingesetzt, dem Areal des Gehirns, das sensorische und motorische Aktivitäten steuert. Das Gerät ist so konzipiert, dass es wie eine Tätowierung in die Wand des Blutgefäßes eingebracht wird. Damit das Verfahren funktioniert und anspruchsvolle Technologien gesteuert werden können, erklärt Opie, „muss das Gerät in der Lage sein, Gehirnsignale aus verschiedenen Bereichen des motorischen Kortex aufzuzeichnen, die Signale zu interpretieren und sie in digitale Ausgaben umzuwandeln, die zur Steuerung technischer Hilfseinrichtungen wie robotische Gliedmaßen, Rollstühle, Exoskelette oder Computer verwendet werden können“. Die Stentrode™ wird über die Halsvene eingeführt. So erreichen die Chirurgen die Hirnregion über einen endovaskulären Zugang, ohne den Schädel des Patienten öffnen und eine invasive Hirnoperation durchführen zu müssen. Die Patienten, die ein solches Implantat erhalten, verbringen im Durchschnitt nur 48 Stunden im Krankenhaus.
Aussicht auf Kommunikation für Millionen von Menschen mit schweren Lähmungen
Oxley ist Facharzt für vaskuläre und interventionelle Neurologie und Experte für Gehirn-Computer-Schnittstellen. Opie ist Ingenieur für biomedizinische Technik und ein Fachmann für neuronale Schnittstellen. Die Zusammenarbeit von Oxley und Opie führte 2016 zur Gründung von Synchron, einem Unternehmen, das auf die Entwicklung implantierbarer neuronaler Schnittstellen zur Behandlung neurologischer Störungen spezialisiert ist. Opie ist heute CTO des Unternehmens, Oxley CEO. Der unermüdliche Einsatz der beiden für das Wohl von Patientinnen und Patienten und die Verknüpfung ihrer Expertise ebnete den Weg für die Stentrode. Für weltweit 14 Millionen Menschen, die an neuromuskulären Störungen leiden (Schädigung der Nerven, die für die willkürliche Muskelbewegung verantwortlich sind), könnte diese Erfindung von Oxley und Opie lebensverändernd sein.
2021 erteilte das FDA Synchron die Zulassung, klinische Studien für eine dauerhaft implantierbare Gehirn-Computer-Schnittstelle durchzuführen. Diese Studien laufen derzeit noch. Vier Personen in Australien und drei in den USA haben bereits ein Implantat erhalten. Im Dezember 2021 nutzte ein Patient mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) das Gerät, um allein mithilfe seiner Gedanken einen Tweet zu senden.
Wenngleich der mit der Erfindung verbundene wissenschaftliche Fortschritt gewaltig ist, betont Oxley, dass die Faktoren, die den Ausschlag für den Erfolg der Behandlung geben, die Resilienz des menschlichen Geistes und zwischenmenschliche Verbundenheit sind: „Die Motivation des Patienten und die Beziehung zu unseren Ingenieurinnen und Ingenieuren sind entscheidend. Einige unserer Leute haben sehr intensive Beziehungen zu den Patientinnen und Patienten aufgebaut, das ist unglaublich. Für das Team ist es sehr motivierend zu sehen, wie viel Energie diese Menschen, die die traumatischste Zeit ihres Lebens durchmachen, in dieses Programm stecken.“
Das Team Oxley und Opie ist einer der drei Finalisten beim diesjährigen Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie ‘Nicht-EPO-Staaten. In dieser Kategorie wird die Arbeit herausragender Erfinderinnen und Erfinder außerhalb der 39 Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisation gewürdigt, die ein europäisches Patent erhalten haben. Die Bekanntgabe der Gewinner erfolgt am 4. Juli 2023 in Valencia (Spanien) im Rahmen einer hybriden Preisverleihungszeremonie. Sie wird online übertragen und steht allen Interessierten zur Teilnahme offen.
Weitere Informationen zur Bedeutung der Erfindung und zur Technologie sowie weitere Geschichten zu den Erfindern können Sie unter diesem Link abrufen.
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Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis ist einer der renommiertesten Innovationspreise in Europa. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben gerufen und ehrt Einzelpersonen und Teams, die Lösungen für einige der größten Herausforderungen unserer Zeit gefunden haben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury ausgewählt, die sich aus früheren Finalisten des Preises zusammensetzt. Gemeinsam prüfen sie die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur sozialen und nachhaltigen Entwicklung und zum wirtschaftlichen Wohlstand. Allen Erfindern muss ein europäisches Patent für ihre Erfindung erteilt worden sein. Lesen Sie mehr über die verschiedenen Kategorien, Preise, Auswahlkriterien und die Livestream-Zeremonie, die am 4. Juli 2023 stattfinden wird.
Über das EPA
Mit 6 300 Beschäftigten ist das Europäische Patentamt (EPA) eine der größten Behörden in Europa. Das Amt, das seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinderinnen und Erfinder hochwertigen Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund 700 Millionen Menschen umfassen. Das EPA ist zudem weltweit führend in den Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.