J 0009/90 (Wiedereinsetzung statt Verfahrensunterbrechung) 08-04-1992
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Mischpistole
Restitutio - inability to observe time limit
Restitutio - inability to observe time limit - indirectly affected
Restitutio - all due care - insolvency
Interruption of proceedings bankruptcy - identity of applicant an bankrupt
Unterbrechung des Verfahrens nach Regel 90(1)(b) EPü wegen Konkurs setzt Identität des eingetragenen Anmelders und des vom Konkurs Betroffenen voraus.
Sorgfalt des Vertreters bei Konkurs auf Mandantenseite verlangt zumindest Weitergabe aller Informationen.
I. Die europäische Patentanmeldung .... wurde am 8. August 1984 von H.D. - einer natürlichen Person - unter Bestellung des Vertreters R. eingereicht. Durch Gesellschaftsvertrag vom 16. Juli 1987 brachte der Anmelder die europäische Patentanmeldung in die "DS"-GmbH ein. Eine Eintragung des Rechtsübergangs in das europäische Patentregister wurde nicht beantragt.
II. Am 28. Juli 1988 wurde über das Vermögen der "DS"-GmbH der Konkurs eröffnet. Die am 31. August 1988 für die europäische Patentanmeldung fällige fünfte Jahresgebühr wurde nicht gezahlt. Am 3. Oktober 1988 wurde an den Vertreter der Hinweis auf Artikel 86 (2) EPÜ, d. h. auf die Möglichkeit der Nachzahlung mit Zuschlagsgebühr, nach Formblatt 2522 abgesandt. Die Nachfrist lief am 28. Februar 1989 ab. Am 3. April 1989 wurde die Mitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ an den Vertreter abgesandt, daß die europäische Patentanmeldung nach Artikel 86 (3) EPÜ als zurückgenommen gelte.
III. Mit Entscheidung vom 10. Januar 1990 wies der Formalprüfer der Prüfungsabteilung einen rechtzeitigen und formgültigen Antrag auf Wiedereinsetzung ab. In der Entscheidung wird zunächst festgestellt, daß durch den Konkurs der "DS"-GmbH eine Unterbrechung des Verfahrens vor dem EPA mangels Personenidentität nicht eingetreten sei. Sodann wird ausgeführt, daß auch eine Wiedereinsetzung nicht in Frage komme, weil durch den Konkurs der "DS"-GmbH nicht der Anmelder selbst an der Zahlung der Jahresgebühr gehindert gewesen wäre.
IV. Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 21. Februar 1990 unter Zahlung der Gebühr erhobene und am 17. März 1990 begründete Beschwerde. Mit ihr wird, unter Hinweis auf die Entscheidung J 07/83 (ABl. EPA 1984, 211), beantragt eine Unterbrechung des Verfahrens vor dem EPA anzuerkennen oder hilfsweise dem Antrag auf Wiedereinsetzung stattzugeben. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung wurde nicht gestellt.
V. Die Beschwerdekammer versuchte den Sachverhalt weiter aufzuklären. In einem ersten Schreiben vom 3. Mai 1991 führte der Vertreter lediglich aus, daß die Nicht-Zahlung bzw. Nicht-Reaktion aus dem Bereich des Anmelders bzw. der GmbH "konkursbedingt" sei. Mit Schreiben vom 11. März 1992 ergänzte er, daß betreffend die Mitteilung des EPA vom 3. Oktober 1988 (siehe oben Nr. II.) aus seiner Akte leider nicht hervorgehe, ob der inhaltliche Sachverhalt der Firma (spätere Erwerberin der in Konkurs gefallenen GmbH) mitgeteilt wurde oder auch zusätzlich dem (noch eingetragenen) Anmelder bzw. der "DS"-GmbH.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Was die Frage einer etwaigen Unterbrechung des Verfahrens anbelangt, so ist der Erstinstanz zuzustimmen, daß eine Anwendung von Regel 90 (1) b) EPÜ mit Rücksicht auf Artikel 60 (3) und Regel 20 (3) EPÜ eine rechtliche Identität des im europäischen Patentregister eingetragenen Anmelders und der vom Konkurs betroffenen Person voraussetzt. Im Falle der vom Vertreter des Beschwerdeführers angeführten Entscheidung ist Identität der im Register eingetragenen und der in Konkurs gefallenen Firma gegeben. Unter Nr. 9 der dortigen Entscheidungsgründe wird nur ein Beispiel hinsichtlich eines (hier nicht vorliegenden) Todesfalles i. S. v. Regel 90 (1) a) EPÜ gebildet. Daher können die Folgerungen, die der Vertreter aus jenem Falle ziehen will, auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden.
3. Die fehlende Identität der Personen schließt aber nicht aus, daß im Hinblick auf eine Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPÜ eine andere Betrachtungsweise Platz greifen kann, bei der streng rechtliche Differenzierungen zurücktreten.
Der eingetragene Anmelder kann sehr wohl durch ein Ereignis (hier Konkurs der GmbH) im Sinne von Artikel 122 (1) EPÜ "verhindert sein", obwohl das Ereignis primär und direkt eine andere Person (d. h. die GmbH) betrifft. Dies ergibt sich daraus, daß von dem Konkurs einer juristischen Person, insbesondere einer kleinen GmbH, die mit ihr in Verbindung stehenden Personen in verschiedener Weise stark beeinträchtigt sein können, was sie zeitweilig daran hindert, Verantwortungen im Hinblick auf eine europäische Patentanmeldung wahrzunehmen. So kann regelmäßig davon ausgegangen werden, daß der Hauptgesellschafter und Geschäftsführer einer in Konkurs gefallenen GmbH auch hinsichtlich der Wahrnehmung seiner persönlichen Belange beeinträchtigt ist. Zwar hätte er die Verpflichtung, für die Erhaltung einer Patentanmeldung zu sorgen, insbesondere wenn er zu deren Übertragung an die in Konkurs gefallene GmbH verpflichtet ist. Es wäre aber eine Überforderung, ihm als Verletzung der Sorgfaltspflicht im Sinne von Artikel 122 (1) EPÜ zum Vorwurf zu machen, daß er sich um die Erhaltung der europäischen Patentanmeldung nicht ausreichend kümmert. Seine Handlungsmöglichkeiten sind in einer solchen Situation eingeschränkt. Daher kann die Situation eines Konkurses auch als "Verhinderung" im Sinne von Artikel 122 (1) EPÜ eines Anmelders angesehen werden, der zwar nicht rechtlich unmittelbar vom Konkurs betroffen ist, der aber persönlich und wirtschaftlich damit in enger Beziehung steht. Dies gilt umso mehr, als von der Sanktion des (nur durch eine Wiedereinsetzung zu überwindenden) Rechtsverlusts letztlich nicht der Anmelder, sondern diejenigen betroffen sind, die das Unternehmen fortführen oder dort ihre Arbeitsplätze haben.
4. Dennoch gibt es auch in einem Fall der vorliegenden Art Personen, auf deren "Verhinderung" im Sinne von Artikel 122 (1) EPÜ es ankommt, und die nachweisen müssen, daß sie jene Sorgfalt beachtet haben, die von ihnen auch unter den Umständen eines Konkurses zu fordern ist. Diese Personen sind der im europäischen Patentregister eingetragene Anmelder selbst und sein während aller Phasen des Geschehens verantwortlich gebliebener Patentanwalt.
4.1 Was die Person des eingetragenen Anmelders anbelangt, so braucht nach dem oben Gesagten (Nr. 3) eine Beeinträchtigung, durch die er an der Zahlung der Gebühr verhindert war, nicht unbedingt ausgeschlossen zu sein. Die Zeitspanne der maßgeblichen Ereignisse ist aber sehr groß. Sie reicht von dem Gesellschaftsvertrag vom 16. Juli 1987, d. h. der Unterlassung der Umschreibung der Patentanmeldung auf die GmbH, über die Konkurseröffnung am 28. Juli 1988 zur Versäumung der Grundfrist am 31. August 1988 und weiter zur Versäumung der Nachfrist am 28. Februar 1989. Die Beschwerdekammer erbat eine Erläuterung der Geschehnisse und Versäumnisse in dieser Zeitspanne. Sie konnte aber lediglich erfahren, daß sich "konkursbedingt" niemand an etwas erinnern konnte. Trotz aller Bereitschaft der Beschwerdekammer, Konkurs- Situationen Rechnung zu tragen, kann sie doch eine Wiedereinsetzung nicht nur auf Unterstellungen stützen. Hier fehlt es auf Anmelderseite, d. h. auf Seiten des derzeit noch formal berechtigten Anmelders, des Konkursverwalters und des heute materiell berechtigten Erwerbers der "DS"-GmbH, an einem ausreichenden Beitrag zur Sachaufklärung.
4.2 Auch was die Person des früher wie heute bevollmächtigten und auch verantwortlichen Vertreters anbelangt, ist die "Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt" nicht nachgewiesen. In der Situation eines Konkurses im Bereich des Mandanten kann von einem Patentanwalt sicher nicht erwartet werden, daß er eine Jahresgebühr auf eigenes Risiko zahlt. Erwartet werden muß aber, daß er diejenigen Personen, denen Verantwortung zukommen kann (insbes. den Anmelder, wie auch den Konkursverwalter) auf die Notwendigkeit der Zahlung nachdrücklich aufmerksam macht. In einer solchen Situation muß zumindest der "Hinweis auf Artikel 86 (2) EPÜ" nach Formblatt 2522 denjenigen Personen bekanntgegeben werden, die eine Verpflichtung zur Erhaltung der Anmeldung (hier der eingetragene Anmelder) oder eine Verantwortung für die Anmeldung (hier der Konkursverwalter) haben. Auch dieser Nachweis ist nicht geführt.
4.3 Eine Wiedereinsetzung hätte vorausgesetzt, daß die Beachtung der erforderlichen Sorgfalt sowohl durch den Anmelder wie durch den Vertreter für die Beschwerdekammer glaubhaft gemacht worden wäre. Beides ist nicht der Fall.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.