T 2741/17 (Induktiver Sensor / ZF CV Systems) 17-01-2022
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INDUKTIVER SENSOR
Knorr-Bremse
Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Einspruchsgründe - Hauptantrag
Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (ja)
Änderung des Beschwerdevorbringens - Hilfsanträge 1-4
Änderung des Beschwerdevorbringens - rechtfertigende Gründe des Beteiligten (nein)
Änderung des Beschwerdevorbringens - Eignung der Änderung zur Lösung der aufgeworfenen Fragen (nein)
I. Der Einspruch gegen das Europäische Patent stützt sich auf Einspruchsgründe nach Artikel 100 a), b) und c) EPÜ.
II. Die Einspruchsabteilung entschied, das Patent wegen mangelnder Ausführbarkeit zu widerrufen.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt. Die nach Schließung der sachlichen Debatte vorliegenden Anträge sind, die Entscheidung aufzuheben und den Einspruch zurückzuweisen (Hauptantrag), oder das Patent gemäß einem von vier Hilfsanträgen aufrecht zu erhalten, die mit der Antwort auf die Beschwerdeerwiderung eingereicht wurden. Die Aufrechterhaltung gemäß einem während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer gestellten Hilfsantrag 5 wurde gegen Ende der Verhandlung wieder zurückgezogen. Des Weiteren solle das von der Einsprechenden während des Einspruchsverfahrens zitierte Dokument D12 (Wikipedia Ausdruck zu "Kristallisation") im Verfahren nicht berücksichtigt werden.
IV. Die Einsprechende beantragt als Beschwerdegegnerin, die Beschwerde zurückzuweisen. Sollte die Beschwerdekammer die Erfindung für ausführbar halten, so solle der Fall zur Prüfung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen werden. Sollte die Kammer jedoch selbst Neuheit und erfinderische Tätigkeit prüfen, so wird im Hinblick auf die behauptete Vorbenutzung die Vernehmung zweier Zeugen angeboten. Des Weiteren wird gegen die Zulassung der Hilfsanträge 1 - 4 argumentiert.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet (ohne Bezugszeichen):
Induktiver Sensor mit einer elektrischen Spulenbaugruppe, die einen Spulenkörper und eine Spulenwicklung aus Draht aufweist, wobei wenigstens ein Drahtende aus der Spulenwicklung heraus zu elektrischen Anschlusselementen, die zur Verbindung der Spulenbaugruppe mit der Umgebung dienen, hin geführt ist, wobei die Spulenbaugruppe wenigstens teilweise mit einer Umspritzmasse umspritzt ist und in einem topfartigen Gehäuse angeordnet ist, wobei im Bereich des aus der Spulenwicklung herausgeführten Drahtendes wenigstens eine Barriere vorgesehen ist, die zwischen dem aus der Spulenwicklung herausgeführten Drahtende und der Einspritzstelle der Umspritzmasse beim Umspritzvorgang angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Umspritzmasse nach deren Verfestigung im Bereich des aus der Spulenwicklung herausgeführten Drahtendes eine geringere Dichte aufweist als in den übrigen mit der Umspritzmasse versehenen Bereichen.
VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 fügt dem Anspruch 1 des Hauptantrags das Merkmal hinzu:
..., wobei die Barriere die Flussrichtung der Umspritzmasse beim Umspritzvorgang nach Passieren der Barriere annähernd rechtwinklig ablenkt.
VII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 fügt dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 das Merkmal hinzu:
..., wobei sich die Barriere in radialer Richtung wenigstens annähernd bis zur Mantelflache der Umspritzmasse erstreckt.
VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 fügt dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 das Merkmal hinzu:
..., wobei sich der Spulenkörper in Längsrichtung der Spulenbaugruppe über die Spulenwicklung hinaus erstreckt und die Barriere im sich darüber hinaus erstreckenden Bereich angeordnet ist.
IX. Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 fügt dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 die Merkmale hinzu:
..., wobei das aus der Spulenwicklung herausgeführte Drahtende entlang des sich über die Spulenwicklung hinaus erstreckenden Bereichs des Spulenkörpers verlegt ist, wobei am sich über die Spulenwicklung hinaus erstreckenden Bereich des Spulenkörpers wenigstens ein Führungselement zur Führung des Drahtendes angeordnet ist, wobei das Führungselement eine tangential geöffnete Führungskontur zur Aufnahme des Drahtendes aufweist.
X. Der jeweils abhängige Anspruch 2 fügt dem Anspruch 1 eines jeden Antrags das Merkmal hinzu,
..., dass die Molekülorientierung der Umspritzmasse nach deren Verfestigung im Bereich des aus der Spulenwicklung herausgeführten Drahtendes überwiegend quer zu dem Drahtende verläuft.
XI. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Parteien finden sich in den im Anschluss angeführten Entscheidungsgründen.
Die Lehre der Patentschrift
1. Das Patent liegt auf dem Gebiet induktiver Sensoren, wie sie etwa zur Messung von Drehgeschwindigkeiten eingesetzt werden. Solche Sensoren weisen eine Messspule auf. Um die Spule - und damit den Sensor - klein zu halten, wird ein dünner und damit bruchempfindlicher Spulendraht verwendet. Die Enden des Spulendrahts müssen zum Anschließen der Spule die Strecke von der Spulenwicklung zu den elektrischen Anschlusselementen überwinden. Ein dünner Draht ist auf dieser Strecke besonders empfindlich. Falls, wie üblich, die Sensorkomponenten mit einer Gussmasse umhüllt werden, kann die unterschiedliche Wärmeausdehnung des Spulendrahts und der Gussmasse bei Temperaturwechseln Spannungen erzeugen. Wiederholte Temperaturwechsel können dabei zur Beschädigung der Drahtenden führen (siehe Absätze [0001] - [0003] der Patentschrift).
2. Die Erfindung setzt sich die Aufgabe, die Temperaturwechselfestigkeit eines solchen Sensors zu verbessern (Absatz [0004]).
3. Als Lösung schlägt die Patentschrift vor, Barrieren vorzusehen, durch die sich beim Spritzgießen im Bereich der Drahtenden eine geringere Dichte der Vergussmasse ausbildet als in den übrigen Bereichen. Vorteilhafterweise verläuft in diesem Bereich die Molekülorientierung der Vergussmasse überwiegend quer zum Drahtende (Absätze [0007] und [0018], sowie Ansprüche 1 und 2).
Das Verständnis der Fachperson
4. Um die Ausführbarkeit bewerten zu können, muss zuerst geklärt werden, wie die Fachperson die Patentschrift vor dem Hintergrund ihres Fachwissens versteht. Insbesondere, was die Dichte und Wärmeausdehnung der Vergussmasse und des Drahts betrifft.
5. Laut Patentschrift besteht die Umspritzmasse vorteilhaft aus Thermoplast, insbesondere aus einem Polyamid-Material (Absatz [0013]).
6. Die Dichte eines Thermoplasts hängt ab von Temperatur und Druck. Nach dem Abkühlen und spätestens nach dem Entfernen des gegossenen Sensors aus dem Umspritzwerkzeug 40 (Absatz [0018]) sollte die Temperatur des Sensors homogen sein und die Vergussmasse nicht unter Druck stehen. Die Dichte sollte deshalb bei einheitlicher Zusammensetzung der Vergussmasse überall gleich sein, und zwar unabhängig vom Ablauf des Spritzguss-Verfahrens.
7. Zum Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents besaß die Fachperson das Wissen, dass gewisse Thermoplaste in teilkristallinem Zustand auftreten können. In diesem Zustand ist je nach Kristallisationsgrad ein gewisser Prozentsatz der langkettigen Moleküle parallel zueinander ausgerichtet. Die Richtung der Molekülorientierung wird dabei, unter anderem, von der Fließrichtung des Thermoplasts vor dem Erstarren bestimmt. Die Abkühlrate hingegen hat einen Einfluss auf den Kristallisationsgrad. Je höher der Kristallisationsgrad, desto höher ist auch die Dichte der Vergussmasse. Es ändert sich durch die Teilkristallisierung demnach nicht nur die Dichte im Vergleich mit dem amorphen Zustand, sondern es verringert sich auch der thermische Ausdehnungskoeffizient in Richtung der Molekülorientierung (siehe auch Absatz [0007] der Patentschrift).
8. Der thermische Ausdehnungskoeffizient alpha von üblichen Thermoplasten ist größer als 50×10**(-6)/K, von Polyamid-Materialien zwischen 60×10**(-6)/K und 150×10**(-6)/K. Der Spulendraht hingegen besteht üblicherweise aus Metall, zum Beispiel Kupfer ([0003]). Die Ausdehnungskoeffizienten von Metallen sind kleiner als 30×10**(-6)/K, wobei Kupfer bei 16,5×10**(-6)/K liegt.
9. Durch den kleineren Ausdehnungskoeffizienten der Metalle ist das Problem erkennbar, das der Erfindung zu Grunde liegt: der Draht wird bei Erwärmung in die Länge gezogen und bei Abkühlung gestaucht. Die Fachperson versteht, dass die Belastungen des Drahtes abnähmen, wenn die Ausdehnungskoeffizienten näher aneinander lägen.
10. Dadurch, dass der Ausdehnungskoeffizient der Vergussmasse im teilkristallinen Zustand in Richtung der Molekülorientierung niedriger ist, liegt er entlang dieser Richtung näher am Ausdehnungskoeffizienten des Drahts als quer dazu oder als im amorphen Zustand.
11. Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin ist in zwei Punkten anderer Auffassung:
a) Die Dichte der verfestigten Gussmasse hänge primär von den Druckbedingungen beim Spitzguss ab. Dort, wo die hochviskose, verflüssigte Gussmasse unter hohem Druck stehe, sei das Material nach dem Verfestigen dichter. Dort, wo sie sich jedoch ohne den Druck einer von oben nachpressenden Gussmasse frei ausbreiten könne, wie etwa unter den Barrieren 10 und 11, werde ein Bereich geringerer Dichte erzeugt.
b) Thermoplaste lägen in nur zwei Zuständen vor: kristallin oder amorph. Der Zustand sei dabei über die gesamte Vergussmasse hinweg gleich. Deshalb könne die Kristallisation nicht für regional unterschiedlichen Dichten verantwortlich sein. Regional unterscheide sich lediglich die jeweilige Nahordnung, also die lokale Ausrichtung der Moleküle. Dies habe jedoch keine Auswirkung auf die Dichte.
12. In den übrigen Punkten hält die Patentinhaberin das weiter oben angeführte Verständnis der Fachperson zwar für möglich, gelangt jedoch zu anderen Schlussfolgerungen, was die Ausführbarkeit betrifft. Dazu weiter unten.
13. Die Auffassung der Patentinhaberin ist nicht überzeugend. Die Fachperson erkennt zwar, dass die Druckverhältnisse während des Spritzgießens unterschiedlich sind und dass die Flüssigkeit eine gering druckabhängige Dichte besitzt. Sie erkennt jedoch auch, dass der daraus entstehende Festkörper die Druckverhältnisse der Flüssigkeit nicht konserviert. Die Dichte des ausgekühlten Festkörpers hängt nur noch von dessen Temperatur und dem Außendruck ab.
14. Die Patentinhaberin hat darin recht, dass die Vergussmasse nicht vollständig kristallin ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Kristallisationsgrad einer teilkristallinen Vergussmasse sich lokal nicht unterscheiden kann. Unter anderem durch die Barrieren werden vorsätzlich lokal unterschiedliche Abkühlbedingungen geschaffen. So kühlt etwa die Vergussmasse dort schneller aus, wo sie kalte Wände berührt, ohne dabei im Weg der nachdrückenden Vergussmasse zu stehen. Die Abkühlbedingungen beeinflussen jedoch nicht nur (wie von der Erfindung beabsichtigt) die Richtung der Molekülorientierung, sondern auch den Kristallisationsgrad. Das führt dazu, dass in den Randschichten eine höhere Molekülorientierung (und damit ein höherer Kristallisationsgrad) vorliegt als in anderen Bereichen. Das bestätigt die Patentinhaberin selbst in ihrer Beschwerdebegründung auf Seite 3, vierter Absatz. Wegen der mit zunehmendem Kristallisationsgrad zunehmenden Dichte ergibt sich rein aus diesem Phänomen in abgeschirmten Randbereichen eine höhere Dichte als in mittigen, nicht abgeschirmten Bereichen.
Hauptantrag - Mangelnde Ausführbarkeit
14.1 Der im Anspruch definierte Bereich des aus der Spulenwicklung herausgeführten Drahtendes umfasst den Verlauf eines jeden Drahtendes zwischen dem Punkt, in dem der Draht jeweils aus der Spulenwicklung 1 austritt, und dem Punkt, in dem er am jeweiligen Anschluss 15, 16 endet (siehe die Figuren 1 - 3). Das ist auch das Verständnis der Patentinhaberin.
15. Es ist der Fachperson weder aus der Patentschrift noch aus ihrem Fachwissen heraus bekannt, wie sie in diesen gesamten zwei Bereichen eine Dichte herbeiführen kann, die geringer ist als in allen anderen Bereichen.
16. Laut Patentschrift, Absätze [0007] und [0013], lenken die Barrieren 10, 11 die Vergussmasse beim Einspritzvorgang so ab, dass dadurch ein Bereich geringerer Dichte im Bereich der Drahtenden entsteht. Angenommen, es entstünde durch die Ablenkwirkung der Barriere wirklich ein Bereich geringerer Dichte. Durch die Ausführungen in Absatz [0018] wäre verständlich, dass dieser Bereich unter der Barriere läge. Der zwischen der Spule und den Führungselementen liegende Teil der Drahtenden ist jedoch weit von der Barriere entfernt und liegt nur teilweise überhaupt darunter (siehe Figur 2). Dieser Bereich unterscheidet sich in seiner Lage zur Barriere nicht erkennbar von Bereichen ohne Drahtenden. Es ist deshalb unverständlich, wie dort eine geringere Dichte erreicht werden kann. Die Ablenkungswirkung etwa durch die Führungselemente oder die obere Spuleneinfassung scheint in den jeweils unmittelbar darunter liegenden Bereichen deutlich größer zu sein als in dem Bereich, in dem die Drahtenden aus der Spule austreten. Es ist dort also eher eine noch geringere Dichte zu erwarten als im Bereich der Drahtenden.
17. Der Fachperson stellen sich noch weitere Probleme bei der Ausführung. Unter dem oben angegebenen Verständnis der Patentschrift ist der Fachperson bewusst, dass sich eine geringere Dichte in den genannten Bereichen nur dadurch herstellen ließe, indem dort für einen geringeren Kristallisationsgrad gesorgt wird als in allen anderen Bereichen. Das wäre allerdings konträr zur Implikation der Abätze [0003], [0004] und [0007] der Patentschrift. Danach soll in den Bereichen der Drahtenden der Ausdehnungskoeffizient der Vergussmasse geringer sein. Das entspräche jedoch einem möglichst hohen Kristallisationsgrad, und damit auch einer hohen Dichte. Andere Effekte, wie etwa der Einschluss eines höheren Luftanteils in den abgeschirmten Bereichen, werden in der Patentschrift nicht erwähnt, und wären auch nicht auf den Bereich der Drahtenden begrenzt.
18. Es ist der Fachperson somit nicht möglich, angesichts der Lehre der Erfindung und ihres Fachwissens, in den Bereichen der Drahtenden eine geringere Dichte herzustellen als in den übrigen Bereichen. Zudem korreliert eine geringere Dichte nicht mit einem niedrigeren Ausdehnungskoeffizienten und würde somit auch nicht zu dem zu erreichenden Ergebnis einer höheren Temperaturwechselfestigkeit führen.
19. Abgesehen von der Dichte lehrt die Patentschrift außerdem, dass in den Bereichen der Drahtenden eine Molekülorientierung quer zu den Drahtenden erreicht wird (Absätze [0007], [0013] und Anspruch 2).
20. Auch daran muss die Fachperson angesichts der Offenbarung der Patentschrift scheitern.
21. Der aus den Figuren 2 und 3 hervorgehende Verlauf der Drahtenden von den Austrittspunkten aus der Spule bis zu den Anschlüssen ist komplex. Es ist der Fachperson nicht verständlich, durch welche Maßnahmen im gesamten Bereich eine Fließrichtung (und damit eine Molekülorientierung) überwiegend quer zum Draht erreicht werden kann. Insbesondere scheinen die Barrieren 10, 11 allein dazu ungeeignet zu sein. Zum einen sind sie zumindest von dem Teil der Drahtenden, der von der Spule zu den Führungselementen verläuft, versetzt und weit entfernt angeordnet. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass sie die Flussrichtung in der gewünschten Weise beeinflussen. Zum anderen hängen die Strömungsverhältnisse vor dem Erstarren von einer Vielzahl von Parametern ab. Dazu gehören neben der Geometrie des Spulenkörpers und der Spritzgussform deren Temperatur und Kühlung, der Druck und Nachdruck beim Spritzguss, sowie das genaue Spritzgussmaterial, dessen Temperatur und damit die Viskosität der Spritzgussmasse. Ohne Angabe dieser Parameter sind die Strömungsverhältnisse nicht kontrollierbar, und eine Molekülorientierung überwiegend quer zu jedem Abschnitt der Drahtenden ist nicht mit vertretbarem Aufwand erreichbar.
22. Selbst wenn der Fachperson die Molekülorientierung quer zu den Drahtenden gelänge, so wüsste sie immer noch nicht, wie sie dadurch das Ziel der Erfindung erreichen sollte, das in einer erhöhten Temperaturwechselfestigkeit liegt. Wie eingangs angeführt, besitzt die Vergussmasse zwar in Richtung der Molekülorientierung eine Wärmeausdehnung, die näher an der von Metall liegt, nicht jedoch quer dazu.
23. Zusammenfassend lässt sich demnach sagen, dass die Fachperson durch die Offenbarung der Patentschrift weder in der Lage ist, im gesamten Bereich der Drahtenden eine geringere Dichte als in den übrigen Bereichen zu erreichen, noch im selben Bereich eine Molekülorientierung quer zu den Drahtenden herzustellen. Noch dazu würde weder die geringere Dichte noch die Molekülorientierung quer zu den Drahtenden zu der angestrebten, erhöhten Temperaturwechselfestigkeit führen.
24. Die Erfindung ist deshalb nicht ausführbar (Artikel 100 b) EPÜ).
Die Position der Patentinhaberin
25. Die Patentinhaberin macht geltend, dass durch das Vorsehen der in der Patentschrift beschriebenen Barrieren der Effekt der Temperaturwechselfestigkeit ohne Zweifel eintrete. So halte ein Sensor, der mit den in der Patentschrift beschriebenen Barrieren hergestellt sei, fünfmal so viele Temperaturwechsel-Zyklen aus wie ein ohne Barrieren hergestellter Sensor. Die beschriebenen Ausführungsformen der Barriere ließen sich einfach nacharbeiten, weshalb die Erfindung auch ausführbar sei. Die Einsprechende trage die Beweislast, das Gegenteil zu demonstrieren. Sie habe jedoch keinerlei Versuche durchgeführt, die bewiesen, dass die Barrieren nicht die behauptete Wirkung hätten.
26. Die Patentschrift unternehme zwar einen Versuch, den Effekt der erhöhten Temperaturwechselfestigkeit mittels der Molekülorientierung zu begründen. Ob nun diese Begründung jedoch im Einzelnen zutreffe oder nicht, sei für die Ausführbarkeit der Erfindung unwesentlich. Wesentlich sei einzig, dass die beschriebene Form der Barriere die Fliessrichtung der Vergussmasse so verändere, dass dies zum gewünschten Effekt führe.
27. Die Argumente überzeugen nicht. Es wird nicht bezweifelt, dass die Barriere einen positiven Einfluss auf die Temperaturwechselfestigkeit hat. Beispielsweise dadurch, dass die Barriere die Anschlussstellen des Drahts vom Hauptfluss der unter hohem Druck eingebrachten Spritzgussmasse abschirmt. Die unzureichende Offenbarung liegt nicht darin begründet, dass die Barriere nicht herstellbar wäre oder der behauptete Effekt nicht einträte. Sondern vielmehr darin, dass die Patentschrift die Fachperson nicht in die Lage versetzt, die Umspritzmasse mit Hilfe der Barriere so auszugestalten, dass sie nach ihrer Verfestigung:
a) "im Bereich des aus der Spulenwicklung herausgeführten Drahtendes eine geringere Dichte aufweist als in den übrigen mit der Umspritzmasse versehenen Bereichen" (Kennzeichen des Anspruchs 1), und
b) "die Molekülorientierung [...] im Bereich des aus der Spulenwicklung herausgeführten Drahtendes überwiegend quer zu dem Drahtende verläuft" (Anspruch 2).
28. Die Einsprechende hat Argumente angeführt, die die mangelnde Ausführbarkeit auch ohne Versuchsergebnisse plausibel begründen. Es liegen deshalb schwerwiegende Zweifel an der Ausführbarkeit vor. Wie oben begründet, reicht die Überzeugungskraft der von der Patentinhaberin vorgebrachten Argumente nicht aus, um diese schwerwiegenden Zweifel auszuräumen.
Hilfsanträge - Zulassung
29. Die Hilfsanträge 1 - 4 wurden sechs Monate nach der Beschwerdebegründung mit Antwort auf die Beschwerdeerwiderung eingereicht. Ihre Zulassung ist durch den Artikel 13(1) VOBK 2020 geregelt. Danach bedarf die Einreichung rechtfertigender Gründe, und die Zulassung unterliegt dem Ermessen der Kammer.
30. Die Patentinhaberin hat in dem Schreiben, das den Hilfsanträge beilag, keine Gründe für das späte Einreichen genannt. Während der mündlichen Verhandlung darauf angesprochen, gab sie an, dass die Hilfsanträge als Reaktion auf die Beschwerdeerwiderung eingereicht wurden. Sie seien ein Versuch, den Erfindungsgegenstand so deutlich zu definieren, dass er ausführbar sei. Des Weiteren seien die Änderungen vorhersehbar gewesen und damit zulässig.
31. Der Grund für das späte Einreichen ist nicht überzeugend. Die in der Beschwerdeerwiderung angeführten Argumente lagen grundsätzlich so auch schon im Einspruchsverfahren vor. Die Hilfsanträge hätten demnach früher eingereicht werden sollen.
32. Die Hilfsanträge sind auch prima facie nicht gewährbar, denn sie können die mangelnde Offenbarung des Hauptantrags nicht beheben. Die im Zusammenhang mit dem Hautantrag festgestellte mangelnde Ausführbarkeit liegt darin begründet, dass die Patentschrift als Ganzes die Fachperson weder in die Lage versetzt, im Bereich der Drahtenden eine geringere Dichte als in den übrigen Bereichen herzustellen, noch in diesem Bereich eine Molekülorientierung überwiegend quer zum Draht zu erreichen. Selbst wenn dies erreichbar wäre, würde damit nicht das zu erreichende Ergebnis einer verringerten Temperaturwechselfestigkeit erzielt. Allein mittels der in der Patentschrift beschriebenen Barrieren kann die gewünschte Dichte oder Molekülorientierung nicht erreicht werden. Es ist für die Frage der Ausführbarkeit unerheblich, ob bestimmte Ausführungen der Barriere in der Beschreibung oder den abhängigen Ansprüchen stehen (wie im Hauptantrag), oder ob sie in die unabhängigen Ansprüche aufgenommen sind (wie in den Hilfsanträgen).
33. Die Hilfsanträge 1 - 4 werden folglich nicht im Verfahren berücksichtigt.
Fazit
34. Der Hauptantrag ist nicht gewährbar, weil die Erfindung nicht ausführbar ist (Artikel 100 b) EPÜ).
35. Die Hilfsanträge 1 - 4 sind nicht im Verfahren zugelassen (Artikel 13 (1) VOBK 2020).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.